Die Blog-Reihe zum offeneren und mutigeren Bloggen (Downsizing Underperforming Deoptimizing, Downsizing: Billig, Die Schönheit des Bloggens: Zeige Deine miesen Seiten, Sei authentisch), mündet in ein wundervolles Szenario. Oder um es meinem Naturell entsprechend zu sagen: Es ist mir ein gefundenes Fressen. Nichts ist schöner, als lebendige Beispiele.
Vorneweg, meine Message ist und bleibt, dass wir dafür eintreten müssen, Menschen zum Bloggen zu ermutigen. Sich zu trauen, über seine eigene Meinung und Haltung zu schreiben. Trotz und ob aller Schwierigkeiten, die damit einhergehen. Für mich gab es keiner schönere Entwicklung in den verganenen zehn Jahren, dass immer mehr Menschen eine eigene Stimme und einen eigenen Platz im Netz gefunden haben und finden können. Jedes einzelne Blog wiegt mir mehr als Facebook, Google+ und Twitter zusammen. Es gibt wohl kaum einen Platz, in dem man besser in die menschlichen Gedankenwohnzimmer hineinschauen kann als auf einem Blog, wo die Persönlichkeit besser zum Tragen kommt und menschlichen Brücken entstehen. Das Blog als beste, technische Verbindungsmaschine? Ja, kann man so sagen.
Mediales Dauerbombardement
Doch wie bei jeder Entwicklung auch, kann man negative Tendenzen ausmachen. Und es macht mir zunenehmend Sorge. Seit einem Jahrzehnt prasselt ein Dauerbombardement auf die Blogs ein: Die Medien haben Blogger gerne belächelt. Ob es nun das Belächeln im Monetären (Blogger verdienen doch eh nichts) oder im Intellektuellen (Blogger bieten keine nobelspreisverdächtigen Inspirationen) oder im Sprachlichen (Blogger können nicht schreiben) war. Jedes Mal hat es mir in der Seele weh getan, wie man denn so herablassend über Menschen sprechen kann. Der Flurschaden war groß. Bis heute müssen Blogger um ihre Anerkennung kämpfen.
Justiziables Dauerbombardement
Doch das Dauerbombardement bestand nicht nur aus medialen Kanonaden (das hat sich langsam gebessert), der Beschuss kam auch aus der rechtlichen Ecke. Eine Unzahl von teils sehr prominenten Abmahnungen haben dazu geführt, dass zahlreichen Blogger der finanzielle Boden weggezogen wurde und ein Großteil verängstigt wurde, überhaupt noch seine Meinung offen kundzutun. 2007 hatte ich eine Umfrage gestartet und kam zu einem mehr als erschreckenden Ergebnis, 50% wurden vorsichtiger:
Und das war 2007!
Soziales Gruppenterror-Dauerbombardement
Erst in jüngster Zeit haben wir ein neues Wort etabliert, das ein drittes Dauerbombardement bezeichnet: Shitstorms. Viele stürzen sich auf Einen. Und wir haben eine ganze Reihe von Shitstorms auch gegen Blogger erlebt. Vielen ist womöglich noch der Fall einer Bloggerin bekannt, die unter die Räder kam, weil es der „Community“ nicht gepasst hatte, einen werblichen Beitrag im Auftrag eines Mobilfunkunternehmens ins Netz zu stellen. Das Ausmaß war dermaßen schockierend, so dass sie die Reißleine zog und das Bloggen aufgab. Ich selbst habe in den vergangenen zehn Jahren unzählige Gespräche mit BloggerInnen geführt, die sich von Selbstmordgedanken bis zur Aufgabe des Blogs drehten. Die Anlässe waren höchst unterschiedlich.
Das Muster erfolgt nach einem gleichbleibenden Schema: Was auch immer der Aufhänger ist, einige Wenige nehmen Versatzstücke des Bloggers zum Anlass, um ihre Kritik anzusetzen. Sobald das Kernstück der Kritik nur deutlich genug, emotional ausformuliert wurde, zieht es magisch Dritte an, die sich den Kritikern beipflichtend zur Sache dazugesellen und sich zur Person des Bloggers äußern. Die Verselbständigung der sich aufbauenden Shitstormwelle ist ein typisches Merkmal. Die Kritiken werden immer lauter, überzeichneter, persönlicher, beleidigender. Ich bin regelmäßig von dem Aufbau einer Shitstormwelle fasziniert, wie stark Gruppendynamiken wirken. Der Einzelne wähnt sich im Recht und mag inhaltlich sogar im Recht sein, doch die kumulative Gruppenwirkung schwappt über dem Blogger bzw. der Bloggerin zusammen.
In meinem Fall, der mir sehr willommen ist, verlief es natürlich nach dem gleichen Reaktionsmuster: Das Versatzstück „klar, ich habe auch gemobbt“ wurde im Crescendo der Kritiken gewogen, als mies bewertet, persönlich verurteilt. Testhalber – was im Grunde und in der Regel müßig ist, ich verzichte schon lange darauf – habe ich mitkommentiert, hier in einem Facebook-Strang. Soziale Filtermechaniken – die schon lange vor dem Internet bekannt sind – sorgen für die Gewichtung negativer Aspekte und das Ausblenden positiver Aspekte, die ein Betroffener aufbringt (was i.d.R. eben nicht der Fall ist, dass sich der Betroffene „Geshitstormte“ aus eben diesen Gründen überhaupt zu Wort meldet).
Normen-Dauerbombardement
Und es gibt ein viertes Dauerbombardement, das auf Blogger einprasselt. Der soziale Normendruck. Der regelmäig auch und dank des Internets nicht nur mitunter zu einer sozialen Exklusion führt. Er führt hauptsächlich zu einem stetig wachsenden Normendruck. Die sozialen Teilnehmer tauschen Wertevorstellungen und soziale Normen aus – natürlich über das Netz – in einer andauernden, anwachsenden Spirale an zunehmden Normendruck, die von regelmäßiger Übertreibung (siehe Shitstorms) und wachsender Öffentlichkeitswirkung befeuert wird. Ob es die Verfehlungen eines Wullfs oder Guttenbergs sind (die man heute als sozial exkludiert bezeichnen kann), ob es der bekennende Fleischesser oder politisch Anderdenkende ist. Der Gehalt des Moralinsäurepegels ist mittlerweile so hoch geworden, dass wir heute jedem Blogger ein potentielles Risiko an Exklusion nicht mehr absprechen können.
Auswirkung: Schönwetterbloggen
Wer geglättetes, sauberes, meinungsschwaches, gutes Bloggen bevorzugt, willkommen in einer Welt, die ich einfach nicht gut heißen kann. Ich will nicht von Schönwetter glänzenden Bloggern umgeben sein. Wir müssen die ermutigen, die sprachlich nicht gebildet sind (und für ihren Sprachstil angegriffen werden), die ihre Meinung eben nicht konform der sozialen Normen ausdrücken (und dafür attackiert werden), die sich zu Fehltritten und Unwissen bekennen („wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten“), die sich zum Anderssein bekennen. Das ist mir allemal lieber denn dieses Dauerfeuer aus ermüdender Besserwisserei, Fingerzeigeritis, Gruppenhänselei, Moralinpredigten.
Wer sich vorstellt, die Welt da draußen wäre im Realen genauso wie im Virtuellen, der würde als Schwacher nicht mehr auf die Straße gehen. Ich will diese Welt weder im Realen noch im Virtuellen.
Vorschlag
Wir können lange über die Warums und Wiesos reden, es ändert nichts imho. Was wir können als Blogger: Dem Blogger und der Bloggerin konkret den Rücken stärken. Wir können denen helfen, die sich nicht trauen und ihnen Mut machen, dem immens gestiegenen Normendruck standzuhalten. Wo kann sich aber ein Blogger hinwenden, wenn sie/er unter die Räder kam? Sich nicht traut, weil vielleicht etwas passieren könnte? Wo findet er Rat und Hilfe womöglich? Wir können bspw. auf Facebook eine geschlossene Gruppe „Meldestelle für Blogger“ einrichten, Namen sind aber Schall und Rauch. Es geht um eine erste Anlaufstelle, wo man Mut nd Rat finden kann. Wir können als Blogger ein Gegengewicht darstellen, wenn wenige von uns zusammenstehen und für andere da sind. Ich halte es seit 10 Jahren Bloggerei so und werde nicht davon lassen: I am my brother’s and sister’s keeper.
Eine persönliche Bemerkung zu Mobbingvorwürfen gegen meine Person gerichtet
Diejenigen, die mich nicht einmal gefragt haben – und es hat mich kein Einziger von über 200 Personen dazu gefragt-, wie ich denn nun zu Mobbing stehe und mich verdammen, bewerten und richten, Euch zeige ich den Mittelfinger. Habt Ihr vollends den Arsch offen zu glauben, mir würde es nicht leid tun? Ich mich nicht bis heute bodenlos schämen für diesen Mist? Ich ein Herz aus Beton und Eisen haben, der damit auch noch kokettiert? Nur weil ihr aus wenigen Sätzen den Scheiß herauslesen wollt, weil ich stellvertrend für andere Blogger nicht die Kunst des gelobten Wortes beherrsche? Habt Ihr vollends den Arsch offen zu glauben, ich würde Mobbing gut heißen, mich nicht um meinen Sohn und andere Schüler kümmern, die darunter leiden? Habt Ihr vollends den Arsch offen, das Gegenteil anzunehmen und mich als Stellvertreter all Eures Leids abzustempeln? Ihr habt keinen Deut aus Euren Mobbings gelernt – so sehr sie mir in der Seele schmerzen, warum wir Menschen anderen das antun – und werft mit Mobbingsteinen auf andere in der gleichen Art? und ich brauche auch keine Gruppe, um mich hinter ihr zu verstecken, weil ich um die Wirkung von sich aufschaukelnden Lynchgruppen weiß. Nur weil ich in der Lage bin, auf meine Mobber in Schulzeiten, Studienzeiten, Berufszeiten und Blogzeiten zu scheißen, heißt es noch lange nicht, dass ich mit dem Finger auf diese Mobber zeige und sie verdamme. Verdammte Hacke, es sind Menschen, die Fehler machen, dürfen, lernen, wachsen. Weil ich ihnen den Luftraum dafür lasse und weil ich nichts Besseres als Mensch bin. Also: Rede mit mir, frage nach, Du wirst Antworten bekommen. Ich beisse nicht, ich verdamme nicht, aber für Übertriebene Darstellungen blase ich Dir meine Meinung unmittelbar ins Gesicht.
Lesetipp
Wer es gerne poltischer, demokratischer zu dem Thema Bloggen und Offenheit hat: Communitymeucheln
Der Mob schlägt mittlerweile im Web mit immer größeren Moralkeulen um sich. Wer da nicht per se Oberheilig ist, muss mit vernichtenden negativen Mobreaktionen leben. Das war nie das Ziel der Aufklärung. Selbst die absolut unheilige Kirche, unheilig im Bezug auf ihre Taten in der Vergangenheit, reagiert heute nicht mehr in diesen Moralkategorien. Der Onlinemob formiert sich heute zur Überheiligkeit. Wer nicht absolut gegen alles ist, was der Mob gerade will, der wird öffentlich wirksam angeprangert. Diese Entwicklungen zerstören jegliche Hoffnungen, die mit dem Internet verbunden waren und sind. Als freiheitsliebender Mensch sehnt man sich nach einem starken Staat der diesen Mob unter Kontrolle hält. Dies ist im Grunde eine Perversion der Hoffnungen, in denen es ja gerade darum geht, dass der Bürger dem Staat seine Grenzen aufzuzeigen hat. … Wenn der Onlinemob seine Einstellung nicht verliert und heiliger als der Papst sein will, dann wird das am Ende jegliche Hoffnung auf Erneuerung der Gesellschaften aushebeln, denn irgendwann wird und muss der Staat dann massiv eingreifen. Dies wird dann aber wieder dazu führen, dass die Entwicklung gebremst wird, genau so, wie die Entwicklung der Wissenschaft über Jahrhunderte hinweg durch die Kirche gebremst wurde.
09.06.2013 um 23:15 Uhr
Ich finde es nicht gut andere zu beschimpfen, weil sie nicht sehen, was du nicht geschrieben hast (dass es dir leid tut) – woher sollen die Menschen wissen, wie du denkst, wenn du es nicht schreibst? Die wenigsten kennen dich persönlich gut genug, um deine harten Worte einordnen zu können.
Wurden Blogs und Social Media Plattformen wie Facebook und Twitter nicht gerade für den Austausch über Inhalte wie deine Postings geschaffen? Wieso verlangst du dann, dass sich jemand bei dir meldet und dich fragt?
10.06.2013 um 07:32 Uhr
Vielen Dank für diese mutige Serie, ich stimme Dir aus ganzem Herzen zu. Als ich vor Kurzem eine Hausdurchsuchunge wegen einem Blogbeitrag (!) hatte, habe ich eine riesige Solidaritäts- und Sympathiewelle erfahren (bis zum Fernsehen) – nur ein paar aus der Bloggerszene erhoben sich moralisch über mich und fanden den Einsatz der Polizei richtig. Häääh? Ich gehe zu BarCamps und Twittwochs, kenne die Leute und habe mich immer als Gemeinschaft empfunden – doch dieses merkwürdige Verhalten hat mich doch sehr auf den Boden der Tatsachen zurückgeworfen. Wahrscheinlich ist die „Szene“ den gleichen Gesetzen unterworfen wie bei jungen Parteien und Bewegungen – man kämpft besonders gern gegen sich selbst. Meine Konsequenz: „Lass Dich auf keinen Verein ein“, bau Dir Deine eigene Community und wehre den Anfängen. Und warum das wohl so ist mit dem Gift in den eigenen Reihen? Communities sind wie Rudel, man beißt und kämpft um die Rangfolge und erhofft sich Vorteile. Ich mochte schon als Kind keine Ballspielvereine und tauge nicht dafür – ich bin ein Wanderer und liebe Menschen (auch die Rudelbeißer) und lass mir diese tiefe Zuneigung nicht durch schlechte Erlebnisse verbittern. Und meine Meinung lass ich mir auch nicht verbieten, zum Glattwerden bin ich einfach langsam zu alt.
10.06.2013 um 09:47 Uhr
Eine kleine Anmerkung zu den Medien, die Blogger belächeln: Das war in meinen Augen eine Gegenreaktion auf die postulierte Meinung vieler Blogger, Blogger seien die besseren Journalisten, da unabhängig und nicht käuflich. Das stimmt nicht: Blogger sind keine Journalisten, denn Journalisten arbeiten für Geld. Und ebensowenig wie es ehrenrührig ist, dass ein Herzchirurg für seine Arbeit bezahlt wird, ist es ehrenrührig, wenn ein Journalist für seine Arbeit bezahlt wird. Im Gegenteil muss sich ein Blogger erklären, der unbezahlt viele Arbeit auf sich nimmt, um ein journalistisches Angebot zu erstellen. Warum tut er das? Hat er eine Hidden Agenda? Und oft genug hat er eine.
10.06.2013 um 13:39 Uhr
@Frank, bin da voll bei Dir, dass einem Blogger auch auf die Finger geschaut gehört. Wenn es nur das gewesen wäre, oder die Ansage, wir seien die besseren Journalisten… doch das Ausmaß der Übertreibung war in der Summe einfach viel zu groß.
11.06.2013 um 23:25 Uhr
Schön, dass Sie sich klar äußern, sich klar positionieren. Schön, dass Sie eine Diskussion anstoßen, die längst überfällig ist – nicht nur bei den Bloggern, auch in der Presse (Sie schreiben das auch). Unsere Gesellschaft liebt es leider, mit dem Finger auf andere zu zeigen und vergisst zuerst in den eigenen Spiegel zu schauen. Die Presse lebt von negativen Schlagzeilen. Jeder von uns wirkt (leider) unbewusst oder bewusst mit. Wer bevorzugt nicht die negativen Nachrichten. Wer ist bereit, positive Nachrichten zu lesen?
Grundsätzlich müssen folgende Regeln gelten:
1. Kritik zur Sache ist erwünscht, trägt zur Findung der richtigen Sachlösung bei.
2. Immer nur Lob und Anerkennung zur Person.
Bitte gestatten Sie mir den Hinweis: das mit dem Stinkefinger finde ich nicht gut. Das wertet Ihren guten Sachbeitrag ab.
12.06.2013 um 08:10 Uhr
Hast Recht, absolut. Eigentlich ist dem kaum Etwas hinzuzufügen. Vielleicht Dieses: Es sind nicht nur Blogger, die unter der Maßlosigkeit des bedeutend-sein-wollens Etlicher zu leiden haben, es sind auch Journalisten, Politiker und auch sonst ganz normale Menschen. Um es mal auf den Punkt zu bringen: Die Typen, die Nichts zu sagen haben, haben durch das Internet plötzlich ein Sprachrohr bekommen, das sie weidlich missbrauchen.
Das Schlimme daran ist (neben all den vielen Verletzungen), dass das eine Steilvorlage für die ewig gestrigen Kontrolletties ist. Um „Anstand und Ordnung“ wiederherzustellen, wird denen kein Mittel zu weit gehen.
Danke, daß Du das mal so deutlich formuliert hast.
16.06.2013 um 15:37 Uhr
vielleicht nicht ganz uninteressant: ich habe mich seit den Anfängen von Facebook und Co. von diesem Social Media Blödsinn herausgehalten, keine typischen Social PlugIns auf meinen beiden Blogs integriert und dennoch wurden meine Blogs von Zeit zu Zeit von einer Armada von Facebook Kommentatoren mit überwiegend schwachsinnigen Anmerkungen heimgesucht, hey Alder, wo is denn der Like-Button;-)
kann man auch als Shitstorming bezeichnen mit dem Ziel, mich für Facebook zu begeistern?!
selbst wenn Facebook Google schlucken würde (halte ich für unwahrscheinlich), würde ich da nie Mitglied werden wollen!
als Blogger schätze ich meine Unabhängigkeit, bin ich auch noch so klein, dafür unterwerfe ich mich nicht irgendwelchen Gruppenzwängen, weder um Traffic zu betteln noch dass ich mir Scheuklappen aufsetzen werde, nur um einigen selbsternannten Gurus zu gefallen;-)
mit Massenkonfektion hab ich eh nichts am Hut.
Gruss, Juergen.
22.11.2018 um 16:41 Uhr
Sehr guter Überblick – prima Post!