Gehe in das Gefängnis. Begib Dich direkt dorthin. Gehe nicht über Los. Ziehe nicht DM 4000 ein“ = so ungefähr klingen die Wehklagen über das neue Datenschutzrecht.

Das neue Datenschutzgesetz – DSGVO – der EU gilt verpflichtend für alle EU-Mitglieder. Und wird wie bekannt Ende Mai 2018 scharfgeschaltet. Es ersetzt das bisherige BDSG, das weitestgehend übernommen und an einigen Stellen präzisiert aber auch verschärft wurde. Am meisten macht den betroffenen Unternehmen die Androhung möglicher hoher Strafen Sorge. Was wiederum dazu führt, dass da draußen einige ihre Stilblüten bewässern, um entweder Panik zu schieben oder aber um Geschäft einzuholen (vom Rechtsanwalt bis zum Datenschutz-Berater). Insofern alles wie gehabt, wenn es um neue Gesetze geht. Es werden Wehklagen erhoben, es wird gerasselt, es wird gefuchtelt. Gleich mehr dazu.

Klar, es stellen sich auch Bloggern diverse Frage, was wo wie justiert werden muss. Und auch die Frage, ob man überhaupt betroffen ist. Vorneweg: private Blogger ohne Wenn und Aber sind außen vor. Das DSGVO wendet sich an alle, die aus Geschäftsgründen persönliche Daten erfassen und verarbeiten. Primär zielt es auf die ab, die professionell mit Datenhandel ihr Auskommen bestreiten. Als Blogger darf man sich dennoch über prima Quellen erfreuen. Eine davon – die keine Panik schiebt, sondern so wie es sich gehört kühl-rational an die Sache herangeht – ist DSGVO Checkliste für Blogger: Wie setze ich die Datenschutz-Grundverordnung für mein Weblog um?. Wer sich dort umschaut, wird weitere Artikel dazu vorfinden. Aus Sicht eines Bloggers. Und, es ist nicht so viel, wie man denkt.

Manch ein Blogger muss aber das DSGVO nicht sonderlich (?) beachten. Solange er oder sie als Presseorgan betrachtet werden kann (final entscheidet das letztlich immer ein Gericht, wie auch sonst im Zweifelsfall). Wer also glaubt, dass dies auf ihn zutrifft, lese weiter. Alle anderen können aussteigen oder aber aus anderen Gründen weiterlesen (z.B. beruft sich Freelens – eine Fotografenvereinigung – auf das Medienprivileg, was angeblich durch das DSGVO verworfen wurde und der Gesetzgeber sich sogar weigere, dieses wieder einzuführen!).

Medienprivileg

Kommen wir zu einem Sonderpunkt, einer Art Trumpfkarte: es handelt sich um das Medienprivileg. Das weitestgehend auf Artikel 5 Abs. 1 des Grundgesetzes basiert und die Pressefreiheit in Deutschland verankert. Was den Datenschutz und Pressefreiheiten angeht, stehen beide Rechte naturgemäß nicht im Einklang: Die Schutzrechte einer in der Boulevard-Presse zur Schau bloßgestellten Person müssen häufig auf Basis von Rechten und Urteilen hinten anstehen. Speziell was den Datenschutz angeht, steht das Medienprivileg über dem Datenschutz, das zur Zeit noch im BDSG verankert ist. Siehe hierzu ein Beispiel, wie sich die Schutzrechte miteinander verhalten und wie Gerichte das sehen: Das BGH erläutert das Medienprivileg.

Dieses Sonderprivileg hat Konsequenzen auf die Erfassung, Datenverarbeitung und Speicherung. Salopp gesagt, sind die Datenschutzvorgaben des gültigen BDSG gelockert und nicht wirklich anwendbar. Selbstverständlich heißt das nicht, ein Presseorgan könne mit den Daten machen, was es will. Die Daten sind sicher und unter Beachtung des Datengeheimnisses aufzubewahren. Auskunftsansprüche von erfassten Personen sind nicht ohne Weiteres herauszugeben und gar das Einschreiten seitens der Datenschutzbehörden ist untersagt, da die eigentliche Aufsichtsbehörde die Landesmedienanstalt des Bundeslandes ist. Heißt auch, dass eine Person nicht zur Datenschutzbehörde rennen kann, um zu klagen. Das erklärt bereits, warum der Bund abgewunken hat, das neue DSGVO als Nachfolger des BDSG mit presserechtlichen Belangen zusammenzubringen. Und sich nicht auf das Spiel einlassen wollte, SuperSchutzRegelungen bundesweit einzuführen. Es ist ein verfassungsrechtliches Problem der hoheitlichen Aufteilung einer föderalen Republik.

Wieso gilt das Medienprivileg immer noch?

Ganz einfach: Die Bundesländer ratifizieren zur Zeit nach und nach den 21. Rundfunkänderungsstaatsvertrag. So heißt das Höllenwerk, das auf Länderbene dazu führt, die rechtlichen Bestimmungen des DSGVO entscheidend zu dämpfen. Auf Wunsch und Einlassung zahlreicher Presseverlage, die schon lange daran mitgewirkt haben.

Quellen? Eine beispielhafte Aufzählung, wie Legislative funktioniert und warum Medien nicht sterben werden. Zunächst => Warum werden überhaupt Gesetze im Rahmen des DSGVO angepasst und was taten die zuständigen Bundesländer? Richtig, sie setzten sich zusammen. Nachlesbare Begründung: Anpassung an die Datenschutzgrundverordnung: Zusammenfassende Übersicht der Änderungen in den rundfunkrechtlichen Staatsverträge

Was kam heraus? Wunschgemäße Anpassungen für alle Medien.
Gesetzentwurf der Landesregierung – Drucksache 17/1565 / NRW
Vorunterrichtung des Landtages Nordrhein-Westfalen / als PDF / Vorlage 17/241 / NRW
Der eigentliche Gesetzesentwurf mitsam Änderungen als PDF
Landesregierung beschließt 21. Rundfunkänderungsstaatsvertrag – europakonforme Regelungen zum Datenschutz und zur Zusammenarbeit der Öffentlich-Rechtlichen / Niedersachsen
Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode Drucksache 16 / 2953 / als PDF
usw usf etcpp

Background-Infos

Warum hat die EU nicht gleich alles unter einen Hut gepackt, den Datenschutz für alle EU-Staaten nivelliert, Medien einen Superstatus verliehen und mal so eben alle Grundgesetze bzw. Verfassungen der Einzelstaaten überstimmt? Darum! Warum? Es ist kompliziert, da kein Staat und kein Bundesland gleiche Gesetze hat. Ach was? Nachzulesen ist die Vorgehensweise in einem exzellenten Werk der EU, das Anfang März eigens zu dem Thema erschien:  Journalismus und Medienprivileg. Das sich u.a auch mit der Situation in Deutschland befasst.

Zitat:

Die Entwicklung des „Medienprivilegs“ ist von den Prozessen der Digitalisierung, Europäisierung und Globalisierung betroffen. Im Ergebnis dieser Prozesse werden nicht nur staatliche Souveränitätsmodelle auch mit Blick auf die Regulierung von Medienakteuren und medialen Geschäftsmodellen zunehmend obsolet.

Der datenschutzbezogene Ausgleich zwischen dem Persönlichkeitsschutz und den Kommunikationsfreiheiten bleibt gemäß Art. 85 DSGVO im Kern den Mitgliedstaaten vorbehalten, was diesen die Möglichkeit eröffnet, in diesen Ausgleich insbesondere auch unterschiedliche Verfassungstraditionen einfließen zu lassen.

Zwar enthält Art. 85 Abs. 1 DSGVO einerseits den allgemeinen Auftrag an die Mitgliedstaaten, in ihrem Recht einen Ausgleich zwischen dem Recht auf Datenschutz und der Meinungs- und Informationsfreiheit herzustellen. Damit wird das Institut des Medienprivilegs zwar nicht benannt. Eine Ausblendung der Bedeutung der Informationsleistung der Medien, einschließlich der hierfür erforderlichen journalistischen Vorarbeiten, in der Ausgestaltung des Datenschutzrechts in den durch die Verordnung belassenen Freiräumen wäre indessen grundrechtswidrig. Art. 85 DSGVO gemeinsam mit Erwägungsgrund 153 geben den nationalen Behörden und Gerichten hinreichend Kriterien an die Hand, um zu erwartende Grundrechtskollisionen im Einklang mit den Vorgaben der Grundrechtecharta der Europäischen Union einer angemessenen Lösung zuzuführen. Es ist also nicht so, dass im Mai 2018 ein Zustand eintreten würde, bei dem entweder die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen oder die Medienfreiheit Schaden nehmen würde.

Was heißt das nun für den Blogger, der womöglich als Presseorgan durchgeht?

Hier, so sieht die goldene Eintrittskarte aus. Es klang aber oben schon durch. Du hast damit immer noch Rechte und Pflichten, was den Datenschutz angeht! Die Du nachlesen kannst. Das ist nicht mein Job, Dir zu erklären, wie Dein Datenschutz zu handhaben ist. Quellen zum Einstieg sind genug da oben gelistet. Du wirst übrigens auch nicht die Maximalstrafen wie nach dem DSGVO zahlen, wenn schon Dummfug baust. Ebenso brauchst dich nicht im sicheren Hafen zu wähnen, wenn du mal aus Rassismus-Hobby heraus Persönlichkeitsrechte von Menschen verletzt und fleißig Pesonendaten sammelst. Da wird deine Medienprivileg-Karte nichts mehr nutzen. Die Grundideen der EU aber auch Deutschlands basieren auf Werten, die sich im Rechtesystem widerspiegeln. Die auch sehr deutlich aus dem DSGVO hervorgehen. Entsprechend spricht der Richter Recht und wägt Rechtsnormen an, entscheidet, wessen Interesse größer ist. Nicht deine Rechts-Auslegung.

Übrigens, ich möchte Freelens nicht in die Akquise reinpfuschen, aber Medienfotografen agieren doch im Umfeld der Presse? Da ja angeblich das Medienprivileg laut der Vereinigung nicht existiert und das Argument dennoch wegfällt, müssen die sich an das heftige Konstrukt „Fotos = Daten“ klammern. Jeder Blogger, der fotografiert und Menschen erwischt, müsse Tod und Teufel tun, damit er rechtssicher ist. Ich empfehle das gleiche Verfahren wie oben = lesen, recherchieren, lesen, und stets den eigenen Kopf einschalten.

Update:

Liebe Anwälte, ihr müsst mir nicht mit anonymen Mails drohen. Und mit falscher Rechtsauskunft herumwedeln. Beratet eure Mandanten fair und schiebt keine Panikargumente zwecks Akquise vor. Wir Blogger haben schon genug mit aberwitzigen Abmahnungen zu tun. Würdet Ihr einen guten Job im Netz machen, wären wir alle klüger und schlauer. Wie heißt es bei euch? „Es kommt drauf an“. So gilt es auch beim DSGVO. Und eben nicht „ihr werdet alle bluten“. Macht euren Job. Ich den meinen als Passion des Bloggers, User vernünftig zu informieren. Wäre ich Anwalt geworden, würde ich genau das Gleiche sagen. Und jetzt macht eure Arbeit. Würde ich nicht so viele unter euch kennen, die exzellent sind, müsste ich von einem Heer an Schwarzen Schafen sprechen. Haltet euch an die Guten und orientiert euch nicht an den anderen!

Bildhinweis

Von Shawn Stephens fotografiert, der das Bild unter CC BY 2.0 gestellt hat. Warum ausgerechnet dieses Bild? Eingangs bereits erklärt: Dieses extreme Störfeuer aus allen Kanonen finde ich bedenklich. Zumal zwar Eigeninteresseren verständlich sind (Anwälte müssen und sollen auch gut leben), wir dennoch nicht vergessen sollten, dass Gesetze wie das DSGVO einen Schutzstandard für 500 Millionen EU-Bürger schaffen sollen. Mitsamt allen Ausgleichsinteressen so wie hier dem Medienprivileg. Es geht um gemeinsam und nicht um „ICH ICH ICH“-Geschrei.