Ich glaube, die Personaler müssen jeden Tag die Sektkorken knallen lassen. So herzlich viele Informationen über Mitarbeiter, wenn sie sich den online entblättert haben. Da ein Saufbild, hier ein Seitenhieb gegen die saumies aufspielenden Vereinssportkollegas, dort was Negatives über die blöden Chefs. Instabile, wenig teamorientierte, antiautoritäre Person. Nix da mit der Einstellung oder gar Beförderung. Und das nur, weil ein Mensch genau das fetsgehalten hat, wie er im Moment gefühlt und getickt. Sich auslebt. Was ist am Ausleben schlimm? (btw, wie es wirklich mit der Recherche und vermeintlichen Beurteilungen daraus aussieht, möge dem Hinweis von Thorsten zu einer Personaler-Studie folgen)
Ex-LoverInnen amüsieren sich über und stalken die Verflossenen. Und geben die Infos in ihrem Freundeskreis weiter á la „Schau mal, hat sich aber was Bescheuertes angelacht“.
Du hast was vor 10 Jahren im Netz geschrieben und handelst heute anders? Das wird Dir dann vor die Nase gehalten, was Du mit 16 geschrieben hast. Heute mit 26 Lenzen anders sein? Geht über die Vorstellung der Individual-Historiker wohl weit hinaus.
Du schreibst was Politisches, wie Du es fühlst, ohne 50 Jahre Politikstudium und 10 Doktortitel? Einfach mal die Fresse halten, ne? Sich 1.000 differente Angriffe anhören, jeder weiß es besser und noch viel besser als Du?
Wie, Du kennst nicht alle 10.000 Privateinstellungssschalter bei Facebook? Und hast nicht Deine 1.000 Kontakte in 10.000 Zugriffsgruppen individuell angepasst eingenordet? Was bist Du denn für ein Noob, der nicht weiß, wie er 1.000.000.000 Möglichkeiten richtig einstellt? Selber Schuld, Spacko, wenn Du blöd dastehst und die Geheimnisse Linearer Programmierung nicht kennst!
Zur Hölle mit diesem alles aufsaugenden Netz, das Dich durch und durch entblättert. Wir reden von Migrantenproblemen, predigen zugleich Toleranz, sind aber mit Sicherheit nicht im Herzen toleranzmigriert.
Ein Fehltritt im Netz und schon stürzen sich die Meinungsmacher, Besserwisser, Social Media Experten, Privatsphären-Facebook Forscher mit Nobelpreis im Datenschutz, Hausfrauen, Manager, Journalisten auf Dich. Hättest doch lieber die Fresse gehalten, Noob. Keine Bilder, keine Postings, keine Meinugen, keine Launen, keine Fehltritte.
In welcher Welt leben wir aber, wenn wir uns im Netz privat nicht ausleben können, auch und obwohl wir öffentlich sind, ohne uns tierisch Gedanken machen zu müssen, was wir produzieren und hinterlassen? Spült es gar doch die gesamte Intoleranz hoch, mit der Privates mit gesellschaftlichen Normen im öffentlichen Raum kollidiert? Warum können wir nicht privat ausleben, wer wir sind und dennoch zugleich öffentlich im Netz agieren? Dürfen sich Jugendliche nicht selbst finden, bevor man mehr von ihnen erwartet? Öffentlich nachvollziehbar Scheiße bauen, saufen, ficken, Unfug reden? Was soll das schon heißen für Arbeitgeber? Nix, Menschen werden von Jugendlichen zu Erwachsenen, sie leben, einfach so. Und erobern das Netz für sich. Selbstverstädlich nutzen sie es privat, was denn sonst? Soll man sich nur noch gesellschaftlich konform verhalten und sich bloß dem Druck der Normen beugen? Das gleiche gilt übrigens auch für Erwachsene, denen man noch viel mehr abverlangt. Der Druck ist noch größer.
Mein zentraler Gedanke: Will ich eine Gesellschaft voller Angepassten und Drückeberger, nur weil das Netz zunehmend stromlinienförmiges Privatleben erzwingt? Das Internet ist ein echtes Arschloch im Kampf Privatsphäre versus Öffentlichkeit, Freiheiten versus Normen, eigene Meinung versus Gruppenmeinung, eigene Fehltritte versus lauter Jesus Christus von Nazareth (Hinweis von Ragnar im Kommentar: Jesus steht für Fehltritte, demnach habe ich nicht die richtige Person stellvertretend für übertriebene Heiligkeit ausgewählt). Es macht nur zu deutlich sichtbar, wie Toleranz und Intoleranz zueinander stehen. Es kann nicht sein, dass wir privat im Netz leben dürfen, zugleich Gesellschaftliches einen ungleichgewichtigen Druck aufbaut, weil Privates öffentlich wird. Es kann nicht sein, dass wir Toleranz umgehen, indem wir es durch die völlig unnötige Kenntnis tausender Privacy-Einstellungen bei Facebook ersetzen. Technik-Studium versus Mensch-Sein. Das kanns nicht sein. Neues Denken, wie man mit Normen umgeht, wie man Privatsphäre versteht, wie man mehr Toleranz im Netz gegenüber individuellen Verhaltensweisen entgegenbringt, ist ein notwendiger Bestandteil des modernen Internets. Ob und welche Richtung es annimmt, bestimmen wir selbst.
In diesem Sinne, ran ans „Limit“
28.10.2010 um 14:09 Uhr
Hallo Robert,
Personaler sind nicht an den Orgienfotos potentieller Mitarbeiter interessiert. Höchstens es handelt sich um den Vorstand auf ner Koksparty. Spaß beiseite. Ich habe in diesem Jahr eine Studie zum Thema Social Media in der Personalarbeit gemacht. ( Kann man hier kostenlos downloaden: http://goo.gl/PRc8 ) Demnach interessieren sich die Personaler gar nicht so sehr für die Online-Vita. Wenn, dann erst im letzten Schritt und da auch nur sporadisch. Bilder, Videos usw. sind da nicht im Fokus der Personaler. Allerdings Äußerungen was Kollegen oder Arbeitgeber angeht. Klar, man möchte selbiges nicht erleben, wenn man die Person im eigenen Unternehmen hat. Wer sich mit den ganzen Sicherheitseinstellungen nicht anlegen möchte, dem rate ich folgendes: Lege einen privaten, geschlossenen Account und einen öffentlichen an. Wer dann die Bilder oder das Genörgle über den Boss immer noch in den falschen Kanal schiebt, ist selber schuld, oder?
28.10.2010 um 13:52 Uhr
Du sprichst mir aus dem Herzen mit dem Artikel, Robert!
Nur diese Gegenüberstellung verstehe ich nicht:
„eigene Fehltritte versus lauter Jesus Christus von Nazareth“
Im Christentum geht man ja davon aus, dass Jesus für die gestorben sind, die Fehltritte begangen haben und damit eine Opferrolle im wörtlichen Sinne eingenommen hat. „Nicht die Gesunden brauchen einen Arzt“, waren seine u.a. seine Worte dazu.
28.10.2010 um 13:53 Uhr
danke für diesen Hinweis, so hatte ich es nicht verstande haben wollen, aber wenn er dafür mehr steht denn für Heiliges, dann gerne dieser Hinweis im Artikel… merci ;)
28.10.2010 um 13:54 Uhr
Ein McKinsey-Berater sagte mal, ihm kann das nur Recht sein, wenn Bewerber Sauf-Bilder aus ihrem Studium veröffentlichten. Das zeigt ihm, dass sie sich schon ausgelebt haben und es somit nicht (im Beruf) nachholen müssen.
Hat mir der Karsten erzählt, glaube ich. Ist eine schöne Geschichte.
28.10.2010 um 13:59 Uhr
Ganz meine Meinung! Welcher Arbeitgeber möchte denn Leute einstellen, die ihr Leben im Keller verbracht haben? Dann lieber sozialisierte Leitung, die auch mal ein wenig über die Stränge geschlagen haben.
28.10.2010 um 15:01 Uhr
Hallo Robert,
passt vielleicht jetzt nicht zum Thema, aber wäre es vielleicht möglich mir dein WP-Theme zu schicken. Ich finde die Version 1.0 nicht mehr nur noch die 1.2 und die gefällt mir nicht.
Gruß
Mirco
28.10.2010 um 14:03 Uhr
Hi Robert,
gut geschrieben und vieles davon spricht mir aus der (digitalen) Seele!
Aber was erwartest Du? Das Menschen die genau genommen Facebook nichtmal buchstabieren können die Auszüge die ihnen vorgelegt werden entsprechend einordnen können? Es wird eben noch viele Jahre dauern bis die entscheidenden Positionen flächendeckend mit Personen besetzt sind die sehr wohl zwischen privaten Partyfotos und tatsächlichen Fehltritten im Internet unterscheiden können.
28.10.2010 um 14:11 Uhr
@Enrico, es ist weniger die Frage, wie Personaler agieren (danke an dieser Stelle für den Hinweis @Thorsten), sondern was die vaD die Presse inkl. TV für Szenarien mittlerweile malt, wenn es um Arbeitgeber und Social Networks geht. Es wird gesendet, dass „man aufpassen muss“.
28.10.2010 um 14:15 Uhr
Es gibt doch mittlerweile glaub ein Gesetz o.ä. das man nicht über Mitarbeiter per Facebook Auskunft einholen darf. Aber wer bitte will sowas prüfen? Bzw. wenn nicht wegen eines komischen Bildes im Netz gekündigt/nicht eingestellt werden darf, wird eben ein anderer Grund vorgeschoben.
28.10.2010 um 14:17 Uhr
@ Robert
naja, wer so wunderbaren Sendern wie RTL II oder einer großen Deutschen Tageszeitung tatsächlich Glauben schenkt ist aber auch selbst Schuld :D
28.10.2010 um 14:31 Uhr
Das nenne ich mal wirklich „mir aus der Seele geschrieben“.
28.10.2010 um 15:46 Uhr
Herrlich zu lesen und man kann den manchmal angestauten Frust auch nachempfinden.
Lediglich der Satz.. „..und schade das es keins hat, denn sonnst könnte die ganze Scheiße mal abfließen…“ hat mir noch gefehlt :)
28.10.2010 um 16:25 Uhr
Meine Meinung dazu ist bekannt. Würde mich ein Arbeitgeber mit Infos aus meinem (öffentlichen) Privatleben konfrontieren, gibs nur eine Antwort / Gegenfrage. Was geht Dich das eigentlich an? :-D
28.10.2010 um 17:46 Uhr
Nur nicht überbewerten – aus beiden Richtungen. Heutzutage sollen sogar Leute aus dem Rotlicht Milieu Tatort-Kommisare werden können!
Ich finde das Internet nett, und allenfalls kann man aus den Veröffentlichungen schließen, dass eine gewisse Medienkompetenz nicht vorhanden ist.
Und die sollte man schon haben heutzutage. Sonst spricht das nicht für die Klugheit der veröffentlichenden Person.
Ich finde es wird lange nicht so heiß gegessen wie gekocht und ist Ermessenssache. Wenn man sich früher (Prä-Internet) auf den Marktplatz gestellt und besoffen hat, war das sicherlich auch Thema im Dorf.
Und das Internet ist eben ein gaaaaaaaaaanz großes Dorf.
28.10.2010 um 23:16 Uhr
Treffer, auf der ganzen Linie. Danke.
29.10.2010 um 09:46 Uhr
Damit werden wir leben müssen. Da es Werte und Normen tangiert. Besonders schwierig ist es bei Facebook & Co durch die kulturübergreifende Plattform. Der „Clash of Cultures“ findet bei Facebook töglich statt und ist nur ein Klick entfernt. Ein Beispiel: „Gotcha/Paintball“ ist als Hobby z.B. in den USA akzeptiert. Da würde sich niemand Gedanken um machen. Wenn einem deutschen „Personaler“ das bei Facebook über den Weg läuft, wird der Bewerber u.U. als potentieller Amokläufer aussortiert.
29.10.2010 um 10:02 Uhr
Schöner Artikel! Und ich gebe Dir Recht. Wir leben nicht einmal in einer Diktatur, und trotzdem fragen sich viele dauernd, ob sie ‚falsch‘ erscheinen. Dieselben Leute werden irgendwann hier und da auch Personaler und geben den ganzen Dreck in Form von Verhaltensnormen weiter. Der ganze Zirkus ist an Heuchelei kaum zu überbieten.
29.10.2010 um 16:34 Uhr
Nicht das Internet ist ein Arschloch, es ist amoralisch. Wir sind es … ^^
29.10.2010 um 17:32 Uhr
Allerdings, das Internet ist weder gut noch böse.
Vielmehr ist es nicht besser oder schlechter als wir – seine Nutzer.
29.10.2010 um 20:23 Uhr
Keine(r) wird gezwungen, sich im Netz bloßzustellen, öffentlich auszuziehen, die Hose runterzulassen, Beleidigungen (unter der Gürtellinie) und Verbalattacken loszulassen, dumme Sprüche zu machen,… Wer damit dann Angriffsfläche für Personalchefs, Ex-LoverInnen, Journalisten,… bietet ist doch letztendlich selbst schuld. Wie im Real Life sollte man auch im Internet seinen gesunden Menschenverstand benutzen. Wer sich aufs „Podest“ begibt, sollte vorher überlegen was er sagt und tut, dann wird er auch nicht mit „faulen Eiern“ beworfen ;-) … und wer austeilt sollte auch einstecken können!
01.11.2010 um 13:49 Uhr
Ich gebe dir teilweise Recht Robert. Aber als Arschloch würde ich das Netzt nicht bezeichnen, dafür liebe ich es zu sehr. Was soll’s, jeder, der sich Infos aus dem Netz beschafft, dem ist auch die Bedeutung dieser Infos durchaus bewusst!?
10.11.2010 um 10:03 Uhr
Das Internet ist auch meiner Meinung nach sehr unterschätzt. Ich persönlich schaue auch auf die Profile der Mitarbeiter und ganz besonders der Bewerber. Mich wundert es, dass die Menschen trotz der vielen Berichte, nicht mehr aufpassen was sie von sich preisgeben.