Anders seinXing ging 2003 mit dem Namen „OpenBC“ (Open Business Club) an den Start. 2006 wurde der Name in Xing umgewandelt. Und es ist bis heute das dominierende Business-Online-Netzwerk in Deutschland mit rund 3-4 Millionen Mitgliedern (Basis+Premium).

Schärfster Konkurrent ist LinkedIn, das ebenso 2003 an den Start ging und mit +85 Millionen Mitgliedern (Angabe von Roland Panter, der für LinkedIn als Dienstleister tätig ist) weltweit gegenüber den rund neun Millionen Xing-Usern ungleich größer ist. In Deutschland spielt LinkedIn jedoch lediglich die zweite Geige mit ca. 500.000 +900.000 Usern (danke, Gerhard). Was sicherlich nicht nur der späten Lokalisierung (=deutschsprachige Benutzeroberfläche) im Frühjahr 2009 geschuldet ist, sondern auch dem so gut wie nicht vorhandenen Marketing und der extrem schwachen PR.

Schauen wir uns die zentralen Kernfuntkionen von Xing an, worauf letztlich das Nutzenpaket beruht:
– User-Profile
– Vernetzungsfunktion (User-Profile + Vernetzung = Social Networking Basis)
– internes Mailing
– Suche
– Archivierungsfunktion für Kontakte = dynamisches Adressbuch (danke, Peter)
– Diskussionsforen
– Einladungsfunktion für Events
– Anzeigenschaltung (Jobs, …) / Werbung
– Preisnachlässe bei Partnerunternehmen

Verdichten wir es in drei wesentliche Nutzenstränge::
– Jobsuche / Karriere / Personalvermittlung
– Kontaktvermittlung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer
– Werbung im weitesten Sinne (nicht nur via Anzeigenschaltung, sondern auch über Suche, Forenbeiträge, Events)

Job-Nutzen als Ansatzpunkt: Schwach
Xing hat recht spät angefangen, sich als Job-Netzwerk zu platzieren. Im Gegensatz zu LinkedIn, die schon wesentlich früher erkannt haben, worin ihr eigentlicher, geldwerter Vorteil liegt. So verwundert es nicht, wenn Xing nicht im gleichen Atemzug zusammen mit den herkömmlichen Job-Portalen genannt wird. Und es mag nicht verwundern, warum statt 3-4 Mio Nutzern nicht weitaus mehr auf Jobs ausgerichtete Userprofile Eingang finden (es gibt in D rund 40 Mio Erwerbstätige). Xing versucht sich neuerdings auch via TV-Werbung in dieser Richtung mühsam zu positionieren. Es ist die Frage, ob sich auf diesem Markt für einen Neueinsteiger etwas holen ließe, wenn er denn auf dem Kerngedanken eines Social Networks gegen Xing aber auch die etablierten Job-Portale antreten wollte. Ich denke, dass es für ein herkömmlich finanziell ausgestattetes Startup so gut wie nicht zu schaffen wäre.

Kontaktvermittlung und -stärkung als Ansatzpunkt: Sehr hoch
im Bereich der geschäftlichen Auftrags-Kontaktvermittlung liegt für einen Wettbewerber der beste Ansatzpunkt, da sowohl LinkedIn und Xing größte Schwächen aufzeigen. Das werden natürlich weder Xing noch LinkedIn bestätigen. Aber schauen wir uns doch einmal zunächst den Social Graph von Facebook an und was wir daraus lernen? Was der Social Graph ist? Im weitesten Sinne kann man es als eine Online-Abbildung unserer menschlichen Aktionen verstehen, die anderen sichtbar gemacht werden. Wir kennen das bei Facebook bspw. über die sog. „Timeline“. Extrem wichtig ist dabei der Austausch über die variablen Formen: Text, Bild, Bewegtbild, Links. Die simpelste und wichtigste Mensch-Funktion ist dabei: „wen wir häufiger bei seinem Tun beobachten, dem fühlen wir uns näher und mehr miteinander verbunden“. Es bietet Anlass für Kommunikation, für Gespräche, für Kontakte. Mit der Dauer entsteht nicht nur Vertrauen, sondern u.U. sogar auch Freundschaft. Bei bestehenden Freundschaften hält es die Freundschaft am Leben, wenn man sich real selten oder gar nicht sieht. Bei Facebook steht diese Timeline im Mittelpunkt des Produkts und ist für den Erfolg von Facebook überlebenswichtig.

Schwachpunkte von Xing und LinkedIn
Wir können das im geschäftlich Sinne als „Networking Relationship Management“ bezeichnen. Aus der steten Abbildung der Handlungen der miteinander verbundenen Kontakte entsteht Vertrauen (die Basis eines jeden Geschäfts), es werden Kontakte gestärkt und aufgefrischt. Genau diese Art von Social Graph hat Xing nicht in den Mittelpunkt gestellt. Und bietet zudem recht wenige Möglichkeiten, sich ähnlich wie bei Facebook einzubringen, miteinander zu interagieren. Der Hauptpunkt der Interaktionen beschränkt sich auf 1:1 Kommunikation, auf Kommunikation in den Foren mittels textlicher Sprache, die Interaktion mit dem gesamten Netzwerk jedoch ist so gut wie nicht möglich. Die Krücke „Statusmeldung“ ist genau das, eine Krücke.

Auf gut deutsch: Das, was wir schon längst auf Twitter und Facebook beobachten, dass zunehmend über Geschäftliches berichtet wird, ließe sich ohne Weiteres auf ein eigenes Netzwerk übertragen. Eine Kombination aus der Stärke und Kraft dieser Art von steter Kommunikation und Abbildung der Handlungen, deutlichere Geschäftsprofile denn diese Wischi-Waschi Formulare auf Xing/LinkedIn und einer stärkeren Vernetzunsmöglichkeit (asymmetrisch und symmetrisch: Follow, Friending, Listening, Sharing).

Höhere Vermittlunschance für neuen Wettbewerber
Ein neuer Konkurrent kann gezielt auf die Abbildung des geschäftlichen Alltags abheben, diesen in den Mittelpunkt stellen. Und würde sich damit einerseits ein bekanntes Nutzungsmuster aus Facebook zu Nutze machen (Erklärproblematik stark gemindert = Nutzen vermittelbar), andererseits würde es das übliche Geschäftsleben viel besser abbilden, was zu einer höheren Vermittlungsquote denn Xing und LinkedIn führen sollte, theoretisch.

mögliche Reaktion der Konkurrenz
Natürlich wäre es für Xing ein Leichtes, diese Art von „Timeline“ technisch umzusetzen, doch können sie das nicht mehr meiner Meinung so explizit in den Mittelpunkt stellen. Sie haben sich zu viele Baustellen wie oben aufgezeit angetan. Sie müssten das gesamte Paket umstellen. LinkedIn kann es ebensowenig.

Altkunden und Produktlebenszyklus
Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Die Anzahl der unzufriedenen Kunden dürfte nicht uninteressant sein. Alleine die Zahl aus Forenstreitigkeiten herrührenden Leichen ist erklecklich. All diese Kunden warten auf etwas Neues.

Neues ist zudem ein Stichwort: Die Neugier auf ein neues Business-Networking Produkt dürfte aufgrund der Durchdringung der zumeist privat ausgerichteten Social Networking Dienste erstaunlich hoch sein. Xing ist immerhin ein Produkt, das schon seit 7 Jahren mehr oder minder in der nahezu gleichen Produktform mit leichten Variationen über die Jahre hinweg existiert. Wie jedes andere Produkt auch unterliegt es dem Produktlebenszyklus. Und der Durst des Menschen nach Neuem ist unstillbar.

Resumee
Summa summarum schätze ich die Startchancen für ein neues Business-Netzwerk als sehr hoch ein. Ungeachtet der zahlreichen Hürden, die jedes Unternehmen zu bewältigen hat (Management, Personal, Finanzen, Technik…).

*Bild von Brian Snelson