Vornweg der Aufhänger: Eine Facebook-Gruppe namens „Daimler-Kollegen gegen Stuttgart 21“ war der Anlass für Daimler, mit entsprechenden Likern und zugleich Daimler-Mitarbeitern ein Gespräch zu führen. Mittlerweile hat sich auch Uwe Knaus dazu auf dem Daimler-Blog geäußert. Uwe ist ebenso Daimler-Mitarbeiter.
Nun, in dem Fall liegt es auf der Hand, dass Facebook-User ihre private Rolle – die allen Usern laut Facebook-Reglementarium zu eigen ist – verlassen haben und über ihre berufliche Zuordnung zu Daimler öffentlich aktiv geworden sind. Ob nun via Like, Kommentare oder gar Administration der Gruppe. Es liegt auf der Hand, dass der Brötchengeber reagieren musste. Zumal der eigene ChefChef namens Zetsche (Vorstandsvorsitzender) unter dem Begriff „Lügenpack“ subsummiert wurde. Ok, soweit klar.
Wirklich? Ist das so klar? Wir können die Szenarien beliebig variieren, einzelne Aspekte verändern. Was wir dann sehen? Die Rolle als Privatmensch, selbstverständlich digital auf Facebook gespiegelt, kollidiert mit der Rolle als Berufsmensch.
Konstruierte Beispiele?
1. Als Daimler-Mitarbeiter aka Facebook-User einer Gruppe beitreten, die strikt gegen das Automobil ist. Als Ressourcenfresser, Umweltverschmutzer und Verursacher zahlreicher Verkehrstoten.
2. Als Daimler-Mitarbeiter aka Facebook-User einer Gruppe beitreten, die klar rassistisch und rechts oder klar linksradikal platziert ist. Und zugleich gegen die Verfassung Deutschlands ist.
3. Als Daimler-Mitarbeiter aka Facebook-User einer reaktionären Gruppe beitreten, die klar dafür eintritt, sozialen Unterschichten das Wahlrecht abzusprechen.
In allen drei Fällen würde ich mich als Außenstehender zwar fragen, wie intelligent die User sind. Dennoch, die Realität ist, dass auch ein oder mehrere Daimler-Mitarbeiter früher oder später von den Aktivitäten ihrer Kollegen auf Facebook erfahren werden und mit großer Wahrscheinlichkeit erneut die Personalabteilung die Mitarbeiter kontaktieren wird. Anstelle Daimler können wir natürlich jede andere Firma beispielhaft verwenden. Es geht nicht um Daimler. Es geht um die Frage, wie sich Mitarbeiter als Privatmenschen innerhalb eines sozialen Netzwerks bewegen und freiheitlich ausdrücken können, ohne dass der Arbeitgeber befugt ist, die Rolle des Users beruflich zu vereinnahmen? An welchen Stellen wird das Unternehmen offiziell aktiv, an welchen Stellen werden inoffiziell direkte Vorgesetzte und Entscheidungsträger den entsprechenden Kandidaten bei nächster Aufstiegschance übergehen oder bei passender Gelegenheit die betriebliche Kündigung angedeihen lassen? An welcher Stelle werden Kollegen den Kandidaten sozial ausgrenzen?
Die Möglichkeiten, sich privat im Netz auszuleben, sind mittlerweile unbegrenzt. Und umgekehrt, der Mensch erobert den digitalen Raum, bildet sich natürlich privat über zahlreiche Informationsbruchstücke ab. Und mit der Zunahme der Möglichkeiten, aber auch der Ansammlung proaktiv hinterlassener Informationen vergrößert sich zugleich die Reibungsfläche. Die berufliche Reibungsfläche mit Vorgesetzten, Kollegen und gesamten Abteilungen. Wir wissen nur zu gut, dass Kollegen einen Anlass suchen und finden werden, den Mitarbeiter über seine Netzaktivitäten zu schneiden, in Missgunst zu bringen. Wir wissen nur zu gut, dass Vorgesetzte abwägen müssen, ab wann ein Mitarbeiter intern nicht mehr zu vertreten ist, gar für Entscheidungspositionen untragbar wird. Und wir wissen nur zu gut, dass irgendwann Personalabteilungen einschreiten müssen und auch werden.
So what, kann man sich fragen? Ist doch klar, dass ein User wissen muss, wann er beruflich aneckt und sich damit schaden wird. Mag sein, wir wissen aber auch, dass gesellschaftliche Veränderungen, neue Ideen, neue Religionen, neue Ansichten und Haltungen immer mit Reibereien einhergehen. Vor nicht einmal 100 Jahren wurde man hochkant degradiert, wenn man sich als Homosexueller geoutet hat. Wir finden zahlreiche Beispiele, die damals anstößig waren, heute selbstredend sind.
Das Netz ist kein privater Raum im klassischen Sinne. Was man tut und sagt, wird durch eine bewusst oder unbewusst wahrgenommene Teilöffentlichkeit multipliziert. Wenn nun jederfrau und jedermann in diesem öffentlichen Bewusstsein im Netz dergestalt digital agiert, um ja nicht mehr beruflich anzuecken, was haben wir dann vom Ergebnis? Ein Netz, das dazu beiträgt, dass sich eine Gesellschaft weiter entwickelt? Oder ein Netz, das dazu eben nicht beiträgt, weil allerorten Existenzängste dafür Sorge tragen, sich zunehmend nur angepasst zu äußern? Obgleich klar ist, dass ein offener Austausch über das Netz geschichtlich gesehen eine immens gute Basis darstellt, Ideen, Haltungen und Meinungen viel schneller und ausführlicher denn jemals zuvor zu transportieren.
Ich habe selbstverständlich keine Antwort darauf, wie das Verhalten von Usern in ihrer Doppelrolle als Privatmensch und als beruflich eingespannter Mensch Auswirkungen darauf haben wird, wie sich die Gesellschaft über das Digitale austauschen, inspirieren und verändern wird. Ist die Doppelrolle demnach eher schädlich oder förderlich? Immerhin ist der Beruf ein Existenzfaktor. Und spielt eine gewichtige Rolle im Leben. Heißt? Facebook interpretiert als Katalysator gesellschaftlicher Veränderungen? In einer Hinsicht fördert es die Vernetzung und damit den Austausch von Menschen. In anderer Hinsicht wiederum schädigt es den offenen Austausch. Heißt wiederum? Facebook wird womöglich das Basisnetz darstellen, doch echter Austausch mit offenen Visier wird dort nicht stattfinden, solange man ahnt und weiß, dass man beruflich anecken kann. Die Menschen werden sich andere Plätze suchen. Wo sie namentlich nicht zuzuordnen sind. Unsinn? Kein Unsinn, so können wir diese Bewegung im Netz schon längst beobachten. Sexuelles findet auf anonymen Plattformen statt. Politisch Grenzwertiges wird intensiv an anderen Stellen diskutiert. Und so weiter und so fort. Offener Austausch als Chance begriffen? Geht nicht, leider. Nicht so auf Facebook. Das Ausweichen auf andere Netzstellen birgt zugleich die Konsequenz, die große Klammer aka Facebook und dessen zunehmende Bedeutung für die vernetzte Menschheit nicht mehr nutzen zu können. Was einen Nachteil darstellt, wenn es um die Verbreitung und den Austausch in größeren Kreisen geht.
Für mich ein interessanter Gedanke, dass digitale Aktivitäten im Netz mit dem Wirtschaftsleben nicht oder nur kaum vereinbar sind. Und zwar in einer ungleich größeren Dimension denn der bloßen Betrachtung des Individuums und seiner beruflichen Rolle. Der offene Austausch kann Gesellschaften in einem ungeahnten Ausmaß befördern, doch zugleich blockieren berufliche Restriktionen diese Chance. Bis dato hatte ich lediglich Länder bzw. politische Systeme wie China im Blick, die Netzaktivitäten ihrer Bürger strikt kontrollieren. Doch dass wirtschaftliche Systeme ebenso blockierend wirken können, nur eben nicht so sichtbar, ist mir neu.
26.05.2011 um 09:11 Uhr
Gute Gedanken! Genau das habe ich in letzter Zeit in der deutschen Blogosphäre vermisst: neue Gedanken, anstelle von Bashing und Besserwisserei.
26.05.2011 um 09:26 Uhr
Die Gedanken sollten viele Menschen lesen … wenn ich im Internet unterwegs bin zeige ich mich auch als Mensch und poste und kommentiere dazu, aber eben auch für viel Mitlesende. Wirtschaftliche Systeme werden dies natürlich auch nutzen … sehr guter Artikel.
26.05.2011 um 10:29 Uhr
Hmm na dann zurück zu den guten alten Foren und die alten Nicknames aus dem Google Cache suchen… :-)
26.05.2011 um 09:33 Uhr
Hallo,
im Großen und Ganzen schließe ich mich dem Kommentar meines Chefs (s. oben) an, obwohl ich den Teil „neue Gedanken“ etwas relativieren würde, denn steigt man in die Literatur der vergangenen zehn Jahre ein, findet man den ein oder anderen Ansatz wieder (Bsp.: Noelle-Neumanns Schweigespirale basierend auf der Isolationsfurcht des Einzelnen in der Gesellschaft).
Eine Anmerkung zu: „Das Ausweichen auf andere Netzstellen birgt zugleich die Konsequenz, die große Klammer aka Facebook und dessen zunehmende Bedeutung für die vernetzte Menschheit nicht mehr nutzen zu können. Was einen Nachteil darstellt, wenn es um die Verbreitung und den Austausch in größeren Kreisen geht.“ sei gestattet:
Als bekennender Facebook-Kritiker wie passionierter Kommunikationswissenschaftler runzle ich die Stirn, wenn ich lese, dass die vernetzte Menschheit ohne die „große Klammer“ Facebook nicht mehr fähig ist, sich in größeren Kreisen auszutauschen. Damit wird Facebook eine Bedeutung zu gemessen, die gefährlich ist. Dabei zeigen neue Studien, dass der eigentliche Austausch der User in kleinen Zirkeln stattfindet (und vor allem offline). Ein Großteil durchläuft Facebook nur passiv und nimmt selten an größeren Diskussionen teil, für die Facebook auch der falsche Ort (Plattform) ist. Facebook daher als „Katalysator“ und „Basisnetz“ zu beschreiben, das unsere Gesellschaft verändert ist empirisch nicht haltbar. Eine interessante These, mehr aber auch nicht.
Grüße
26.05.2011 um 09:37 Uhr
Nicht wenige reagieren auf dieses Problem mit zwei Facebook Accounts. Einem „öffentlichen“ mit dem man sich auch mit Kollegen befreundet, und einem rein privaten, dass den Freunden und der Familie vorbehalten ist.
26.05.2011 um 09:40 Uhr
Sehr interessanter Gedanke.
Heut zu Tage muss man wirklich 2 mal überlegen was man im Internet macht. Und das müssen erst einmal viele Nutzer lernen.
26.05.2011 um 09:40 Uhr
Sehr spannende Gedankengänge… Letzten Endes läuft’s darauf hinaus, dass man im Netz einen virtuellen Maulkorb tragen muss, sollte man sich mit seinem Arbeitgeber nicht identifizieren können. Das Ausleben bestimmter Ansichten und Neigungen konnte schon früher Schaden erzeugen, durch die leichte Zugänglichkeit von Informationen im Internet ist das Risiko allerdings in meinen Augen deutlich gewachsen. Die individuelle Freiheit im Netz ist zum Teil auch eine Illusion, der wir uns hingeben – im Gegensatz zur chinesischen Bevölkerung, die von oben beschränkt wird, schmieden wir uns unser Korsett jedoch selbst.
26.05.2011 um 09:42 Uhr
Ah, jetzt wird mir deutlicher worauf Du hinaus wolltest. Ja, es gibt sicher für alle Beteiligten noch viel zu lernen und vor allem viel auszuhalten, bevor das Netz der inspirierende, allen nutzende Ort ist, als den wir ihn zum Teil schon begreifen. Ich denke aber, wenn gesunder Menschenverstand, Eigenverantwortung und vor allem Respekt mehr werden, dann kommen wir diesem Ort sicherlich immer näher.
Warum ich wohl meinen Blog mit dem Zitat von Rosa Luxemburg überschreibe: „Wahre Freiheit ist die Freiheit der anders Denkenden“ … es braucht halt viel Geduld und eine gehörige Portion „aushalten können“ wenn gesellschaftliche Veränderungen stattfinden sollen.
26.05.2011 um 09:44 Uhr
Eigentlich ist es nichts neues, dass Wirtschaftsleben und digitale Aktivitäten beschränkt vereinbar sind. Aber es gilt auch: Informationen aus digitale Aktivitäten werden ein zunehmende Rolle in das Wirtschaftsleben haben. Die Kunst in die Sache ist, der Benutzer zu motivieren dieser Informationen auszugeben, denn dieser Informationen können analysiert und für Marketing / Relationship Management weiterverwendet werden.
Spannend wird aber, wenn Benutzer dieses Zusammenhang wahrnimmt und tatsächlich darauf reagiert. Oder wenn ein Regierung sich in die Sache reinmischt – was, meiner Meinung nach, erforderlich ist – nicht um alles unter einem Zensur zu verbergen, sondern um die Bedingungen für Informationsweitergabe der Benutzer gegenüber transparent zu machen. Bei Transparent meine ich kein AGB-artige Text sondern genauso klar gedruckt als ein Preissenkung im Werbematerialen.
Spannend wird auch, auf die Wirtschaftsseite die Information so einzuordnen, dass es in bestehende Systeme und Prozesse sinnvoll einfließt. Es gibt ja die einer oder der andere Module, Dashboard und Filter – fehlt aber technologie-katalysierte Prozessintegration. Das ganze ist noch einige Jahre im Zukunft – erstmal muss die Bevolkerung und Regierung mit die Umstände die ein digital vernetzte Welt bringt zurecht kommen.
26.05.2011 um 09:48 Uhr
Was bei dem Artikel möglicherweise zu kurz kommt, ist die Tatsache, dass Facebook mit dem neuen Gruppensystem inzwischen auch Möglichkeiten zur Bildung von exklusiveren, privateren Kommunikationsräumen bietet. Das entkräftet die auf der Diskurstheorie aufbauende Sorge um unsere Gesellschaft zumindest ein wenig.
26.05.2011 um 09:57 Uhr
…ganz ähnliche Gedanken sind mir gestern Abend auch durch den Kopf gegangen. Daß man MA auf den Fehlgriff aufmerksam machen muss ist klar – kein Thema.Was ich aber in den meisten Kommentaren von gestern Abend sehr vermisst habe, ist genau die Reflektion hier im Artikel.In den Stuttgarter Nachrichten stand gestern: ‚Bei Daimler wurde es ungemütlich – und das sogar, obwohl es sich um eine interne Facebook-Gruppe handelte. Eine virtuelle Gruppe also, die nur für ausgewählte Mitglieder sicht- und lesbar war.‘ Ich frage mich: was ist denn eine interne Facebook Gruppe? Aber offensichtlich war diese Gruppe nicht jedem zugänglich. Wenn die Gruppe aber nicht jedem zugänglich war, muss sich einer eingeschlichen haben, oder es muss einer gepetzt haben. Womit wir bei diesem Artikel hier sind: Ist eine geschlossene Gruppe nicht wie eine geschlossene Tür? Wo und wie kann ich im Netz meine Meinung äußern, ohne womöglich mit ernsten Konsequenzen rechnen zu müssen. Wo bin ich im Netz privat unterwegs und wo bin ich Mitarbeiter? Kann ich mich als MA eines Unternehmens auch privat zum Unternehmen äußern? Falls ja, wie muss ich das kennzeichnen? Die Gruppe gänzlich zu schließen und nicht nur die bedenklichen Passagen zu löschen, egal ob jetzt von Facebook oder vom Admin, halte ich für bedenklich – aber sie hätte wahrscheinlich auch keinen Sinn mehr gemacht – es hätte sich eh keiner mehr offen geäußert. Neben der wichtigen Erfahrung, dass selbst in Großkonzernen, in denen es klare Richtlinien gibt, die Mitarbeiter offensichtlich mit diesen Richtlinien zu wenig vertraut, evtl. überfordert sind oder diese Richtlinien auch immer wieder reflektiert bzw. aktualisiert werden müssen zeigt der Fall meiner Meinung nach, dass dies eine riesige Herausforderung für unsere Gesellschaft sein wird und dass es an der Zeit ist, ernsthaft zu diskutieren, ob man den offenen Austausch überhaupt fördern möchte und andererseits offen das Problem der beruflichen/wirtschaftlichen Restriktionen anzusprechen. Das ist eine Kulturfrage die uns alle betrifft und nicht nur eine Frage des Anstands.
26.05.2011 um 10:43 Uhr
Den Lauf kann mannicht mehr aufhalten, aber es ist schon hinderlich wie ich finde, dass man immer 2 mal überlegen muss ob man was von sich postet oder nicht. Der angesprochene Punkt von Falk war mir bisher nicht bekannt, dass es da möglichkeiten zur privateren Kommunikationsräumen geben soll. Finde ich interessant und könnte ich mir gut vorstellen.
26.05.2011 um 18:09 Uhr
Ich habe mir zu diesem Thema vor einiger Zeit auch Gedanken gemacht: http://public-correlations.de/2011/01/18/der-widerspruch-von-privat-und-berufsleben/
Der wichtigste Punkt ist meiner Meinung nach: Man kann über alles reden, muss man aber nicht. Was in einem privaten Gespräch schnell in die Luft verpufft, bleibt im Internet stehen und damit für alle (oder in einem geschlossenen Kreis für einige) sichtbar.
Kritik ist wichtig, um besser zu werden. Grundsätzlich sollte Kritik am Unternehmen jedoch zuerst dort geäußert werden…im Unternehmen. In diesem speziellen Fall ging es aber nicht um eine Meinungsäußerung, sondern eine Beleidigung. Und da liegt meiner Meinung nach der Unterschied zu dem, was du oben beschreibst. Der normale Menschenverstand sagt mir: Wenn ich meine Firma, meinen Chef, meine Mitarbeiter beleidige, muss ich mit Konsequenzen rechnen.
Der Ton macht die Musik. Und in diesem Fall war es eher eine Kakophonie.
26.05.2011 um 18:24 Uhr
Sehr guter Ansatz, Robert. Was machen wir, wenn Berufliches und Privates verschmelzen, bzw. sichtbar wird, dass sie – schon länger – verschmolzen sind? Ich dachte bspw., ich könnte via Xing (prof.) und FB (priv.) trennen. Pustekuchen. Als öffentlicher Akteur bin ich Objekt von Zuschreibungen, Adresse. Ich bin, was die anderen sagen.
Corporates sind das auch, und den Deal, auf den sich Mitarbeiter einlassen, beschreibe ich als „trading identities“. Wir tauschen einen Teil unserer gegen die Identität des Corporates, und das beeinflusst unsere Rolle, denn es beeinflusst, was andere über uns sagen.
Praktisches Beispiel: Wenn ich im Rahmen einer Wehrübung im Namen des Verteidigungsministeriums bei einem Dax 30 anrufe und um einen Termin bitte, um über Corporate TV zu sprechen, habe ich innerhalb von drei Tagen 5 Termine in den kommenden 3 Wochen. Versuche ich das als Student oder, „schlimmer“, als Agentur, kann ich froh sein, in 3 Wochen 2 Termine in den kommenden 5 Monaten zu vereinbaren, obwohl ich genau über das Selbe reden möchte.
Der Deal ist also, dass ich persönliche Freiheit aufgebe, um Einfluß zu nutzen. Das Gerede von Menschlichkeit und Authentizität als neue, durch das Netz bedeutsam gewordene Größen ist Käse. Es geht um private und professionelle Rollen, und rollenadäquates Verhalten bzw. rollenadäquate Wahrnehmung durch das Publikum. Der Inszenierungsaufwand bzw. die Notwendigkeit, sich selbst zu kontrollieren, steigen also, weil immer mehr darüber mitreden, wie ich zu sein habe. Und ja, als Daimler-Mitarbeiter gegen Autos zu sein, ist weiter erlaubt, es öffentlich Kund zu tun ist dämlich. Was es nicht ist: eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Die Transparenz zwingt uns aber, Dinge zu klären.
27.05.2011 um 09:10 Uhr
„zwei Facebook Accounts“ – das entspricht nicht den Nutzungsbedingungen von Facebook, wie auch accounts unter Pseudonym. Selbst wenn es praktisch möglich ist, besteht doch die reale Gefahr, dass Facebook den Pseudonym- oder Zweitaccount von heute auf morgen abschießt. Das gefällt nicht jedem, wenn das gepflegte soziale Netzwerk und alle auf dem accont befindlichen Sachen auf einmal weg sind.
Grundsätzlich ist es wohl eher ein Problem von Leuten, die in großen Organisationen und Unternehmen arbeiten. Organisationen, die selber für sich eine relevante Stellung in der Gesellschaft beanspruchen. Wenn das Interesse des Unternehmens bei öffentlich diskutierten Fragen mit der Meinung des Arbeitnehmers kollidiert und dies sichtbar wird.
Lösbar ist das nicht. Jedem Mitarbeiter z.B. in der Pharmaindustrie muss klar sein, dass er nicht in Kommentaren, Blogs oder bei facebook für die Senkung von Arzneimittelpreisen eintreten kann. Aber das war auch ohne Internet schon der Fall. Nur die „Öffentlichkeit“ ist nun einfacher zu erzeugen.
27.05.2011 um 10:25 Uhr
Wären diese Mitarbeiter auch geschlossen als Daimler-Gruppe auf Demos gegangen? Vermutlich nicht, weil sie schlechte Bilder gefürchtet hätten und was nicht alles. Sie sind der vermeintlichen Facebook-Anonymität auf den Leim gegangen. Entschuldigt, wenn ich wieder mit Besserwisserei ankommen muss, aber wenn man sich einen einfachen Grundsatz klar macht, passieren solche Dinge nicht: Wenn ich dasselbe in der realen Welt nicht tun würde, sollte ich es auch (bzw erst recht) nicht bei Facebook tun.
27.05.2011 um 12:06 Uhr
Ich denke auch, dass du hier dichter am Kern des Themas bist als die meisten Aufgeregten. Ich sehe einen Lernprozess bei beiden Seiten, der nicht nur notwendig ist, sondern auch schon begonnen hat übrigens.
Ein wichtiger Grundsatz ist sicher, dass wir zwar nicht TRENNEN können zwischen den Rollen aber DIFFERENZIEREN müssen. Im vorliegenden Fall wird es schon einen Unterschied machen, ob ich in einer Gruppe „S21 stoppen“ so handele oder in einer Gruppe „Daimler-Kollegen gegen S21“. Denn mit dem Beitritt verwische ich ja als Mitarbeiter gerade bewusst diese Grenze. Der Kontext macht deutlich, dass ich (ob bewusst und überlegt oder nicht ist dabei egal) meine Rolle als Mitarbeiter nutze, um meinen CEO zu beschimpfen.
Diese Differenzierung muss ich imho sowohl als Mitarbeiter als auch als Unternehmen schon leisten. Dieselbe Beschimpfung würde ich selbst zumindest in unterschiedlichen Kontexten unterschiedlich bewerten.
Wusstet ihr, dass in einigen Unternehmen die Fortbildung, die am meisten nachgefragt ist, die über „Facebook-Basics“ ist? Da sollten wir (wenn wir Kommunikationsverantwortung in Unternehmen haben) ansetzen. Denn Guidelines sind nicht Vorsorge sondern Fürsorge, wenn sie recht verstanden werden.
(disclosure: ich arbeite in einer Kommunikationsagentur und berate u.a. Daimler zum Thema Social Media)
29.05.2011 um 13:54 Uhr
Unabhängig von Spekulationen, ob die betroffenen Mitarbeiter auch auf der Strasse demonstriert hätten oder nicht, stehen folgende Punkte im Raum:
Wieso dürfen Arbeitgeber ungestraft in das Recht zur freien Meinungsäußerung (zu denen auch Schmähungen im Sachkontext gehören) der Arbeitnehmer eingreifen?
Gesellschaftliche Absprachen stehen immer noch über den Verbindlichkeiten durch einen Arbeitsplatz.
Warum singt fast die gesammelte Social Media Bizcommunity das Lied von Anstand und Moral, anstatt sich zu fragen, ob es auch im Jahre 2011 noch Punkte gibt, an den „Augenhöhe“ erstritten und nicht einfach nur empfangen werden muss?
Wer hat denen gesamte FB-Gruppe wegen eines Postings gelöscht? Und auf wessen Betreiben? Vertreter von Daimler behaupten Facebook hätte die Gruppe gelöscht. FB widerspricht dieser Darstellung.