Man kann die Twitter-Timeline ohne Weiteres mit Facebooks „Most Recent“-Timeline vergleichen. Zumal das einen genaueren Blick wert ist, denn Facebook – wer erinnert sich – hatte bis 2009 keine Statusupdates ins Zentrum der Informationsdarstellung gestellt.

Wer eines der VZ-Netzwerke nutzt, ahnt ungefähr, wie Facebook vor nicht einmal drei Jahren aussah. So berichtete die Time.com März 2009 von einer kommenden Layout-Umstellung, nämlich den zentral dargestellten Statusupdates. Die Maßnahme von Facebook war der zunehmenden Popularität von Twitter geschuldet, kommunikative Netze völlig neuartig abzubilden. Facebook hatte hierbei nicht auf das Follower-System von Twitter zurückgegriffen, denn die Basis von Facebook stellt bis heute das synchrone Kontakten dar. Man muss eine Kontaktanfrage beidseitig vornehmen. Stattdessen? Facebook ließ die User Nachrichten verfassen – „whats on your mind“ – und bildete diese Statusupdates in einem gesammelten Informationsstrom aller Kontakte ab. Eben dem von Facebook sogenannten „Newsfeed„. Der zudem ins Zentrum der Informationsdarstellung gestellt wurde, also eine sehr gewichtige Umstellung.

Facebook sah bis 2009 und zuvor ungefähr so aus:
persönliche Profilseite anno 2007
(persönliche Profilseite anno 2007)

Fanpage anno 2007
(Fanpage anno 2007)

Und heute? Wer Facebook aufruft, bekommt je nach Einstellung die Top News (eine Auswahl gefilterter, laut FB-Mechanismen als „wichtig“ identifizierter Nachrichten) oder die „Most Recent“-Einträge präsentiert (die ebenso gefiltert sein können):
FB Status Updates
(persönliche Profilseite anno 2011)

So sehen auch Fanpages mittlerweile völlig anders aus, die „Twitter-Timeline“-Idee hat auch hier Facebook sozusagen inspiriert und kommunikativen Einzug gehalten:
Facebook Fanpage
(Fanpage anno 2011)

Es ist demnach richtig, einen Vergleich zwischen beiden Timeline-Funktionen vorzunehmen. Twitter hat Facebook eindeutig inspiriert, zu groß waren die Fachdiskussionen ob des „Realtime“-Webs ab 2008/2009. Nachdem nun zwei Jahre vergangen sind, kann man mittlerweile sagen, dass Facebooks Timeline besser als die Twitter-Timeline ist? So hatten die FB-User rund zwei Jahre Zeit, sich daran zu gewöhnen.

Was wir auf jeden Fall feststellen können, dass Twitter Facebooks Vormachtstellung die Jahre über nie bedrohen konnte, wie Menschen im Netz mehrheitlich interagieren wollen. Obgleich Twitter heute als Nachrichtendienst und Facebook als das Social Network betrachtet wird, sich demzufolge ein Unterschied bei den Nutzungsmuster ausmachen lässt, wenn man auf die reine Definition der Sache abhebt. Das allein macht FBs Timeline-Lösung nicht „besser“ per se.

Was könnte also besser sein, wenn man Twitter und Facebook zugleich benutzt?
1. Filterung 1: Ich kann mir auf Facebook die wichtigen Nachrichten aus dem Gesamtstrom der Nachrichten herausfiltern lassen. Zu Beginn hatte das in der „Top News“-Darstellung nicht besonders gut funktioniert, viele User waren dem gegenüber sehr kritisch eingestellt. Heute hört man kaum noch Kritiken. Facebook scheint die Filtermechanismen gut anpasst zu haben. Twitter besitzt keine vorgegebene Mechanik dahingehend, für User Wichtiges von Unwichtigen zu trennen. Das überlässt Twitter dem User. Wo Twitter nur eine Timeline kennt, bietet Facebook gleich zwei, zudem sehr anpassungsfähige Timelines an. 1:0 für FB.

2. Filterung 2: Entweder erstellt der Twitter-User manuelle Listen oder lässt es, um bestimmte Tweets von Personen anzuzeigen (denen man nicht followen muss, btw). Ich bezweifle, dass ein Großteil mit Listen arbeitet. Aber auch Facebook-User können mit Listen arbeiten. Sie können hierzu den Optionsschalter neben „Most Recent“ nutzen. Kein Vorteil für beide. 2:1 für FB.

3. Filterung 3: Aber an einem zusätzlichen Punkt hebt sich Facebook dann doch ab: Der FB-User kann Statusupdates nur an bestimmte Usergruppen richten, insofern er besagte Liste erstellt hat (neben dem „Share“-Button einfach den Optionsschalter „Everyone“ aufklappen). Sprich, der FB-Sender hat einen Vorteil gegenüber dem Tweet-Ersteller, Nachrichten gezielter verbreiten zu können. 3:1 für FB.

4. Filterung 4: An einer Stelle punktet dann Twitter. Auf Facebook sehe ich nur Usernachrichten von einvernehmlich bestätigten Kontakten. Auf Twitter kann ich ohne Genehmigung jedem User folgen und zuhören (solange er nicht auf privat umgestellt hat). Das etwas offenere Nachrichtensystem kann man durchaus als Vorteil betrachten. Facebook bietet mir dahingehend keine Informationsmöglichkeit an, nur manuelle Eingriffe (das Besuchen eines fremden Profils). 3:2 für FB.

4. Darstellung 1: Facebook hat erhebliche Mühe investiert, um verlinkte Inhalte in den Statusupdates gleich mit anzuzeigen. So kann jeder YouTube-Videos in Facebook abspielen. Oder Vorschaubilder zu verlinkten Webseiten erblicken, hochgeladene Fotos sowieso. Twitter hat mit einer Art Krücke Ende 2010 nachgezogen. Wer bereits in Twitter mediale Inhalte sehen möchte, kann sich per Klick die Vorschau in der rechten Sidebar anzeigen. Die lebendigere Darstellung bei Facebook punktet gegenüber der staubtrockenen Textdarstellung bei Twitter. 4:2 für FB.

5. Darstellung 2: Beide Anbieter schenken sich nichts, wenn es um die Verbeitung von Nachrichten über das eigene Netzwerk hinaus angeht. So kann ich bei Twitter über Retweets auf fremde User stoßen, bei Facebook mittels der Sharing-Möglichkeit. 5:3 für FB.

6. Kommunikation und Belohnung 1: Das Nachrichtensystem von Facebook verleitet und animiert die User zu weitaus mehr Interaktionen denn auf Twitter-Nachrichten. So kann der FB-User nicht nur selbst Liken und kommentieren, er wird zudem über bestehende Likes und Kommentare anderer User animiert, den Inhalt genauer unter die Lupe zu nehmen. Ich kann als FB-User die Popularität einer Nachricht an einer Stelle erblicken, nämlich bei der Nachricht selbst, bei Twitter muss ich spürbar mehr Zeit investieren, ob ein Tweet gut ankam. 6:3 für FB.

7. Kommunikation und Belohnung 2: Ich würde glatt wetten, dass die durchschnittliche Interaktion mit Nachrichten auf Facebook nicht nur höher, sondern auch gefühlt intensiver ausfällt. Der Sender wird sich auf Facebook über die gesammelten Likes und Kommentare belohnter fühlen denn auf Twitter. Selbst wenn er auf Twitter genauso viele Reaktionen wie auf FB erhält. Die Belohnung über die Gruppenwahrnehmung ist bei FB größer. Beispiel? 10 Replies und 10 Retweets auf Twitter? Wer sieht das neben dem Sender noch? Auf Twitter nur diejenigen, die den Retweet wahrnehmen. So bei FB die User, die die Shares sehen. Und wer sieht die Replies? Nur diejenigen auf Twitter, die dem Sender und dem Reply-Geber zugleich folgen.Wer sieht die Replies = Kommentare auf Facebook? Richtig, alle Kontakte des FB-Users. Und nicht etwa nur die Kontakte, die auch mit dem Kommentierenden befreundet sind. Selbstverständlich wird diese bessere Gruppenwahrnehmung auf FB dazu führen, dass sich der Sender gepimpter fühlt. Und das Threading auf FB führt häufiger zu Diskussionen denn auf Twitter, wo Diskussionen extrem schwer nachzuvollziehen sind. Klar hat Twitter Ende 2010 mit dem Threading von Kommentaren nachgezogen, doch erneut muss der User mühsam die Sidebar manuell bemühen, um sich die Replies gesammelt anzuzeigen. Wer macht das schon? Sicher nicht alle. Weniger. 7:3 für FB.

Summa summarum ergibt das für mich persönlich ein Bild, dass ganz klar die funktionale Darstellung der FB-Timeline der von Twitter überlegen ist. Mehr Spaß, intensivere Interaktion, bessere Darstellung medialer Inhalte.

Wenn man das so betrachtet, könnte es Facebook in eine Position bringen, seitens der User als der eigentlich bessere Nachrichtenkanal wahrgenommen zu werden? Diese Position rein von der Markenwahrnehmung hält noch Twitter inne. Doch letztlich entscheidet mit der Zeit nicht das Gruppenbewusstsein, sondern das Individuum je länger es mit beiden Systemen interagiert.

Zielgerichtete Organisationen nehmen das bewusster wahr. So beobachten Nachrichtenorganisationen in den USA einen eindeutigen Trend Richtung Facebook. Mehr und mehr Besucherströme stoßen via Facebook auf Nachrichten in den Medien. Und rückt gar Google auf die Pelle. Twitter ist trotz des Hypes in den USA von dieser Position nach wie vor weit entfernt. Für einen Anbieter, der sich als Nachrichtendienst betrachtet, ist das kein Pluspunkt.

Dennoch wird sich Twitter weiterhin für die eigenen Verhältnisse gesprochen wacker schlagen. Zu groß ist die Anzahl der Tweets und User, um es zu ignorieren. Zu ignorieren? Netzprofis nutzen schon längst beide Systeme, Twitter und FB. Sie werden einen Teufel tun und Twitter außen vor lassen. Nur weil das Nachrichtenssystem von FB besser sei. Dafür ist der Hype und Schwung von Twitter als eine der wichtigeren Informationsdrehscheiben im Netz zu groß. Noch zu groß. Mit der Zeit könnte die Position jedoch eruieren, wenn der Reiz und der Hype von Twitter als etwas Neues nachlässt.

In meinen Augen aber haben sich die User und Unternehmen wie auch NGOs und die Politik schon längst entschieden. Twitter wird als Drehscheibe „mitgenommen“, Facebook wird auch nach außen hin über kurz oder lang als das gemeinhin wichtigste Nachrichtenmedium wahrgenommen, wo Informationen heute schon extrem gut verbreitet werden.

Also? Facebook hat Twitter vor zwei Jahren imitiert, beide kämpfen heute um die Bedeutungshoheit, das wichtigste Informationsmedium im Netz zu sein. Schon ein Erfolg für sich, den FB verbuchen kann. Übermorgen wird Twitter darum kämpfen, als zweitwichtigstes Informationsmedium wahrgenommen zu werden. Den ersten Platz wird FB einnehmen.

Was ist nun daran wichtig oder nicht, ob es so oder so herum ausgeht? Nichts im Grunde, es sei denn, man plant mittel- und langfristig die Verteilung seiner begrenzten Ressourcen, als Privatier unbewusst, als Organisation bewusst.