die Welt hat die Donnerstags-Ausgabe (01.07.2010) der Welt Kompakt zusammen mit „20 Bloggern, Wikipedianern, Amazon-Rezensenten, Facebook Entertainern, Qypern und Twitterern“ erstellt. Auf der Projektseite „Scroll Edition“ kann man sich ein Bild von der Aktion machen. Wenn Ihr auf der Startseite ganz nach unten scrollt, findet Ihr das „Special Team“ im Einzelnen vorgestellt. Und Ihr findet einige Videos zu dem Produktionstag.

Was war das Ziel bzw. die Idee dieser Sonderaktion? Die Welt schreibt:

Die WELT KOMPAKT will es wissen, und überlässt in einem mutigen Experiment zwanzig ambitionierten Bloggern, Wikipedianern, Amazon-Rezensenten, Facebook Entertainern, Qypern und Twitterern ihre Redaktion – inklusive der Verantwortung für die redaktionellen Inhalte einer regulären Ausgabe der WELT KOMPAKT. Einen Tag lang werden die Grenzen zwischen Online und Offline, Objektivität und Subjektivität, Journalisten-Ethos und freier Meinungsäußerung kurzerhand aufgehoben.

Soweit zur Idee und dem eigentlich Produktionstag.

Wie kam nun die Ausgabe an, wie empfanden es die Verantwortlichen der Welt Kompakt, wie empfanden es die Netz-Mitmachenden, wie die Leser der Welt Kompakt, was sagen die Netzpublizisten zu dem Ausgang des Projekts?

1. Auf der Facebook-Seite „Weltkompakt“ finden sich Stimmen zu der Ausgabe.

2. Auf dem Zeit-Blog findet Ihr eine Blog-Schau.

3. Frank Schmiechen / Welt Kompakt resümiert es seitens des Ideengebers: Blogger sind auch nur Menschen. Er schließt leider etwas taktlos aber auch mutlos das Resümee mit folgendem Satz: Heute erscheint WELT KOMPAKT wieder in bewährter Form. Die meisten von Ihnen werden erleichtert sein. Wir sind es auch. Lieber Frank, ich verstehe Dein Resümee nur zu gut, das Wagnis, das Ihr eingegangen seid, aber wenn Du so erleichtert bist, hättest Du gar nicht erst das Projekt vertreten dürfen. Dass Ihr Bammel hattet, Stress, Probleme, einen guten Schuss Kontrolle ins Projekt eingebracht habt, versteht sich von selbst. Ihr habt etwas gewagt, was ich Euch hoch anrechne, ein grandioses Experiment. Ich an Deiner Stelle würde dazu stehen, statt als Gastgeber Deine Gäste und die grundsätzliche Idee so zu verraten. Diese Inkonsequenz Deiner Aussage erschüttert meinen Glauben an Dich, ich habe Dich anders kennen gelernt. Wo ist der Blick nach vorne? Wo ist das Gefühl für Chancen geblieben? Schließt man mit diesen Angsthasen-Sätzen? Zeitungsmachern von heute scheint der Mut ihrer Pionier-Vorfahren abzugehen. Schade, mit der Einstellung kann man eine Zeitung nicht ins 21. Jahrhundert führen.

Meine Forderung an Euch:
Ich erhoffe mir von Dir und Deinen Chefes nicht nur dieses vorsichtige Quäntchen an Resümee, ich erhoffe mir ein offenes Feedback, eine Einladung zur Diskussion mit den Teilnehmern des Projekts, Euren Lesern und den Netzbewohnern. Ihr habt die Tür aufgemacht, einfach so zumachen werdet Ihr diese Tür nicht können. Ich möchte von Euch wissen, was Ihr aus dem Projekt gelernt habt, lernen möchtet, wie die Parameter zu justieren sind, ob es weitere Experimente geben wird. Und, ich erwarte, dass Ihr eine kostenlose Ausgabe als PDF zur Verfügung stellt.

Update: Franks Antwort

4. Auf dem Boschblog und dem Lumma Blog finden sich meiner Meinung nach die Key-Findings.

No. 1:
Was für mich an diesem Tag etwas enttäuschend war, ist die Tatsache, dass der größte Teil der Ausgabe für den 1.7. bereits feststand.“ (Bosch)

No. 2:
Ich hätte die Blogger allerdings nicht zum freien Riemenschreiben animiert, sondern unter Zeitdruck zu einem Thema recherchieren lassen, das wäre bestimmt interessant geworden.“ (Lumma)

Dieses Projekt schreit nach einer Fortsetzung. Angsthasen-Redakteure haben weder eine Zukunft noch stellt sich ihnen diese Aufgabe. Vordenkern und Mutigen ist diese Aufgabe vorbehalten. Den Anfang in dieser Tragweite haben die Macher der Welt Kompakt gemacht. Wer setzt es fort?

Es führt kein Weg für die Zeitungsmacher (online und offline) daran vorbei, sich Gedanken zu machen, wie man die Demokratisierungs-Trends durch das Aufkommen des Internets in die Prozesse der Newsgenerierung mit einbezieht. Gleichzeitig eröffnen sich über die Kollaborationspotentiale der jungen Kommunikationstechnik Internet völlig neue Möglichkeiten. Angefangen bei der Informationsrecherche über Themenwahl, Themenaufbereitung, Produktion bis hin zur Distribution. Die bisher recht abgeschotteten, ingesourcten Produktionsprozesse sind nicht mehr zeitgerecht. Die Zeitung des 21. Jahrhundert unterliegt einem großen Änderungsprozess. Das wissen die Macher schon längst, sie versuchen lediglich die Zeit bis zum point of no return über leicht angepasste Produktionsabläufe zu verlängern.

Welch grandioses und lehrreiches Projekt würde dabei herauskommen, wenn die FAZ oder die BILD tatsächlich eine komplette online- und offline Tagesausgabe der Power der Netzbewohner überlassen? Ohne doppelten Boden und vorbereiteten Artikeln. Die Auswahl der Themen, die Aufbereitung der Themen, die Zusammenarbeit mit dem Netz während der Produktion. Es wäre ein furioser Start ins Unbekannte an vielen Stellen. Es wäre eine Würdigung der zunehmend stärker werdenden Stimme der Vielfalt der Netzbewohner. Damit der Bürger. Es wäre ein Signal. Nur, das Projekt wäre ein ganzes Stück weit professioneller, aufwändiger und sorgfältiger vorzubereiten. Es würden sich neue Interpretation auftun, was moderner Journalismus ist und wie sich moderner Journalismus anfühlt, ebenso sind die Kollaborationsprozesse während der Produktion und die damit einhergehenden Kosten nicht allzu schwer analysierbar, um dauerhafte Elemente zu identifizieren.

Zu den Kritiken dieses Projekts, die keinen Blick nach vorne bewiesen haben
Ich erwarte nicht von einem Welt Kompakt Leser die Bedeutung dieses Experiments zu erkennen. Dessen Erwartung endet beim Lesen einer Tageszeitung. Ich erwarte ebenso wenig von Journalisten, deren Denke im 20. Jahrhundert zurückgeblieben ist, dass sie das Projekt und dessen Chancen erkennen. Mehr als bloße Feststellungen, dass Amateure keine Zeitung machen können, sind nicht zu erhoffen.

Ich kann aber von den meisten Bloggern und Blog-Kommentierenden erwarten, dass sie offener sind, dass sie den Mut des Experiments erkennen und sich gleichzeitig konstruktiv Gedanken machen können, was noch gehen würde, wie man das Projekt in vielen Belangen verfeinern und verbessern kann. Sicherlich kann es einem von mir wegen völlig egal sein, dass die Zeitungen des 20. Jahrhunderts ausgedient haben, ebenso kann es einem egal sein, dass die meisten Medienmacher mangels Rentabilität in wenigen Jahrzehnten einpacken können und die Konzentration der Medienhäuser zu ungesunden Ballungen führt. Das Bedürfnis nach Informationen ist zu groß, um zu befürchten, dass wir keinen Informationsapparat in Zukunft haben, der Vielfalt, Aktualität und Übersichtlichkeit zu vertretbaren Kosten bietet. Die Nutznießer dieser Entwicklung werden sich keinen Kopf machen. Die Macher dieser Entwicklung aber schon.

So bin ich unendlich von dem Artikel aus der Basic Thinking Feder enttäuscht. Das Fazit, das Web sei belanglos, das Format der Scroll Edition unpassend und weiteres Blabla lassen mich an Basic Thinking zweifeln. Jeglicher Sachverstand und Weitblick fehlt. Nichts.

Ebenso verstehe ich das Geblöke nicht, die Welt habe die Blogger und Co. für einen PR-Coup benutzt. Das ist ein reiner Nebenkriegsschauplatz, der zu nichts führt. Trommeln gehört zum Tagesgeschäft, nicht mehr und nicht weniger. Ein übliches Geschäftsgebahren, nur 68er kapieren das nicht.

Auch vermisse ich den Tenor bei den vielen Kritiken, dass ein klassisches Unternehmen Netzbewohnern überhaupt die Gelegenheit gegeben hat, sich auf Papier auszubreiten. Haben diese Nasen überhaupt verstanden, welches Wagnis hierbei eingegangen und welche immensen Widerstände inhouse überwunden werden mussten?

Mir fehlt der gesamtheitliche Blick, das Projekt ausgewogen einzuschätzen. Ich hätte mir von vielen Bloggern und Kommentierenden da draußen mehr als bloßes Geblöke erhofft und erwartet. Die Kritiken greifen viel zu kurz, eine Würdigung des Vorhabens mangelt allerorten, der Blick nach vorne ist dürftig bis gar nicht vorhanden. Wir alle haben immer noch nicht mal wirklich begonnen, die Tragweite der neuen Informationswelt zu begreifen, nach Chancen zu suchen, den Vielzahl an Millionen von Netzstellen in Richtung weiterer Informationsverdichtung (der bisherige Job der Newsorgane) eine Struktur zu geben, aber herumschreien, dieses Experiment sei gescheitert, doof, blöd.. ne, meine Haare streuben sich bei diesem Gedanken, es mit dermaßen vielen Nein-Sagern unter Bloggern zu tun zu haben. Nur weil jemand etwas versucht hat, es selbstverständlich an tausenden von Punkten Verbesserungs- und Lernbedarf gibt? Das kann es wohl nicht sein.

Deutschland, das Land der Macher und Mutigen? So viel Wissen, so viel Power, so viel Potentiale. Ich will einfach nicht glauben, dass dem nicht so ist. Da muss mehr möglich sein. Und ich lasse mir von niemandem erzählen, es gäbe keine Potentiale, Informationsproduktion neu zu denken. Alleine das Thema Facebook, das weltweit größte Social Network, produziert eine gigantische Menge an Informationen. Zeitungsmacher, die sich keine Gedanken zu diesem Informationsnetzwerk machen, sind richtiggehend dämlich. 500 Millionen Produzenten und Konsumenten an einer Stelle und niemand von denen wagt sich an das Thema „Facebook-Zeitung“ heran? Nur damit alleine könnte man ein exzellentes Projekt aus dem Boden stampfen. Und unendlich viel daraus lernen, wie man in Zukunft produziert, wo man distribuiert, wo man Quellen generiert. Diese Mutlosigkeit und Ideenlosigkeit der Zeitungsmacher ist zum Haare raufen. Sie stehen an der Seitenlinie und beschäftigen sich in herkömmlichen Denkbahnen mit der Zukunft. Jesus…