Als Blogger erlebste das, was Zeitungen schon lange erfahren und in noch weitaus größeren Mengen: Mal bejubelt dich der Leser, mal zuckt er mit den Schultern, mal schwört er hoch und heilig, dass er dich nie wieder lesen wird.
Beginnen wir dem Jammern
Da schreibste dir Monate und Jahre die Finger wund, oftmals eben kostenlos ohne Werbegedöns und „hey, isch bin Influäncer, ich finde das Produkt totaaaal endgeil, weil ich 10.000 dafür bekomme, um meine jungen, noch weißen Zahnreihen vorzuzeigen“. Du bietest freiwillig Ansichten zu jedem erdenklichen Thema. Wenn man so will, auch eine Art Alternative zu den gefilterten Nachrichten der Medien, die weder Randthemen beackern können noch zu sehr in die Tiefe gehen wollen. Doch was passiert? Im zweiten, dritten oder auch vierten Jahr wird aus dem jubelpersernden Leser der größte Herumnöler. Und warum? Weil ihm eine Zeile oder ein Absatz in deinem Artikel mal eben nicht gefallen hat. Sei es, weil er 1.000% Veganer ist. Oder weil er an den Gott der weißen Bananen glaubt. Oder sich auf der richtigen, politischen Seite vermutet. Dich hingegen auf der falschen Seite.
Ist das eine Art Freundschaft? Es war nie eine, noch wird es eine jemals sein. Spätestens dann erkennst Du, warum es den Spruch vom schwankenden Volkswillen gibt. Unter dem Strich gibt es keine Dankbarkeit vom Leser, dass dir den Arsch aufgerissen hast, ihm häppchenweise die Infos so gut es geht aufzubereiten. Zumal der Verdacht in heutigen Zeiten nahe liegt, dass er nicht deine Inhalte in den sozialen Medien teilt, wer er deine Inhalte toll findet, sondern weil er sich selbst einen Gefallen tun will: „Schaut mal, wie cool ich bin, welche Inhalte ich euch verteile“. Ergo? Schreibste dem Leser nach dem Mund und winkst ihm schleimig slimanisch mit dem Text zu, um ihn bei Laune zu halten? So wie es Politiker lernen, bloß nicht anzuecken (wobei sich spätestens seit dem Donald Trump neue Strategien aufzeigen)? Oder fährste deine Schiene weiter? Streamline versus Unangepasstheit? Die reine Logik sagt: Wozu sich anpassen? Es sei denn, du willst dich auf die Werbeschiene setzen, um bei allen Seiten zu glänzen? Nach dem Motto tue niemanden weh, schreibe brav ausgleichend und lieb.
Und was ist mit den Heizdecken-Bloggern?
Ja, wer einmal daran geleckt hat, dass er bei einer Modeschau in der ersten Reihe neben der stinksauren Vogue-Chefin sitzt, im Luxus eines Business-Bombers nach China/USA zur Messe xyz, die ultrateuere Kiste mit 600 PS für 180.000 Euros durch eine Gegend fährt, die man seltenst wenn überhaupt im Urlaub besucht, das fette Tablet von Microsoft noch vor der Markterscheinung zwischen den Fingern hält: Willkommen in der Welt der Medien! Es macht was mit uns und aus uns. Ich habe es selbst immer wieder gesagt, dass mir arrogante und schnöselige Journalisten aufgefallen waren und sind. Die glauben, die Pächter der Wahrheit, aber noch viel mehr die Pächter der Wichtigkeit zu sein. Wer mag es ihnen auch verdenken, wenn sie von vorne bis hinten von den Unternehmen durchgeleckt werden, damit sie was Nettes schreiben? Doch, ich! Ich mag es nicht, wenn man glaubt, was Besonderes zu sein. Was ist aber mit der Kaste der Influencer, so wie langsam alle mit Blog, Twitter, Facebook, YouTube und Instagram-Kanalzugang genannt werden? Das sollen also die Immunkörperchen sein, die knallharte Überprofis sind, gefeit vor sich selbst und den Verlockungen? Junge Dinger? Die nicht mal wissen, wer sie wirklich sind und was sie im Leben wollen und sollen? Mit 100.000 Jubelpersen? Die müssen sich doch für Götter halten? Klar, wenn der Zuschauer aka Leser nix Besseres zu tun hat, als ihnen am Laufenden Band Gottstatus zu bestätigen? Bis es eben knallt und der Jammer groß ist, weil sich die gläubigen Leser der Weißen Banane abwenden?
Stichwort Influencer? Was soll der Schmarrn? Seit wann mache ich Meinung? Mein Wahlspruch war immer: „Denk mit deinem eigenen Hintern!“. Ich zeige nur Informationstüren. Und was ich denke. Wenn jemand der Meinung ist, dass ein Gucci-Kleid bescheiden aussieht, das Auto der größte Schmarrn ist, go for it! Am peinlichsten ist es mir daher, wenn ich von jungen Instafotoklebern, You-Tuben oder gar Bloggern Sätze wie „hallo, ich bin ein Influencer“ höre. Junge, ahnungslose Kizz, denen der Kamm zu sehr geschwollen ist.
Zugleich darf und muss man sich als Publisher – äh, sorry, modisch bleiben – muss man sich als Influencer hinterfragen: Macht das was mit mir, wenn ich vorne und hinten durchgepimpt werde? Wenn ja, und das ist sicher wie das Amen in der Kirche – so wie ich hunderte von Autobloggern, Modebloggern, Technikbloggern und was weiß ich was für Blogger ink. _Innen kennengelernt und verfolgt habe – macht es was genau mit einem? Wie schützt man sich? Wird man zynisch? Wir man göttlicher? Gewinnt man Abstand zu Unternehmen und Lesern? Wo sind Schutzmechanismen? Darf man sich nicht mehr begeistern? Muss man künstlich herumkritteln? Den Leser brauchste nicht fragen. Die Unternehmen eh nicht, die haben nur gewerbliches Interesse an dir, solange du den Influencer-Glitter trägst. Wozu hat man aber echte Freunde, die auch mal Unanangehmes sagen, weil sie eben Freunde sind, statt dir nach dem Mund zu reden?
Der Leser? Wider besseren Willen
Aber der Leser weiß ja alles besser. Bekommt gerade mal seine eigenen Finger zum Klicken auf ein Like-Herzchen, maximal. Wie leicht fällt es dann dem Leser, dem Publisher aka Influencer die Treue abzuzschwören, sobald es nach Käuflichkeit muffelt? „Heizdeckenverkäufer, Bezahlschlampe, korruptes Jungding“. Logo. Der Leser ist das eigentliche Immunkörperchen. Er ist derjenige, der vor allen Einflüssen gefeit ist. Und sobald sein Gladiator zu Boden sinkt, senkt sich sein Daumen. Der Leser ist im Grunde genommen damit der größte Verräter. Erst hochjubeln, alles sharen und liken was geht und dann fallen lassen. Wo bleibt der väterliche und müttlerliche Rat, wenn er/sie bemerkt, dass das junge Ding abhebt, sich zu sehr von den Werbern vereinnahmen lässt? Wo bleibt die Unterstützung für all die Jahre kostenloser Infos? Wo bleibt die Einsicht und Rücksicht, dass Menschen menscheln? Wir lernen, wir machen Fehler, und wir lernen erneut. Machts dann doch besser, aber dazu sind die ja zu faul. Macht ja zuviel Arbeit. Lieber die anderen, denen man den Mittelfinger ausstrecken darf. Feige und faul? Kannste nicht mehr an hundert Händen abzählen.
Meine Hoffnung, dass die Leser tatsächlich dazu beitragen, dass all die jungen Dinger und Publisher und Influencer zu verantwortungsbewussten Teilen der Medienlandschaft werden, habe ich nicht, nicht mehr. Vielleicht habe ich zuviele Primark-geile-Konsumenten erlebt. Wie, „beschissene Löhne der Arbeiterinnen“, das soll eine Haulerin hinterfragen? Oder wird ein eingeölter Mercedes-Blogger jemals hinterfragen, warum es so viel Alu im Auto sein muss, obgleich Aluherstellung ein Energiefresser hoch zehn ist, verkauft wird es uns aber indirekt als CO2-Killer (weniger Gewicht, weniger Verbrauch)? Warum unterstützt der Leser den Publisher nicht? Schützt ihn vor den teils doch extrem sensiblen Firmen, die gerne auf besten Influencer-Freund machen, aber ganz schnell das Visier herunterlassen und die dornenbesetzten Handschuhe überziehen, wenn es wirklich kritisch wird? Die sagen sich: „Tolle hippo-happy-Fotos auf Insta darfste gerne weiter hashtaggen. Außerdem und neuerdings, wir haben ja unsere owned-Media-Firmenkanäle, so wichtig ist uns die andere Seite der Medaille nicht“. Ein Multi-Milliarden-Gorilla macht sich immer unabhängiger von den externen Medien. Und damit auch den Influäncern. Solange der Leser billiger Konsument fröhlicher Markenwelten bleibt und die hochprofessionellen Aufmacher bevorzugt, wird er weder Gegenmedien fördern noch ein Gegengewicht schaffen, so einfach ist das Spielchen.
Und was nun?
Im Grunde bliebe dem Publisher nur ein machiavellistischer Rat: Nutze den Leser solange aus, bis du ihn nicht mehr brauchst. Loyalität und Freundschaft bedeuten ihm nichts. Tu so, als ob du sein Freund bist. Und wenn er dir dumm kommt, kicke ihn so schnell wie möglich. Bis es nur bunte, nette hippo-Freunde in deiner Bubble gibt. Was übrigens nicht wenige Blogger bisher so verfolgt haben.
Oder? Mach Dein Ding, solange es läuft, solange du dich damit wohlfühlst. Mal wirste gewinnen, mal verlieren. Mal neue Leser, mal keine Leser. Mal viele Jubelperser, mal shitstormige weißbananen-Gläubiger. Aber sei dir hundertzehnprozent bewusst, warum du den Kram machst. Das sichert dich vor Enttäuschungen und falscher Freude und Freunde ab.
Wie war und ist es bei mir? Ich habe seit jeher eine innere Freude empfunden, meine Eindrücke von dieser Welt zu teilen. Ob ich nun damit viel Zustimmung oder noch mehr Ablehnung gewonnnen habe, war mir nie scheißegal. Sondern? Solange ich eine Reaktion ausgelöst habe, war und ist alles gut. Das ist der innere Punk in mir, der seine Freiheit über alles liebt, egal was andere sagen, wie knackedumm oder cool ich angeblich sei. Ob es dabei einer oder hunderttausend waren, die reagierten, das war in der Tat egal. Was ganz einfach daran liegt, dass ich mich bei bestem Willen nicht an die Gespräche mit hunderttausenden erinnern kann, sondern an das eine einzelne Gespräch mit einem. Oder dem anderen. Meine eigene Welt ist dadurch um ein Vielfaches bereichert worden. Was denken andere? Was meinen sie zu dem und diesem? Fucking huge und genial das ist, und das bloß mit so einem winzig einfachen Tool namens Blog? Vor vierhundert Jahren hätten wir Depeschen geschrieben, die zwei Jahre Laufzeit brauchen. Wohl eine einmalig tiefe Geschichte, wenn den Brief erstmal in der Hand hälst. Vielleicht trifft es das am besten. Heute verteile ich eben Depeschen wie eine Art Flaschenpost.
Im Kern aber? Was ist nun mit dem Leser? Ich würde mir wünschen, dass er/sie den Publisher mehr unterstützt. Ihn ermuntert, kritischer zu hinterfragen, wo es drauf ankommt. Nicht gleich die Bezahlhuren-Keule schwingt. Sich nicht gleich abwendet wie eine Heulsuse, nur weil ihm mal von hundertern von Beiträgen eine Meinung zuwider ist. Sonst erzieht sich der Leser williges Publisher-Fleisch. Angepasst, nett, lieb. Wir haben da draußen genug professionelle Medien und auch immer besser werdende Firmenkanäle. Gegengewichte zu bilden, fällt immer schwerer. Auch weil die Werber es immer besser verstehen, etwas populärer werdende Publisher für sich in ihren Mediennetzwerken zu vereinnahmen („na komm her, netter, lieber Influencer, komm zu mir, put put put, die Scheine sind süß und goldig.“).
Bildhinweis: Das Bild stammt von der re:publica, einer jährlich stattfindenden Internetkonferenz. Die aber nicht gemeint sind, ich muss es aber eigens dazusagen, da dieses Völkchen durchaus sensibel und ich-bezogen sein kann. Nein, es ist einfach nur ein Symbolbild für Jubelperserei. Es stammt von Sandra Schink und steht unter der Nutzungslizenz CC BY-NC-SA 2.0.
11.12.2016 um 18:51 Uhr
Ja. Ja. Ja. Ein ja für jeden Absatz. Wir bleiben Punks.
12.12.2016 um 13:12 Uhr
Tschacka :)))