Die Welt wurde einfacher zu versorgen
Es war einmal vor langer Zeit, da bekamen wir unsere News von Radiosendern, Zeitungen, Magazinen und Fernsehsendern zugeschustert. Das hatte sich jedoch recht schnell gewandelt, nachdem die stark sinkenden Produktionskosten für Content Management Systeme und Datenbankspeicher aber auch die Hosting-Kosten und Telekommunikationskosten wie eine Art von Subventionsförderung für eine steil zunehmende User-Kommunikation untereinander sorgten.

Natürlich beruhte ein Teil der Produktionskostensenkungen auf „Open Source“-Innovationen, die zum Nullkostenpreis verteilt wurden (allen voran der Apache Webserver und die MySQL-Datenbanktechnik, nebst zahlreichen Kommunikationsprotokollen die ohne Lizenzgebühr genutzt werden dürfen).

Das summarische Ergebnis: Foren, Blogs, Webseiten i.A., Usenet bis hin zu Chat-Systemen dienen uns als technische Standbeine der User-zu-User getriebenen Kommunikation.

Auf dieser geballten Entwicklung setzten kommerzielle Anbieter auf, die von dem Trend einer engmaschigeren aber auch wesentlich breiteren Kommunikation profitieren konnten. Google und Baidu finden die Nadeln im biggest Heuhaufen ever. Facebook, RenRen und QZone bündeln Kommunikationsstränge zu sozialen Beziehungen jeglicher Bindungsnähe. Youtube und Instagram befriedigen unsere visuellen Sehgewohnheiten. WhatsApp, Snapchat, Twitter, WeChat und QQ tragen zum spontanen Kommunikationsdrang bei. Ob im Westen oder Osten, das Angebotsmuster ähnelt sich, nur sind es eben andere Anbieter, die Märkte in den einzelnen Hemisphären dominieren.

Was haben wir daraus gemacht und wer macht nicht mit?
The Grove by night
Die Frage ist eher, was wir nicht daraus gemacht haben? Mir fällt kein thematischer Bereich ein, worüber wir uns nicht austauschen. Naturgemäß kamen zwei wesentliche gesellschaftliche Institutionen diesem Trend der Nutzer getriebenen Kommunikation nur mit großer Zeitverzögerung nach, um einerseits selbst Anteil an dieser Kommunikation zu nehmen, um andererseits aber auch die Belieferungsströme eigener Informationen anzupassen (sprich: User, Bürger, Konsumenten direkt mit Informationen versorgen anstelle der Medien): Politik und Wirtschaft.

Warum die naturgemäße Verzögerung?
Politik und Wirtschaft sind im Einzelnen betrachtet zielgerichtete Strukturorganisationen, die kommunikativ gesehen kontrollierte, einheitliche, einstimmige Kommunikation bevorzugen. Daran ist zunächst nichts Böses noch Gutes.

Es erfüllt schlichtweg einen effizienten Zweck: Anders lassen sich größere Organisationseinheiten nach heutigen Erkenntnissen kaum in der Öffentlichkeit darstellen noch transportieren. Weder sprechen noch senden 100.000 Mitglieder für eine Organisation nach individuellen Belieben.

Was wäre wenn jeder Einzelne senden darf
Es wäre anzunehmen, dass ein Verständnischaos beim Empfänger der Information auftreten würde. Ein exzellentes Beispiel lieferte die Piraten-Partei in Deutschland ab: Das Individuum beugte sich nicht der Organisation. Status Quo ist weltweit genauso wie in Deutschland auch: Die Summe der Individuen und derer Einzelhaltungen in einer Partei oder als Angestellte eines Unternehmens ist eben nicht die Partei noch das Unternehmen. Das Individuum beugt sich den Interessen, der Kultur und den Zielen der Organisation.

Das Bestreben nach Kontrolle
Daraus erklärt sich im Kern die zögerliche Öffnung der beiden gesellschaftlichen Institutionen Politik und Wirtschaft gegenüber einer User getriebenen Kommunikation. Eine Organisation trifft auf eine Vielzahl von Individuen, die kaum nach Haltungen, Meinungen und Vorlieben zu gruppieren sind. Eine individuelle Ansprache übersteigt die Fähigkeiten jeglicher Organisation bei Weitem. Noch werden sich die Individuen den Interessen der Organisation freiwillig beugen, da sie nicht deren Mitglieder sind (ein Zustand, der entweder unfreiwillig auftritt oder aber nach einem Abgleich des Werte- und Bedürfnissystems, say Marke baby, aber stets einen kommunikativen Austausch im Vorfeld voraussetzt).

Ein kontrolliertes Vorgehen ist daher gefragt: Wo finde ich als Organisation Gruppierungen – als Bündel womöglich gemeinsamer Interessen und Gebräuche -, auf die ich zusätzlich direkt neben der bisherigen PR-Arbeit zugehen kann oder denen ich mich gegenüber öffne, um meine Ressourcen gegenüber eine 1:1 Kommunikation zu schonen? [Übrigens: Die Frage nach einem weiterem, kommunikativen Muster soll hier nicht behandelt werden. Die da wäre? Warum kommunizieren Unternehmen in Produkt- und Markensprache, gründen eigene Orte im Netz (sowohl in eigenen Gefilden aber auch in fremden Gewässern wie Facebook)?]

Eine Antwort: Blogger
Es wurde genügend medial auch außerhalb der Netze getan, um die Aufmerksamkeit auf die Gruppe von Millionen an Einzelbloggern zu lenken. Ein üblicher Prozess folgte: Auf Irritationen folgten Auseinandersetzungen, sachliche und unsachliche. Mit der Zeit schälte sich die Erkenntnis heraus, dass Blogger durchaus zu einem Teil der bisher zu versorgenden Kommunikationskanäle gehören können. Diese Erkenntnis haben Politik und Wirtschaft selbstverständlich nicht alle gemeinsam im gleichen Maße gewonnen, weder in positiver noch in negativer Hinsicht. Es gibt daher nach wie vor zahlreiche Organisationen, die entweder überhaupt nicht mit Blogger reden wollen oder aber nur in begrenzten Maße bis hin zu seltener anzutreffenden Organisationen, die Blogger auf gleiche Stufe wie kommerzielle und staatliche Medien gestellt haben. Die anfänglichen Verständigungsprobleme – „was sind sie, Blogger?“ – sind jedoch weitestgehend überwunden.

Blogger dienen im o.g. Sinne als gruppierende Kanäle, die mit Informationen versorgt werden, um die Problematik einer 1:1 Kommunikation zu umgehen. Manche reden daher nicht zu Unrecht von Multiplikatoren.

Fassen wir kurz zusammen: Organisationen wie Politk und Unternehmen kommunizieren zielgerichtet. Sie haben ein starkes Interesse, positive Signale zu senden, nicht bloß zu informieren. Was sie in Nichts von uns Individuen unterscheidet, die eine positive Darstellung der eigenen Person bevorzugen. Obgleich es User gibt, die diesen Drang zur positiven Darstellung kritisieren. Dabei wird gerne vergessen, dass Organisationen das gleiche Recht wie Individuen zusteht, in jeglicher Hinsicht.

Was haben wir Blogger daraus gemacht?
Unternehmen wie auch Politik treffen auf Blogger aka Individuen, die eigene Meinungen und Haltungen pflegen und hegen. Sie haben eigene Arbeitsweisen, ihre Blogs zu befüllen, eigene Publikationsfrequenzen und Stile, aber auch Wege, auf ihre Blogs aufmerksam zu machen. Obgleich Organisationen ein gruppierende Kommunikation bevorzugen, damit auch Blogger inkludieren, treffen sie erneut auf ein Individualproblem: Eine Normierung im Vergleich zur Pressearbeit mit Medien fällt schon alleine aufgrund der Unterschiedlichkeit an Bloggertypisierungen schwerer.

Stück für Stück nähert man sich mit jedem Kontaktkilometer diesem Problem der Vereinheitlichung an, indem man dazu übergeht, verschiedene Bloggertypen einzuladen und/oder zu informieren. Die man meistens nach Themen unterscheidet, aber auch nach Erfolgsklasse (ohne darauf jetzt näher einzugehen): Lifestyler, Modeblogger, Autoblogger, IT Blogger, Beautyblogger, Foodblogger, Promiblogger, Szeneblogger, und, und, und. Je nach Bedarf und Ausrichtung des Unternehmens, das Blogger in die PR-Arbeit inkludiert.

Unsere Problemzonen
Und die Blogger? Es handelt sich durchweg um gestandene Medienprofis, die verstehen, wie man eine PR-Nachricht zu lesen hat, die verstehen, auf das zu achten, was nicht enthalten ist, um auch hinter die Kulissen zu schauen, langjährige, vertrauensvolle Kontakte in wichtige Abteilungen aufzubauen? Die sich von Vertrieb und Marketing über Forschung, Produktion und Aftersales einen immer besseren Überblick verschaffen, um immer mehr zu verstehen und einzuordnen? Um damit auch mit einer notwendigen, kritischen Distanz nicht nur über Produkte zu jubeln, wenn sie denn gut gelungen sind, sondern auch generelle Fragen aufwerfen können?

Können Modeblogger das? Autoblogger? IT Blogger? Leisten das Beautybloggerinnen, die einen Lippenstift nach dem anderen testen? Erzählen uns Modebloggerinnen über die Hintergründe des Wettbewerbs und des Lohnkostendrucks, warum zarte Kinderhände billig Klamotten für Primark produzieren dürfen? Verstehen sie etwas von Produktion? Von Warenströmen? Verstehen Autoblogger etwas von Material- und Rohstoffverbräuchen? Wo wird das abgebaut? Wer achtet darauf, dass Autos fair produziert werden? Wo sollen die Unmengen an Batterien herkommen, wenn die ach so öko-treuen Leser allesamt nach Ökoautos schreien? Welcher IT Blogger weist darauf hin, dass die Inhaberfamilie von Samsung der heimliche Präsident von Südkorea ist, und mit jedem Kauf eines Produktes diese Machtstellung zementiert wird? Oder gibt es Tendenzen, dass die innländische Macht von Samsung politisch limitiert wurde?

Gründe für Jubelperserei
Wir können uns darüber lustig machen, wie stümperhaft die jubelpersenden Blogger sind. Oder wir betrachten wie bei den Unternehmen und Parteien die Sachzwänge? Bin dafür, es so zu halten, statt dumpfbackend einfach draufzukloppen:

1. Wer kritisiert, verkleinert die Zielgruppe der Leser. Es ist nichts Neues, dass Leser kaum Interesse an Background-Berichten haben, sondern eher die Produktnews bevorzugen. Platt gesagt das Abschreiben der Spezifikationen. Lieber möchten sie wissen, ob ein Snapdragon 810 im Handy verbaut ist, denn warum ein Billigarbeiter in Taiwan für knapp-über-umme das Zeug zusammenschraubt.

2. Wer kritisiert wird ausgeladen, besonders Background-Berichte sind wahre PR-Bomben im Hause der Organisation. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese Sorge existiert, ob rational oder irrational. Und es ist nicht einfach so dahingesagt, dass der Blogger eben auf die Firma X verzichten soll. Wenn denn das Blog von den Informationen und der kommunikativen Nähe zu dieser Firma profitiert, die womöglich ein Marktführer ist? Oder willst Du denn als White House Kontakt wieder ausgeladen werden, um keine an Obama nahen Berichte mehr zu bringen?

3. Wer kritisiert und meckert, der wird weniger Werbepartnerschaften abschließen. Auch das ist wahr, denn wer sich auf dem ökonomischen Spielfeld als Blogger bewegt, der kann nicht einfach so mal in die Hände beißen, die einen ernähren. Vom Leser kannst Du von Null bis Null erwarten. Der zieht einfach weiter, wenn nicht klar kommst.

4. Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass Blogger über keine Hausmacht verfügen. Abgesehen von extrem wenigen Ausnahmen, wird eine Organisation lieber 1.000 Blogger über die Klinge springen lassen denn eine ARD oder eine BILD. Das ist allerdings ein Hauptverschulden der Blogger selbst, die bis heute nicht verstanden haben, wie man Macht erringt, indem man gemeinsam am Strang zieht und Organisationen bei Ausschluss eines Mitglieds faktisch drohen und wehtun kann. Wir haben uns immer erzählen lassen, wie individuell wir doch seien. Es gäbe nicht den Blogger. Selbst schuld, wenn man auf diese wahrlich „intelligenten“ Stimmen hört.

5. Es ist weitaus anstrengender, hinter die Kulissen zu schauen, denn einen reinen Produkttest herunterzuschreiben. Das ist eine Sache des Charakters letztlich. Bequemlichkeit und Faulheit, Desinteresse an Generellem. Dann doch lieber ein tolles Verhältnis zum netten PR Agenten, um das nächste Produkt als erster zu erstehen. Denn, die bereits etwas erfolgreicheren Blogger merken schnell wie der Hase läuft: Wettbewerb gibt es auch unter Bloggern, nicht nur in der Wirtschaft. Das nette, kleine, rücksichtsvolle Hascherl bleibt auf der Strecke der Hobbyblogs, die nichts wollen, noch erreichen möchten, außer Dritte an ihrem Interesse teilhaben zu lassen (was super ist, aber eben ein anderes Blogspiel).

6. Zeit ist uns nicht immer gegeben. Die allerwenigsten Blogger haben weder ein blogging-full-time Job, noch schaffen wir es über Jahre und Jahrzehnte bloggend am Ball zu bleiben. Wie soll man da die notwendige Erfahrung gewinnen, um sich kritisch mit der Materie auseinanderzusetzen, überhaupt den gesamten Blick zu bekommen? Selbst Medienprofis schaffen das nicht mehr heute, angesichts der extrem knappen Produktionsvorgaben.

Das mögen die Gründe sein. Komplett? Weiß ich nicht, mir auch egal, denn das alleine ist schon ausreichend. Übrigens ein wichtiger Hinweis: Es sind nicht alle Blogger Jubelperser, noch sind alle Beiträge nur so. Das muss man heutzutage in einem merkwürdig extremistisch argumentativen Zeitalter leider eigens betonen. Ich sehe viele Jubelperserbeiträge. So what? Das heißt eben nicht, dass alles so ist.

Was haben wir nun: Jubelperser als Blogger?
Zunächst ein Blick zurück: Wir haben extrem viel erreicht! So oder so. Mit allen Nachteilen verbunden. Es sind nicht mehr so wenige Institutionen, die mit Bloggern können und wollen. Wir haben die einmalige Chance zu berichten, was in Unternehmen passiert. Was sie herstellen. Wie sie es tun. Was sie denken. Was sie planen. Was wir darüber denken. Es ist nicht mehr alleine eine Sache der Radiosender, TV Stationen, Zeitungen und Werbeplakate. Wir hatten diese Nähe zwischen Wirtschaft/Politik und uns als Bürgern noch nie gehabt. Die Chance haben wir bekommen. Es ist uns auch nicht in den Schoß gefallen. Wir haben es uns trotz aller Blödmänner und Kritiken (die auch zurecht aufkommen) erarbeitet.

Die nächsten Schritte zu einer kompletteren Berichterstattung liegen an uns. Alle o.g. Punkte sind nicht in Stein gemeiselt. Unternehmen und Politik werden sich nicht so schnell ändern können wie wir. Warum auch? Wir müssen nicht gleich zu den Kritikerbuden wie Netzpolitik.org mutieren, die nur kritisieren können und damit unendlich langweilig geworden sind. Doch wir müssen aufpassen, uns nicht zu sehr unipolar im Sinne der o.g. Institutionen zu verhalten. Die wesentlichen Punkte, die mir eingefallen sind, habe ich aufzuzählen versucht. Unsere wunden Punkte. Ebenso die Punkte, die Verhaltensweisen von Unternehmen und der Politik bestimmen.

Ich stelle mich jetzt nicht hin und sage, dass wir Jubelperser sind. Ich kann auch niemanden sagen, was es bedeutet, den inneren Schweinehund zu überwinden. Noch kann ich jemanden einen Rat geben, wie man sich mit Unternehmen vermeintlich anlegt, um womöglich ausgeladen zu werden. Ich kann nur von meiner Einstellung berichten.

Ich sehe es für mich so: Als Blogger trage ich Verantwortung, nicht nur mich zu informieren, sondern auch eine kritische Distanz zu meinen Kontakten zu wahren. Das ermöglicht mir erst den Blick aufs Ganze. Etwas, worüber auch profunde Medienkollegen zu berichten wissen. Natürlich lerne ich auch von denen und lehne nicht ab, was an Erfahrungswissen bereits existiert. So nett, produktiv und freundlich meine Kontakte zu Institutionen jeglicher Branche auch sein mögen. Echte Beziehungen und sogar Freundschaften entstehen nicht daraus, indem ich anderen hinterherschleime und nur auf supernett mache. Das ist keine Beziehung, das erscheint mir falsch. Offenheit und Kritik gehören zu einer guten Beziehung. Nur dadurch habe ich die Möglichkeit, das offene Fenster in die Institutionen hinein nicht nur kommunikativ zu nutzen, sondern auch positiv zu verändern. Das geht aber nur, wenn ich nicht nur das Negative oder nur das Positive suche, entdecke und berichte. Es wäre im höchsten Maße unfair gegenüber meinen Lesern, aber siehe da, auch gegenüber meinen Kontakten in die Institutionen hinein. Robbie kann also einen Milliardenkonzern grün anstreichen? Ach geh, Größenwahnargumente sind mir fern und das Suchen in Extrema ist mir nicht gerade zu eigen, da ich das Alter eines Weltenveränderers längst überschritten habe, der einst glaubte, dass nur große Dinge die Welt verändern.

Wenn ich eine Romanfigur suchen müsste, die meine Einstellung am besten wiedergibt, dann wäre es die Szene zwischen Galadriel und Gandalf in Hobbit:

Galadriel: „Wieso der Halbling?
Gandalf: „Ich weiß es nicht. Saruman ist der Meinung, dass nur große Macht das Böse fernhalten kann. Aber ich habe anderes erfahren. Ich finde, es sind die kleinen Dinge, alltägliche Taten von gewöhnlichen Leuten, die die Dunkelheit auf Abstand halten. Einfache Taten aus Güte und Liebe. Warum Bilbo Beutlin? Vielleicht, weil ich mich fürchte. Und er mir Mut verleiht.

*Zum „Jubelperser hat Sandra Schink den einen oder anderen Hinweis, warum der Begriff unpassend ist