Man kann sich die theoretische Frage stellen, ob Social Business aka Social Commerce aka Social Media (nennt es wie Ihr wollt) zum Abbau oder zum Aufbau von Arbeitsplätzen führt? Sprich, wieviel „social“ ist drin, wenn man „social“ unter dem Aspekt der Arbeitsplatzschaffung und bzw. -erhaltung betrachtet. Können wir das überhaupt pauschal beantworten? Immerhin handelt es sich hierbei um Software und Hardware gestützte Prozesse. Und im noch folgenden Logikstrang werde ich anführen, warum es schwierig ist, Vorhersagen zu treffen. Dennoch probieren wir es einfach. Wer mag, kann den Abschnitt „Produktivität“ gerne überlesen, sollten ihm die Zusammenhänge zwischen Mensch und Maschine im Sinne eines Arbeitsplatzes klar sein.

Produktivität
Hierzu ein kleiner Ausflug in die Welt der Produktivität. Produktivität wird vereinfacht als Quotient aus Output durch Input verstanden. So kann man Produktivitäten auch miteinander vergleichen, wenn man mögliche Alternativen zur Erbringung eines Gutes bewerten will. Die Alternative mit der höchsten Produktivität wird in der Regel bevorzugt, sollte das erzeugte Gut zu gleichbleibender Qualität und ohne limitierende Ausstoßgrenzen erzeugt werden können. Produktivität entscheidet darüber, ob Menschen oder Maschinen eine Tätigkeit verrichten können. Da sich unsere Wirtschaft aus zahlreichen Prozessen zusammensetzt, finden wir Menschen aber auch Maschinen bei der Verrichtung von Tätigkeiten vor, je nach Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, was die Maschine und was der Mensch produktiver verrichten kann. Dieses Gemenge ist einem steten Wandel unterworfen (man denke an die Sektoren Landwirtschaft und Industrie).

Beispiel 1 für Wandel aufgrund Software/Hardware-Entwicklung
Zu hochgestochen? Ganz einfach auf Deutsch, ein Beispiel für den Wandel Mensch gegen Maschine aus meiner Bankzeit: Kreditvergabe an Privatkunden. Das können Menschen erledigen oder besser noch Maschinen, denn es handelt sich um relativ gleichbleibende Abläufe, die sich schon alleine aus diesem Grunde maschinell hervorragend abbilden lassen können. So kam es auch, dass die heutige Kreditantragstellung bis hin zur Kreditentscheidung ein hochautomatisierter Prozess ist. Der Mensch als Bankberater spielt eine untergeordnete Rolle. Die Maschine bearbeitet die Daten, bewertet nach bestimmten Scoring-Mechanismen und spuckt am Ende eine Entscheidung aus. Der Mensch greift nur noch an wenigen Stellen ein.

Beispiel 2
Ein weiteres, generelleres Beispiel: Der persönliche Gang zur Filiale wird heute durch eine Vielzahl elektronischer Maßnahmen flankiert. Bargeldabhebungen, Überweisungen oder Freistellungsanträge, eine Reihe von Dienstleistungen kann via electronic banking vorgenommen werden.

Faktor Zeit und Innovation
So kann man sagen, dass die Investitionen in intelligentere Maschinen bzw. genauer gesagt, in die intelligentere maschinelle Abbildung von Finanzdienstleistungen dazu geführt haben, dass Banken mit weitaus weniger Personal auskommen, dennoch eine gleichbleidende und wachsende Menge von Kunden bedienen können. Wir reden hierbei von einem drastischen Personalabbau in den letzten 20 Jahren. Vor 30 oder 40 Jahren hat dies niemand vorhersehen können. Die Maschinen waren noch nicht soweit, weder die Software noch die Hardware (Scanner, Bildschirme, Software-Algorithmen, Prozessoren, Speichertechnologien, Kommunikationstechniken, etcpp). Niemand konnte mit Aufkommen des Internets vorhersagen, dass davon auch der Bankensektor betroffen sein könnte, eines Tages. Niemand kennt das große Bild, niemand kann einzelne Innovationen auf ihre langfristigen Auswirkungen én Detail pro Wirtschaftssektor und detailierten Verrichtungsprozess untersuchen. Wir können nur ex post summarisch sagen, dass eine Reihe von technischen Innovationen in den vergangenen 50 Jahren dazu geführt hat, dass wir im Dienstleistungssektor – hier das Finanzwesen – einen dramatischen Anstieg von Softwareprozessen beobachten konnten und können.

Beide Beispiele dienen mir zur Verdeutlichung von zwei Dingen: Komplexe Vorgänge können durch Maschinen übernommen werden. Maschinen ersetzen gerade dort Menschen, wo wir standardisierbare Vorgänge vorfinden, selbst wenn sie komplex erscheinen. Das geht wie gesagt nicht sofort, sondern dauert eine gewisse Zeit, um höhere Produktivitätsniveaus zu erreichen. Steigende Produktivität bedingt einen Fortschritt in der Technik, weniger einen Fortschritt am Menschen. Wir können Personal in Betrieben noch so sehr schulen und organisieren, die Grenzen sind schnell erreicht. Maschinen können Vorgänge beliebig skalieren und sie werden lediglich durch den Erfindungsgeist der Ingenieure und Softwarespezialisten limitiert.

Halten wir demnach fest: Maschinen leisten besonders gute Dienste bei sich wiederholenden Vorgängen. Sie werden durch Fortschritt limitiert.

Wie sieht es nun mit dem aufkommenden „social“ hinsichtlich Arbeitsplatzerhalt und -schaffung aus?

Die Primäranbieter „sozialer Dienster“ und Schaffung von Arbeitsplätzen
Schnappen wir uns ein einfaches Beispiel, indem wir auf die zu bedienenden Kunden abheben. Facebook. Es handelt sich hierbei um einen Betrieb, der annähernd 750 Millionen Kunden bedient. Wie groß ist der Personalstamm des Betriebs? Rund 2.000 Mitarbeiter. Ein Vergleich zu einem führenden Industriebetrieb: Daimler bediente 2010 rund 2 Millionen Kunden (Verkauf von PKW/LKW-Einheiten) und musste dazu mit 260.000 Mitarbeitern aufwarten. Daimler ist ein personalintensiver Betrieb, Facebook nicht. Woran das liegt? Der Erbringung von Onlinediensten skaliert ohne den Einsatz eines linear mitwachsenden Personalstamms zunächst prächtig, die Erbringung physischer Güter anscheinend weniger.

Gerade Internetbetriebe zeigen auf, dass der Handel digitaler Güter wunderbar skaliert und weniger personalintensiv ist, im Gegensatz zu Industriebetrieben, die physische Güter absetzen. Dies wirkt sich natürlich auf den Wettbewerb (weniger Anbieter aufgrund Skaleneffekten) aber auch auf die Schaffung von Arbeitsplätzen aus. Selbst wenn wir Zuliefererindustrie im Sinne der gesamten ökonomischen Wertschöpfungskette berücksichtigen, schaut es eher mager mit den modernen Onlinediensten aus. So spricht eine Studie (.pdf) davon, dass Facebooks App-Ökonomie knapp 200.000 Arbeitsplätze in den USA finanzieren würde, das kumulative Gehaltsvolumen beträgt zwischen 12-15 Mrd. USD. Alleine Bosch in Deutschland macht 30 Mrd. USD Umsatz, mehr als die Hälfte der 283.000 Mitarbeiter arbeiten für den KFZ-Bereich.

Wie gesagt, wir sprechen von Arbeitsplatzeffekten, insofern sind diese Vergleiche durchaus angebracht! Ich denke, ich habe deutlich gemacht, dass Onlinedienste nicht gerade Wunderwerke moderner Arbeitsplatzbeschaffung sind. Die Skaleneffekte und die Art der Dienste als solche ziehen im Vergleich zu älteren Wirtschaftssektoren bei Weitem nicht den Aufbau menschlicher Arbeitstätigkeiten nach sich. Wunder der Innovation.

Indirekte Effekte auf Schaffung und Erhalt von Arbeitsplätzen
Social Bsuiness, Social Media, Social Commerce kann man unter folgenden Aspekt verstehen: Mehr Kundennähe. Was heißt denn dieses „mehr Kundennähe“? Behalten wir dabei die Stichworte „Innovation und Zeit“ (s.o.) im Kopf!

These 1. Der zunehmend optimierte Informationsfluss zwischen Anbietern und Kunden führt dazu, dass die gesamte Werbe- und PR-Industrie als direkter und indirekter Kommunikationsmittler in Mitleidenschaft gezogen wird. Social Software inkl. Social Monitoring wird Werbe-und PR-Budgets schrumpfen lassen. Sie werden Kunden besser verstehen. Sie haben die Kunden direkt vor ihrer eigenen Nase. Zu was das logischerweise führt, mehr Nähe & mehr Daten? Selbstverständlich zur Reduktion der Mittlerdienste. Unternehmen werden mit geringeren = produktiveren Budgets mehr Kunden schneller und besser informieren, Feedbackkanäle nutzen und im Rahmen des Produktlebenszyklusses effizientere Verbesserungen vornehmen können. Komplexe Kommunikationsdienste, vergleichbar zur o.g. Erbringung von Krediten, können ohne Weiteres in Teilbereichen auf standardisierte Abläufe heruntergebrochen werden. Eine Sache der Maschinen, nicht der Menschen. Genauer?

Heute schon informieren sich Kunden untereinander, über neue Produkte und Services. Sie, die Kunden, lernen die unterschiedlichen Anlaufstellen immer besser kennen, umgekehrt schaffen die Unternehmen optimalere Kontaktflächen. Die Primäranbieter wie Facebook und Google schaffen immer geeignetere Kontaktflächen und Werkzeuge. Die Mehrwerte der Kommunikationsindustrie werden zunehmend durch Softwareprozesse ersetzt, die Kunden viel näher an die Unternehmen heranführen. Selbst das goldene Kalb der Markenbildung – der Ernährer-Budgettopf der weltweiten Kommunikationsindustrie – wird angegriffen. Und wir sprechen noch nicht einmal vom Internet als mangelhaften Markenträger, sondern vom TV – dem Markentransporteur No. 1 -, das zunehmend unter die Dampfwalze der fortschreitenden Kommunikationstechnik gerät. Auch dort werden Kunden und Unternehmen näher gerückt, Microsoft, Sony und Samsung lassen grüßen („IPTV“, „Streaming“, „lean back- lean forward-TV“, …).

Übrigens, für mich ist die gesamte werbliche Kommunikationsindustrie eine Ironie der Geschichte. Heute freuen sie sich und schaffen neue Budgeteinnahmen, via Digital Too, dem ganzen Social Media Buzz, aber auch den neuen Möglichkeiten überhaupt. Und beschleunigen lediglich den Prozess, sich ihr eigenes Grab zu schaufeln. Maschinen werden ihr Arsenal an Tätigkeiten reduzieren, standardisieren, überflüssig machen. Informationstechnik und Innovation macht es möglich.

Oder wer hätte damals vor 30 Jahren geglaubt, dass eine Maschine einen Menschen so durchleuchten kann, um seinen Antrag auf einen 100.000 USD Kredit zu gewähren? Ein eigentlich unglaublich komplexer, höchst kommunikativer Vorgang, dennoch maschinell gelöst und immer weiter optimiert. Und hier geht es nicht um die bloße Marken/Abverkauf-Info ob dem neuen Spülmittel, sondern um ein wertvolles Gut, dem Geld des Kunden. Glaubt Ihr etwa, dass das in werblich-kommunikativen Bereichen nicht machbar ist? Glaubt Ihr, dass wir auch in Zukunft PR-Menschen und Werbemenschen brauchen, Informationen über Güter und Unternehmen zu designen, zu paketieren und zu senden?

These 2. Die Callcenter/Supportindustrie wird in Mitleidenschaft gezogen. „Kunden helfen Kunden“ ist eine der besten Methoden, die Marke zu stärken, das Produkt sozial erlebbar zu machen und die immensen Supportkosten zu senken. Mit jeder weiteren Innovation, die junge Marktführer wie GetSatisfacation oder Zendesk kultivieren, werden menschliche Tätigkeiten durch maschinelle ersetzt, getragen und gestützt durch die Kunden selbst. Davon ist nicht nur der Helpdesk betroffen, sondern auch Umfrage- wie auch Vertriebsunternehmen. Inbound wie auch Outbound. Wo einst Unternehmen eigene Mitarbeiter beschäftigten, können sie seit 20 Jahren dank dem Aufkommen moderner Techniken externe Betriebe damit beauftragen. Eine Auswirkung steigender Produktivität dank Innovation. Heute arbeiten rund 500.000 Menschen in diesen externen Callcentern. Die erste Welle des Outsourcings von Supportleistungen ist quasi durch, die nächste Welle steht über Social Business Innovationen bevor. Ein Denkbeispiel wurde bereits genannt: Wenn es mittels Social Media gelingt, das Anrufvolumen zu senken, da sich Kunden vermehrt untereinander helfen, informieren, Produkte heiß machen, habe ich einen Produktivitätsgewinn (Senkung von Personalkosten bzw. Budgets für outgesourcte Callcenter). Zum anderen kann ich über Social Media Kundendaten erhalten, auswerten und damit wesentlich gezielter via Outbound Vertriebstätigkeiten verrichten. Weniger Calls mit weniger Personal = mehr Erfolg.

These 3. Vertriebspersonal kann reduziert werden. Ich denke, Ihr seid jetzt selbst in der Lage die Faktoren zu identifizieren, die über social media zu einer Reduktion der menschlichen Brötcheneinholer führen.

Resümee
Natürlich ist diese Abhandlung unvollständig. Aber die Frage, ob social business wirklich sozial im Sinne von Arbeitsplatzschaffung ist, habe ich thesenartig zu erklären versucht. Gerade Social Software bringt Konsumenten und Unternehmen viel näher heran. Die Logik gebietet es, dass bestimmte Tätigkeitsgebiete maschinell ersetzt werden, für die Unternehmen heute Personal einsetzen müssen, direkt oder extern eben indirekt. Social Business macht die Unternehmen glücklicher, gerade im Hinblick auf langfristige Auswirkungen von heutigen Innovationen, nämlich produktiver. Kunden sicher auch. Doch einige Arbeitnehmer und Branchen werden ihre Federn lassen müssen, da Produktivität vor nichts Halt macht, schon gar nicht vor dem Begriff „social“.