FiFo-Prinzip
Was zuerst reinkommt, fliegt auch zuerst wieder raus. „First In First Out“. So nennt sich das Prinzip und ist in zahlreichen Kontexten bekannt. Bei der Lagerhaltung, beim Programmieren und selbst beim Anstehen in der Schlange. Es handelt sich um ein sehr einfaches Prinzip, das eingängig und verständlich wirkt. Übertragen auf Software erscheint es sowohl dem Programmierer wie auch Nutzer verständlich. „Verständlich“ = was ich nicht begreife, kann ich weder umsetzen noch nutzen.
Warum ist das FiFo-Prinzip für Anbieter sozialer Software wichtig?
Neu eingehende Informationen in einem sozialen Kontext chronologisch sortiert als Katalysatoren für Kommunikation und Socializing ins Zentrum zu stellen, erscheint logisch. Uns Menschen ist es zu eigen, sobald wir unseren Fokus auf eine uns bekannte (!) Menschengruppe richten, initial nach „was ist neu“ zu fragen. Erst nach dieser initialen Informationsaufnahme weichen wir vom FiFo-Prinzip ab. Übersetzt? Wir quatschen halt miteinander, je nach Aufhänger und Thema.
Es ist ein idealer Hebel für Anbieter kommunikativ-sozialer Lösungen. Die Interaktionsintensität wie auch die Interaktionsfrequenz werden erhöht, wenn ich neue Informationen aus dem sozialen Umfeld des Users chronologisch in eine Übersicht packe. Die Wahrscheinlichkeit, eine Reaktion beim User auszulösen, ist ungleich höher denn bei Informationen, die nicht aus dem sozialen Umfeld des Users stammen. Stellt Euch einfach vor, „Unbekannter trinkt Kaffee und bekleckert sich“ vs. „Freund XYZ trinkt Kaffee und bekleckert sich“. Informationen von Unbekannten irritieren und stören, Informationen von sozialen Kontakten eher nicht. Nicht unwichtig ist das Feedback, das den Informationsgeber erfreut. Das ihn zu weiteren Informationspreisgaben anregt;) Ein interessanter Kreislauf.
Warum ist die Förderung von Interaktionen für die Anbieter wichtig? Je mehr Interaktionen angeregt werden, umso höher wird die Bindung an den Produktanbieter bzw. dessen Produkt ausfallen. Umso mehr Möglichkeiten bieten sich dem Anbieter, Informationen auszuwerten, weitere Produkte anzubieten und Einnahmepotentiale zu hieven. Und all dies wegen einem ganz einfachen Prinzip, das Neueste in den Wahrnehmungskreis des Users zuerst reinzuwerfen? Wir Menschen sind nun einmal bestimmten Verhaltensmustern unterworfen. Wären wir das nicht, wäre es für einen Anbieter unmöglich, Produkte zu entwerfen. Und das nur am Rande zunächst: Anbieter immunisieren sich gegenüber dem Wettbewerb, wenn sie auf Timeline-artige Darstellungen setzen. Sie erschweren es den Usern, parallel weitere Dienste ähnlicher Art zu nutzen. Was ein interessanter Indikator dafür ist, wenn man sich die Frage nach der Zeitintensität für den User stellt.
Beispiele aus der Praxis
Genau dieses FiFo-Prinzip hat sich in populären Online-Angeboten durchgesetzt, die auf das Sozialisieren und Kommunizieren in der Gruppe abheben. Am bekanntesten dürfte es aus Facebook und Twitter sein. Wobei wohl Twitter die Ehre gebührt, diese Art von Informationsdarstellung populär gemacht zu haben. Was steht im Zentrum dieser Darstellungsform? Ich sehe, was andere sagen und sogar tun. Sortiert nach dem zeitlichen Eingang. Wen wundert es, dass ausgerechnet Twitter als Kurznachrichtendienst der ideale Träger für das FiFo-Prinzip war.
Wir können davon ausgehen, dass Facebook die Timeline-Idee von Twitter nicht übernommen hätte, wenn die User-Akzeptanz niedrig gewesen wäre. Im Gegenteil, Facebook war anscheinend so angetan davon, dass es diese Darstellungsform in das Zentrum der User-Erfahrung gestellt und mit eigenen Ideen angereichert hatte. Facebook kannte übrigens rund vier-fünf Jahre lang nach dem Start keine Timeline-Darstellung. Es ist das erste, was der User sieht, nachdem er sich in FB wieder anmeldet. Obwohl Facebook weitere Produktmerkmale anbietet, für unterschiedlichste Interessen. Die Timeline dominiert. Wir können am Beispiel von Facebook davon ausgehen, dass diese populäre Darstellungsform den menschlichen Bedürfnissen tatsächlich sehr nahe kommt, sich in Gruppen informiert zu fühlen und eine Basis zum Knüpfen sozialer Bande darstellt.
Auch Google hat sich beim Launch seiner Kommunikationsplattform Google+ für diese Darstellungsform entschieden, das Neueste = Gesagte in eine chronologische Form zu pressen. Die Menge machts, wenn zu viel reinkommt, fühlt sich der User zu schnell überlastet. Doch für diesen Fall werden Lösungen angeboten. Die wohl für User interessant ist, die einen überdurchschnittlichen großen bzw. überaktiven Kontaktkreis haben.
Alle drei Anbieter bieten ihren Usern Funktionen an, die Timeline-Menge einzuschränken. Twitter und Google warten mit Listenfunktionen auf (=Gruppierung von Kontakten), Facebook wartet mit TopNews und weiteren Filtermöglichkeiten auf, bedingt durch die reichhaltigere Timeline, die nicht nur Gesagtes, sondern auch allgemeine Tätigkeiten der Kontakte ausspuckt.
Nun die Gretchenfrage:
Sind weitere Lösungen denkbar, abseits der Timeline und dem FiFo-Prinzip? Die in einem sozialen Kommunikationsumfeld ähnliche Interaktionsintensitäten und -häufigkeiten erzeugen würden? Die sowohl den User wie auch den Anbieter glücklich machen würden?
11.08.2011 um 09:42 Uhr
Auch Twitter hat die Timeline nicht erfunden, selbst uralte Mail-Clients listen die Mails meist nach Eingangs- bzw. Absendedatum auf.
Entsprechend ist der gute alte Mail-Client auch die erste Inspirationsquelle, was Alternativen angeht: Man könnte natürlich auch andere Sortierkriterien anwenden (Empfänger, Betreff, …) oder weitere Filtermöglichkeiten ermöglichen. Auch ein Betreff und Ein-/Ausklappmöglichkeiten bzw. Liste/Detail-Ansichten wären möglich (und bei Google+ und Facebook oft sinnvoll, auch wenn allzu lange Beiträge derzeit schon verkürzt werden). Oder auch „Threads“, wobei auch hier die „Timeline“-Darstellung die hierarchische, wie sie in Usenet und alten Foren und Mail-Programmen üblich war, meist abgelöst hat, weil die hierarchischen Threads allzu oft allzu sehr zerfaserten und die meisten Zweige offtopic wurden.
Das Grundprinzip der Timeline wäre meiner Meinung nach aber nur mit sehr viel künstlicher Intelligenz zu ändern: Was gehört thematisch zusammen? Was halte ich für wichtig? Wofür brauche ich ältere Beiträge, um überhaupt zu verstehen, um was es geht? …
Allerdings sollte man auch nicht aus dem Blick verlieren, dass Social Networks meist Unterhaltung sind, eine „Recherche“-Sicht (z.B. Tagclouds, „weiterführende“ Beiträge, aufwendige Suchmöglichkeiten, …) also die wenigsten interessieren dürfte. Außer um mal einen bereits gelesenen Beitrag wieder zu finden.
11.08.2011 um 10:10 Uhr
ich gebe Dir Recht, wenn Du auf Mail-Software hinweist. Auch diese kennen das Prinzip. Als Erfindung von Mail-Software-Programmieren würde ich es jedoch auch nicht bezeichnen. Erfindung habe ich daher auch bei social software als Begriff vermieden, bewusst auf „popularisieren“ abgehoben.
11.08.2011 um 10:31 Uhr
Sicher, wenn man mag, kann man das Konzept vermutlich über Telex, Telegramme bis zu antiken Gesprächsprotokollen und Bekanntmachungen zurückverfolgen. ;) Gerade „Newsticker“ in jeglicher Form sind ja ein Paradebeispiel.
Die Mail-Clients habe ich rausgepickt, weil eMail eine der ältesten Internet-Anwendungen ist (vermutlich gleich nach Telnet, bin jetzt aber zu faul die RFCs durchzuchecken ;)) und dort eben auch so manche Variation ausprobiert wurde. Ende der 90er war es z.B. durchaus üblich, auch Mails hierarchisch anzuzeigen – das wurde dann später aufgegeben, weil prominente Mail-Clients (Outlook Express) die Zuordnung von Antworten schwer bis unmöglich machten (fehlender/falscher „In-Reply-To“-Header, (Fehlerhafte) Übersetzungen von „Re(gards):“, …) und das Mail-Aufkommen das knappe Dutzend Kollegen und Freunde überstieg.
20.09.2011 um 10:26 Uhr
interessant – der Beitrag hat mich nachdenklich gestimmt, irgendwie heist Fifo ja auch durchrauschen von Informationen .. wie man es etwa als Betrachter auf einer Autobahnbrücke erlebt .. wenn ein Auto durch ist ist es weg und man hat keine Chance noch mal einen Blick auf die Details zu werfen.
In gewisser Weise ist das bei Facebook und Twitter auch so, vielleicht nicht mit solch harten Schranken.
Ich könnte mir vorstellen – also vielleicht ist das aber auch nur meine persönliche Empfindung – das Beiträge auch wenn sie „durchgelaufen“ sind neu bewertet werden können und zurückkommen. Ich will versuchen das zu erklären ..
.. ich selber nutze für mich ganz alleine ein geschlossenes Wiki in dem ich so das ein oder andere notiere (aktuell um die 1400 Seiten, eigentlich nutze ich das Wiki fast eher wie Blog, nur eben nicht öffentlich).
Es ist nicht immer einfach alles zu finden, aber das Wiki hat natürlich eine Suchfunktion. Ich verschlagworte einen großen Teil der Seiten und schaue mir oft Übersichten zu verschiedenen Schlagwortkombinationen an.
Wenn ich nun neuen Inhalt hinzufüge stellt sich immer die Frage:
a) neue Seite
b) Ergänzung zu vorhandener Seite
Also prüfe ich ob der Inhalt sich gut „irgenwo“ einfügt oder erzeuge ansonsten eine neue Seite zu dem Thema.
Die Schlagwortübersichten habe ich in der Regel so eingestellt, dass die Beiträge nach aktuellster Bearbeitung sortiert sind (also statt fifo dann eher mtime).
Es ist genausogut möglich einen neuen Beitrag verfassen und alle alten Beiträge verlinken, was auch häufig in Blogs gemacht wird. Ich finde das auch gut.
Es ist aber aus meiner Sicht so, dass diese verlinkten Beiträge eigentlich auch wieder interessant geworden sind und diese Tatsache wird außer durch die Verlinkung in einem aktuelleren Beitrag („der noch nicht durch ist“) meistens nicht bewertet oder genutzt (glaube ich jedenfalls).
Bei einem Blog (zb WordPress) müsste man den Zeitstempel der Beiträge verändern (denke ich) oder man organisiert diesen Aspekt über Kommentare..