Nehmen wir an, ein Mensch verbringt seine gesamte Zeit in Facebook. Er geht nicht einmal raus in die realphysische Welt. Er sozialisiert sich ausschließlich in Facebook. Zudem generiert er sein Einkommen über Facebook. Was würde passieren, wenn sein Profil absichtlich von einem Dritten so unwiderruflich gelöscht wird, dass Facebook warum auch immer nicht in der Lage ist, sein Profil wieder herzustellen? Im Grunde genommen wurde die spezielle Existenz dieser Person ausgelöscht. Sowohl die private als auch berufliche Existenz. Was passiert, wenn unsere Person vor Gericht zieht und auf Mord klagt?
1. Mord unterliegt nach deutschen Recht bestimmten Voraussetzungen (§211 StGB). Grundlage aber ist, dass ein Mediziner amtlich feststellt, dass der Körper des Menschen nicht mehr lebt. Das liegt in unserem Fall nicht vor. Tja, so kann unsere Person nach geltenden Recht nicht auf Mord plädieren lassen. Mord hängt mit Körperlichkeit zusammen. Weil wir Menschen uns lange Zeit nichts anderes vorstellen konnten und bis heute nicht können, dass es alternative Körperlichkeiten geben könnte.
2. Totschlag vielleicht? Auch hier muss der Herzstillstand/Hirntod festgestellt werden. Also auch nicht. Körperlichkeit…
3. Schwangerschaftsabbruch? Als Brückenbau? Ein interessantes Konstrukt, denn so gilt
Ungeborenes menschliches Leben wird juristisch ab Nidation als ideeller Wert der Sozialordnung und Vorstufe der menschlichen Persönlichkeit geschützt (BVerfGE 39,1 (133), BVerfGE 88,203). Daraus lässt sich der Rückschluss ziehen, dass nach geltendem deutschen Recht Ungeborene keine tauglichen Tatobjekte eines Mordes (oder eines Totschlags sowie darüber hinaus einer fahrlässigen Tötung und von Körperverletzungsdelikten) sein können
und wird im §218 des StGB geregelt. Auch heißt es weiterhin:
Die Zulässigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen war und ist ein zum Teil heftig umstrittenes Thema. Im Widerstreit stehen dabei religiöse und ethische Vorstellungen, gesellschaftliche Ansprüche, das Selbstbestimmungsrecht der Frau und ein Lebensrecht des Embryos bzw. Fötus. Daraus folgen sehr unterschiedliche ethische Beurteilungen und juristische Regelungen, diese reichen von weitgehender Entscheidungsfreiheit der Schwangeren bis zu völligen Verboten mit harten Strafen.
Man könnte diesen Text ohne Weiteres auf User, Löschung des Profils, Lebensrecht der virtuellen Identität übertragen. Ebenso wäre es ohne Weiteres möglich, die Identität unserer Person auf Facebook als ähnlich dem ungeborenen Leben zu betrachten, immerhin ein quasi Abbild des physischen Menschen.
Ok, mega Bullshit, völliger Nonsens?
Nur weil wir Menschen virtuelle Identitäten und Lebensweisen im common sense als zu flüchtig betrachten, um auch nur annähernd von Mord, Totschlag oder Schwangerschaftsabbruch zu sprechen, heißt das nicht das Undenkbare. Grundlegende Ansätze und Ideen haben wir bereits längst über andere Formen des Verständnisses von Leben durchdekliniert. Eines Tages werden die Strafgesetzbuche und Verfassungen erweitert. Undenkbar? So besitzt heute jedermann in Deutschland nach Artikel 2 des Grundgesetzes folgende Rechte:
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Wie lange hatte es gedauert, bis derartige Rechte in Verfassungen übergegangen sind? Mord war nicht Mord, Totschlag nicht Totschlag, Schwangerschaftsabbruch mal Mord, mal nicht. Was ist also undenkbar, virtuelle Identitäten eines Tages weitaus stärker zu schützen?
Sollte der Mensch zunehmend in virtueller Art und Weise sein Leben ausgestalten und ausprägen, wird man dann noch umhin kommen, Gedanken wie Mord, Totschlag, Körperverletzung bei Profilvernichtungen und Profilveränderungen abzulehnen? Rechtssysteme spiegeln letztlich unsere Vorstellungen wider, wie wir Leben verstehen. Was wir akzeptieren und was nicht. Ich kenne zur Zeit keine rechtstheoretischen Diskussionen dahingehend. Es wird diese sicherlich geben, wohl aber ohne normierende Kraft. Jemand Infos dazu?
15.06.2011 um 14:38 Uhr
Hallo Robert, ich will ja nicht in den Krümeln suchen, aber da ich den Ansatz des Artikels sehr interessant finde ein kurzer Hinweis: Mord ist ein sog. Offizialdelikt, dass heißt es wird von Amts wegen von der Staatsanwaltschaft verfolgt. Die Staatsanwaltschaft prüft also das Vorliegen der Mordmerkmale des § 211 StGB und klagt gegebenebnfalls an. Man kann also weder vor Gericht ziehen und auf Mord „klagen“ noch „auf Mord plädieren lassen“.
Was möglich wäre – aber hierzu ist keine Gesetzesänderung vonnöten – wäre eine zivilrechtliche Klage auf Schadenseratz. Die von der Löschung betroffene Person könnte gegen den „Löscher“ auf Ersatz des entstandenen Schadens klagen. Einklagbar wäre der materielle Vermögensschaden.
15.06.2011 um 14:40 Uhr
@Stefan, völlig richtig, verzeihe mir die bildliche Verkürzung :)
15.06.2011 um 14:42 Uhr
auf den zivilrechtlichen Pfaden wollt ich in diesem Konstrukt nicht wandeln, da die erwerbstätige Darstellung lediglich als Verstärker in dem Gedankenmodell diente. Logischerweise wäre das Konstrukt alleine für sich betrachtet heute schon vor Gericht durchsetzbar. Da wir Erwerbstätigkeit im weitesten Sinne gesetzlich geregelt haben.
15.06.2011 um 14:49 Uhr
Interessanter Denkansatz. Tatsächlich beschäftigen sich ja mitunter heute bereits Gerichte mit der Löschung von Profilen, respektive Nutzerkonten, zum Beispiel durch Ebay ( http://www.rechtpraktisch.de/artikel.html?id=918 ), die nachhaltige Folgen für den Betroffenen haben. Ich glaube aber nicht, dass das Löschen eines Profils jemals mit einer Tötung gleichgesetzt würde – aus folgenden Gründen:
Ein Facebook-Profil (Ebay-Konto, oder was auch immer) hat kein eigenes Bewusstsein, sondern interagiert allenfalls mit dem Bewusstsein eines Menschen. Löscht jemand das Profil, schränkt er das Opfer zwar in seiner virtuellen Bewegungsfreiheit ein, das wäre aber eher – je nachdem wie der Fall gelagert ist – mit Freiheitsberaubung oder dem Herbeiführen einer nur teilweise heilbaren Amnesie zu vergleichen.
Eine Besonderheit von Tötungsdelikten: Sie sind absolut unumkehrbar. Selbst wenn aber alle Daten eines Nutzerprofils gelöscht würden, könnte das Opfer sich ein neues Profil aufbauen, wenn auch nicht vollständig identisch mit dem verlorenen. Aber wer heute Opfer eines physischen Verbrechens wird, ist ja danach oft auch nicht mehr „der alte“, ohne dass dem Täter deshalb eine Tötung zur Last gelegt würde.
15.06.2011 um 15:01 Uhr
Wer so abhängig von FB ist soll sich eben regelmäßig Backups seines Profils machen, das bietet FB ja schließlich nicht umsonst an. Zum eigentlichen Thema. Ich denke durchaus das eine Digitale Identität irgendwann in irgendeiner Form vom Gesetz geschützt ist, wie das ganze genau aussieht kann ich natürlich nicht sagen. Wie ist das eigentlich mit Identitätsklau? Ist das nicht auch eine Form von Dokumentenfälschung?
15.06.2011 um 16:34 Uhr
hallo Robert,
mal wieder ein sehr interessanter Blog Beitrag. Ich habe bisher gar nicht über das Thema so nachgedacht wie sie, und man sollte sich vielleicht wirklich mal darüber Gedanken machen.
Mfg
Tobi
16.06.2011 um 13:19 Uhr
Ohne jetzt genau geprüft zu haben, denke ich, dass ein weiterer Ansatz § 303a StGB wäre. Der Strafrahmen ist sicherlich ein ganz anderer, aber immer hin schon heute zu finden.
18.06.2011 um 17:05 Uhr
Dein Gedanke ist gar nicht so abwegig. Anfang 2000 war ich sehr stark im IRC aktiv. IRC ist ein Chat-System und es gibt immer noch unterschiedliche Server-Netzwerke für unterschiedliche Zwecke.
Wir waren damals mit unserer Clan-/Community Geschichte digital-dictators.de im gleichnamigen #Channel auf dem #quakenet vertreten.
Ein Rauswurf aus einem Channel war schon eine ziemlich harte Disziplinarmaßnahme. Einige Leute haben daraufhin gepöbelt, waren beleidigt usw.
Um zum Punkt zu kommen: Damals gab es eine Person im Umfeld unseres Channels, bei der immer deutlicher wurde, dass sie mit starken psychischen Problemen wie isoliertheit, selbstverletzendem Verhalten und regelmäßigen aggressiven Anfällen zu kämpfen hatte. Dabei wurde die Person in manchen Fällen derart ausfallend, dass ein Rauswurf aus dem Channel nicht mehr vermeidbar war.
Da die Online Kontakte die einzigen Verbindungen zur Außenwelt für die Person waren, kam der Person ein Channel-Kick tatsächlich wie ein körperlicher Angriff vor.
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass ein Verweis / Löschen eines FB Profils für einen derart erkrankten Menschen wirklich wie ein Mordversuch wirken kann.
22.06.2011 um 13:32 Uhr
Ich habe das Netz noch so „gelernt“, als dass ich mit der Nutzung von Onlineangeboten in jemand anderes Hoheitsgebiet bin. Pöbel ich in einem fremden Forum rum, ist das so, als ob ich bei einem losen Bekannten im Wohnzimmer rumpöbel. Ich fliege raus und kann rein garnichts dagegen machen.
Schon damals gab es aber auch eine andere Auffassung. Das Netz als öffentlicher Raum, in dem ich ein Recht auf Meinungsäußerung habe. In einem Channel oder einem anderen System mit ein paar hundert Usern gewinnt man damit natürlich keinen Blumentopf – in einem System mit Millionen von Usern entsteht da aber schon was anderes als ein privates Wohnzimmer.
Der naheliegenste Vergleich in der physischen Welt sind für mich die großen Malls, die sich aus verkaufstechnischen Gründen als halböffentlicher Raum tarnen. Ebenso Bahnhöfe und Flughäfen, auch so ein halböffentlicher Raum. Demonstration im Flughafen? Keine Chance.
Hier hat das Bundesverfassungsgericht unlängst einen wichtiges Türchen aufgemacht und zumindest in öffentlich genutzten Räume, die sich mehrheitlich in staatlichem Besitz befinden, Versammlungsfreiheit festgestellt. http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg11-018.html
Ein Recht auf Erhaltung eines WoW-Account sehe ich allerdings nicht kommen.