Eine schwierige Aufgabe, sich diesem Gedanken hinzugeben. So ist es doch rund 15 Jahre her, dass ich erstmalig mit dem Web in Kontakt gekommen bin. Wie soll man sich da erinnern und bewusst machen, wie es vorher war? Und was nun anders sein soll? Der Versuch, sich das bewusst zu machen, kann daher nur sehr subjektiv und schemenhaft bleiben. Versuchen wir es.

Informieren und Austauschen

Ich habe gelernt, dass ich mich weitaus schneller und gezielter im Netz über verschiedene Sichtweisen zu einer Sache informieren kann. Nicht nur informieren, sondern auch darüber austauschen. Auch bequemer. Zuvor? Es ergibt sich ein erstaunliches Bild, wenn man es sich nur bewusst macht, im Sinne eines Vergleich „Vor-Internet“ und „mit Internet“.

Vor Internet? Wo kamen neue Informationen her, neue Sichtweisen? Es was recht schwierig, Personen zu finden, mit denen man sich über dies und jenes nach Belieben austauschen konnte. Neue Informationen waren beschränkt auf den Zufall und je nach Person und deren Wissensstand. Immerhin muss man sich bewusst machen, dass mein persönlicher Kontaktkreis im RL aus vielleicht ca. 100 regelmäßig wiederkehrenden – im Sinne eines Kontakts und Gesprächs – Personen bestand. Ich konnte nicht mit allen Personen über alle Themen sprechen, die mich interessieren, aufgrund der differierenden Interessenslage. Es war ja auch nicht immer Zeit und Gelegenheit. Freunde trifft man schließlich nicht 24/7 nach Belieben. Kollegen haben nicht immer Zeit.

Weitere Informationsquellen waren die wenigen Presse/Nachrichtenorgane aus TV/Radio/Print. Die Nachrichten aus der Presse waren meistens nur sehr oberflächlich. Wenn es überhaupt welche zu dem gegebenen Thema gab, was mich vielleicht warum auch immer interessiert hätte. Das waren jedoch reine Einbahnstraßen. Eine Interaktion ist bis heute naturgemäß nahezu null. Und ein echter Austausch über die reine Information hinaus? Mit Personen also? Der war wie oben bereits geschildert auch nur recht eingeschränkt.

Alles in Allem betrug die Zahl der externen Quellen demnach höchstens 200, um sich ein Bild von der Realität zu machen, die neue Informationen generierten.

Erhebliche Erweiterung der Informationsbasis
Im Zuge der Nutzung des Internets haben sich diese Möglichkeiten, sich zu einem Thema auszutauschen, dramatisch erweitert. So kann ich mich heute gezielt zu einem Thema informieren, weitaus mehr Sichtweisen gewinnen, aber auch völlig neuartige Informationen zu völlig neuen Themen gewinnen.

Auf persönlicher Ebene? Meine Zugriffsmöglichkeiten, neue Informationen gezielt und zufällig zu gewinnen haben sich extrem vergrößert. In Zahlen? Zähle ich meinen quasi innersten Kontaktkreis aus Facebook, Xing, LinkedIn, Twitter, GoogleBuzz, Mail, usw. zusammen, komme ich auf grob geschätzt rund 10.000 individuelle Kontakte. Gegenüber den 100 Personen vor 15 Jahren ist das eine Zunahme um den Faktor 100. Natürlich kenne ich nicht alle Kontakte gleich gut, aber so war und ist es auch im RL. Dahingehend sehe ich keinen echten Unterschied. Markant ist die Vergrößerung meiner persönlichen Informationsbasis. Markant ist zudem die Bequemlichkeit, mich weitaus einfacher und gezielter informieren zu können. Markant sind zudem meine Möglichkeit verbessert worden, mich bewertend darüber auszutauschen, 24/7, wenn ich wollte.

Hinzukommen eine Unzahl von neuartigen Informationsquellen. Angefangen bei der Wikipedia, über Foren, Fachseiten, Blogs, bis hin zu einer drastisch gestiegenen Zahl an Nachrichtenseiten jeglicher Art. Ich kann mich gezielter, breiter und tiefer informieren, aber auch gezielter, breiter und tiefer austauschen.

Was bedeutet das für mich?
1. Ich erwerbe Wissen weitaus schneller und einfacher. Der Punkt alleine ist schon bedeutend genug, wenn wir uns als nur beschränkt lernfähige Wesen begreifen. Das Erwerben von Wissen, aber auch das Bewerten von Wissen sind zwei zentrale Engpassfaktoren in unserem Vorankommen und Werden als Mensch. Über das Netz habe ich Wissensaufnahme, -verbreitung aber auch -verarbeitung weitaus intensiver zu schätzen gelernt.

Ein einfaches Beispiel: Als ich bei der Deutschen Bank anfing -just zur Umbruchzeit des Internets, das Dank neuartigen Browsern ab ca. 1995 greifbarer und nutzbarer für Alle wurde-, kam ich mit meinem theoretischen BWL-Wissen so voran, wie es mir gegeben war. Entsprechend meinem Intellekt, Neues zu verarbeiten. Die Informations- und Austauschquelle Internet hat meine Möglichkeiten, neues Wissen zu erhalten und auch umzusetzen, dramatisch verschnellert und verbessert. Kein Workshop, kein Buch, kein Fachkollege war auch nur ansatzweise dazu in der Lage. Auf den Gebieten (namentlich „IT“), die für mich fachlich relevant waren, konnte ich über Foren und Fachseiten meinen notwendigen Wissensstand in wenigen Monaten erwerben, aber auch anwenden. Meine eigene Interaktion zwang mich dazu, Wissen verschriftlicht zu strukturieren, sonst hätte ich nicht kommunizieren können! Ein sehr förderlicher Faktor! Die reine mündliche Wiedergabe ist dem unterlegen. Fachkollegen, die das Internet nicht genutzt hatten, die mir im jedoch Wissenstand voraus waren, konnte ich in einer kurzen Zeitspanne derart einholen, dass ich von ihnen nichts mehr erlernen konnte. Im Netz konnte ich Experten finden, die viel weiter waren. Diese Erfahrungen habe ich bewusst ab ca. 1997 machen können. Zwei Jahre lang – von 95 bis 97 in der Deutschen Bank – war ich kein Intensivnutzer des „neuen Webs“. Insofern kann ich mich an den Unterschied „vorher“ zu „nachher“ recht deutlich erinnern. So gesehen? Die Wissenskapazität und der Wissenstransfer innerhalb des Unternehmens sind beschränkt, zeitlich und qualitativ. Die Expertise im Netz ist im Grunde genommen quasi unbeschränkt.

2. Das Verständnis von Zusammenhängen und individuellen Sichtweisen hat sich erweitert. Nicht nur, dass sich meine Haltung gegenüber dem Generieren und Austauschen von Wissen verändert hat – das ist etwas, was mich in der Dramatik das Netz eindeutig gelehrt hat -, sondern auch die Möglichkeiten, völlig neuartige Sichtweisen zu gewinnen. Wissen zu erwerben, zu verstehen und anzuwenden ist das Eine. Aber es persönlich für sich zu bewerten? Es ist eben nicht eine Pressenachricht oder das zufällige Gespräch mit einer Person aus meinem Bekanntenkreis. Es ist die Sichtweise einer Person auf diesem Globus, die ich nicht kenne, die aber auf eine ganz eigene Art und Weise neuartige Perspektiven aufzeigt. Das Netz hat mich gelehrt, dass man Dinge weitaus breiter und individueller verstehen kann. Ergänzend dazu, das was Florian via Kommentar sagt: Man lernt zudem, dass eigene Sichtweisen nicht unbedingt auf Alles zu generalisieren sind. Nicht das, was man selbst denkt, ist der Masse zu eigen. Man lernt schnell, dass es unglaublich viele Sichtweisen gibt. Und stellt damit die eigene Generalisierungsbefähigung in Frage. Eine sehr entscheidende Lehre des Internets. Ich für meinen Teil kann feststellen, dass ich offener geworden bin, toleranter. Weil ich nicht alle bin, zu keinem Zeitpunkt. Das Web macht das – eine Eigenheit des Netzes – sehr deutlich.

3. Meine Haltung zur Realität, zu Normen, zu Moralvorstellungen, gesellschaftlichen Denkweisen, Kulturen, überhaupt zu Informationen wird häufiger auf den Prüfstand gestelllt. So hat mich das Netz gelehrt, dass ich Presseinformationen nicht blind vertrauen kann. Ich gehe heute bewusster mit neuen Informationen um, gleichzeitig kritischer.

4. Damit hat sich meine Art, die Realität für mich zu verstehen und meine daraus abgeleiteten Handlungen, verändert. Ich „sehe“ mehr Realitäten, ich „sehe“ an mir, dass sich meine Meinungen und Haltungen schneller anpassen und justieren als „Vor Internet“.

Soweit erstmal dazu. Eventuell folgt ein weiterer Artikel, wie ich soziale Beziehungen heute gegenüber damals verstehe. Was das Internet daran verändert hat. Für mich.