Social Media ist in der Tat zu einem echten Hype-Wort mutiert. Kein Mensch, auch nicht ein Business-Profi kann genau definieren, was das Wort Social Media überhaupt sein soll, was es inhaltlich bedeutet. Wenn sich Unternehmen damit beschäftigen (insofern man von „beschäftigen“ überhaupt sprechen kann), mündet es im Außenverhältnis letztlich doch nur primär in Facebook, an zweiter Stelle in Twitter und selten in Blogs/Flickr/Wikis. Social Media ist nichts weiter als ein Tool-basierendes Meme. Agenturen wurden regelrecht gezwungen, „wir auch“ zu schreien, „wir machen auch Social Media“.
Die große Gefahr ist das Meme selbst. Man nimmt zu schnell Ergebnisse vorweg, wenn man zu Beginn „Social Media we too“ schreit.
Ein Gedankenspiel
Hätte es vor 15 Jahren Social Media gegeben, wäre die Bankenlandschaft nicht mal ein bisschen weiter gekommen, sie hätte sich im Social Media Wust verfangen. Anstatt auf elektronisch gestützte Arbeitsabläufe zu setzen (nicht nur intern, sondern auch am Kunden), Client Server Techniken einzuführen (um Kommunikation und Workflows zu stützen, die Produktivität radikal zu erhöhen) und maschinell bedingte Zentralisierungen von Arbeitspaketen vorzunehmen (die selbstverständlich zum Abbau zahlreicher Arbeitsplätze geführt haben), hätte man sich einen ollen Facebook-Aufritt gegönnt, Tweets herausgepustet und bisschen gebloggt. Die Bankenlandschaft wäre möglicherweise kommunikativer, aber keineswegs produktiver geworden.
Der Clou?
Die Banken haben nicht Milliarden ohne eine vorherige Analyse des Ist-Zustandes ausgegeben. Sie haben sich nicht nur das eigene Haus angeschaut, sämtliche organisatorischen Abläufe abgeklopft, sie haben das Wettbewerbsumfeld betrachtet, Kundentrends analyisert, Chancen und Risiken mit Aufkommen der digitalen Technik und des Internets ins Kalkül gezogen. Ergebnis ist, dass wir heute eine Bankenlandschaft sehen, die mit weitaus weniger Personal mindestens die gleiche Zahl an Bankgeschäften bewältigen kann. Backoffice-Prozesse laufen elektronisch ab, die beleghaft-manuelle Verarbeitung und Weiterleitung von Informationen ist auf ein Minimum reduziert worden, Entscheidungen über Kreditvergaben werden zentral und elektronisch gestützt getroffen. Ob das zu Lasten einer individuellen Kundenbetreuung und zu Lasten von Service ging, darüber kann man gerne streiten. Die Banken, die damit früh angefangen hatten, sich auf das digitale Zeitalter vorzubereiten, haben einen Wettbewerbsvorteil errungen und sind gestärkt aus den Umstellungen hervorgegangen.
Heute?
Zurück zum Heute. Die Unternehmen sind extremst verunsichert und irritiert angesichts der Social Media Welle, die weder definierbar noch schlüssig erklärbar ist, was die Vorteile für das Geschäft sind. Im Grunde genommen ist die Fragestellung komplett falsch, ob man „Social Media machen soll“. Die richtige Fragestellung hat nichts damit zu tun. Die Frage ist eher, ob eine Notwendigkeit für Anpassungsmaßnahmen besteht, die auf einer möglichen Marktveränderung aus der Digitalen Welt heraus basiert? Wenn überhaupt, kann am Ende so etwas Ominöses wie Social Media herauskommen. Ich habe mittlerweile so viele Projekte gesehen, so viele Pitches, aber habe ich schon einmal eine fundierte Entscheidungsbasis vorgefunden?
Problem?
Ich bin erstaunt, wie Unternehmen dabei vorgehen. Sie lassen völlig etablierte und strukturierte Analysewerkzeuge außer Acht, um zu einer fundierten Entscheidung zu kommen. „Ja, wir machen Social Media, weil es irgendwie logisch erscheint, weil es die Wettbewerber auch machen“. Ne, das geht gar nicht. Nehmen wir uns dazu zwei strukturierte Ansätze, wie man zu einer fundierteren Entscheidung kommt.
1. SWOT = Analyse der Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken. Im Rahmen dieser Analyse des Ist-Zustands einer Unternehmung wird ein Ziel vorausgesetzt. Der Vorteil liegt auf der Hand: Man beschreibt eine Sachlage, trifft erst danach Entscheidungen. Nicht vorher. Was ist aber das Ziel, was ist das Soll? Darüber sollte man sich vorher im Klaren sein.
2. Um das Ziel eines Unternehmens zu definieren, kann man ebenso strukturiert vorgehen. Dumme Antworten wie „wir wollen mehr Erfolg“ kann man sich schenken. Nehmen wir an, das Unternehmen ist auf seinem Markt Preisführer. Auf eine gesteigerten Produktqualität und eine ausgeprägte Servicebereitschaft legt man keinen Wert. Was muss das Unternehmen tun, um die Preisführerschaft zu erhalten?
Die Analyse kann man unter digitalen Vorzeichen vornehmen. An welchen Stellen kommen Risiken zum Tragen, wo bieten sich Chancen, welche digitalen Faktoren beeinflussen die Stärken und Schwächen eines Unternehmens? Wie agieren Kunden im digitalen Umfeld? Wie agieren die Wettbewerber? Was beeinflusst die Faktoren Produkt und Produktion, Qualität, Preis, Service, Markenwahrnehmung, Vertrieb, Personal, Finanzen, ..?
In der Praxis fehlt mir ganz häufig eine fundierte Entscheidungsbasis. Eine strategische Unternehmensführung. Ohne das in „Social Media Irgendwas“ einzutauchen, ist wie Perlen vor die Säue geschmissen. Man übt sich im Blindflug. Weder Unternehmen noch die Agenturen dahinter sind ein Meister in der strategischen Analyse. Das mag auch nicht verwundern, denn Social Media selbst lässt sich kaum fassen. Das haben Hype-Themen an sich, klar. Eine wie auch immer geartete Ausrichtung und Zielsetzung erscheint ohne eine hinreichende Analyse und Strategie wie im luftleeren Raum schwebend. Erfolge sind dann mehr zufällig denn geplant. Ob Maßnahmen zum Unternehmensgefüge passen, kann man ebenso wenig beurteilen. So werde ich wohl auch in Zukunft weiterhin staunen, wenn die Antworten wie aus der Pistole kommen: „wir machen jetzt Social Media, auf Facebook, in Twitter und bloggen, yeah“.
Man kann sich über meine betriebswirtschaftliche Sicht lustig machen, ok, von mir aus. Social Media nervt mich, das habe ich schon einige Male gesagt. Es hat bis dato wenig mit betriebswirtschaftlich fundierten Entscheidungen zu tun. Ich halte das für ein großes Manko, dass allen voran Marketing- und PR-Agenturen ohne professionelles Know How im betriebswirtschaftlichen Analysebereich Unternehmen kirre machen. Als wäre e-Business nur allein ein Gebiet für Marketiers und PRler. So gesehen mag es nicht mal ansatzweise verwundern, dass ein geringster Bruchteil des Unternehmensbudgets in „Social Media“ wandert. Viel enttäuschender finde ich die Unternehmen selbst. Ihre Vorgehensweisen sind gelinde gesprochen mäßig professionell. Das beobachte ich nicht nur bei Kleinunternehmen, denen man ein Mangel an BWL KnowHow verzeihen kann, das lässt sich auch bei Großunternehmen beobachten. Das verstehe ich dann schon nicht mehr, verfügen sie doch nicht selten über strategische Abteilungen, Business Intelligence Personal, hochbezahlte Angestellte, die es eigentlich drauf haben sollten.
Abschließend: Wer in Social Media denkt, macht einen Fehler, weil er Ergebnisse zu Beginn des Denkprozesses stellt. Eine Generalisierung des Entscheidungsobjektes in Richtung digitales Wirtschaften und vor allen Dingen eine Rückbesinnung auf betriebswirtschaftliche Analysen sind dringend notwendig. Denn, einen Zweifel an den marktverändernden Wirkkräften des Internet gibt es per se nicht mehr. Ich habe meinen Zweifel, dass deutsche Unternehmen dahingehend hinreiche Überlegungen anstellen, stattdessen mit Social Media Kram zugemüllt werden.
14.02.2011 um 14:09 Uhr
Danke Robert, für den schönen Artikel. :-)
Die Analyse ist das eine Problem, das andere die Tool-Fixiertheit und ja, das führt meistens ins Nichts.
Die Reduktion auf Kommunikation im Sinne von Geschwätz ist Synonym für Social Media.
Aber eigentlich ist das ganz egal. Denn die Unternehmen werden lernen. Entweder aus eigenen Fehlern, oder vom Wettbewerb.
14.02.2011 um 14:11 Uhr
Absolut richtig. Die meisten (sogar richtig große) Unternehmen können selbst auf ganz konkrete Nachfrage im Rahmen einer Analyse nicht definieren, was denn eigentlich ihre strategischen Ziele sind, ganz vom Netz abgesehen. Wie soll irgendjemand in der Lage sein, etwas nicht Vorhandenes digital abzubilden und zu überlegen, was man in dem Bereich machen kann und sollte? Für Konzeption gibt es zudem keine Kohle, weil „das nimmt die andere Agentur aber nicht“, also macht man lieber schnell mal ne lustige und sinnlose Facebook-App/-Kampagne, statt genau zu überlegen, was man auf Facebook eigentlich langfristig erreichen will. Anders ausgedrückt: Die Tonnen von Agenturen da draußen, die eigentlich nur Kampagnen/Marketing machen, plötzlich aber auch Social Media anbieten (müssen), was imho aber in einen völlig anderen Bereich fällt, sind an dieser Situation genauso schuld wie die Unternehmen, die nicht wissen, was sie eigentlich erreichen wollen. Aber so lange eine coole Kampagne und die Generierung von „Fans“ mehr zählt als ein nachhaltiges Konzept (und das wird noch lange der Fall sein), wird sich das nicht ändern.
14.02.2011 um 14:26 Uhr
Hi Robert,
gerade dem Punkt „Zurück zum Heute. Die Unternehmen sind extremst verunsichert und irritiert angesichts der Social Media Welle, die weder definierbar noch schlüssig erklärbar ist, was die Vorteile für das Geschäft sind.“ kann ich dir zustimmen.
Wenn Unternehmen ein privates XING Profil schon als Social Media Aktivität wahrnehmen, die viel Zeit in Anspruch nimmt, dann sagt das viel über den Wissensstand aus. Leider sogar auf breiter Masse (muss ich aus Erfahrung sagen). Das kann und sollte man ändern. Es gibt Chancen und Risiken und die muss man in aller Ehrlichkeit und Offenheit den Unternehmen vorrechnen. Was kostet es einen Mitarbeiter dafür einzustellen, lohnt es sich, was sind die messbaren Erfolge etc.
Dann kann es auch wirklich erfolgreiche Aktivitäten geben, die Zeit der „Rosarotenbrille“ ist längst vorbei :)
VG
14.02.2011 um 15:16 Uhr
Nein, Robert, die BetriebswirtschaftsLEHRE wird uns nicht retten. Sie hat keine Erkenntnistheorie und kann nicht erklären, ob, wann und warum sie erfolgreich ist. Genau deshalb lassen sich die Betriebswirte, die sich durch dicke Bücher mit dünnen Inhalten gekämpft haben, auch durch Agenturen verunsichern, die große Worte mit kleinen Gedanken verbreiten.
Ihren einzig großen Gedanken, nämlich den Faktor Organisation einzuklammern und auf null zu setzen, und ansonsten die Unternehmung nach ihrer finanziellen Performance zu bemessen und engpassorientiert zu führen (http://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Gutenberg) hat die BWL schon lange vergessen und sich obskuren Bla-Modellen an den Hals geworfen.
Wenn die Wirtschaftswissenschaften das ändern wollen, müssen sie zunächst beschreiben, ob und was sich verändert hat, um dann zu analysieren und zu entscheiden, ob das, was unter Social Media läuft, Ihnen in irgendeiner Weise helfen kann. Dass es das kann, steht für mich außer Frage – allerdings kaum in den derzeit präsentierten Ausprägungen.
14.02.2011 um 15:31 Uhr
Eine sehr treffende Analyse, die allerdings auch ein Dilemma enthält: Die Orientierung an klar formulierten (strategischen) Zielen führt nicht weit, wenn das Handlungsfeld (= Social Media) noch relativ jung ist und sich zudem ständig weiterentwickelt. Es fehlt an klaren Kausalitäten, weil alles noch im Fluss ist.
Damit plädiere ich nicht zugunsten eines kritiklosen Engagements im Social Web, wohl aber im Einzelfall zu bestimmten Vorgehensweisen, deren Wirkungen sich nicht sicher abschätzen lassen.
Was das Wording nach außen betrifft, rate ich meinen Kunden immer, in ihren öffentlichen Antworten auf Fragen nach den Zielen ihres Social-Media-Engagements möglichst schwammig und unverbindlich zu bleiben. Was geht es die Öffentlichkeit an, was ein Unternehmen wirklich im Schilde führt? ;-)
14.02.2011 um 15:37 Uhr
Warum sprechen wir immer noch von Social Media und nicht vom Social Web? Dieser Begriff schliesst das für mich Zentrale ein: Vernetzung und Beziehungen. Beziehungen kann man nicht einfach „buchen“, man muss sie aufbauen – und das geht, zumindest im beruflichen Bereich, nicht ohne dass man sich dazu ein paar Gedanken gemacht hat.
14.02.2011 um 18:32 Uhr
Hm. Ich erlebe „die Unternehmen“ derzeit anders. Ich führe – sowohl in Start-ups als auch in DAX-30 Konzernen – richtig gute Gespräche. Und treffe auf offene Ohren. Und auf viel Bereitschaft. Man muss den Unternehmen nur richtig begegnen. Aber vielleicht ist das auch nur die Kehrseite der Medaille, die Du, Robert, hier beschreibst.
„Social Media“ ist kein Hype. Das Social Web ist real. Und es ist das echte Leben. Mit echten Menschen drinnen. Die Unternehmen, die den „Faktor Mensch“ im Social Web erkennen und beachten, machen etwas Neues. Und etwas Gutes. Nämlich ein Stück Gegenbewegung zu den von Dir ja beschriebenen „Prozessoptimierungen“, die den „Faktor Mensch“ wegrationalisiert haben. Und das Social Web kann auf ziemlich effiziente Art den „Faktor Mensch“ wieder in die Unternehmensstrategien bringen. Das ist aus meiner Sicht die größe „Magie“ am Social Web – also aus Unternehmenssicht.
Ich meine: Don’t worry. Es gibt genügend kluge Menschen, die das schon verstanden haben. Einige davon haben hier schon kommentiert. Und es werden immer mehr. Und nun ja, die anderen, die nur die Hälft verstehen, gab es auch schon immer – und bei jedem Thema :-)
14.02.2011 um 21:41 Uhr
Hi Robert, ich möchte deinen Appell, sich strategisch in Sachen „Online“ aufzustellen, gerne unterschreiben. Allerdings glaube ich, dass sich in 2011 viel in die richtige Richtung tun wird. Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen:
Meiner Erfahrung mit vielen Unternehmen nach, ist das „Hype“-Thema Social Media gerade ein ganz wichtiger Faktor, der das Thema „Internet“ überhaupt erst _abteilungsübergreifend_ in die Organisation trägt.
Es ist doch so: In der Praxis (die Rede ist in erster Linie von klasischen ‚brick & mortar‘ Unternehmen) gibt es häufig eine Abteilung / Person, die sich um online kümmert. Sprich um die Pflege der Website. Was aber sehr häufig fehlt ist eine ganzheitliche Durchdringung der Unternehmen. Vielleicht befassen sich Marketing und PR, im Idealfall noch der Vertrieb mit dem Thema, danach wird es häufig dünn.
Da aber Social Media aktuell eine gefühlt riesige Präsenz hat und dadurch an vielen anderen Abteilungen (HR, Service, R&D uvm.) ebenfalls nicht spurlos vorüber geht, befassen sich diese zunehmend mit dem Thema. Zwar sind das, wie Du zutreffend sagst, häufig Fragestellungen auf einem Level wie „Sollten wir eine Facebook-Seite machen?“, aber auf diesem Niveau werden sie nicht verbleiben.
Ich erwarte, das in diesem Jahr zunehmend genau die von Dir geäußerten Fragen gestellt werden werden. „Beim Erreichen welcher Zielen kann uns online (beinhaltet natürlich SoMe) sinnhaft und effektiv / effizient unterstützen?“, „Können wir mit Hilfe von geeigneten Online-Tools Prozesse in xyz optimieren“ uvm. Damit wird einhergehen, das wir Online / Social Media-Aktivitäten erleben werden, die langfristig Geschäftsprozesse unterstützen – und zwar nachweisbar.
21.02.2011 um 18:34 Uhr
Und erst der ganze Datenschrott, der dadurch produziert wird… Tweets, die keiner lesen will, Pinnwände zugepflastert mit Artikeln, die lieblos zusammengekleistert wurden, nur damit „wir auch irgendwas mit Social Media machen“ und jedes Unternehmen das loswerden kann, was es zu sagen hat. Nur richtig gutes Social Media funktioniert, alles andere nervt und richtet mehr Schaden an, als es nutzt.