Grundsätzliches
Böses Wort „regulieren“, aber böse ist daran nichts. Reguliert wird vieles, auch die Wirtschaft. Wann reguliert man notwendigerweise im wirtschaftlichen Bereich Betriebe? Hierzu ein ganz kurzer Ausflug in den sogenannten „Ordoliberalismus„.
Kein Staat kann ohne Grundideen und Leitgedanken sein Wirschaftssystem vernünftig aufbauen, fördern und pflegen. Federführend waren die Ideen der Freiburger Schule der Nationalökonomie, die Eingang in das deutsche Wirtschaftssystem fanden.

Zitat:

Als Grund für die Notwendigkeit einer Rahmenordnung sieht der Ordoliberalismus die Tendenz eines vollständig freien Marktes, sich selbst aufzulösen. Anbieter schließen sich zusammen, bilden Kartelle und Preisabsprachen und können so den Markt diktieren (Vermachtung des Marktes)…. Die Aufgabe des Staates sei es folglich, einen Ordnungsrahmen zu entwickeln, der vor allem aus Kartell- und Wettbewerbsgesetzen besteht, Markttransparenz und freien Marktzugang fördert sowie für Preisniveaustabilität sorgen soll. Der Sozialgedanke und das Leistungsprinzip, der Ordnungsauftrag und der Dezentralismus sollen so miteinander ausgesöhnt werden

So wirken nicht nur die Ideen des Ordoliberalismus bis heute nach, auch die Idee der sozialen Marktwirtschaft basiert in Teilen auf diesem Wirtschaftsverständnis. Ordoliberalismus findet sich über die Existenz von Regulierungsbehörden wieder, ebenso kennen wir regulative Maßnahmen im Bereich Umwelt (externe Kosten, die auf Basis der Entscheidungsfindung des Individuums einer externen Regulierung bedürfen) und vielen anderen Bereichen.

Soweit der Kurzausflug in die Grundkonzepte des Staates, regulierend in Märkte einzugreifen. Salopp gesagt, wo der freie Markt nicht wirklich funzt, greift der Staat ein.

Staatliche Regulierung der Social Networks
Kommen wir nun auf die Social Networks zu sprechen und warum ein Marktversagen vorherrscht, das die Verbraucher schädigt. Und warum daraus eine regulative Notwendigkeit resultiert.

Hierzu zunächst der Aufbau eines analogen Bildes aus dem Bereich Telekommunikation via Telefon und Mobilfunk. So dominieren wenige Anbieter den detschen Festnetz- und Mobilfunkmarkt („Oligopol“ = wenige Anbieter, viele Nachfrager). Um den Wettbewerb zu Gunsten der Konsumenten zu fördern, überwacht die Reglierungsbehörde die Preisbildung, senkt Markteintrittsbarrieren (Demonopolisierung der Deutschen Telekom). Und greift immer wieder ins Geschehen ein. Was aber immens wichtig ist und nie ernsthaft reguliert werden musste: Jeder Verbraucher kann jeden anderen Verbraucher über die Telefonnetze erreichen. Es existieren keine Kommunikationssilos. Davon profitieren nicht nur die Verbraucher, natürlich (!) profitieren die Anbieter von diesen gemeinsamen Standards. Wäre dem nicht so, würde die deutsche Wirtschaft immens geschädigt werden, da die reibungslose Kommunikation untereinander nicht mehr möglich wäre. Man stelle sich nur einmal vor, ein Kunde aus dem Vodafone-Netz könnte nicht mit der Polizei telefonieren, weil die Polizei Kunde der Telekom ist. Oder ein Betrieb kann den anderen Betrieb nicht erreichen, da die Technik dies nicht zulässt. So müsst jeder Verbraucher unterschiedliche Telefonsysteme vorhalten, was undenkbar wäre, da viel zu aufwändig.

An welcher Stelle baut sich zur Zeit ein neuer Kommunikationsstandard auf? Richtig, Social Networks werden in die kommunikative Sozialstruktur der Gesellschaft assimiliert. Der Markt ist so gut wie gesättigt, ein kleinerer Teil der Bevölkerung nimmt an diesem System noch nicht teil. Folgt man der These, dass soziale Netze ein neuer Kommunikationsstandard sind, muss man zwingend den gesamten Markt betrachten, nicht nur einen Anbieter per se.

Was passiert nun, wenn ein Verbraucher das System wechseln möchte? Sagen wir, er möchte von Facebook zu MeinVZ gehen? Er kann nicht einfach so „seine Nummer“ mitnehmen (=sein gesamtheitliches Profil). Ebenso wenig kann er seine Kontakte mitnehmen. Er kann sie weder exportieren noch kann er sie importieren. Die Wechselkosten sind drastisch. Der Verbraucher hat nur eine vermeintliche, freie Wahl.

Was passiert, wenn ein Verbraucher systemübergreifend kommunizieren möchte? Es geht schlichtweg nicht. Niemand kann aus Facebook heraus mit einem MeinVZ Verbraucher kommunizieren. Die Kommunikationshürden sind nahezu unüberwindbar. Es hat zur Folge, dass der Verbraucher parallel mehrere Systeme bedienen muss. Angesichts des Zeitaufwands und des technischen Verständnisses der Bevölkerung ein unzumutbarer Zustand.

Ein dritter Punkt: Anbieter wie Facebook sichern sich Rechte zu Lasten der Verbraucher, die es in sich haben. Sie können jederzeit einen Verbraucher vom Angebot aussperren. Wie kritisch die Folgen daraus sein können, kennen wir bereits aus zahlreichen Fällen. Man entkoppelt Verbraucher von ihrem sozio-digitalen Umfeld.

Heißt? Sowohl die Wechselkosten als auch die Kommunikationshürden sind so drastisch zu Lasten der Verbraucher, dass der Staat an dieser Stelle des Markts eingreifen muss. Soziale Netze gehören heute mindestens zum notwendigen Standard der Kommunikation wie Mobilfunk und Festnetz ebenso. Der Verbraucher hat Anspruch darauf, seinen „Provider“ ohne erhebliche Nachteile wählen und wechseln zu dürfen. Ebenso hat er einen Anspruch darauf, systemübergreifend zu wesentlich geringeren Kosten kommunizieren zu können. Und, dem Verbraucher sind weitaus größere Schutzrechte zuzugestehen, so dass er Teil dieses Systems bleiben darf, ohne Angst vor Willkür und diffuser Kündigung.

Die Anbieter werden solange an dieser Stelle nichts tun, da sie eben wie Marktanbieter agieren: Jeder möchte maximale Anteile, jeder will auf keinen Fall Kunden verlieren und an den Wettbewerb abgeben. So gesehen resultiert ein Silodenken daraus, wie wir es heute kennen.

Für die Wirtschaft und auch gesamte Gesellschaft hat das Silodenken der Anbieter erhebliche Nachteile: Sie – die Verbaucher – werden daran gehindert, sich ohne Nachteile und hohe Kosten über relevante Informationen auszutauschen. So kann ich eben nicht als Facebook-Nutzer einem MeinVZ und WKW-Verbraucher mitteilen, dass ein Produkt empfehlenswert ist, eine Firma sehr verdächtig agiert, der Lokalpolitiker XYZ für mich als Bürger negative Enscheidungen in die Wege leitet, usw. Der Nutzen einer übergreifenden Kommunikation ist für eine moderne Gesellschaft inkusive der Wirtschaft viel zu wichtig, um es den Anbietern alleine zu überlassen, wie das System gesteuert wird.

Soziale Netze benötigen staatlich regulierte Standards. Weil der Markt zur Zeit an wesentlichen Punkten versagt. Punkt, aus, Ende.