wir kennen es zu gut: Irgendein Promi sagt was, worüber er stolpern könnte. Ein Satz, ein Wort. Aus dem Gesamtkontext herausgerissen hört sich das doch prima verballhornend an. Die Medien greifen das dankenswerterweise auf und verbreiten exakt das eine Kontext- bzw. Satzfragment. Doof? Ja, klar ist das doof! Es führt dazu, dass Politiker und Wirtschaftsprofis nur noch vage und verklausuliert reden. Es führt dazu, dass man Menschen mit profillosen, aero-medien-dynamischen Werten schafft. Führende Köpfe mit Ecken und Kanten werden immer seltener. Wir können es beklagen und meinen, Blogger bzw. Netzuser wären nicht so blöd wie die Presse. Ist dem so?
Schauen wir uns ein aktuelles Beispiel an: Bill Kaulitz (Tokio Hotel). Er meinte im Gespräch mit Joop „wenn ich auf den Knopf drücken könnte und ich könnte das Internet abschaffen, jetzt für alle, ich würde ihn sofort drücken„. Dazu wurde dieses YouTube-Video von Bloggern, Twitter- und Facebook-Usern nur zu gerne herumgereicht.
Kommentare? Schenke ich mir, Assos sind intellektueller … warum? Würde man es rein auf das fokussieren, was Bill gemeint hat, könnte man zur Überzeugung kommen, dass er Recht hat. Rein bezogen auf die Kommentierung des Videos im Netz, klar :)
Klar kann man sich über Bills Aussagen echauffieren, nur, wer Menschen bei einem Gespräch sozusagen öffentlich belauscht, wird noch viel mehr Blödsinn erfahren. Jeder von uns erzählt mal was, das sich völlig dämlich anhört. Nur, kann man gleich daraus das gesamte Weltbild der Person ableiten? Wenn ich A sage und den Rest des Alphabets nicht, was soll ich daraus schließen? Dennoch verkürzen wir und verballhornen gerne. Liebend gerne im Netz, das als Echo-Chamber ein ideales Medium mit teils verblödenden, gruppendynamischen Effekten aufwartet.
Wer sich die gesamte Doku auf Arte3 mit Kaulitz und Joop angeschaut hat, dürfte ziemlich genau verstanden haben, warum sich Bill im Internetkontext als perfektionistisch getriebener Künstler derart geäußert hat. Die Fragmentierung eines Werkes auf digitalen Wegen zerstört aus seiner Sicht das Gesamtwerk. Die Verfügbarkeit eines Werkes auf digitalen Wegen führt zu einer gespürten Beliebigkeit. Kann ich aus dieser Sicht sogar sehr gut verstehen. Und man kann es noch viel besser verstehen, wenn man das lediglich als eine schmalste, anzunehmende Fokussierung zum gesamten Themenraum versteht, die im Rahmen des Dialogs festgehalten wurde. Es dürfte – angesichts seiner Art zu sprechen und Dinge zu sehen – anzunehmen sein, dass Bill genügend intellektuelle Talente besitzt, gesamtheitlicher und vor allen Dingen weitaus ausgewogener das Internet per se und dessen Bedeutung für Künstler beurteilen zu können als es in diesem filmischen Ausschnitt herüberkam. Es kam eben filmisch nicht herüber. Was wir nicht sehen können, muss nicht heißen, dass die Fähigkeit zum gesamtheitlichen Denken in einer Person nicht vorhanden ist.
Gut, Bill kann es wohl ab, was die paar User über ihn verbreitet haben. Mir selbst liegt nichts daran, Bill zu verteidigen oder zu erklären. Mir liegt daran aufzuzeigen, wie der gleiche Mechanismus an Verkürzungen im Netz zu beobachten ist. Ob wir nun die Medien nachäffen oder vorauseilend deren Muster weiter treiben, weiß ich nicht. Aber diese dämliche Verballhornung von Satzfragmenten und deren Ableitung auf den Mensch geht mir in den Medien seit jeher auf den Sack. Habe ich gedacht, das Netz wäre was Besseres? Ich unterlag einem Trugschluss, damals, denn schließlich werden die Medien von denen konsumiert, die mit dem Angebot beliefert werden, was sie nachfragen.
Der Mangel, sich gesamtheitlich mit Informationen befassen zu wollen, lieber der eigenen, beschränkten, intellektuellen Verarbeitungskapazität Vorschub leisten zu wollen, finden wir ebenso im Bereich JMSTV, Wikileaks usw usf etcpp. Einfache Botschaften sind leichter aufzunehmen denn komplexe, schwierige, aber der Realität gerechter werdende Betrachtungen. Auf „Yes, We Can“-Scheiße fallen Menschen seit jeher rein. Grummel… ach was solls.. ist halt so… carbon structured beings we are.
Rant Ende
10.12.2010 um 17:02 Uhr
Ich habe mich heute ziemlich aufgeregt über die ganzen hirnlosen Facebook-Zombies (viele davon Blogger), die den Link hämisch kommentierend weitersharen und damit noch genau das machen, was in dem Video eigentlich kritisiert wird: Inhalte aus dem Zusammenhang reißen, dümmlich kommentieren und verbreiten. Wenn das „die Elite“ des Netzes ist, dann würde ich es auch abschalten. So grauenhaft die Gestalten sein mögen, die hier diskutieren: Kopf einschalten tut jedem gut.
Insofern: Danke für ein bisschen Hirn.
10.12.2010 um 17:19 Uhr
1. Ohne das Internet wäre beider Erfolg (geht aber eher an Bill) entsprechend bescheidener
2. Kritik ist doch etwas feines – scheint keiner zu ertragen
3. Bill hat einfach mal keine Ahnung ;)
10.12.2010 um 18:06 Uhr
Mir missfällt es, wenn Menschen als dumm oder hirnlos bezeichnet werden (zumal es der Sache nicht so recht dienlich ist, sondern gerade die Unsicheren in ihrer Meinungsfreiheit unnötig beschneidet). Dummheit findet immer wider statt, in jedem vom uns. Die Glashaus-Metapher schenke ich mir an dieser Stelle. Auch mit einer gewissen perspektivischen Verkürzung müssen wir nicht nur leben, wir sollten uns auch drüber freuen (hat was mit dem Funktionieren von Denken zu tun). Solange wir den Drang haben, diese zu reduzieren, tun wir unser Möglichstes. Hier jedoch liegt des Pudels Kern: Medien sind heute ja kaum noch daran interessiert, kritisch zu hinterfragen, was der Vollständigkeit durchaus dienlich wäre. Zuschauer/Zuhörer/Leser offenbar aber auch nicht. Oder würden letztere auch Gehaltvolleres fressen, wenn sie es denn nur auf dem Silbertablett serviert bekämen? Blogger sind oftmals wenigstens kritisch und ergänzen die klassischen Medien. Häufig verkürzt, sicher auch mal dumm… wenn sie nicht gleich niedergemacht werden und zu Diskussionen bereit sind, ist das doch ok. Beispiel Thomas Knüwer (http://www.indiskretionehrensache.de): Natürlich war seine Reaktion auf den JMStV („Nicht mehr wählen gehen“) schon ein wenig „blöd“. Der eine oder andere Kommentar hat ihn jedoch dazu verleitet, sich in diesem Punkt zu verbessern. Es wäre wünschenswert, wenn konstruktive Kommentare hierzu beitrügen und Blogger nicht gleich „angemacht“ werden. Dann wird es auch wieder spannender, zumindest im Netz.
10.12.2010 um 18:23 Uhr
in allen Punkten Dir recht gibt :)
10.12.2010 um 19:15 Uhr
Der Kaulitz ist 21, mit 16 hat er die Schule abgebrochen – und eh ein wenig „verhuscht“. Was will man den von dem erwarten? Klar ist er dumm und sein Starleben hat ihn auch sicher bei der Alltagscleverness nicht weitergebracht.
Ich kritisiere seine Äußerungen nicht, er tut mir leid. Ich denke, es gibt wertvollere Individuen, an denen man sich abarbeiten kann und sollte.
10.12.2010 um 19:53 Uhr
Hihi, die Horde Mensch, so isses halt…
(Ich dachte eben nur: „Ja und? Jeder redet mal so daher…#pffft)
10.12.2010 um 21:37 Uhr
Hach wie schön doch, das Ich selbst Mich als Blogger gar nicht bezeichne….