Die Fülle und schiere Zahl der Reaktionen und Nachrichten rund um Wikileaks ist mittlerweile unüberschaubar. Versuchen wir es mit einer Analogie: Kann man daraus schließen, dass sich Wikileaks als ein nachhaltiges und im Sinne seiner Ziele als extrem erfolgreiches Angebot im Gefüge der zahlreichen Online-Seiten etablieren wird? Vergleichbar mit Angeboten wie Google, eBay, Amazon, Wikipedia, Facebook, Twitter und anderen Erfolgsstories?
Was macht es zu Erfolgsstories?
1. Jedes der genannten Angebote ist sowohl nachhaltig wie auch erfolgreich, was die Ziele der Anbieter angeht. Wesentlich war und ist, dass sie den Nutzern einen nachvollziehbaren Nutzen verschaffen.
2. Bei allen Angeboten gilt die Finanzierung aufgrund der Kapitalbasis als gesichert (auch bei Twitter).
3. Das zum Betrieb unabdingbare Personalkapital scheint ebenso vorhanden zu sein. Alle Angebote inkl. der Wikipedia verfügen offensichtlich über genügend talentiertes und profundes Personal, das Angebot weiterhin am Markt als dominanten Player zu etablieren.
4. Die Wahrnehmung auf dem Angebotsmarkt ist allen Anbietern gewiss. Kaum einer, der nicht Google oder Wikipedia kennt.
5. Sie waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit dem richtigen und besseren Angebot.
Was macht Wikileaks zu einer potentiellen Erfolgsstory?
Ich kann nur wärmstens empfehlen, sich das TEDGlobal Interviewvideo mit Assange anzuschauen, wenn Ihr Wikileaks verstehen wollt, was es „anbietet“ und wie es „produziert“. Sonst werdet Ihr unter Umständen Probleme haben, mir weiter zu folgen.
1. Die Wahrnehmung ist Wikileaks aufgrund der globalen Berichterstattung gewiss. Ich würde sogar behaupten, dass Wikileaks die Krone des am schnellsten bekannt gewordenen Angebots seit Bestehen des Internets erobert hat.
2. Julian Assange hat es geschafft, Wikileaks ein personifiziertes Gesicht zu geben. Wikileaks ist untrennbar mit dem Namen Assange verbunden. Und wenn etwas besonders wichtig ist, dann gehört Polarisierung mit Sicherheit dazu. Für manche ist er der neue Messias, für andere Staatsfeind No.1, der sogar Bin Laden die Position streitig macht, könnte man fast meinen.
3. Erhebliche Zweifel bestehen seitens der Finanzierung des Angebots. Ähnlich wie die Wikipedia muss Wikileaks auf Spendenbereitschaft bauen, sonst wird es sehr problematisch, eine gewisse Wachstumsstabilität zu erreichen, gar überhaupt den Fortbestand zu sichern.
4. Völlig unklar ist die Zusammensetzung der Wikileaks-Mannschaft. Das liegt in der Natur der Sache, dass die agierenden Personen im Hintergrund bleiben wollen. So können wir kaum etwas zum gesamten Personalkapital sagen. Wir wissen lediglich, dass es interne Streitigkeiten gab, wie man Wikileaks weiter betreiben soll. Hauptvorwurf der „Abtrünnigen“: Assange habe zu sehr auf PR gesetzt und zudem eine den Zielen des Angebots widersprechende Art von Geschäftspolitik betrieben, nur bestimmte Medien zu Nutznießern der Wikileaks-Leistungen zu machen (Diplomaten-Dokumente gingen an ausgewählte Presseorgane wie etwa den Spiegel).
5. Was den Punkt richtiges Angebot zur richtigen Zeit und dem richtigen Ort angeht: Offensichtlich hat Wikileaks einen Nerv getroffen. Nicht nur den Nerv von bloßgestellten Verantwortlichen, sondern auch den Nerv der Zeit. Zeitgeist und Angebot sind immens wichtig. In einer Zeit, in der wir uns selbst immer mehr im Netz entblättern, zielt Wikileaks auf die Entblätterung von Organisationen ab, gezwungenermaßen. Es ist kein Wunder, dass Wikileaks häufig zusammen mit den Begriffen „Informationsfreiheit“ und „Transparenz“ genannt wird. Etwas, das im Zuge des ominösen Web 2.0 vehement in den Vordergrund gespielt wurde.
6. Kommen wir zum Kernpunkt, dem Angebot
Ohne ein marktgerechtes Angebot wird Wikileaks keine Chance auf nachhaltiges Bestehen habe, ungeachtet aller anderen Probleme. Ist das Angebot stark und deutlich genug, bietet es einen nachvollziehbaren Nutzen? Um das zu verstehen, müssen wir uns zunächst den Produktionsprozess anschauen.
6.1. Der Rohstoff bei Wikileaks ist die „Information“
Die Besonderheit bei Wikileaks liegt darin, Informationen zu veröffentlichen, die Missstände aufzeigen sollen. Missstände in der Politik und Wirtschaft. Die Informationsbeschaffer kommen aus den eigenen Reihen der Politik und Wirtschaft. Sie beliefern Wikileaks mit vertraulichen Dokumenten. Dabei laufen sie naturgemäß Gefahr, aufgedeckt zu werden. Ihnen droht Entlassung, sozialer Abstieg, Freiheitsstrafe bis hin zu einer existentiellen Bestrafung. Nicht gerade die besten Voraussetzungen für einen dauerhaften Rohstoffnachschub, wenn die Zuträger reihenweise entdeckt bzw. bloß gestellt werden (Manning/USA, indirekt die USA selbst und hierzulande Metzner/FDP).
6.2. Die Veredelung
Wikileaks versteht sich als journalistisches Angebot. So ist es nicht verwunderlich, dass die Informationsmaterialen gesichtet werden: Wo kommt das Dokument her, ist es echt, deckt es einen Missstand auf, ist der Informationsgeber bedroht, werden andere Personen geschädigt? Wikileaks behauptet, dass rund 1.000 Freiwillige die Materialien sichten. Ein unter Umständen extrem zeitaufwändiger Prozess. Wir haben das bei der Entschlüsselung des Hubschrauber-Videos mitbekommen: Monatelang musst das Video entschlüsselt werden, was Ressourcen bindet.
Hinzu kommt das Riesenproblem manipulierter Daten: Wenn man bei Wikileaks einer bewusst falsch platzierten Information aufsitzt, wird der Ruf von Wikileaks auf Dauer beschädigt. Das ist natürlich jetzt ganz besonders anzunehmen, dass die Zufuhr manipulierten Rohstoffs zunehmen wird. Wenn der Anbieter jedoch in der öffentlichen Wahrnehmung an Vertrauen verliert, und das mehrfach vorkommt, kann Wikileaks einpacken. Das Problem ist der Öffentlichkeit selbstverständlich bekannt. Keiner muss Experte sein, um das Risiko zu sehen: Je bedeutender Wikileaks wird, wird das Problem der Manipulation umso größer. Heißt? Wenn Wikileaks nicht stichhaltig und öffentlich nachweisen kann, wie es diesem Problem vorbeugen will, wird das Vertrauensproblem Wikileaks killen. Das wissen die Gegner von Wikileaks nur zu gut. Und „sie“ haben genügend Mittel und Möglichkeiten in der Hand, die Öffentlichkeit dahingehend zu beeinflussen. Auch das wissen wir im Sinne eines öffentlichen Bewusstseins.
Nochmals zur Kapazität zurück: Was inhouse nicht gesichtet werden kann, wird outgessourced, so geschehen bei den diplomatischen Depeschen. Von den 250.000 Dokumenten wurden rund 150.000 an ausgewählte Medienhäuser zur Sichtung und Veröffentlichung übergeben. Lediglich rund 1.000 Dokumente wurden auf der Plattform selbst veröffentlicht. Innerhalb von Wikileaks scheinen wie bereits gesagt Richtungsstreitigkeiten vorzuherrschen, wie man Informationen verarbeiten soll. Ein weiteres Problem.
Das andere Problem ist, dass Wikileaks von den Medien abhängt, demnach kein eigenes Angebot auf die Beine stellen kann, wenn die Menge der Informationen zu groß wird, da die internen Kapazitäten zu beschränkt sind. Wen wundert es, denn ein reines crowdsourcing ist angesichts der Offenlegungsprobleme, die unter Punkt 6.1. genannt sind, kaum möglich. Sprich: Die Skalierung der Informationsverarbeitung ist in höchstem Maße beschränkt. Das ist nicht nur ein Problem der Skalierung selbst. Es ist schlimmer: Die Abhängigkeit von den Medien könnte zu einem großen Problempunkt werden. Bereits jetzt schon hat sich gezeigt, dass die Medien nicht immer nur die besten Kooperationspartner sind. Sie haben aus der Menge an diplomatischen Informationen zunächst und ausgerechnet diejenigen veröffentlicht, die politische Personen bloß stellen. Damit verkam Wikileaks in der öffentlichen Wahrnehmung zu einem Klatsch- und Tratsch-Angebot.
6.3. Visualisierung der Daten, Endnutzerfahrung
Nebst der Problematik der Rohstoffzufuhr und Veredelungsproblemen wartet auf Wikileaks eine weitere Herausforderung: Die Visualisierung der Daten.
Schaut man sich den jetzigen Aufbau der Seite an, kann man kaum davon sprechen, dass Wikileaks eine gute Endnutzer-Erfahrung bietet. Die Informationen sind nicht leicht wahrzunehmen, viele Informationen sind in der Seitenstruktur schwer aufzufinden. Die Bewertung der Informationen wird nicht auf Wikileaks vorgenommen, sondern den Medien und Endkonsumenten überlassen.
Entscheidend ist? Wenn Wikileaks die Massen nicht hinter sich bringen kann, indem es sie an diesem entscheidenden Punkt der Nutzerfahrung nicht abholt, wird Wikileaks in der öffentlichen Wahrnehmung nur indirekt wahrnehmbar. Wir beobachten dies jetzt schon! Nicht nur die Medien haben wie unter Punkt 6.2. geschildert Wikileaks unbeabsichtigt geschädigt, sondern die Betroffenen selbst versuchen mit allen Mitteln, das Bild von Wikileaks in der Öffentlichkeit nach eigenem Gusto zu verändern. So hat sich Wikileaks ausgerechnet die größte PR Maschine der Welt zum Feind gemacht: Die Vereinigten Staaten von Amerika. Die alles daran setzen, Wikileaks in ihrer Glaubwürdigkeit zu unterminieren. Wikileaks bedrohe den Weltfrieden, schädige Staaten, schädige Personen, ja, bringe gar ihr Leben in Gefahr. Ob man will oder nicht, die „Argumente“ treffen einen Nerv. Diese Interpretationen werden auf allen Kanälen dauerhaft gesendet.
6.4. Das Angebot und dessen Nutzen
Kommen wir zum eigentlichen Kernpunkt des Angebots, nachdem wir den Produktionsprozess und dessen Abbildung analysiert haben. Was besagt das Angebot? Es will uns weismachen, dass die Aufdeckung von Missständen zu einer besseren Welt führt. Staaten wie auch Wirtschaftsunternehmen sollen transparenter und öffentlicher agieren. Das Heilsversprechen trifft naturgemäß auf sehr fruchtbaren Boden. In jeder Nation gibt es mal mehr mal weniger Bürger, die Missstände sehen und auch öffentlich machen. Wir alle wissen, dass wir auf allen Ebenen nicht in einer perfekten Welt leben. Da kommt uns so ein Angebot wie Wikileaks doch nur entgegen, oder?
So sehr ich auch die bisher bekannten Ziele von Wikileaks teile, so wenig glaube ich daran, dass dieses Angebot tatsächlich die gesamte Welt in hohem Maße verbessert. Hierzu sei mir ein Rückgriff auf folgende Betrachtung erlaubt: Es ist der Bürger selbst, der Wikileaks daran hindert, zu erfolgreich zu werden, ungeachtet aller o.g. Probleme, selbst wenn diese nicht existieren würden und das Angebot perfekt produziert und inszeniert wäre. Warum ist der Bürger der natürliche Feind von Wikileaks, nicht der Staat noch „böse“ Wirtschaftsunternehmen?
Wir Bürger haben weltweit den Staat als Stellvertreter bestellt. Er agiert in unserem Sinne, uns Sicherheit aber auch Wohlstand zu gewährleisten. Als Individuum. Etwas, das uns als Individuen in der heutigen Welt verbindet. Es ist dabei völlig unbenommen, dass es Staaten gibt, wo diese Stellvertreterfunktion nicht mal ansatzweise gut funktioniert. Solange der Staat den Funktionen Sicherheit und Wohlstand einigermaßen nachkommt, wird der Bürger ebenso wie der Staat denken.
Eine angenommen völlige Offenlegung staatlicher Angelegenheiten – wenn wir den Wikileaks Gedanken auf die Spitze treiben – wird als schädigend wahrgenommen. Insbesondere in Angelegenheiten zwischenstaatlicher (!!!) Beziehungen. Das Individuum versteht nur zu gut, dass bestimmte Informationen nicht an die Öffentlichkeit gehören. Dazu gehört teilweise auch die Akzeptanz schlimmster Missstände.
Ein Beispiel? So würde wohl kaum ein US Bürger auf die Idee kommen, den Staat USA zu Fall zu bringen, nur weil der Staat nachweislich die Öffentlichkeit belogen hat, als es um die Begründung für einen Krieg gegen ein anderes Land ging (hier: Irak und Massenvernichtungswaffen). Es kümmert ihn nicht, dass er – der Bürger – tausende von Zivilisten auf dem Gewissen hat. So drastisch es sich auch anhören mag, aber der eigene Wohlstand und die eigene Sicherheit zählen mehr denn der Tod fremder Bürger.
Dieses Muster – das eigene Individuum und die Stellvertreterfunktion des Staates – wiederholt sich in allen Belangen der Zwischenstaatlichkeit. Geschichtlich wie auch aktuell gesehen. Es steht über allen Dingen. Es ist eine eigene Ratio, die sich unmenschlich anhört. Solange Staaten als gesellschaftliche Organisationsform stellvertretend agieren, werden zwischenstaatliche Missstände akzeptiert.
Und innerstaatliche Missstände? Die Aufdeckung wichtiger Informationen zeigt eine höhere Wirkung. Wenn Zusammenhänge aufgedeckt werden, die den Bürger unmittelbar schädigen, sind Informationen wünschenswert und zeigen einen höheren Nutzen.
Heißt? Zusammengefasst ist das Angebot von Wikileaks zweigeteilt zu sehen. Zwischenstaatlich wird es kaum eine wünschenswerte Rolle spielen. Innerstaatlich wird es seine Wirkung entfalten können. So geschehen in Kenia und Island, wo Wikileaks eine tragende Rolle gespielt hat.
Oben habe ich gesagt, dass ich nicht daran glaube, dass Wikileaks und deren Angebot die Welt verbessert. Die Welt im Sinne einer Staaten- und Bürgergemeinschaft nicht, jedoch die Welt eines Staates und dessen Bürger durchaus.
Resumee
Wikileaks hat das Potential ein „next big thing“ zu werden. Nicht im kommerziellen Sinne. Es birgt eine große Botschaft. Und ist zugleich immensen Problemen und Risiken ausgesetzt. Es ist zumindest im Bereich „Wahrnehmung“ die absolute, historische Spitze, was die Geschwindigkeit und dessen Ausbreitung angeht. Es trifft den Zeitgeist. Aber es ist ambivalent zu betrachten, was den Nutzen angeht, auf jeden Fall auf zwischenstaatlicher Ebene.
Wenn es um die Frage geht, ob Wikileaks die Welt verbessert oder nicht, brauche ich persönlich keine Antwort zu finden. Wikileaks ist nur ein kleiner, historischer Mosaikstein. Das alles umfassende Internet und der Mensch als Nutznießer wird und hat viel mehr dazu beigetragen. Tatsache ist, wir vernetzen uns immer ausgefeilter, immer besser, immer tiefer. Wir informieren uns immer schneller und vernetzter. Wikileaks ist lediglich eine Ausprägung davon. Die Natur der Information ist nichts anderes als die Welt selbst, wie wir sie sehen. Je mehr Informationen wir produzieren und sichten können, umso besser verstehen wir die Welt. Die Welt besser zu sehen und zu verstehen heißt selbstverständlich, miteinander besser umgehen zu können, rein theoretisch. Was wir daraus machen, entscheiden wir, nicht Wikileaks und schon gar nicht ein Staat. So gesehen geschieht die Änderung der Welt in welche Richtung auch immer unsichtbar, feiner verästelt und langfristig wirksamer denn 100 Wikileaks zusammen. Wikileaks beschleunigt den Prozess nur in kleinsten Anteilen.
10.12.2010 um 12:50 Uhr
Hallo Robert, das ist wirklich ein interessanter und gut zusammengefasster Artikel.
Du hast ja mehrfach erwähnt
„So sehr ich auch die bisher bekannten Ziele von Wikileaks teile, so wenig glaube ich daran, dass dieses Angebot tatsächlich die gesamte Welt in hohem Maße verbessert. “
Ich kann natürlich nur von Dingen aus meinem Bekanntenkreis spreche, aber was ich da wahrnehme ich irgendwie erschreckend. Durch die Berichterstattung in den „klassischen“ Medien, hat sich bei einigen Bekannten wirklich eine Angst verbreitet.
Manche sagen sogar,
„Es gibt Sachen, die will ich gar nicht wissen“
Ich glaube, dass Wikileaks eine ganze Menge an Aufklärungsarbeit hervorruft. Ich bin selber kein Fachmann, aber auch der TEDtalk war in gewisser Weise ein wenig erschreckend.
An einigen Stellen denkt man, es wäre richtig, an anderen Stellen weiß man wiederum nicht, was man davon halten soll.
Daher finde ich auch deinen Artikel gut, denn die Menge an Informationen, die es im Web gibt ist ja eh nicht mehr zu bewältigen.
Ich bin gespannt wie nun die Großkonzerne reagieren. E ist ja wirklich eine gefährliche Zeit, wo man ziemlich schnell in eine Schublade gesteckt werden kann.
LG
10.12.2010 um 14:00 Uhr
mmmhh, eigentlich sind wir alle der Staat, das ist glaube ich manchmal gar nicht allen bewusst. Ein sehr schönes Beispiel ist der Fall der Mauer, wo fast alle Menschen auf die Straße gegangen sind, damit sich was ändert.
Die Frage ist doch eigentlich ob wir alle als Staat was ändern wollen oder doch weiter hin hinter der Politik stehen. Problematisch ist bei der Sache ja nur, wenn sich immer weniger Menschen Gedanken um den Staat machen und dann weil es sie nicht Interessiert nicht mehr zur Wahl gehen. Von daher her sehe ich Wikileaks als wachrütteln der Gesellschaft.
Mein Gedanke ist die ganze Zeit:“ ändert Wikileads nachhaltig was an dem Staat, also an uns allen oder gehen wir nach ein paar Tagen wieder zur Tagesordnung über, so wie bei anderen wichtigen Themen?“
10.12.2010 um 14:50 Uhr
Was für eine platte Denke in „Erfolgsstories“ und „nächsten dicken Dingern“.
10.12.2010 um 14:54 Uhr
mir scheint, Du hast Probleme, die Herangehensweise und die sich daraus ergebenden Vorteile zu verstehen. Was hättest Du Dir denn gewünscht, um es in Deinem mentalen Modell zu fassen?
10.12.2010 um 14:54 Uhr
[…] Das andere Problem ist, dass Wikileaks von den Medien abhängt, […]
Genau so sehe ich das auch. Ich denke die wenigsten Menschen schauen sich die Dokumente, die dort veröffentlicht werden selbst an, da durch die Flut der Informationen das schlicht nicht mehr überschaubar ist. Ergo ist Wikileaks eher eine B2B Plattform und Anlaufstelle für Journalisten, die einzelne oder mehrere Sachverhalte aufarbeiten und somit der breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. Genau da sehe ich das Problem, dass die Medien dann auch nur das Berichten, was grad in den Kram passt.
Wikileaks ist in meinen Augen eine öffentliche Informanten-Sammelstelle/Verteiler. Anstelle der Informanten in jeder Redaktion gibt es jetzt eben eine offene Plattform. Unterm Strich werden aber auch dort nicht alle Informationen an die breite Öffentlichkeit gehen, da die Verlage diese einfach nicht aufbereiten wollen/können. Insofern bleibt der „gemeine Bürger“ verhaftet an den Medien dieser Welt und ist dort der Manipulation ausgesetzt. Wikileaks hin oder her…
Ich glaube bei dem aktuellen Hype lässt sich schwer vorhersagen, ob hier wirklich Potential für „the next big thing“ hintersteckt… Das wird sich m.E. erst im Laufe der Zeit abzeichnen.
10.12.2010 um 16:32 Uhr
@Robert
Erfolgsstory und Next Big Thing sind zwei Begriffe, die für mich vor allem aus einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise zu kommen scheinen. Deren Verwendung für ein kulturelles, gesellschaftliches Phänomen empfinde ich – auch wenn es vielleicht einfach „flapsig“ gemeint ist – als schräg. Als ob es hier um „Marktanteile“ von irgendwelchen jungdynamischen Startups oder Gadgets ginge.
Aber du hast es schön erfasst: dein und mein mentales Modell liegen wohl erheblich auseinander. War eigentlich genau das, was ich sagen wollte. Danke für die Übersetzung.
10.12.2010 um 17:00 Uhr
Wirtschaftswissenschaft ist eine Sozialwiwssenschaft und hat ebenso seine Berechtigung, zurecht, „gesellschaftliche Phänomene“ zu untersuchen. Wie jegliche andere Betrachtungsweise auch. Welche Du bevorzugst, um Dich einem komplexen Sachverhalt zu nähern, weiß ich jetzt leider nicht.
10.12.2010 um 17:35 Uhr
Robert, dein Modell politischer Legitimation, wie du es in 6.4 beschreibst (der Bürger, der dem Staat seine Interessen zu treuen Händen übergibt und sich danach auf sein Sofa zurückzieht und sich freut, wenn das Bierchen schmeckt) ist m.E. ausgesprochen holzschnittartig und oberflächlich geschnitzt. Diese ganzen Wikileaks-Geschichte würden „wir als Bürger“ vermutlich längst nicht so spannend finden, wenn politische Legitimation momentan nicht ohnehin ein krisenhaftes Thema wäre. Dieses Vertrauen, dass „die“ es schon irgendwie richtig und fair und sauber machen, steht derzeit bei immer mehr Menschen auf tönernen Füßen – und du wischst genau dieses Problem m.E. zu locker weg, so dass am Ende ein wichtiger Pfeiler deiner Argumentation eher von einer forschen Behauptung als von einer Analyse (aus welcher Disziplin auch immer) lebt.
10.12.2010 um 17:53 Uhr
wieso tönerne Füße? Das Argument der von Dir aufgestellten Behauptung der politischen Vertrauenskrise steht in keinem Zusammenhang mit dem schlüssigen, nachweislichen und unwiderstößlichen Fakt, dass wir Menschen in Staaten organisiert sind. Außer in Somalia kennen wir so gut wie keine Ausnahmen von dieser Form. Diese Bildung von sozialen Gemeinschaften in der heute uns bekannten Staatsform über einen Gesellschaftsvertrag ist globaler Standard seit wie vielen Jahrhunderten? Die Behauptung die Du mir in den Mund legst-, es ginge dabei fair und sauber zu, ist ebenso belanglos und lediglich eine Vorstellungsform humanistischer Gedanken, die nicht ursächlich für Staatenbildungen sind. Mein Postulat ist, dass sich das Staatswesen auf dem Individuum begründet, und zwar auf exakt zwei Säulen: Sicherheit (im Sinne des Bestrebens nach Rechtssicherheit = planbarer Handlungssicherheit) und Wohlstand (im Sinne von Überleben bis hin zu Überfluss). Ergebnis? Beliebiges Beispiel: „Wir verteidigen am Hindukush“ = akzeptierte Mehrheitsentscheidung ohne Volksaufstand mit gleichzeitiger Akzeptanz „militärischer Kollateralschäden“.
10.12.2010 um 18:02 Uhr
Ich zitiere von oben:
„Solange der Staat den Funktionen Sicherheit und Wohlstand einigermaßen nachkommt, wird der Bürger ebenso wie der Staat denken.“
Kannst du meinetwegen so sehen. Ich halte das für ein in forschem Duktus vorgebrachtes, aber nichtsdestotrotz ausgesprochen schlichtes Bild, wie politische Legitimation funktioniert.
10.12.2010 um 18:04 Uhr
Was ist dann Deine These hinsichtlich der Wirkkraft von Wikileaks? Darüber reden wir schließlich.
15.12.2010 um 10:04 Uhr
Ganz, ganz großen Respekt, Robert. Ich finde den Beitrag analytisch extrem stark. Und ich habe viel gelernt. Nicht nur über WIkileaks, sondern auch über „Bewertung“ im Allgemeinen.
15.12.2010 um 11:14 Uhr
In ihrem kommerziellen Kern sind sich Wikileaks und Regierungen ähnlich. Beide bereedern die Angst der Menschen, das Mißtrauen. Ihre strategischen Narrationen unterscheiden sich nur in den Akteuren, nicht in der Grammatik. Wikileaks betreibt das Management von Mißtrauen gegenüber korporierten Akteuren (Regierungen, Unternehmen, etc.), Regierungen betreiben das Mißtrauensmanagement gegenüber der Gesellschaft und anderen Regierungen oder Staaten.
Damit ist klar, dass das Gerede von Transparenz im Zusammenhang von Wikileaks vermutlich die größte Täuschung ist, ebenso wie die Annahme, dass Wikileaks die Zukunft sei. Wikileaks ist schon Geschichte, denn es ist nicht mehr und nicht weniger als eine mit Standardtechnik zusammengeschusterte Plattform. Techniken, die bereits jetzt verfügbar sind. Das dumme Gequatsche von Lobo, Wikileaks sei nicht aufzuhalten, zeigt, wie wenig er begriffen hat. Natürlich ist es nicht aufzuhalten, denn es ist schon lange da, denn es ist der Computer, der seit den 40er Jahren nicht aufzuhalten war.
Wikileaks ist nicht das „next big thing“, es ist Geschichte und hat das Potential, zur Gründungslegende, vieler weiterer Plattformen zu werden, eben weil es so leicht zu reproduzieren lässt – was sich u.a. daran zeigt, dass die nun wirklich nicht für ihre Geschwindigkeit bekannte WAZ etwas vergleichbares aufbaut.
16.12.2010 um 11:25 Uhr
Recht treffende Analyse. Du verwechselt beim Teil „zwischenstaatliches“ die Begriffe „Staat“ und „Regierung“. Deswegen ist deine Konklusion falsch. Wenn Regierungen zwischenstaatliche Konflikte anheizen, moralisch fragwürdige Dinge aushandeln und durchführen (Bsp Irak-Krieg und die Regierungen Bush und Blaire), so ist es durchaus im Interesse von Bürgern zu wissen, was in ihrem Namen geschieht. Bürger mögen in hohem Masse ihrem Staat, ihrem Land loyal gegenüber stehen und trotzdem kritisch ggu ihrer Regierung sein.
16.12.2010 um 11:33 Uhr
Und dass der Einsatz in Afghanistan von allen Deutschen wohl geheißen wird, weil sie denken, dass er in ihrem Interesse ist, ist schlicht falsch. So leicht kannst du die Bürger nicht mehr für Deine aussenpolitischen Ziele gewinnen, zumindest nicht alle (längst nicht alle).
Die außenpolitische Wirkkraft von WL kann (!) dieselbe sein wie eine innenpolitische: Vermehrte Kontrolle, Transparenz von politischen Prozessen. Zwingend notwendig dafür sind allerdings Dokumente.
Du solltest hier nicht Whistleblower und Plattform verwechseln. WL ist nur so mächtig, wie es seine Whistleblower machen. Ohne Leaks, keine Wirkkraft. Aber das sagst du im Grunde auch in deinem Fazit, wenn ich dich recht verstanden habe. Deswegen versteh ich nicht ganz worauf du hier hinaus willst.
16.12.2010 um 12:00 Uhr
Stellen wir die Frage doch mal andersrum. Wie groß wäre die Bedeutung von Wikileaks ohne die teilweise hysterischen Reaktionen? Und wem nutzen diese Reaktionen? Wenn also die US Air Force den Zugang zu Wikileaks sperrt, ist das nichts anderes als die Sperrung von Facebook bei einigen Banken. Wer sich für Wikileaks interessiert, kann von zu Hause oder mobil darauf locker zugreifen. Im Kern adelt die US-Regierung mit ihrem Handeln also Wikileaks. Vielleicht auch, weil das von wirklichen Problemen hervorragend ablenkt?