Nehmen wir an, es stimmt, was Martin Lindner im Artikel „Warum wir den Schülern Web 2.0 (und die damit verbundenen Praktiken) beibringen müssen, auch wenn es sie gar nicht interessiert.“ sagt:

Aus der zutreffend beschriebenen empirischen Situation [Bezug nehmen auf den Spon-Artikel „Null Blog„] ergibt sich also vor allem eine Folgerung: Der gegenwärtige Stand des Bildungssystems und der Netzgesellschaft in Deutschland ist ein Desaster. Die Prognosen für unsere wirtschaftliche und kulturelle Vitalität und Zukunftsfähigkeit sind sehr, sehr schlecht.

„Untergehen“ heißt hier, für Personen wie Gesellschaften: Nicht den nötigen Grad an innerer Souveränität erwerben, um sich inmitten immer schnellerer Umbrüche das Gefühl zu erhalten, den Kopf über Wasser zu haben. Nicht das Gefühl zu haben, ‚die Welt zu verstehen‘. Sich als hilfloser Spielball zu fühlen. Keine Idee haben, was man tun soll. Nicht mitzuschwingen mit den Kräften, die gerade die Gesellschaft verändern. Das führt zu kollektiver Resignation. Und genau das, gepaart mit digitaler Ahnungslosigkeit, ist die deutsche Grundstimmung.

Immer noch zählt Deutschland zu den führenden Wirtschaftsnationen weltweit. Das wirtschaftshistorisch gewachsene Gebilde basiert im Wesentlichen aus der geografischen Lage, ehemals militärischer Macht, Bildungsstand, Kulturtradition, industrieller Erfindungen, extrem verflochtenen Handelsbeziehungen im Binnenland und Außenhandel, politischer Bedeutung auf globaler Ebene, einer hohen Rechtssicherheit, dem seit Beginn des vorletzten Jahrhunderts vorangetriebenen Sozialwesen und einer extrem gut ausgebauten Infrastruktur. Das zusammen ergibt eine hohe Masse, die nicht so einfach abzubremsen ist, schnell schon mal gar nicht.

So gesehen kann eine Nation wie Deutschland nicht von heute auf morgen zu einem Entwicklungsland im globalen Vergleich verkommen. Peer Steinbrück sprach am Beispiel von China in einer ARD Doku erst jüngst davon, dass es in Zukunft auch um die Frage gehen wird, welches Politsystem und damit einhergehend welches Wirtschaftssystem obsiegen wird. Desweiteren sprach er zusammen mit Ex-Kanzler Schmidt darüber, dass die Bürger der Politiker zu müde sind, Deutschland im Moment über keine Politikerkaste verfügen würde, die sich den Herausforderungen der Zukunft wirklich gemeinsam mit den Bürgern stellen kann. Wenn die Bürger nicht genug willens sind, wie sollen die Politiker dann überhaupt repräsentieren, wenn es am Gemeinwesen mangelt? Einhergeht das Problem einer sich verschiebenden Altersstruktur angesichts der langfristig sinkenden Bevölkerungszahlen, davon sind nicht nur die Rentner betroffen, sondern das gesamte Sozialwesen.

So gesehen hegt Martin eventuell zuviel Hoffnung am Bildungswesen, das nach seiner Forderung ein gutes Stück weit mit digitalen Bildungsinhalten zu durchsetzen wäre. Würde es tatsächlich dazu beitragen, die grundlegenden Herausforderungen Deutschlands zu meistern? Soll das Internet die Lösung sein, die Vernetzung der Menschen untereinander?

Wo liegen denn überhaupt die momentan Probleme im Digitalen nebst Bildung? Was wir im deutschen Netz meiner (!!!) Meinung nach beobachten können, setzt sich im Großen und Ganzen aus drei Faktoren zusammen, die allesamt nicht förderlich sind, was eine bewusste, intensive Auseinandersetzung mit den Chancen des Netzes überhaupt angeht, aus der Deutschland Innovationen schöpfen könnte:

  • die politische Kaste steht dem Netz eher argwöhnisch und unsicher gegenüber, eine allgemeine Förderung auf breiter, politischer Front mündet mit Sicherheit nicht in stets neuen, regulativen Gesetzen
  • die Presse setzt eine negativ anmutende „Web-Sensationsstory“ nach der anderen auf, um nach gewohnten Mustern mit schreihals-artigen Artikeln die Leserinteressen zu bedienen (Datenschutz-Blabla, Pyjama-Blogger, Null-Blog, keinen juckts, etcpp) und schadet damit nicht nur sich in eklatanter Art und Weise auf dem Weg in die digitale Zukunft, sondern auch dem Gesamtsystem
  • die Finanzmärkte stehen Online-Innovationen angesichts hoher Risiken negativ gegenüber. Gründer haben kaum Chancen, an notwendiges Kapital zu kommen, die Finanzszene fokussiert sich in D auf Samwer und Konsorten, was insgesamt eher ein Trauerspiel ist, verglichen zur Finanzpower des gesamten Finanzmarktes.

Zusammengefasst wird das „deutsche Internet“ seitens Politik, Öffentlichkeit und Finanzen weitaus mehr gehemmt denn gefördert.

Ein Schrei nach mehr digitaler Bildung erscheint bereits an dieser Stelle nach wenigen Metern zu verhallen, wenn es nicht einmal in innovativen Gründungsbereichen gelingt, mehr an strukturierter und geplanter Unterstützung zu leisten. Die Kraft und Struktur, die man für eine digitale Bildungspolitik an breiter Front benötigen würde, übersteigt um einige Potenzen die Anforderungen an die Förderungsstruktur junger Web-Innovateure.

Insofern, wenn wir nicht einmal bejahen können, dass mehr digitale Bildung und Bewusstseinsbildung auch nur annähernd besser gefördert werden könnten, müssen wir uns nicht einmal die Frage stellen, was das Internet zum Erhalt des Wohlstands Deutschland im Ländervergleich bringen kann. Meine Antwort klingt pessimistisch, sie ist es auch. Was mich aber persönlich nicht davor abhält, meinen atomistischen Teil zu einem digitaleren Wohlstand zu leisten.

Abschließend, es liegt in der Natur des Menschen, dass er ab einem bestimmten Niveau an Sättigungsgefühl das Gefühl von Hunger verliert. Hunger nach Mehr, nach einem Mehr an Neuen, Hunger nach Veränderung. Warum verändern, wenn es einem gut geht? Deutschland ist zu satt vom Wohlstand und wird auf Dauer seine historischen Fähigkeiten nicht mehr in einer zunehmend technischer werdenden Welt zeigen können, mehr zu leisten denn möglicherweise andere Nationen, die aber eigene Probleme haben. Was nicht heißt, dass ich Martins Theorie folge, dass das Internet einen wesentlichen Faktor in den künftigen Kräfteverteilungen der Nationen spielt. Ich weiß es schlichtweg nicht.