In diesem Artikel beschäftige ich mich gedanklich mit den Notwendigkeiten der Offenheit und Transparenz. Und werde Ableitungen treffen, warum Unternehmensmitarbeiter speziell aus kommunikativen Bereichen im Netz präsent sein müssen, um es anhand eines konkreten Beispiels deutlicher/greifbarer zu machen. Thilo Specht hat mich mit seinem Artikel „Vordenker, Mitmacher, Nachtreter: Es lebe die Social Media Leitkultur! #nicht“ dabei inspiriert und auf neue Assoziationsketten gebracht.

Ausgangspunkt
Wenn wir über das Netz in irgendeiner noch so flüchtigen Form Kontakt zu einem uns fremden Menschen auf privater oder beruflicher Ebene knüpfen, ist eine der wichtigsten Fragen dabei: Wer ist dieser Mensch, was macht dieser Mensch, was verbindet uns womöglich? Auch stellt sich bei bestimmten Abweichungen oder einem Mangel an Informationen die Frage des Vertrauens.

Einfaches Beispiel: Wenn ein Mensch auf meinem Blog kommentiert und einen Link hinterlässt, kann es sein, dass es sich um einen Link auf eine kommerzielle Seite handelt. Ich bevorzuge authentische Kommentare, jedoch keine larifari Kommentare, bloß um den Google-Wert der verlinkten Seite zu steigern.

Also checke ich die verlinkte Seite und suche Informationsstückchen über die Person. Gibt es eine About-Seite? Stellt sich die Person dort vor? Wie spricht und gibt sich diese Person? Gibt es Twitter-, Xing-, Privatblog- und/oder Facebook-Verweise, Fotos und Videos? All dies trägt dazu bei, dass ich mir in – je nach Bedarf, Kontaktdauer/häufigkeit, Abweichung von der Regel – ca. 1-10 Minuten ein Bild machen kann.

Erlernte Verhaltensweisen und neue Ausprägungen
Es ist im Grunde nicht anders als erlerntes Verhalten in der Realität. Nur, im Netz steht mir diese Person nicht gegenüber, ich kann meinen bewussten und unterbewussten Apparat nicht 1:1 wie in der Realität nutzen, um den Mensch über das Netz einzuschätzen. Je mehr ich daher von einer Person im Netz finde umso einfacher gestaltet sich das Zueinander und Miteinander.

Die im Netz oftmals eingeforderte Offenheit und Transparenz gegenüber Unternehmen kommt daher nicht von ungefähr. Es ist eben kein Revoluzzer-Geschwätz, sondern basiert auf menschlichen Verhaltensweisen, die schon lange vor der Erfindung des Internets erlernt sind und von Generation zu Generation weitergegeben werden. Im Netz gestaltet sich das eben nur mit anderen Mitteln. Den Mangel an Sinnen im Netz kompensieren wir durch eine andere, informative Offenheit über unsere Person im Netz. Über Texte, (Bewegt-)Bilder und Akkustisches. Diese Transferleistung ist der eigentliche casus knaktus und daran zerschellen viele Überlegungen insbesonders seitens der Unternehmen, wie offen und transparent mein eigentlich sein soll und darf. Dabei liegt es auf der Hand, wenn man auf die Menschen in seiner Umgebung achten würde und sich längst etablierte Verhaltensweisen vor Augen hält.

Das, was wir im privaten Netzumgang miteinander erlernt haben, übertragen wir selbstverständlich auf Kontakte mit Menschen – die beruflich unterwegs sind – und deren Unternehmen. Mehr Offenheit, mehr Transparenz. Im vorauseilenden Sinne, denn wir können nicht wissen, mit wem wir es morgen zu tun haben, aber wir können es demjenigen erleichtern, sich ein Bild von uns zu machen. Das ist keine Frage der Unternehmenskultur, sondern eine essentielle Frage des Zugangs im menschlichen Miteinander via Netz.

PR-Profis ratlos im Umgang mit Offenheit und Transparenz
Unternehmen lassen sich gerne davon irritieren, wenn man sie mit den Forderungen an Offenheit und Transparenz immer und immer wieder konfrontiert, indirekt über die Entwicklungen im Netz. Dabei geht es zunächst nicht um das Unternehmensgebilde. Mir ist es doch Jacke wie Hose, ob links die Buchhaltung sitzt und rechts gegenüber die Revision. Das interessiert mich null. Ich will gar nicht das gesamt Gebilde bis ins letzte Detail kennenlernen (völlig unabhängig, was Betriebsinterna sind). Um was gehts aber, wenn man von Offenheit und Transparenz spricht?

Auf einer PR-Veranstaltung stellte eine PR-Beauftragte die Gretchen-Frage: „Muss ich als PR-Mitarbeiterin auch einen Teil meiner Person von mir preisgeben? Ich als Person würde gerne außen vor bleiben, wenn möglich. Ich bin Mitarbeiterin von XYZ, das muss reichen.
Das kann diejenige nach wie vor auch bleiben, man muss lediglich etwas Transferleistung vollbringen. Im geschäftlichen Realumgang miteinander gibt es längst etablierte Verhaltensweisen. Das Private bleibt je nach Kultur mal weniger mal mehr außen vor. Die Frage ist dabei, wie viel man als Person von sich preisgeben muss (über Gesagtes, Gestik, Mimik, Klamottencode), um dem Gegenüber die Möglichkeit zu bieten, sich ein Bild zu machen, das für Weiteres mindestens ausreichend ist. Diese Frage gilt ebenso im Netz. Das Unternehmen ist als solches über seine Marke und Imagewerte nicht unwichtig, aber nicht zentral.

Kontaktiert mich demnach eine PR-Person – also ein waschechter Kommunikationsprofi, der sich bestens mit menschlichem Verhalten auskennen sollte (daher dieses Beispiel „PR-Mensch“) – so kann ich nach wie vor nicht verstehen, warum dieser Mensch so gut wie keine Netzspuren hinterlassen hat. Aus gebotener Offenheit und Transparenz. Der- oder diejenige macht es sich nur unnötig schwer. Ich muss in diesem Kontext nicht zwingend wissen, ob es sich um einen Menschen handelt, der privat Blumen züchtet und gerne Schach spielt. Schaden würde es nicht. Wichtig ist mir primär, dass ich die agierende Person in seiner Rolle als Firmen-Mitarbeiter besser einschätzen kann. Und zwar über das übliche Maß an meistens nichtssagenden „wischi waschi“-Mitarbeiterprofilen hinaus.

Was wäre ratsam, um Offenheits- und Transparenzgrade im Netz mindestens zu erfüllen?
Idealerweise hätte dieser PR-Mensch ein eigenes PR Blog, wo er sich Gedanken über seine Arbeit macht. Gut wäre ein Xing-Profil. Nett wäre ein privates Facebook-Profil. Tweets auch. Ein Mitarbeiterprofil? Ok, wenn nicht nichtssagend.

Nehmen wir uns als Beispiel Thilo Specht. Thilo ist in seiner Rolle als Privatperson aber auch als beruflich agierende Person im Netz unterwegs. Ich finde ihn auf Twitter unter @tspe, er betreibt ein beruflich ausgerichtetes Blog namens Cluetrain PR, auf Facebbok hat er dazu eine eigene Page eingerichtet, sein Facebook-Profil ist natürlich ebenso vorhanden wie ein Xing-Profil. Die Agentur, für die er arbeitet, bezeichnet sich als „Agentur für Public Relations und Marketing-Kommunikation„. Das Mitarbeiter-Profil zu Thilo ist zwar vorhanden, aber das kann man getrost vergessen, das hilft nicht wirklich weiter, mir ein Bild zu machen. Die Bilder habe ich an anderen Stellen viel besser geliefert bekommen. Die Bilder, die Thilo sendet. Ich könnte weitere Beispiele von Vorreitern nennen, die Offenheit und Transparenz bieten. Schaut Euch dazu zunächst das Profil von Frank Hamm an. Von da aus könnt Ihr weitersurfen, um das Bild zu komplettieren.

Ergo? Wäre ich einer, der von Vorreitern wie den Thilos und Franks dieser Welt kontaktiert wird, hätte ich im Handumdrehen mein Informationsbedürfnis gestillt. Als Kunde würde ich mich froh schätzen, wenn ich von diesen Profis digital Unterstützung bekommen würde. Als Blogger habe ich es einfacher, mich mit Thilo und Frank zu unterhalten und nicht den Kontakt zu verweigern. Diese Prinzipien im 1:1 Umgang lassen sich selbstverständlich auf den 1:n Umgang übertragen.

Fassen wir zusammen:
– Kontakte via Netz werden erheblich erleichtert, wenn man schnellstmöglich über ein Mindestmaß an Informationen rund um die Person erhalten kann.
– Die Fülle an Informationen muss nicht komplett den Mensch als Privat- und Geschäftsperson umfassen, es besteht dazu keine Notwendigkeit beim Erstkontakt.
– Das Maß an Kontrolle über die eigene Privatsphäre, was man von sich sendet, und das Maß an eingeforderten Offenheits/Transparenzgraden beißt sich demnach nicht. Je nach Kontext ist ein unterschiedliches Maß an Informationen über die Person notwendig. Im privaten Umfeld ist das weicher definiert, im geschäftlichen Umfeld bei zielgerichteten Handeln ist das klarer definiert.
– Offenheit und Transparenz von Unternehmen ist nicht die Forderung an Unternehmen, sondern eine konsequente Forderung an in der Öffentlichkeit arbeitenden Mitarbeitern. Wir sprechen im Netz nicht mit Unternehmen, sondern mit Personen. Marken und Imagewerte von Unternehmen helfen hierbei nur bedingt weiter.
– Offenheit und Transparenz gegenüber Privatpersonen ist eine Forderung, die Kontaktanbahnungen wesentlich erleichtert. Wer daran kein Interesse hat, kann als Person im Hintergrund bleiben und komplett anonym kommunizieren. Derjenige muss damit rechnen, dass der Vertauensprozess wesentlich länger andauert.
– Marketing/PR Profis, die Offenheit und Transparenz gegenüber sehr kritisch bis hin zu absolut negierend eingestellt sind (meistens schwurbeln und lästern sie über Social Media ab), arbeiten meiner Erfahrung nach meistens bei großen Agenturen und stolpern vor lauter zielgerichteten Handeln und Strategie-Folienarsenalen über die banalsten Verhaltensweisen im menschlichen Umgang miteinander, wenn es um Fragen geht, wie man im Netz mit Kunden spricht.
– Offenheit und Transparenz sind keinen Fragen der Unternehmenskultur, sondern eine Frage, ob sich Unternehmensmitarbeiter vernunftorientierten, mit dem Netz einhergehenden Verhaltensmustern öffnen wollen.

Update
Prof. Thomas Pleil via Facebook: … die Unternehmenskultur hat schon auch Einfluss, z B, ob und wie Mitarbeiter kommunizieren duerfen oder wie mit Problemen umgegangen wird.

Reply: Das ist richtig, was die (un)sichtbare Ausprägung des Verhaltens im Netz angeht, allerdings kenne ich keine Unternehmenskultur, die das Vorstellen von agierenden Personen im Unternehmensumfeld per se untersagt. Sprich, die Unternehmenskultur ist längst vorhanden, wir sprechen nur noch darüber, ob man das Go für die gleichen Verhaltensweisen auf den Kanal Internet ausdehnt. Das bedingt keine Änderung der Unternehmenskultur in sich, sondern eine Ausdehnung der Kultur.

Weitere Zusatzhinweise:
Kommentar von Prof. Thomas Pleil erneut zur Unternehmenskultur als Barriere

Christian Henner-Fehr zur klarstellenden Unterscheidung zwischen persönlichen und privaten Inhalten unterscheiden

Frank Hamm präzisiert Christians Punkt, was man als beruflich-präsenter User an Informationen darstellen kann und sollte. Und geht wie Prof. Pleil auf die Frage der Unternehmenskultur ein