Dieses Video kursiert momentan im Netz und sorgt für Missstimmung unter einigen Betrachtern, urteilt selbst:

Als Migranten- und Ausländerkind der Gastarbeiterzeit fühle ich mich teilweise persönlich betroffen von diesem Einzelschicksal. Und musste an meine Zeit zurückdenken. Deutschland rief, viele Gastarbeiter und deren Familien kamen. 1970 war ich gerade einmal drei Jahre alt und im November 70 hatte ich meinen vierten Geburtstag. Klar ist es nicht so, dass man wahnsinnig viel bewusst von seiner Umwelt wahrnimmt. Ich kann mich lediglich an meine Kindergartenzeit erinnern. Ohne die Sprache zu verstehen und ohne, dass mir jemand eine sprachliche Spezialbehandlung zukommen ließ, habe ich mir das Wesenliche selbst beigebracht: Deutsch, so banal es klingt. Nach rund einem halben Jahr Einbahnzuhören plapperte ich auf deutsch los. Wäre es schneller gegangen, wenn mir, meinem älteren Bruder und meinen Eltern jemand aus der Nachbarschaft geholfen hätte? Sich besser zurechtzufinden? Auf Amtswegen? Schulisch? Bei der Arbeit? Ich kann mich nicht daran erinnern, dass abgesehen von den üblichen Behördenwegen ein Privatmensch auf uns zugegangen wäre. Wir fanden uns zurecht. Es war auch niemand explizit schlecht zu uns, außer dass hin und wieder das typische Lustig-Machen über die radebrechende Sprache meiner Eltern und meines Bruders.

Mein innerer Deal mit Deutschland reifte in den jungen Jahren heran, die Chance zu nutzen. Die uns geboten wurde, eine neue Lebensexistenz in einem fremden Land aufzubauen. Und wo möglich, das dem Staat und dessen Bürgern zurückzugeben. Mit profaner Leistung, Wohlverhalten außerhalb krimineller Wege, Unterstützung Hilfsbedürftiger. Was auch immer hilfsbedürftig nun in meinen Augen war. Hausaufgaben abschreiben lassen? Kein Problem. In Klausuren mithelfen? Kein Problem, wenn auch etwas kitzelig. Im Studium ausändischen Studenten helfen, die knapp bei Kasse waren? Kein Problem, auch wenn man selbst knapp bei Kasse war (im Gegensatz zum Griechenlandproblem war es unwichtig, dass man das Geld nie wiedersah). Später im Beruf kein Arsch zu Kollegen zu sein? Kein Problem. Als Blogger Dritten Wege aufzeigen, wie man sein eigenes Blog besser voranbringt? Kein Problem. Den Deal sehe ich bis heute für mich. Ich bekam eine Chance, in einem unfassbar wohlhabenderen Land mit weitaus höherenen Standards in nahezu allen Bereichen zu leben. Und vergaß nie, sich dessen zu besinnen.

Das war mein Deal als Migrant und diesen Deal fordere ich von jedem Ausländer ein, der egal unter welchen Umständen sich als Gast würdig zu erweisen hat. Ein so gut es geht anständiges Leben zu führen, die anderen Migranten vor uns und nach uns nicht zu beschämen, deren Chancen auf Einwanderung und Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung nicht durch Ausnutzung sozialer Systeme und schon gar nicht durch kriminelle Wege zu verschlechtern. Wir müssen mit guten Beispielen vorangehen, jeder einzelne von uns, um den deutschen Bürgern zu zeigen, dass wir ein Teil ihrer Kultur und Gemeinschaft sein wollen, dafür unseren Teil beitragen. Und wir sind verpflichtet, den anderen Migranten, die neu hinzukommen, Wege aufzuzeigen, wie sie sich zurechtfinden können. Um einen positiven Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Wir sind zu mehr verpflichtet als die Deutschen es uns gegenüber sind. Das ist keine päpstliche Haltung, man muss weder heilig noch Jesus sein. Der schöne Nebeneffekt ist: Wir machen es Politikern einfach, positiv gestimmte Entscheidungen zu treffen, wenn die Gesellschaft uns Migranten gegenüber positiv gestimmt ist.

Kommen wir zurück zu dem Video da oben. Wenn es denn so ist, dass der deutsche Mitbürger mehr für Einwanderung und Migranten tun will, reicht es nicht aus, Merkels Verhalten zu kritisieren. Kritisieren ist einfach. Bequem. Viel interessanter ist doch die Frage, die man sich selbst stellen kann: Welchen Deal gehe ich mit mir und den neuen, potentiellen Mitbürgen ein? Wo helfe ich mit, wo ich etwas beitragen kann? Helfe ich fremdsprachigen Familien auf Amtswegen beim Ausfüllen der Formulare? Helfe ich Kindern so, dass sie schneller deutsch lernen und in der Schule besser werden? Ist es finanziell knapp und trage ich finanziell etwas dazu bei, dass sie sich etwas besseres Essen leisten können, indem ich sie zum Essen einlade oder Essen ins Flüchtlingsheim bringe? Braucht es Kochbesteck? Bessere Kleidung? Matratzen? Im Flüchtlingsheim in Usingen – wo meine Ex-Frau mithilft – leben zahlreiche Menschen unterschiedlichster Nationen. Usingen liegt im Taunus und zählt knapp unter 15.000 Einwohner. Zahlreiche sind mit großem Wohlstand gesegnet. Und es helfen gerade einmal vier Ehrenamtliche aus. Vier. Zwei davon aufgrund ihres Berufs nur sporadisch, zwei häufiger. Alltagshilfe? Ist im Grunde einfach. Ich habe es schon aufgezählt. Das kann auch die Orga eines Kinoabends sein. So einfach ist das. Vier Ehrenamtliche. Von 15.000 Einwohnern. 0,03%. Wenn demnach die gleiche, echte Mithilfequote privater Bürger auf Facebook womöglich der Betroffenheitsquote diametral entgegensteht? Was ist dann die Kritik wert? Die sich darin äußert, dass man nicht mehr als betroffen kritisiert? Ist das bezeichnend? Schöner wäre zu fragen, wo ist dein Deal? Was tust Du, um mit gutem Beispiel voranzugehen, die Lebenssituation von Migranten zu verbessern? Hilft womöglich Dritten zu erkennen, wo sie mit anpacken können, um die Quote von 0,03% auf Bürgerebene anzuheben.