Am Wochenende führte ich ein langes Gespräch mit einem Freund, unter anderem zum Thema gegenseitige Rücksichtnahme. Inwieweit nimmt man Rücksicht auf Dritte und stellt seine Bedürfnisse und Eigenarten sprich sein Ego zurück? Ist das eine besser als das andere und wie viel von Rücknahme und Egoausbreitung ist gut? Tja. Natürlich haben wir keine gemeinsame Antwort gefunden, da jeder für sich durch sein Wesen und Erfahrungen geprägt ist. Was dem einen zuviel ist, ist dem anderen zu wenig.

Um das zu verdeutlichen, zwei Erlebnisse aus meiner jungen Welt, als ich noch formbarer war denn heute. Das kann ein jeder wunderbar für sich ummünzen. Es gibt kein „das ist richtig“ – „das ist falsch“.

Schulzeit
to be socialIrgendwann entdeckte ich, dass Mathe nicht so schwer ist, wenn man seinen Geist dem trocken anmutenden Lernmaterial gegenüber öffnet. Da unsere Gehirn ein wunderbares Instrument ist, das zu Höchstleistungen auffährt sobald man sich positiv einstellt, verknüpfte sich hier die Formalsprache zu einem Ganzen. Resultat: Meine Noten in Klausuren stiegen schlagartig an. Dumm nur (und hier schon die Wertung damit), dass ich auf einmal die Bestnote in der Tasche hatte, während der Lehrer die Klasse rundmachte, weil die Arbeit wiederholt werden musste. Zudem sprach mich die Klassenbeste an, etwas eigenartig, dass ich wohl nun zur Elite gehören würde. Es war meine Ex auch noch. Tage später: Während wir die Wiederholungsklausur schrieben, war ich rund 15 Minuten vor Abgabe fertig. Packte die Zettel zusammen, nahm meine Tasche und übergab die Arbeit dem Lehrer. Und verließ den Klassenraum. Ich dachte mir nichts dabei, denn wozu im Klassenraum herumhocken, anstatt die Frischluft zu genießen, die Ruhe vor dem Pausenandrang? Das war nicht besonders klug von mir, denn erneut sackte ich mit Abstand die beste Note ein. Das Rumoren in der Klasse war durchaus spürbar. Einige fanden meine arrogante Art sich zu verziehen, nicht besonders toll. Denn ich hätte damit die Klasse bloßgestellt. Nach einigem Überlegen – und dem wachsenden Bewusstsein, dass die eigene Leistung auf Dritte Auswirkungen hat – reduzierte ich mich. Im Grunde war es einfach: Ich war nicht scharf auf Bestnoten, ich brauchte auch kein super-duper Abi. Die Klassenbeste konnte auch in Mathe wieder die Klassenbeste sein. Ich war ein gefügiger Teil der Klassengemeinschaft. Das wiederholte sich übrigens in Leistungskursen auf recht ähnliche Art. Von 15 Punkten bin ich irgendwo auf soziale 10-12 heruntergesegelt. Tat mir das weh, nicht mehr zu glänzen im Sinne der potentiellen Leistung? Nein, ich hatte nicht das Gefühl, mich zurückzunehmen und dabei darunter zu leiden. Meinen Notenlevel konnte ich recht gut planen, so dass ich mein Leistungsziel prima und ohne allzu große Lernprobleme packen konnte. Es war mir ein simpler Kompromiss, mehr nicht. Selbstverständlich kann man das auch anders sehen. Es war eben meine Sicht und meine Art, auf soziales Gefüge inklusive gewisser Eigenheiten zu reagieren. Für mich war es inneres Agieren,übrigens.

Arbeitswelt
In Irgendeiner Sparkasse. Irgendein Aushilfsjob. Während meiner Tätigkeit schaffte ich in der gleichen Zeit die doppelte bis dreifache Menge. Als wer? Rund ein halbes Dutzend Halbtagsmuttis, die sich Hoffnungen auf eine Festeinstellung machten. Irgendwann stand die versammelte Mutti-Mannschaft vor meinem Schreibtisch – sonst war niemand im Büro anwesend – und erklärte mir in deutlichen Worten, wie scheiße das ist, was ich mache. Erneut: Ich würde sie bloßstellen. Das Muster war mir durchaus geläufig. Inklusive dem Anschwärzen, dass ich doch schummeln müsste. Die Chefin kam nämlich auch irgendwann angerannt, überprüfte tagelang meine erledigten Arbeiten und fand keine Fehler. Die Muttis hatten halt erzählt, ich würde schludern. Verständlich. Der Mensch neigt in seinem Egoantrieb nicht dazu, fair zu agieren. Noch äußert er sich einem gegenüber wahrheitsgemäß, wählt eher Konstrukte, um seine eigenen Ziele zu erreichen (Einflußnahme, jedes Argument ist recht). Schwamm drüber, wir sind Menschen, die sich im Miteinander manchmal auch extrem schwer tun. Man kann es aber sehr wohl berücksichtigen, warum und wie Menschen sich äußern. Ob sie eine vordergründige Wahrheit bieten und eine hintergründige Wahrheit bewusst oder auch unbewusst verbergen, oder ob beides synchron ist, bevor man sein Handeln ausrichtet. Hier war es simpel: Ging es denen um einen echten Fixjob, ging es mir nur um den Nebenverdienst als Aushilfe während meines Studiums. Da das Projekt sowieso nur auf ein halbes Jahr angelegt war, konnte ich mich ohne Weiteres zurückschrauben. Die Muttis waren wieder happy, die Chefin musste nicht mehr rätseln, wieso ich soviel wie zwei, drei Hilfskräfte leiste. In der Schule war es übrigens durchaus vorgekommen, dass mich Leistungskinder bei Lehrern mieszumachen versuchten, ich würde spicken, schummeln, sogar „vor_lesen“ was an Stoff drankäme (als sei Wissbegier etwas Übles).

Sprich? Es ist eine hochindividuelle Entscheidung, ob man sich gegenüber Dritten zurücknehmen möchte oder nicht. Ob man sich soweit zurücknimmt, bis man in die tiefrote Zone außerhalb des eigenen Comfort-Levels hineingerät? Je nachdem, wie wichtig einem die Sache ist. Ob im Beruf, unter Freunden, in Beziehungen. Ich denke, der Spruch „der Klügere gibt nach“ birgt durchaus Wahrheit. Ich habe mich nie sonderlich für klug oder gar klüger gehalten. Dennoch war ich der Überzeugung, dass ein wenig mehr Rücksichtnahme als das eigene Ego allen gut tut. Auch wenn es einem selbst etwas weniger gut tut. Nennen wir es durchaus freiwillige Einschränkung. Der Mehrgewinn für den Dritten kann als Gesamtgewinn im Miteinander empfunden werden. Für mich ohne Weiteres ein gutes Resultat, zugleich manchmal auch sehr anstrengend, da soziales Miteinander ein Höchstmaß an Herausforderung bietet denn gewöhnliche Arbeits-, Freundes- oder Beziehungsangelegenheiten (nennen wir es profane Erledigung von Aufgaben/Freizeit). Wozu muss man denn überall ohne Rücksicht auf Verluste glänzen? Top-Leistung bringen? Immer und stets sein eigenes Ego zum obersten Primat machen? Wem der Wert soziales Miteinander nicht sonderlich wichtig ist, wird entsprechend egoistischer handeln. Ich sage nicht, dass man sich dabei völlig außer Acht lassen soll. Aber Kraft der eigenen Ratio, des Wertesystems und seiner gesamten Bauart ist man durchaus in der Lage zu überlegen, wie weit man sich zurückschrauben kann. Das gelingt manchmal, manchmal über lange Sicht dann doch nicht so gut, wie man dachte. Auch das gehört dazu. Ebenso die Frage, die sich manch einer stellt, ob Rücksichtnahme auf Dauer die richtige Strategie im gewählten Ausmaß ist? Habe nicht selten Menschen erlebt, die von einer exzessiven Richtung in die komplett andere, exzessive Richtung umgeschwenkt sind. Was wohl eher eine Frage ist, ob man sich selbst kennt und mit sich im Reinen ist. Aber wie so immer, die Bereitschaft, seine Entscheidungen zu korrigieren, hängt vom eigenen Reflektionsvermögen ab. Das ist ein Lernen, was nie ausgelernt ist:)

Welche Message habe ich?
Keine! Es ist weder eine Lehre noch eine Vorgabe. Es ist ein Astausch von Gedanken:)

Das obige to be social ist von Rose Morelli, Lizenztyp CC BY-ND 2.0