Ich habe mir erst jüngst die Frage gestellt, was wir eigentlich von den Errungenschaften des Netzes haben? Und dachte, es spontan mit einem klaren „Ja, irre viel“ beantworten zu können. Dann ging es natürlich mit dem Grübeln los, woran sich das denn wirklich festmachen ließe.

Lachen – Trauer = Die Formel?

freude_trauer
Wenn wir Menschen erfinden (nicht uns, es…), sollte man doch annehmen können, dass wir unser Leben damit irgendwie einfacher, angenehmer, glücklicher, freier, lebendiger, bequemer oder variabler gestalten können. Irgendeinen Nutzen versprechen uns doch die Erfinder immer. Schnelleres Glück, kürzere Wege zur Liebe, einfacher mit Freunden Kontakt halten, was auch immer. Auch als Blogger habe ich mich gefragt, ob denn unser Geschreibsel denen da draußen etwas bringt? So wie jeder, der sich mit den Errungenschaften des Netzes aktiv beschäftigt. Nicht nur die Erfinder und Macher selbst.

Wenn Glück ein Indikator ist, so sollte Lachen ein Bestandteil dessen sein. Das ließe sich doch in der einfacheren Verbreitung von witzigen Katzen-, Fun- und Witzbildchen festmachen lassen. Facebook ist zwar nicht das Internet, aber alleine dort werden tagtäglich Millionen von Bildchen geteilt, geliked, hochgeladen (ich glaube mich an die Zahl 2 Milliarden Bilder-Interaktionen zu erinnern). Ok. Wir teilen also kurz- oder langfristig glücklichmachende Bildchen. Cool! Dann müssen wir nur die Glücksmomente zusammenzählen und schon haben wir das Ergebnis: Irre viel hat es uns was gebracht! Das Dumme? Erregnis ist ein zweischneidiges Schwert: Ebenso kann man die traurig machenden Unglücksbilder sowie all die kleinen und großen Problemstories zusammenzählen, die auf Facebook herumschwirren. Wenn wir eines aus der News-Landschaft wissen, dann die Tatsache, dass sich bad stories besser verbreiten. Demnach müssten der Trauer-Saldo irgendwie ungleich größer als der Glücks-Saldo sein. Shit!

Human Ticketing

Wir erfinden etwas und nutzen dies und das, nur um uns unglücklicher zu machen? Nur um Informationen zu verbreiten, wie schlimm die Welt ist und was für Probleme allerorts herrschen? Wie dämlich ist das denn? Dämlich vielleicht nicht, denn aus einem Gemeinschaftsgefühl heraus die Lage besser zu überblicken, wo wir noch zu werkeln haben, das hat doch etwas von einer Problembörse? Wo Probleme Werte bekommen, gehandelt und medial gehyped werden. Und Investitionen in diese Problemwerte werden natürlich umgesetzt? Sind die Errungenschaften des Netzes so etwas wie ein erweitertes Ticketing System der EDV? Human Tickets mit low prio für Drittweltprobleme. Mittlere Prio für die Ukrainer. Highest Prio für Apple Watch Akkulaufzeitenprobleme.

It’s information-world baby

Was wir faktisch sagen können: Betrachten wir die Zunahme der Austauschmöglichkeiten (Chat, Mailing, Foren, Blogs, Social Networks, Suchmaschinen, Newssites, …) und die Zunahme der Web-User ebenso die Zunahme der Bandbreiten, haben sich sowohl Informationsmenge aber auch Informationsdurchsatz in den letzten zehn Jahren erheblich vergrößert. Wir können uns einfacher über jedes beliebige Sonderthema austauschen. Wir finden zugleich mehr Menschen, die sich über ein beliebiges Sonderthema austauschen. Ob auch die Qualität der Informationen zugenommen hat? Wenn auch nur 1% der Informationsmenge exzellent ist – damals wie heute -, hatten wir vor zehn Jahren ein Vielfaches weniger davon, in Mengeneinheiten gesprochen. Heute 100 superbe Kinderwageninfos (von 10.000), damals 10 (von 1.000). Heute 10.000 Do-it-yourself Vorschläge (von 1.000.000), damals 1.000 (von 100.000). Logikansatz grob verstanden? Mehr Informationen, bessere Informationen. versus Auffindbarkeit der Mehrmenge an Infos, guten wie auch schlechten, ebenso dem Problem, gute Informationen überhaupt erkennen zu können (wenn der Bildungsstand gleichbelieben ist, dann hat sich die Erkennungsrate nicht verändert, nur das Such- und Erkennungsproblem verschärft, insofern die Maschinen nicht besser geworden sind beim Filtern).

Der lachende Dritte, das Alien

Das wiederum gereicht zu glücklicheren Muttis, die besser wissen können, obs denn ein Tragetuch sein soll. Allergikern hilft es, sich gesünder zu ernähren. Singles, wie sie denn ihren Zustand wunschgemäß einfacher und schneller verbessern. Unternehmen beim Designen ihrer Produkte und Services. Theoretisch. Praktisch? Ist und bleibt das Nadelör Mensch. Mit unseren begrenzten Kapazitäten und der zunehmenden Auslagerung menschlicher Fähigkeiten bzw. Erweiterung derselbigen, können wir weiterhin auf die Karte „Mehr Errungenschaften im Netz“ setzen. Wir tun es sowieso, wie Getriebene. Ob das Nadelör Mensch dadurch sein Leben damit irgendwie einfacher, angenehmer, glücklicher, freier, lebendiger, bequemer oder variabler gestalten kann, ist mir nicht so offensichtlich, wie ich es zu Beginn meiner Spontanfrage zu klären gedachte. Auch wenn es wie ein guter Scherz für Aliens klingen muss, sich ein Ticketing System aufzubauen, ohne zu wissen, warum und wozu eigentlich. Wir marschieren ohne im Grunde zu wissen, warum wir es tun. Klingt irgendwie komisch und ulkig. Ich mein, wenn ich mir die von den Glücklichmachern aka Smartphonies bildschirmbeleuchteten Gesichter anschaue, wenn sie gemeinsam am Tisch sitzen und die stillen Momente mit alternativen Lautstärkestrom des ewig wachen Netzes befüllen, wird es uns an einem nicht mangeln: Das gegenseitige Zuhören wird dann ins Ticketingsystem ausgelagert, um ja keine Probleme zu vergessen. Zuhören gelöst, Langweiliges – aus zwischenmenschlichen Gesprächen – wird dann glücklicherweise weggefiltert. Entlastung für etwas anderes. Für eine bessere Grumpy-Cat-World?

*Bild von Tim Reckmann, Lizenztyp CC BY-NC 2.0