In der Zeit findet sich ein interessanter Artikel „Ich Arbeiterkind

Zitat:

Er ist der Sohn einer Friseurin und eines Kaminkehrers. Sein Lehrer traute ihm nicht viel zu und empfahl die Hauptschule. Unser Autor Marco Maurer erzählt, wie ihm gegen die Mechanismen des Schulsystems der Aufstieg gelang.

Liest Euch das mal durch, ist wirklich spannend geschrieben. Ich greife ihn gerne aus meiner persönlichen Sicht auf. Eine Sicht, die eine andere Einstellung zu der Thematik beinhaltet, die ich gerne aufzeigen möchte. Denn der Artikel hat den Tenor, dass wir Arbeiterkinder systematisch benachteiligt werden. Es gibt jedoch ganz schlichte und einfache Heilmittel gegen systematische Benachteiligungen, ob sie nun existieren oder nicht.

freedom
Ich greife den Artikel und das Thema gerne auf, da ich quasi per se ein vermeintlich doppelt benachteiligstes Kind war: Einerseits war ich eines der wenigen Ausländerkinder an der Grundschule und später im Gymnasium (über welchen Zeitraum reden wir hir? Zwischen 1972 bis 1985). Andersereits war ich zugleich ein sogenanntes Arbeiterkind. In der Grundschule war ich kein Sonderphänomen zu der Zeit, im Gymnasium dann schon eher ein sehr seltenes Gewächs in der speziellen Kombination.

An was kann ich mich als Kind erinnern? Im Grunde genommen kann ich mich nicht daran erinnern, dass irgendein Depperter mal zu mir kam und meinte, mich groß auf meine Herkunft oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht ansprechen oder benachteiligen zu müssen. Oder ich kann mich nicht besonders daran intensiv erinnern, da ich nicht dafür gebaut worden, um groß darauf zu achten, was andere von mir denken können oder denken.

Es ist eines der lehhreichsten Erfahrungen schlechthin, wenn man gerne die Dinge von außen beobachtet. Was habe ich als Kind feststellen können, dessen ich mir heute noch heute bewusst bin?

Es spielte nie eine Rolle auf der menschlichen Ebene, ob ein Kind aus einem mittelständischen bis gehobenen Hause kam. Waren sie besonders glücklich und zufrieden? Weder noch. Eigentlich wie wir alle. Mal so mal so. Ich hatte nur eher einen tendentiellen Eindruck gewonnen, dass besonders die Kinder aus wohlhabenden Hause eher dazu neigten, sich merkwürdig anmutend unglücklich zu verhalten (angefangen beim exzessiven Saufen, bis hin zum Kiffen, besonders cool sein wollen und ständigen Wechsel der Kleiderstile). Als hätten sie keinen Halt im Leben, als wüssten sie nicht, welch existentiell gewogenes Schicksal ihnen zuteil wurde. Habe mir auch nie darum groß die Gedanken gemacht, es war nicht mein Problem. Ich war eher so gebaut, dass ich in mich still hineinschmunzeln musste, wie Menschen faszinierenderweise einen Lebens-Lottogewinn nicht erkennen können. Anyway, so oder so konnte ich kaum Unterschiede feststellen zwischen besonders glücklichen und unglücklichen Menschen in Abhängigkeit ihrer Zugehörigkeit zu einer letztlich bedeutungslosen Schublade.

Beispiel aus dem üblichen, materiellen Schichten-Leben? Es war mir nicht nur einmal passiert, dass mich andere Kinder auf meine Klamotten oder Reisen ansprachen. Mal gehässig mal neugierig. Nein, ich bekam keine 500 DM Taschengeld. Pro Monat. Was nicht selten war an meiner Schule. Ich trug C&A Jeans. Nein, ich konnte auch nicht in den Winterurlaub oder mit auf eine coole Sommerfahrt. Nein, Mama fuhr mich nicht im Jaguar V12 zur Schule (V12 = in 12 Behältern wird eine brennbare Substanz eingespritzt, die dann entfacht wird, um einen Koblen nach oben zu stoßen, der letztlich für den Antrieb von gummiartigen Reifen sorgt => manche Menschen finden es toll und zahlen viel Geld dafür, wenn mehr dieser Behälter vorhanden sind). Es gab Kinder, die das toll fanden. Es gab auch Kinder wie mich, die bis heute fast schon auf diabloische Art ob der Tatsache amüsiert waren, was etwas teurere Baumwolle und etwas mehr schniekes fahrbares Leder und Metall unterm Hintern aus Menschen machen. Es ist mir zu eigen, so zu denken, ich kann einfach nichst dafür. Das hat mich quasi immun gemacht vor Klassendenke. Menschen brauchen Dinge und Zugehörigkeiten, um Halt im Leben zu finden, um sich bestätigt zu fühlen. Daran sehe ich nichts Schlimmes. Es macht uns aus. Wozu das beklagen, was so ist?

Auf der Ebene der Bildungschancen konnte ich ebenso wenig großartig feststellen, dass die Nicht-Arbeitskinder und Deutsch-Kinder besonders intelligenter waren. Oder smarter. Oder viel mehr wussten. Das machte ich zudem eh nie an Noten fest. Ob jemand eine 1 oder 4 schreibt, ist meistens sowas von marginal letztlich, dass daraus herrührende Ableitungen für das spätere, außerschulische Leben eigentlich dümmlich sind.

Ich habe Mitschüler erleben können, die mal eine glatte fünf hinlegten, dann wieder eine 1. Waren sie nun doofer oder schlauer über Nacht? Lag es daran, dass sie aus gehobeneren Schichten kamen? Selbst wenn es so wäre, dass die Akademiker-Eltern mehr Wert auf Erziehung legen, einen selbst muss das als Arbeiterkind nie großartig ins Bockshorn jagen. Das wiederum liegt und lag an meiner Einstellung, dass wir Menschen uns voneinander so wie bei den schwankenden Notenleistungen – die Person bleibt die Gleiche – auch allgemein kaum voneinander unterscheiden.

Wer mir erzählen will, dass er ein besonders vermeintlich schlauer Meister des Schaffens ist – als Manager, Erfinder, Unternehmer, Wissenschaftler-, der erntet innerlich mein ironisches Lächeln. Wir haben es in tausenden von Generationen immer noch nicht geschafft, das Prinzip der Fortbewegung ohne Feuer zu lösen. Eine erbärmliche Leistung im außerirdischen Sinne. Wir schaffen es noch nicht einmal, den Schnupfen zu besiegen. Und da will mir einer kommen und erzählen, es gäbe Unterschiede zwischen Arbeiter-Ausländer-Kindern und denen, die es nicht sind? Come on, es ist lächerlich, sich darauf zurückzuziehen und zu schmollen, als vermeintlich Betroffener.

Egal, was Dir vermeintliche Statistiken besagen. Egal, was Dir andere nicht gönnen. Egal, was Du glaubst an Widerständen zu erleben. Egal wo Du herkommst, egal was Deine Eltern sind. Egal zu welcher Schicht Du gehörst. Scheiß darauf, was Du glaubst, was andere von Dir denken und halten. Es bringt Dich nicht weiter und wird Dich blockieren. Du wirst Dich mehr mit den anderen denn mit Dir beschäftigen, sollten Deine Energien dahinfließen.

Schaue nie auf die anderen, wenn Du wächst. Schaue immer auf Dich selbst. Du bist ein freier Mensch mit einem freien Willen. Du entscheidest über Dein Tun. 99% Deines Werdens liegt weder in der Tatsache begründet, dass Du ein Arbeiterkind oder Ausländerkind oder sogar beides davon bist. 99% Deines Werdens liegt nicht daran, dass die Lehrer glauben, dass Du weniger leisten kannst. 99% liegen nur an Dir selbst, was Du aus Dir machst. Schau auf Dich und schaue nicht auf Schatten.

Und wenn es dennoch nicht läuft? Weil die „anderen“ mehr Chancen haben und mehr daraus machen können, mit weniger Aufwand? Du wirst die Welt nicht auf den Kopf stellen, indem Du das – was die „anderen“ zurecht nutzen – beklagst. So what? Dann jammer, klage, heule, flenne. Es wird Dir aber nichts nutzen. Ändern wirst Du nur etwas, wenn Du es selbst änderst. Dich. Folge den unsichtbaren Regeln der Gesellschaft, lasse Dich in Schubladen pressen, beuge Dich den Normen und Vorstellungen? Schon bist Du ein echtes Arbeiter- und Ausländerkind. Benachteiligt. Von innen zuerst. Und dann von außen. Schon hast Du verloren. Du und Deine Kinder später. Fuck this attitude!!! Sei frei! Sei Deine eigene Schublade! Deine eigene Regel! Schon stehst Du außerhalb dieses Spiels.

Schau her, ich bin ein Arbeiterkind, und ich bin ein Ausländerkind. Ich habe die Schule geschafft. Grundschule. Gymnasium. Studium. Blog-Schule auch. Und zurückschauend? Diejenigen, die was Besseres sein wollten, die Ausländerkinder schräg anschauten, die einen als armes Arbeiterkind bemitleidet haben, weil man nicht 500 DM für Klamotten hatte, haben meinen Weg weder beeinflussen noch bestimmen können. Nicht weil sie es wollten, mit Worten, Taten oder Blicken. Es lag einfach – im wahrsten Sinne des Wortes – daran, dass sie mich nicht erreichen konnten. Mich Ego, der nicht auf andere schaut und einfach kein Gen dafür hat, Fremdbildern nachzujagen.

Die Tatsache, dass sie es nicht konnten – ob willentlich oder nicht – lässt einen hoffentlich darüber sinnieren, dass wir uns womöglich selbst der größte Feind sind. Wenn wir glauben, dass andere uns bestimmen können, wird es passieren. Wenn nicht, lebst Du frei und wirst Dein Werden selbst gestalten können.

Es ist Fakt, dass ich das hier herunterbloggen kann. Einfach so. Ich kann weder fantastisch formulieren, noch bin ich dazu berufen worden, meine Meinung ins Netz zu blasen. Ich kann es, weil ich es will und Spaß daran habe. Als Ausländer-Arbeiterkind unterster Klasse.

Worte sind bedeutunglos. Haltungen bedeuten alles.

*Bild von PotironLight, Lizenz CC BY-NC 2.0