JumpVZ
Die Meldung auf W&V, dass die beiden VZ Netzwerke zusammengelegt werden, kam wenig überraschend. Es war schon lange klar, dass sich VZ bewegen muss und im Hintergrund an der Neuaufstellung der gesamten Produktpalette dran ist. Da ich mich mit VZ erst kürzlich unterhalten habe, möchte ich gerne meine Sicht dazu wiedergeben. Was ich speziell von der Zusammenlegung halte und was ich generell darüber denke, ob VZ dicht macht (wenn es angeblich eben nicht verkauft werden kann). Zumal es spannend für mich zu sehen ist, was sich seit Oktober und dem ersten LearnTank bei VZ (die Location-Sponsor waren) getan hat. Außerdem ist VZ nach wie vor ein besonderes Unternehmen in der deutschen Web 2.0-Welt. Es hat in vielerlei Hinsicht Signale erzeugt, die nachhaltiger wirken als so manch einer denkt (Investorenszene, Entwicklung von Berlin als Startup-Stadt in Europa, hunderte von Gründern inspiriert, Social Software in D in der Breite populär gemacht, aber auch die Bedeutung des Netzes in Firmen wieder ins rechtere Maß gerückt…).

Fange wir leicht an, leiten logische Überlegungen ab.

Eine Marke streichen, Kosten senken, Fokussierung stärken

So ist es nur konsequent, aus dem Wettbewerbsgeschehen Lehren zu ziehen und eine nur allzu weiche Aufteilung zwischen einer studentischen und einer non-studentischen Plattform aufzugeben, aus naheliegenden Gründen jedoch SchülerVZ für die Kundengruppe „Schüler“ beizubehalten. Selbstverständlich spart die Zusammenlegung von 3 auf 2 Marken Kosten, und verändert eben nicht nur interne Ablaufprozesse und setzt Abstimmungsressourcen frei. Denn, immerhin können nun endlich Marketing- und PR-Maßnahmen gebündelt werden, entfalten mehr Wirkung beim Konsumenten und es bleibt mehr Spielraum für finanzielle Aufwendungen in diesem Bereich (pauschal: mit gleichem Budgeteinsatz mehr Effekte oder mit niedrigeren Budgeteinsatz gleiche Effekte). Es ist ein Unterschied, ob man eine Marke oder zwei Marken pflegen muss. Bei relativ begrenzten Ressourcen, knappen Margen, sinkenden Kundenzahlen und mittleren Umsatzniveaus ist das eine ökonomisch goldrichtige Entscheidung.

Wie konsequent verfährt VZ aber wirklich? Was bedeutet das, wenn man zu einem Doppelmarken-Produktportfolio übergeht? Schauen wir uns zunächst die Einnahmeseite an, bevor wir näher diese Frage beleuchten. Denken wir daran, dass VZ harte Zeiten durchmacht und alles, was Kosten senkt und den Blick fürs Wesentliche schärft, zu mehr Sicherheit bei der Entscheidungsfindung führt, immens wichtig in solchen Phasen ist. Die Identifikation von Umsatzhebeln spielt daher als Messgröße und Entscheidungsmaßstab die größte Rolle.

Eine Umsatzsäule bleibt, keine kommt hinzu, das Timelag-Monster droht nach wie vor

Was die Einnahmenseite angeht, befürchte ich, wird VZ nicht genügend Mut aufbringen und eine zweite Umsatzsäule einführen. Das wird eine Achillesferse bleiben! Neben den Werbeeinnahmen würde VZ eine Einnahmengenerierung über Gebühren gut zu Gesicht stehen. Gebühreneinnahmen stellen intern einen exzellenten Maßstab dar, der schnelle Signale sendet und zu schnellen Ergebnissen führt, an denen man sich intern orientieren und ausrichten kann. Sobald Mitarbeiter gefordert sind, sehr unmittelbar über Einnahmeeffekte ihrer Produktmaßnahmen und Alternativen nachzudenken, kommt es zu den gleichen Effekten, die schon lange Zeit Xing begleiten. Das Spiel über reine Werbeeinnahmen ist jedoch ein ekliges Spiel gegen den Traffic (den VZ momentan doppelt zu spüren bekommt) und erschwert den Mitarbeitern, den Blick für die richtigen Maßnahmen zu treffen. Werbeumsatzeffekte folgen Trafficeffekten, die wiederum den in der Vergangenheit getroffenen Maßnahmen mit erheblichen Zeitabstand folgen. Gebühreneffekte folgen keinen Trafficeffekten, sondern sind unmittelbar am Kunden angesiedelt. Vereinfacht ausgedrückt: Werbeeinnahmen haben einen höheren Timelag als Gebühreneeinnahmen. Diese generellere Timelag-Problemtik ist extrem schwierig zu handhaben und ich traue weniger Firmen zu, dieses Management von zeitverschobenen Entscheidungen gut zu beherrschen. Obwohl ich die neue Geschäftsführerin für sehr geeignet halte, wenn ich das so sagen kann. Es ist aber nur ein subjektiver Eindruck.

Ein Hinweis zu Gebühren + Social Networks: Ich halte wenig bis nichts davon, solche Gedankengänge von vornherein auszuschließen, Gebühren zu erheben. Nur weil es Facebook nicht direkt macht, heißt das schlichtweg… nichts! Zumal Social Software auf der Maslowschen Pyramide exzellenterweise nahezu alle Sehnsüchte und Bedürfnisse abdecken kann und auch abdeckt. Wer daher bei dem Gedanken an die Einführung von Gebühren ohne Nachdenken abgewunken hat, dürfte als Leser für diesen Artikel nicht in Frage kommen. Weiter gehts;)

Klare Differenzierung, Produkt und Marke oder nur die Marke?

Wenn die Chefin betont, dass man VZ bald nicht mehr mit Facebook vergleichen kann, müssen wir uns fragen, was das bedeutet? Es ist, als würdest Du einen 3er BMW auf einmal als einen Geländewagen verkaufen wollen, um dem Wettbewerb für Mittelklassefahrzeuge zu entgehen. Der Schnitt ist gewagt und radikal. Eine Marke zu drehen, ist super schwer. Ein Produkt ebenso. Wenn wir davon ausgehen, dass die VZ Chefin Produkt und Marke meint. Wir sehen an Google+, wie schwer es selbst diesem Riesen fällt, sich genügend von Facebook abzugrenzen. Da können sich noch so daherreden, dass Google+ so eine Art Social Layer über alle Produkte hinweg sein will (was dem Kunden süperb egal ist, was Google intern will und davon hat).

Heißt? All die schönen Kosteneffekte – siehe oben – sind womöglich dahin, wenn VZ erhebliche Kommunikationsaufwendungen leisten muss, um den neuen Markenkern zu kommunizieren. Da wir festgestellt haben, dass VZ keine allzu großen Mittelreserven haben kann, müssen wir davon ausgehen, dass VZ nahezu alle Karten auf ein neues Produkt-Set legen wird. Und nicht auf eine reine Marketing-Strategie zurückgreifen kann.

In dem gestrigen Gespräch wurde – ohne dass es explizit zur Sprache kam – sehr klar, dass VZ auf der einen Seite eine Strategie verfolgen wird, einzelne Kundengruppen mit passgenauen Produkten zielgenau zu bedienen. Wir können ruhig von einer – das wird neu sein – stärkeren Modularisierung auch aus Kundensicht und Anpassbarkeit des VZ Gesamtproduktes sprechen. Sagen wir auch „Apps“ dazu? Wie auch immer es bald anders aussehen wird, Kunden werden und müssen auch aus VZ Sicht ein flexibleres Produkt bekommen. Das erscheint mir logisch. Anders wird sich keine Differenzierung erreichen lassen. Google ist voll in diese Falle gelaufen, sich produktseitig eine müde Timeline ins Zentrum zu stellen und lockt damit die verwöhnten Facebook-User nicht wirklich hinter dem Ofen vor.

Es kann zudem auch sein, dass VZ die Kunden viel stärker vertikalisiert? Dies schließt die Produktstrategie nicht aus, im Gegenteil. Werden wir demnach VZ-Kundengruppen sehen, die als Singles, als Hundehalter, als Studenten, als Mamas und Papas kleine Sub-Gruppen bilden und entsprechend andere Feature-Sets nutzen? Kann sein. Die internen, auf Scrum umgestellten Strukturen sprechen eine klare Sprache: Schnell und agil auf Anforderungen reagieren, aber auch proaktiv agieren und schnell umsetzen.

Ein totes Pferd springt nicht so hoch

Angesichts der Maßnahmen – die VZ ergreift – und der Chancen, ist das kaum als das zu bezeichnen, was die „Kenner“ da draußen ins Netzhorn tröten. Ich stehe nach wie vor zu meiner Meinung, dass VZ noch lange nicht abzuschreiben ist. Ob nun der Eigentümer im Hintergrund familiäre Differenzen hat, nicht die erhoffte Rendite einfährt, verkaufen will und es nicht kann, kann uns herzlichst egal sein. Es spielt eigentlich keine Rolle mehr. Denn zweimal wird der Eigentümer nicht die gleiche Dummheit begehen: Die falsche Entscheidung treffen. Einmal beim Kauf und Management, einmal beim Loswerden. Und wenn doch, hat es Holtzbrinck eben nicht drauf. Punkt. Warum eigentlich? Für mich ist der Markt für Social Software nicht Facebook, sondern ein richtig schöner Markt mit rosigen Aussichten. Wer ein Potential wie VZ aufgibt, hat eine andere Sicht über Aussichten, wie sich Softwarebedürfnisse entwickeln. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass der Mensch weiterhin sein Verhalten und sozialen Beziehungen zunehmend digitalisiert. Die Sprache hat er bereits radikal über Instrumente erweitert. Verhalten und Beziehungen sind noch weitaus wichtiger für uns. VZ kann sich gerne von diesem Markt ein fettes Stück abschneiden. Am Ende des Tages kommt es drauf an als was sich VZ definiert? Als VZ? Als bloßes Softwarehaus? Als Social Softwarehaus? Was ist VZ? Wenn sie es gut beantworten, ist Facebook langweilig und Version 1.

Foto von scharbeutzi, Lizenztyp CC BY-NC-SA 2.0