über das Thema hatte ich schon mehrere Male sinniert. Gerade als Intensivnutzer des Webs kommt es mir gerne in den Sinn, dass ich noch lange nicht das Netz als alleinigen Kommunikationskanal betrachte bzw. besser gesagt fühle. Wir kennen wohl alle die profane und banale Aussage „das reale Bier schmeckt besser“.

Doch geht es mir jetzt nicht darum, warum das Virtuelle das Reale als etwas im zwischenmenschlichen Sinne Verstandenes ersetzen mag. Es geht mir eher um den Gedanken, ob wir uns zunehmend mit kontinuierlicher Nutzung des Virtuellen darauf trainieren, realphysische Kommunikation mit virtueller Kommunikation allmählich gleichzusetzen? Das dürfte kaum ein rationaler Prozess sein. Es wird wohl ein mental-emotionaler Prozess sein.

Wir kennen das im Bereich „Flow“ und Spielen. Wir vergessen alles um uns herum, sehen nicht einmal mehr den Bildschirm. Wir fühlen bei dieser Art von Einlassung das gesamte Spektrum an Emotionen, das wir auch aus dem Umgang mit der realphysischen Welt kennen. Der Unterschied ist lediglich, dass die Reize digital konstruiert werden. Werden digital konstruierte Reize in der zwischenmenschlichen Kommunikation eines Tages als vollwertig und gleichwertig zur „Face-to-Face“ Kommunikation wahrgenommen?

Würde man es ganz weit denken, tragen wir das Potential seit jeher in uns, jegliche, kommunikative Form als vollwertig anzunehmen. Wenn man so will, nehmen wir die Welt indirekt wahr. Ob es nun Licht ist, Druck, Geschmack, Geruch, Wärme oder Klang. Sämtliche Umweltsignale werden durch unsere Nervenbahnen gefiltert und im Gehirn interpretiert. Was ist demnach ein Baum? Ein Energiemuster, eine Ansammlung von Teilchen. Unser Gehirn sagt uns Menschen normiert, dass es eben wie ein Baum aussehen muss. Kein Wunder, rührt doch das Standardisieren der Warhnehmung von einem gleichartig aufgebauten Gehirn her. Der Baum reizt unsere Sinne zusätzlich durch Druck (anfassen), durch Schall (Bewegungsgeräusche durch Wind ausgelöst), durch Geruch und sogar auch durch Geschmack (Geruch und Geschmack liegen nahe beieinander).

Ist demnach ein virtueller Baum nur ein halber Baum? Wir erfahren lediglich bei einer digitalen Baumsimulation weder Geschmack noch Geruch, auch kein Druckgefühl durch den Tastsinn. Audiovisuelles ist jedoch vorhanden. Das visuelle Element verblasst etwas, da uns die Größenrelationen fehlen, wenn wir nicht persönlich neben einem Baum stehen und staunen.

Würde man es weiter denken, muss man zum Schluss kommen, dass unser sensorischer Apparat und das Interpretationssystem bei realphysischen Anreizen kompletter und intensiver angesprochen werden. Der Gang durch den Wald oder das vis-a-vis Gespräch mit einem Menschen kann die virtuelle Reizwelt noch nicht adäquat abbilden. Schon alleine das Kommunizieren via Text fällt uns schwer. Wir sind zwar seit Jahrhunderten darauf trainiert worden, Texte zu verfasen und auch zu lesen, doch der Aufwand erscheint immens hoch. Im Vergleich zu einem Echtzeitgespräch mit einem Menschen, die sich gegenüber sitzen. Nicht nur der digital konstruierte Interpretationsapparat scheint extrem stockend zu sein. Ich habe keine Zahlenwerke dazu, aber wenn ich raten müsste, würde ich vermuten, dass rund 1.000.000x an sinnlichen Informationen im realen Gespräch übertragen werden, gegenüber einem rein digitalen Gespräch in der gleichen Zeiteinheit. Obwohl mehr Informationen übertragen werden, dürfte die Verarbeitung der Informationen flüssiger, kompletter erscheinen (Unterbewusstsein, konditionierter Sinnesapparat).

Trotz dem Mangel an Sinnen, die die Digitale konstruieren und ansprechen kann, bin ich davon überzeugt, dass Menschen lernen und sich anpassen. Ich weiß allerdings nicht, wie wir digitale Informationen verarbeiten werden in Zukunft. Statt Informationen wie im realphysischen Bereich massiv auszublenden und auszufiltern, dürften wir wohl zunehmend Informationslücken (bedingt aus dem Mangel an Sinnesinformationen) interpolieren, sprich Lücken mit angenommenen Informationen auffüllen.

Wir tun das bereits heute: Wir können einen Text je nach Emotion freundlich oder aber unfreundlich interpretieren. Lacht der Sender oder ist der Sender böse? Auch können wir sogar vermeintlich ein Bild von der Person herstellen. Erstaunlich, und das nur mit bloßen Textinformationen. Das scheinen wir relativ schnell nach der Erfindung der Buchstabensuppe erlernt zu haben. So logisch ist das nicht. Es zeigt aber eindeutig auf, dass wir in der Lage sind, bei einem Mangel an kompletten Sinnesinformationen Lücken auszufüllen, eine fantasische Fähigkeit. Diese Fähigkeit dürfte mit der Zeit zunehmen.

So habe ich keine echte Antwort, wie auch, ob wir virtuelle Kommunikation irgendwann als vollwertig wahrnehmen werden. Klar ist mir nur, dass wir dazu in der Lage sind, da unser Interpretationsapparat auch diese Fähigkeit mitbringt. Es hat uns schließlich dazu gebracht, dass wir als Lebensform die Umwelt anpassen können. Wir können Dinge und Zusammenhänge projizieren, seit jeher. Sonst wäre keine Erfindung möglich gewesen. Warum sollte das nicht auch für menschliche Kommunikation in allen Bereichen gelten?

Was bedeutet das aber für uns? Für unsere Werte? Für unser Bild von der Welt und von Menschen? Werden wir weitaus besser mit einem Mangel an Sinnesinformationen umgehen können, damit weitaus besser Menschen aus wenigen Bruchstücken an Informationen verstehen lernen? Alleine die Vorstellung, dass wir digital bestimmte Kommunikation womöglich als vollwertig betrachten, dürfte erhebliche, soziale Folgen haben. Nicht nur im Sinne einer Freundschaft. Auch im politischen Sinne, wenn es um Wirkkräfte von Ideen und Vorstellungen geht. Facebook ist ein Scheißendreck (sorry für den drastischen Begriff) dagegen, wenn es politische Aktivitäten via Netz gehen wird. Ohne es zunächst bewerten zu wollen. Aber die Sprengkraft der Bedeutung dieser schleichenden Entwicklung – als Mensch im Zusammenspiel mit Maschinen – dürfte für unsere komplette Zivilisation weitaus größer als bisher gedacht sein bzw. als es mir bis jetzt klar gewesen ist.

Maschinen verändern uns. Statt gemeinsam allein, müsste es dann nicht auch heißen, alleine mit der Maschine gemeinsam? Auch, wird die Maschine ein echter Freund sein? Selbst das ist vorstellbar. Immerhin bauen wir Maschinen nach unserem Abbild, was das Interpretieren von Informationen angeht.