gestern Nacht hat mich Jens aka Pottblog.de via Twitter darauf hingewiesen, dass meine Haltung zum JMSTV falsch und sogar gefährlich sei. In seinem Blog-Beitrag hat er seine Standpunkte dargelegt:
Warum Udo Vetter und Robert Basic sich in Sachen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) und die Auswirkungen auf Blogs irren. Wir haben ausgemacht, das über einen weiteren Blog-Artikel abzuhandeln. Statt über eine Reihe von Tweets. Primär und vorab: Mir geht um die Auswirkungen auf die Blogger als publizierende Akteure, Inhalte zu verbreiten. Was bedeutet das neue JMSTV für sie? Zunächst zu Jens Artikel.

Der Artikel basiert im Wesentlichen auf folgenden Aspekten:
1. Das JMSTV sei in höchstem Maße interpretationsfähig, keine klaren Aussagen, was Unsicherheit bei den Betroffenen erzeuge
2. Das befördere generell die Abmahnrisiken und zugleich Angst vor Abmahnungen
3. Die geplante Alterskennzeichnung wird dazu führen, dass Filtersoftware (für Kinder/Jugendliche) alle Seiten aussperren werde, die keine derartige Kennzeichnung vornehmen. Faktisch ergeben damit Zwänge zur Kennzeichnung, es sei eben nicht freiwillig
4. Die Alterskennzeichnung sei nicht zuverlässig vorzunehmen, das erhöhe das Abmahnrisiko, da man falsch einstufen würde
5. Die Provider werden dazu gezwungen werden, die Filtersoftware zentral einzusetzen, was faktisch einer vollwertigen Zensurinfrastrukur gleichkäme

Selbstverständlich ist Jens politisch motiviert, seine Vorstellungen über das JMSTV und seine grundsätzliche Haltung zum Thema Jugendschutz kundzutun, was absolut sein gutes Recht ist. Sein Ziel ist, die Ratifizierung des JMSTV zu Fall zu bringen. Dementsprechend verhält es sich mit seinem Argumentationsmuster.

Um es deutlich zu sagen, ich habe gegen Jens Vorstellungen nichts einzuwenden, da ich sie respektiere. Ich würde mir jedoch wünschen, dass man – wenn man schon informiert – das so tut, dass sich Interessierte selbst ein Bild von der Sachlage machen können. Indem man die Bewegggründe und ursächlichen Logiken aller Seiten schildert. Zu einseitige und interessensgetriebene, aber auch unscharfe Argumentationsmuster tragen gesamtheitlich zur Verunsicherung der – um die es mir speziell geht – Blogger bei. Das kann ich nur ablehnen, was sonst.

Die aufgrund einer ganzen Arie von Abmahnserien schon lange verunsichert sind, wie und was man schreiben soll, ohne irgendeiner juristischen Dumpfbacke aufzusetzen, die nur die Abmahnkeule kennt statt das Gespräch zu suchen. Zurück aber zum JMSTV.

Was wissen wir sicher?
1. Der JMSTV 2 wird nur dann Gesetz, wenn alle Landesparlamente die Novelle durchwinken (Ziel des Landesregierungen: Ab dem 01.01.2011). Momentan ist das noch nicht erfolgt. Wir sprechen demnach noch nicht von einem gültigen Gesetz. Bis dahin gilt der JMSTV 1 seit dem Jahre 2003.

2. Warum verfolgen die Landesregierungen die Novellierung des JMSTV? Aufgrund vergangener Amoktaten (Stichwort Winnenden und …) kam man zur Überzeugung, dass die Jugend vor Gewalt verherrlichenden Inhalten auch im Netz viel besser geschützt werden müsse. Man hat einen Zusammenhang zwischen Gewaltspielen/Inhalten und der Gewaltbereitschaft von Jugendlichen festgestellt. Woher auch immer diese Vorstellung stammt, sie ist faktisch gesehen eine Triebfeder politischer Entscheidungsträger, da sie ein sehr einfaches Ursache-Wirkung bietet, das sich auch nach außen hin idealerweise gut verkaufen lässt. Man muss dabei untrennbar bedenken, dass man damit dem Wahlvolk gegenüber gute politische Argumente hat, die Jugend zu schützen. Was ist mit möglichen Gegnern eines „verbesserten“ Jugendschutzes? Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Verweigerer – „wir wollen dem Gesetz im Parlament nicht zustimmen“ – mit recht simplen, medialen Mitteln als Förderer jugendlicher Gewalt abgestempelt werden können. Denn wo sonst denn im Internet findet man so „derartig viele böse“ Seiten? Wir wissen nur zu gut, dass diese populistische Vorstellung bei den Wählern auf nur zu fruchtbaren Boden fällt. Jeglicher Versuch, sich einem „supi-dupi“ JMSTV 2 entgegenzustemmen, wird demnach Konsequenzen für die betroffene Partei haben. Es ist daher damit zu rechnen, dass der JMSTV 2 durchgewunken und ab dem 01.01.2011 geltendes Gesetz ist. So ist es auch zu erklären, warum im Netz die Stimmen gegen eine Verabschiedung des Gesetzes besonders laut sind und mit Schreckensszenarien aufwarten, um die Wähler aber auch politischen Entscheidungsträger zu überzeugen.

3. Was sind die Unterschiede zum JMSTV 1 (.pdf) und warum kann man das dem Wähler gegenüber gut verkaufen?
Die Unterschiede zum seit 2003 geltenden JMSTV sind im Grunde marginal, was das absolute Delta angeht. Nur an wenigen Stellen wurden Bestimmungen geändert bzw. ergänzt.

Primär handelt es sich um drei Dinge, die für Blogger wichtig sind:
1. Die freiwillige Alterskennzeichnung wird Seitenbetreibern als dritte (!) Option angeboten. Bis dato gab es seit 2003 die Option 1, die Inhalte nach bestimmten Uhrzeiten geregelt auszuliefern und die Option 2, die Inhalte zugangsbeschränkt unabhängig der Uhrzeit auszuliefern. Wenn sie denn jugendgefährdende Inhalte verbreitet haben.

Im Zuge dessen – und das ist die zweite Neuerung – wird ein standardisiertes System angeblich bis Mitte 2011 eingeführt, das die Alterskennzeichen auslesen können soll. Um was damit zu tun? Die Jugendschutzsoftware soll Kinder/Jugendliche mit Hilfe dieser Angabe davor schützen, Inhalte anzuzeigen, die sie gefährden könnten.

2. Sämtliche Seiteninhaber mit jugendgefährdenden Inhalten und geschäftsmäßiger Ausrichtung sind seit 2003 verpflichtet, einen sogenannten Jugendschutzbeauftragten zu benennen und (!) im Zuge des JMSTV 2 dessen Kontaktdaten ausdrücklich auf der Seite zu platzieren. Wie gesagt, die Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten ist bereits seit 2003 verpflichtend. Auch mit den Ausnahmen, für die Bestellung eines derartigen Beauftragten nicht selbst sorgen zu müssen, wenn sie sich einer Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle anschließen. Neu ist demnach nur und ausschließlich die Angabe der Kontaktdaten.

Wie sieht es mit den Abmahnungen aus?
Die greifen in verschiedensten Fällen, seit 2003 und zuständig ist die jeweilige Landesmedienanstalt bei einem Verstoß gegen das JMSTV, nicht etwa ein geldgeiler Abmahnfutzi. Neu ist durch die Einführung des Alterskennzeichnungssystems die wiederholte (!) Falschangabe eines Alters, die zu einer Ordnungswidrigkeit führen kann. Neu ist nicht, dass sich nun geldgeile Abmahnanwälte auf private Blogger stürzen können, weil – was oft im Netz im Rahmen der Diskussionen kolportiert wurde- sie über den Hebel Wettbewerbsrecht herankommen. Private Blogger stehen nicht im unternehmerischen Wettbewerb. Seit 2003 hat man sich an die Landesmedienanstalt zu wenden, wenn man etwas beanstanden möchte. Daran ändert auch das JMSTV 2 nix.

Besteht ein Zwang zur Alterskennzeichnung?
Njet, als Blogger muss man sich nicht eindüddeln lassen. Scheißegal, ob man gewerblich oder privat bloggt. Man kann auch nicht abgemahnt werden, weil man sich nicht freiwillig gekennzeichnet hat, auf das blödsinnige Argument braucht man sich gar nicht erst einzulassen.

Was ist, wenn ich keine Alterskennzeichnung vornehme?
Oftmals wird angeführt, dass es dennoch ein faktischer Zwang sei, sonst würden die kommenden Jugendschutzsysteme die Seite nicht anzeigen, wenn kein Alterskennzeichen vorhanden ist. Ich weiß nicht, wie die Programme eingestellt werden, was default sein wird. Es ist mir persönlich auch egal, was mein Blog angeht. Wichtig ist nur: Jeder muss selbst wissen und entscheiden, was er wem anbieten möchte. Ich selbst halte es wie folgt: Mir war es schon vorher völlig egal, ob Kinder oder Jugendliche mein Blog nicht aufrufen können, da sie nicht zu meinem beabsichtigten Leserkreis dazugehören. Sollte ich demnach kein Alterskennzeichen anbringen und die Kiddies meine Seiten per se nicht aufrufen können, macht es bei mir keinen Unterschied. Nochmals: Fragt nach, wie die Programme ticken werden und entscheidet für Euch selbst, ob Euch diese Leser wichtig sind oder nicht.

Gehen wir es anhand zweier Beispiele durch:
Blogger A sei gewerblich unterwegs, Blogger B rein privat. Beide entscheiden sich, einen anklagenden Artikel über Kriegsverbrechen zu schreiben. Und sie beide nutzen dazu Bilder mit deutlich erkennbaren Verstümmelungen. Beide sind zugleich extrem gesetzestreu und wollen alles richtig machen. Jegliches Risiko ausschließen im Sinne des JMSTV 2, den man strengstens auslegen möchte.

Blogger A muss was dazu tun, damit alles sauber im Rahmen des JMSTV abläuft? Er muss dafür Sorge tragen, dass er einen Jugendschutzbeauftragten auf der Seite inklusive Kontaktdaten namentlich genannt hat. Und, er hat sich einer Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle angeschlossen, um nicht selbst einen Beauftragten bestellen und bezahlen zu müssen. Jetzt muss er sich noch zusätzlich für eine der drei Optionen entscheiden:
1. Verbreite ich den Inhalt nach einer bestimmten Uhrzeit? Mag ich nicht, da meine Leser eher tagsbüber lesen.
2. Bringe ich eine Zugangsbeschränkung an, die das Alter checkt? Mag ich auch nicht.
3. Bappe ich ein Alterskennzeichen dran? Muss ich dann wohl, denn wenn ich mich für keine der drei Optionen entschließe, kann ich unter Umständen eine Ordnungswidrigkeit begehen.
4. Ich ignoriere den JMSTV 2 wie alle anderen den JMSTV seit 2003 mehr oder minder in leichten bis mittelschweren Fällen ignoriert haben. Aber das will ich nicht, ich bin ja so gesetzestreu.

Blogger B muss was tun? Der Beauftragte ist wurst, den braucht er nicht. Aber, er muss sich für eine der drei Optionen entscheiden. Er wählt die Option 3. und ist safe. Es sei denn, er hat als Alter 6 Jahre angegeben. In dem Fall meldet sich fünf Sekunden nach Veröffentlichung die Landesmedienanstalt bei dem völlig unbedeutenden Blogger und mahnt an, dass das Alterskennzeichen falsch gesetzt sei. Man möge es bitte nach oben setzen. Der Blogger ist leider zu doof und macht es dreimal falsch. Die Landesmedienstalt verdonnert den mittellosen Blogger zu 50 Euro.

Was war bisher mit dem JMSTV?
Nochmals, immer wieder betonend, es geht um Blogger. Wir haben mehr oder minder den gesamten Schrott ignoriert. Wir haben weder gefragt, wie es bisher die Jugendschutzprogramme gehalten haben, ob wir auch die lieben Kinder und Jugendlichen mit unseren Artikeln schädigen oder nicht. Wir haben es nach Gusto und ich bin sicher nach bestem Bauchgefühl getan. Wir haben auch nicht gefragt, wie der Jugendschutzkkram in Windows XP, Windows Vista und Windows 7 eigentlich funktional vorgeht, welche Seiten sie anzeigen und welche nicht, wenn es um unsere Blogs geht. Das ist die eine Seite der Medaille seit 2003. Warum aber?

Das ist recht simpel: Der Staat hatte bisher nie die Ressourcen, das Netz nach den Inhalten so feingranular zu durchkämmen, um seinen Pflichten im Sinne des Gesetzes nachzukommen. Nur in eklatanten Fällen gab es natürlich Stress, allerdings betraf uns Normalo-Blogger sowas nicht. Nazi-Blogger bis hin zu Porno-Bloggern sehen das natürlich anders, zurecht. Insofern kam es auch nie breitenwirksam zur Sprache auf Blogs, dass hier irgendwas im Argen liegt. Das JMSTV wurde einfach außerhalb der Extreminhalte ignoriert und alles war gut.

Was wird sich mit dem JMSTV 2 demnach ändern?
Der Staat ist natürlich nicht dumm. Attentat? Ursache? Aha! Maßnahme? Wirkung? Ok. Gut zu verkaufen? Yes. Beamten belasten? Nope. Automatisch ist cool und super, die Lösung! Und genau das wurde auch von einem von mir bereits genannten Institut bestätigt: Wenn der Staat nicht genügend Ressourcen hat, könnte man doch ein System einführen, das eben feingranular dafür Sorge trägt, dem Gesetz gerecht zu werden. Man hat sozusagen ein Outsourcing-Verfahren mittels dem freiwilligen Alterskennzeichnungssystem gefunden. Die Blogger – nebst der größeren Gesamtmenge an Seitenbetreibern – tragen freiwillig dazu bei, dass böse Inhalte vor Jugendlichen geschützt werden. Was könnte der Staat überspitzt denken? Seht her, unsere Bürger machen mit und wir finden das alle gemeinsam toll, schützen zusammen Hand in Hand die Jugend. Vorgehaltene Hand: Wir haben kein Personal für den Scheiß, alles buchstabengetreu umzusetzen, aber wir können es dem Wähler gut verkaufen, dass wir was machen. Außerdem haben wir noch ganz andere Probleme, die viel dringlicher sind und wir müssen unser Budget dafür schonen. Wenig Einsatz, viel Wirkung mit einem outgesourcten, freiwilligen Anti-Attentats/Gewalt System. Mehr ist hinter der überzeichneten, politischen Formel auch nicht dahinter, wenn man es logisch hinterfragt. Eigentlich nicht dumm, die Politik. Eine Mischung aus echtem Interesse an der Jugend und den beschränkten Etat-Möglichkeiten. Zusätzlich war der Gedanke, dass mit Einführung des freiwilligen Systems ein gesellschaftlicher Diskurs angeregt werden soll, wie man nun Jugendliche und Kinder auf einen guten Kurs bringen kann. Was kann man fixen, wo wir als Politik nicht viel tun können? Richtig, andere mitdenken lassen. Auch das ist wohl bisher gut gelungen :)

Und wer sich dieser Freiwilligkeit nicht anschließt, keine Alterskennzeichen zu setzen und weiterhin wie bisher über Gott und die Welt bloggt? Wer nun glaubt, dass mit dem Outsourcing-Griff der Staat auf einen Schlag auf einmal doch genügend Ressourcen hat, Inhalte manuell feingranular zu scannen, irrt selbstverständlich. Um es drastisch zu sagen: Gegenüber dem JMSTV 1 ändert sich nichts, was nicht zuvor schon Fakt gewesen ist. Es bleibt alles so wie beim alten System im Grunde.

Jugendschutzsoftware im Speziellen
Wir bekommen möglicherweise ein System mittels der Jugendschutzsoftware, was da heißt: Zeige keine Inhalte an, die kein Alterskennzeichen haben. Das wäre das eine Extrem. Ist dem so? Mitnichten! Alle bisherigen Anbieter pflegen sogenannte Black- und Whitelisten. Listen von Webseiten, die angezeigt oder eben nicht angezeigt werden. Hinzu kommen nun ab Mitte 2011 weitere Informationen, um die Programme zu füttern. Am Grundprinzip der Ausschluß- und Anzeigekriterien ändert sich im Grund genommen nichts, wie rigoros die Programme eingestellt sind. Als Blogger sollte man nachhaken und verfolgen, was die Programmanbieter tun, welche Anzeigekriterien sie haben. Und wer das neuerdings jetzt möchte, seit 2003 ignoriert hat: Fragt nach, ob Euer Blog angezeigt wird oder nicht. Steter Tropfen höhlt den Stein. Ich werde demnächst einige Anbieter zu Wort kommen lassen, um auch dieses Thema aufzuklären, wie es wirklich aussieht, zu Hause und in den Schulen.

Abschließend
Leider Gottes muss man als Blogger nicht nur erneut erfahren, dass der Staat Schwachsinn aufgrund politischer Rationalitäten und merkwürdig anmutender Annahmen verfolgt. Natürlich wird das JMSTV 2 durchgehen, so oder so. Der Druck ist zu groß, die Gefahr für Verweigerer viel zu groß. Auch muss man lernen zu verstehen, dass Blogger insbesondere im politischen Bereich oftmals Argumente bewusst verstärken, statt die Sachlage neutral darzustellen, damit jeder Interesssierte die Chance hat, sich selbst ein Bild als publizierender Blogger zu machen, aber auch seine eigene politische Meinung zu bilden. Leider setzen sich viele Blogger aus empfundenen Abmahnrisiken und der oftmals vorgetragenen Lautstärke von Sachlagen heraus selbst unter Druck und lassen sich Angst machen. Fragt Euch immer, wer was bezweckt und warum er etwas wie schildert. Das gilt nicht nur gegenüber uns Bloggern, sondern auch gegenüber Politikern.