Da ich mich dafür interessiere, wo der neue JMStV herrührt, habe ich etwas herumgefragt und via Facebook den Hinweis bekommen, dass an der Neuauflage Martin Stadelmaier (SPD) maßgeblich beteiligt gewesen sei. Stadelmaier ist Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei des Landes Rheinland-Pfalz. Zudem ist er Mitglied folgender Gremien: Vorsitzender des Vorstands des Mainzer Medieninstituts, Mitglied des ZDF-Fernsehrats, Mitglied des Beirats der Bundesnetzagentur.
Ziel:
Ich will in diesem Beitrag versuchen aufzuzeigen, wo das Gesetz herkommt und was die Gründe für einzelne Regelungen sind. Selbstverständlich ist es wichtig und richtig zu verstehen, wie etwas zu Stande kommt. Wer sich die einzelnen Steps nicht antun möchte, möge gleich ans Ende zur Zusammenfassung springen ;) Und Ergänzungen wie auch Korrekturen sind willkommen. Es ist schließlich nicht gerade leicht, sich an eine Ursache-Wirkung Recherche zu machen, da ich weder ein politisch aktiver Dauerabonnent bin noch einen Überblick über die Strukturen habe geschweige denn die politischen Gedankenstrukturen der agierenden Personen kenne.
Quellen:
Die Quellen/Verursacher-Suche führte mich zu der Seite des Landes Rheinland-Pfalz, genauer gesagt zur Medienseite. Im Bereich Medien/Medienrecht finden sich einige Dokumente zu dem ganzen Themenkomplex.
Welche Dokumente habe ich gefunden?
– „Zur aktuellen Debatte um den Jugendmedienschutzstaatsvertrag“ (Link, .pdf)
– „Häufige Fragen zur Novellierung des Jugendmedienschutzstaatsvertrags“ (Link, .pdf)
– „Schriftliche Stellungnahmen zum Arbeitsentwurf zur Änderung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages“ (Stand: 7. Dezember 2009), (Link, Sammlung von Stellungnahmen versch. Organisationen)
Auszüge
Beschäftigen wir uns mit den Inhalten der Dokumente. Hierzu habe ich einige Auszüge vorgenommen, die die Novellierung begründen.
Dazu einige Auszüge aus „Häufige Fragen zur Novellierung des Jugendmedienschutzstaatsvertrags“
(Stand: 26.04.2010)
Warum die Novellierung
Die Novellierung basiert zum Einen auf einer Evaluierung des JMStV durch das Hans-Bredow-Institut, zum Anderen auf einem Auftrag der Ministerpräsidentenkonferenz auch anlässlich des Amoklaufs von Winnenden und Wendlingen an die Länder einen Novellierungsvorschlag für 2010 vorzulegen.
4. Sieht der Entwurf für die Überarbeitung des JMStV eine verpflichtende Alterskennzeichnung von Internetangeboten vor?
Nein. Vorgesehen ist die Einführung einer freiwilligen Alterskennzeichnung. Die Altersstufen (0, 6, 12, 16, 18 Jahre) werden hierfür aus dem geltenden Jugendschutzgesetz übernommen. Dadurch entsteht ein nutzerfreundliches, alle Medien umfassendes Alterskennzeichnungssystem. Diese freiwillig vorgenommene Alterskennzeichnung sollen anerkannte Jugendschutzprogramme auslesen können.
6. Welche Hilfestellung wird es geben, ein Internetangebot richtig zu Kennzeichnen?
Durch die anerkannten Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle soll ein sogenanntes Selbstklassifizierungssystem bereitgestellt werden. Das ist ein elektronisches System, das den Anbieter durch einen Katalog jugendschutzrelevanter Fragen, die mit Ja oder Nein zu beantworten sind, führt und als Ergebnis ein Alterskennzeichen für das Angebot erstellt. Dadurch soll jedem Anbieter die freiwillige Alterskennzeichnung ermöglicht werden.
Derjenige, der sein Angebot freiwillig mit einer Altersstufe kennzeichnet, und sich dazu eines Selbstklassifizierungssystems einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle bedient, darf nicht mit einem Bußgeld belegt werden, wenn das System eine zu niedrige Alterskennzeichnung ausgeworfen hat, ob wohl der Nutzer dieses ordnungsgemäß bedient hat.
11. Wird Betreibern von Foren, Chats oder Social Communities durch die Überarbeitung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages die Haftung für Inhalte von Dritten auferlegt?
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Anbietern von Foren, Blogs und Chats soll aber auch die Möglichkeit einer freiwilligen Kennzeichnung ihrer Angebote eröffnet werden. Wer diese Möglichkeit nutzt, muss dafür Sorge tragen, dass sein Angebot keine Inhalte enthält, die für die Altersstufe, mit der das Angebot gekennzeichnet ist, entwicklungsbeeinträchtigend ist.
Aus dem Dokument „Zur aktuellen Debatte um die Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages“
Die gegen die Novellierung vorgebrachte Kritik ist sachlich unzutreffend:
a) Transparentes Verfahren unter Beteiligung aller betroffenen Verbände und Organisationen:
– verschiedene Entwürfe wurden im Internet veröffentlicht
– Anhörung und Veröffentlichung aller Stellungnahmen
– weitere Gespräche im Rahmen des Runden Tisches zu Jugendschutzprogrammen
b) Keine Zensur – keine Zensurinfrastruktur
c) Keine Abweichung vom Haftungsregime des Telemediengesetzes
d) Keine Kennzeichnungspflicht, sondern eine zusätzliche Option
Oben war die Sprache vom „Hans-Bredow-Institut“, das den Entwurf evaluiert habe. Hierzu wurde folgende Stellungnahme veröffentlicht (Link, .pdf, 20.01.2010)
Ergebnis in Bezug auf den JMStV war (kurz gesagt), dass die Akteure in einem neu modellierten System regulierter Selbstregulierung nach anfänglichen Reibungen zunehmend in ihre Rollen gefunden haben. Dennoch hat die wissenschaftliche Evaluation einige größere und vielfältige kleinere Punkte identifiziert, die einem kohärenten Jugendschutz und dessen Vollzug in der Praxis entweder im Wege stehen, oder diesen zumindest optimierbar erscheinen lassen.
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Die Modellierung des Ordnungskonzeptes des JMStV als ein System regulierter Selbstregulierung folgte 2003 der Erkenntnis, dass dadurch in besonderer Weise staatliche Aufsicht und gesellschaftliche Selbstregulierung in einen Austausch über Jugendschutzfragen treten, der eine effiziente und effektive Durchsetzung ermöglicht, ohne dabei staatliche Akteure zu überlasten, verfassungsrechtlich determinierte Schutzpflichten des Staates aufzugeben und dem Staat zurechenbare Vorabkontrollen zu etablieren, welche dem Zensurverbot widersprächen.
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Im Fokus der vorgeschlagenen Novellierung stehen der Ausbau und die Konkretisierung der Anbieterkennzeichnung, die Neufassung der Regelungen der die Kennzeichnungen nutzenden Jugendschutzprogramme sowie der Eintritt der im Rahmen von § 14 Abs. 6 JuSchG etablierten Selbstkontrollinstitutionen. Diese Themen stellen Kernbereiche des JMStV dar, ihre Anpassung an identifizierte Problemlagen sind insoweit richtige und wichtige Schritte. Bedeutende andere Bereiche des Ordnungsrahmens sind dagegen – überraschenderweise – unangetastet geblieben, so etwa die weiterhin fehlende Kompetenzzuweisung bei der Anerkennung von Zugangssystemen und dem Festhalten an dem seit Jahren umstrittenen Anbieterbegriff. Diese können – sollte dies in diesem Reformanlauf politisch nicht mehr durchsetzbar sein allerdings in einer zukünftigen Anpassung thematisiert werden.
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Insgesamt führt die Einführung von JMStV-Kennzeichen zwingend zu einer absoluten Vermehrung staatlich anerkannter bzw. vorgegebener Alterskennzeichen für Medien – mit allen Nachteilen für die Nutzer, die mit noch mehr „Siegeln“ arbeiten müssen. Damit einher können auch praktische Fragen einhergehen, etwa die Frage von Kennzeichenwechseln und -übergängen in hybriden Medien. Diese Problematik gilt es im Auge zu behalten.Auffällig – und möglicherweise früheren Entwürfen geschuldet – ist die Bezugnahme von Ordnungswidrigkeitstatbeständen des Entwurfs auf Bewertungs- und Kennzeichnungsaktivitäten im Rahmen von §§ 5 und 12 JMStV-E. Da die Anbieterkennzeichnung rein freiwillig ist, erscheint es systematisch falsch, Anbietern mit Verfahren zu drohen, die auf freiwilliger Basis überhaupt Kennzeichnungen vornehmen, während Anbieter, die sich nicht daran beteiligen, nichts zu befürchten haben.
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Das Institut resümiert ziemlich heftig:
Einer der gewichtigsten Kritikpunkte der wissenschaftlichen Evaluation war die kompetenzbedingte Spaltung des deutschen Jugendmedienschutzes in JuSchG und JMStV, das an vielen Stellen wie den Anwendungsbereichen, Schnittstellen, Übergabe- und Übernahmepunkten nicht auf konvergente Medienumgebungen eingestellt erscheint. Die jetzigen Lösungsversuche stellen zwar den Versuch dar, die Systeme besser aufeinander zu beziehen und Übergabepunkte expliziter zu machen – eine echte Vision für die mittel- und langfristige Entwicklungsrichtung des Jugendschutzes, die sich an der Medienwirklichkeit orientiert, fehlt aber weiterhin. Dabei ist ein solcher gesamtsystemischer Pfad die einzige Möglichkeit, die „ungleichen Schwestern“ JuSchG und JMStV in ein effektives Gesamtsystem zu überführen.
Zusammenfassung
1. Auslöser zur Novellierung war demnach ein Auftrag „der Ministerpräsidentenkonferenz auch anlässlich des Amoklaufs von Winnenden und Wendlingen an die Länder einen Novellierungsvorschlag für 2010 vorzulegen„. Das scheint klar. Hintergrund der Amokläufe? Es wurde damals intensiv über den Medienkonsum („Gewaltspiele, Gewaltfilme, …“) diskutiert. Dies – der neue JMStV – scheint demnach im Zusammenhang mit den Amokläufen zu sehen.
2. Die Alterskennzeichnung soll durch ein soll ein sogenanntes „Selbstklassifizierungssystem bereitgestellt werden„. Ein System, das am Ende eine Jahreszahl ausspuckt und vor Bußgeldern angeblich „immunisiert“. Irre…
3. Es besteht keine Kennzeichnungspflicht, es beruhe lediglich auf Freiwilligkeit. Warum? Der Gedanke der freiwilligen Selbstkontrolle wiederum beruht auf dem Gedanken der „Erkenntnis, dass dadurch in besonderer Weise staatliche Aufsicht und gesellschaftliche Selbstregulierung in einen Austausch über Jugendschutzfragen treten, der eine effiziente und effektive Durchsetzung ermöglicht, ohne dabei staatliche Akteure zu überlasten…„.
4. Agieren mit oder ohne Plan?
Das Hans-Bredow-Institut spricht einen systemimanenten Punkt an (Quelle s.o.), der möglicherweise die Irritationen erklärt: „eine echte Vision für die mittel- und langfristige Entwicklungsrichtung des Jugendschutzes, die sich an der Medienwirklichkeit orientiert, fehlt aber weiterhin„.
30.11.2010 um 17:42 Uhr
Es ist doch arg zynisch, von ‚freiwilliger‘ Selbstkontrolle zu sprechen, wenn die Alternative eine faktische Schließung des Angebots ist. Zumal die ‚freiwillige‘ Selbstkontrolle nur durch bestimmte externe Stellen erfolgen kann (SELBSTkontrolle?), und das Ganze auch noch einen Haufen Geld kostet.
Ich werde das Gefühl nicht los, dass hier der Print gerettet werden soll. Blogger beispielsweise schreiben nämlich, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, und lassen sich nicht instrumentalisieren.
Denn wer mal versucht, objektiv an die Sache heranzutreten, dem stellt sich zwingend die Frage, warum beispielsweise die BILD weiterhin Titten und Leichen posten darf, und dem Spuk nicht unterliegt.
Vielleicht wurde da aber auch einfach wieder einmal jemandem ein Geschenk gemacht. Ein teures, wohlgemerkt.
30.11.2010 um 18:11 Uhr
Eine sehr schöne Zusammenfassung, die zeigt, dass der Entwurf nicht ganz ausgegoren ist. Was man vielleicht noch anmerken sollte, dass dank der Klassifizierung, die Erotikanbieter (alles außer Porno) sich ab jetzt einfach ein „ab18“-Kennzeichen „drauf pappen“ können und sonst um keine Zugangsschranken wie bisher kümmern müssen.
Warum?
Weil der Gesetzgeber, m.E. blauäugig, davon ausgeht, dass Eltern diese ominöse Jugendschutzsoftware installieren werden und so den Jugendlichen den Zugang zu diesen Inhalten verwehren.
Sprich, das Gesetz verlagert die Verantwortung von kommerziellen Anbietern auf die Eltern. Wäre es nicht klüger gewesen alles beim Alten zu belassen und mehr in die Aufklärung der Eltern bestehende Jugendschutzsoftware zu nutzen, zu investieren?
30.11.2010 um 18:39 Uhr
Und Robert, hast Du auch Eine ONLINE-PETITION DAGEGEN schon ausfindig machen können?
30.11.2010 um 18:56 Uhr
Danke für eine solide Recherche. Wollte den Ursprüngen auch schon auf den Grund gehen, allerdings habe ich das zugunsten der Freizeitgestaltung bislang verschoben… Beste Grüße
30.11.2010 um 19:59 Uhr
Ist doch sehr hart, wenn man sieht, woher das Ganze herrührt und wie es jetzt umgesetzt wird. Meines Erachtens haben Idee und Umsetzung recht wenig miteinander zu tun.
30.11.2010 um 22:10 Uhr
Sokrates und Jugendschutz, goo-glen, da fings an.
Der Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter meint im übrigen dazu:
http://www.fsm.de/de/jmstv-2011