Ich weiß nicht, mein Chef kam heute Morgen zu mir herein und meinte, „wir sollen was im Netz machen, Social Media und so„. Dann war er wieder weg. Scheint wohl eines dieser Management by Helikopter-Tage zu sein. Scheiße, ich muss den Kopf hinhalten, während er sich den Lenz macht. Was ist das überhaupt?

Erstmal Professor Wikipedia fragen, bevor wir uns von der Werbeagentur vollsülzen lassen, kann ja nicht schaden und kostet nix! Lass sehen, was dazu steht, aha!

Als Social Media (auch Soziale Medien) werden Soziale Netzwerke und Netzgemeinschaften verstanden, die als Plattformen zum gegenseitigen Austausch von Meinungen, Eindrücken und Erfahrungen dienen.

Beispiele für Social Media-Anwendungen:
– Kommunikation: Weblogs, Mikroblogging, Soziale Netzwerke, Social Network-Aggregatoren, Event-Portale, Newsgruppen/Foren, Instant Messenger
– Kollaboration: Wikis, Social Bookmarks / Social Tagging, Bewertungsportale, Auskunftsportale
– Multimedia: Foto-Sharing, Video-Sharing, Livecasting, Audio-/Musik-Sharing
– Unterhaltung: Virtuelle Welten, Online-Spiele

Social Media ist also alles das, was wir außer unserer Homepage nicht haben. Hach, letzte Woche meinte mein Chef zu mir, wenn die Kunden uns vorschreiben, was wir machen sollen, sind wir übermorgen pleite. Die haben keinen blassen Schimmer, kennen nur billig und wollen die beste Qualität. Mit solchen inkompetenten Pappnasen sprechen? Ja, das war seine Meinung! Nun soll ich diesen heißen Scheiß „soziale Medien“ machen.

Ok, egal, Chef ist Chef. Lass sehen, was wir noch wissen müssen. Ah… der Jounalisten-Fuzzi vom BesserWisserWerber-Verlag sagt:

Ein Marketer muss nicht twittern, er muss nicht einmal selbst bei Facebook sein. Schön, wenn er das tut. Doch das Management des Wandels ist keine Frage von Tools und Features.

Schon mal gut zu wissen, dass wir alle ahnungslos sein können, wir alle sind Chef. Nur, dass mein Chef fürs Unwissen besser bezahlt wird als ich für mein Wissen. Irgend etwas mache ich falsch.

Siehe da, was der Pressemensch sonst noch schreibt:

Es geht in erster Linie um das Verständnis und einen kulturellen Wandeln im Unternehmen. Das Marketing muss sich die Schuhe des Kunden anziehen, wenn es ihn verstehen will. Es muss sich davon befreien, den Kunden nur als anonyme Zielgruppe zu sehen, der man eine Ware aufschwatzt. Das Unternehmen muss ein Problemlöser für die Menschen sein und Verständnis für die Bedürfnisse des Kunden haben.

Neee, von diesem Wünschelruten-Geschwätz bekomme ich Pickel. Ich ruf jetzt die Werbeagentur-Heinis an.
Hallo, Markus, hör mal, mein Chef will einen auf Social Media machen, habt ihr davon Ahnung?„… „Ihr habt voll die Ahnung? Das ist nicht gut, bekommt halt weniger Kohle dafür, Chef-Prinzip und so.. hehehehehe!„.. „Was, echt, ihr habt schon Social Media Pakete geschnürt, einfach die Guidelines auspacken und Mitarbeiter einnorden, dazu Facebook Page Bundles, Twitter-Accounts und als Bonus ein Blog, wenn man A und B nimmt?„…“Ok, hört sich gut an, kommt vorbei und zieht eure Präsi-Show ab, nicht, dass ihr das aber in Rechnung stellt, hörste?„…“Ach ja, noch was, kann man das Dialogpaket bitte streichen, zu viel Arbeit und so. Lass das mal stecken. Bring die 10 Jahre alte Coupon-Idee mit, reicht stattdessen. Glasperlen-Media… ich sollte Glasperlen-Media Berater werden, Markus, komm. Gute, bis dann!

Dann rief ich noch 4 weitere Agenturen an, gleichen Gespräche, schauen wir, wer am Ende der Billigste wird, neues Spiel, Ende gleich. Die erzählen eh allen den gleichen Käse, „alles aus einer Social Media Hand“, „SM Lifecycle“, „Brand Reputation“ und „Dialog-Orientiertes-Scoring“. Wirklich Ahnung haben die auch nicht, was das alles sein soll und wozu, wenn ich ehrlich bin. Professor Wikipedia war da am schlauesten. Hirnloses Empfehlen von bisschen Facebook hier, bisschen Twitter dort, bisschen Bloggen da, manchmal auch Youtube = a+b+c+d = SM oder was? Mir egal, solange mein Chef den Käse abnickt und ich meinen Arsch behalte.

Am Abend kam mein Chef wieder rein und meinte, ob ich was gemacht hätte. Ich so „wir sind schon halb Social und voll Media„. Er so „Ich wollt dich nur erschrecken, war ein Spaß, weitermachen„, Tür zu und weg war er.
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Übersetzung für Theoretiker:
– Social Media ist lediglich eine Worthülse
– Dienstleister bieten Unternehmen Tool-Leistungen, definieren dies als das „SM-Ding“
– wirklich verstanden haben „sie das Leben im Netz“ nicht, sie imitieren lediglich die Angebotsstrategien der Wettbewerber und spiegeln die Anfragen der Kunden
– wenn laut Schumpeter alle gleich „gut“ (=mies) im ökonomischen Sinne agieren, fühlen sich alle gut, sie merken es demnach nicht, wie schlecht sie sind
Olaf Kolbrücks Posting ist ein artikel-gewordener Repräsentant dieser Haltung, im Grunde stümperhaft aber nach etablierten Angebots-Automatismen vorzugehen
– eine echte Handelsschule bzw. betriebswirtschaftlich fundierte Beschäftigung mit den Auswirkungen und Wirkweisen von Informationsarchitekturen gibt es für angehende Kaufleute leider noch nicht
– die jetzige Phase im Wechselverhältnis Wirtschaft – Internet kann man immer noch als zufallsgetriebene Experimentierphase bezeichnen