die TAZ hat einen Artikel veröffentlicht, der sich mit weiblichen Bloggern beschäftigt: „Wie im echten Leben„. Vieles, was ich dort lese, kann ich aus eigenen Erfahrungen über zahlreiche Gespräche mit weiblichen Bloggern aus den vergangenen sieben Jahren bestätigen. Eines habe ich vor allen Dingen immer wieder gehört:
Eine Studie der Ruhruniversität Bochum zeigt, dass 75,9 Prozent der Blogs, die Frauen schreiben, reine Tagebuchblogs sind. Bei den Männern sind es dagegen nur 37,1 Prozent. Zu diesem Schluss kommt auch der empirische Kulturwissenschaftler Klaus Schönberger in seiner Untersuchung „Doing Gender, kulturelles Kapital und Praktiken des Bloggens“: „Frauen fühlen sich seltener ermächtigt, öffentlich zu sprechen“, sagt er. „Das ist das Ergebnis jahrelanger kultureller Prägung.“ Er nennt das den „langen Arm des Real Life“: Tatsachen von außerhalb des Netzes reproduzieren sich auch dort.
In der Art habe ich es mir bisher nicht so erklärt. Die häufigste Argumentation ging in meinen Gesprächen in die Richtung „was soll ich noch dazu sagen, wenn man auf anderen Blogs sowieso schon alles geschrieben hat?“.
Was ist Eure Erfahrung dahingehend? Denkt Ihr auch, dass weibliche Blogger aufgrund der „kulturellen Prägung“ davor zurückscheuen, „öffentlich zu sprechen“? Wäre in der Tat – wie soll ich sagen – traurig, wenn dem so wäre.
19.08.2010 um 13:34 Uhr
Hallo Robert,
heikle Frage, auf die man nicht nur schwarz-weiß antworten kann.
Ich spreche in erster Linie mal für mich selbst und da kann ich der These oben nicht zustimmen. Bin sogar teils selbst angenervt von immer wiederkehrenden Blogs die nur darüber berichten „das hab ich mir bei H&M gekauft und mich selbst damit in der Umkleide fotografiert“.
Es gibt sehr wohl auch weibliche Blogs, die sich mit relevanteren Themen zu Kultur, Technik, Veranstaltungen, Trends an eine breitere Masse wenden und auch den Dialog und die Diskussion suchen.
Wir mit unsrem Blog http://www.mycitysecret.com/blog/ suchen uns aktuell relevante und brisante Themen raus, die den Meinungsaustausch anregen und nicht nur unsere eigenen „Lebenserfahrungen“ berichten.
Davon gibt es Gott sei Dank auch noch andere und ich hoffe, sie werden auch weiterhin gelesen.
Liebe Grüße
Greta
19.08.2010 um 13:45 Uhr
Als über 40jährige Frau, die sich selbst immer ermächtigt hat öffentlich ihre Meinung zu vertreten kann ich zumindestens sagen, dass das viele – Männer und Frauen – verwundert und auch nicht nur positive Reaktionen hervorruft.
Ein Freund in meinen 20ern meinte warum ich das denn nötig hätte, ich sei „doch eh so hübsch.“
Anfang 30 war ich in den USA und „in awe“ & super-neidisch auf die rhetorisch geschulten, schnoddrigen, selbstbewussten Informatik-Kolleginnen (kleines i) mit Anfang 20.
Mindestens ein Mann hat mich (so formuliert) verlassen, weil ich „da so öffentlich“ auftrete (Bloggen 1.0 das war in 2003).
39 hab ich werden müssen im mich in einem Netzwerk von „girl geeks“ ein wenig normaler zu fühlen.
Bei mir hat die Sozialisation nicht gewonnen, aber hätt ich weniger Mut, Möglichkeiten und ADHS-induzierte Impulsivität, hätt ich’s vielleicht wieder gelassen.
Fazit: ja das liegt gesellschaftlich noch viel im argen. Aber wichtiger find ich alle anderen Frauen, die ihre Stimme finden (wollen) zu unterstützen, in Netzwerken und in Kommentaren etc.
19.08.2010 um 16:00 Uhr
Meine Erfahrung ist, das andere Frauen nicht nur nicht öffentlich sprechen wollen, sie kommentieren auch nicht öffentlich in Blogs. Eine Freundin schreibt mir ihre Kommentare immer als Mail. Ich ermunterte sie, ihre Kommentare in mein Blog zu schreiben, sie macht es nicht. Es ist scheinbar zu öffentlich. Schade.
Ich weiß nicht, ob es nur kulturelle Prägung ist. Da ich mich beruflich sehr mit der frühkindlichen Bildung beschäftige, sehe ich schon, dass kleine Mädchen nicht so ermuntert werden wie kleine Jungen, mutig und eigenständig zu sein. Vielleicht liegt hier die Ursache.
19.08.2010 um 16:43 Uhr
Diese Bezeichnung kulturelle Prägung im Bezug auf Frauen zeigt Mir nur mal wieder wie weit die Gesellschaft der Männerwelt mit der gleichgestellten Integration der Frauen als Gleichwertige Menschen ist.
Nämlich immer noch am untersten Rande oder Ende und sich kaum weiterentwickelt hat. Ich betrachte solche Aussagen, obgleich ich ein Mann bin, als Frauenfeindlich und zwar auf eine sehr subtile Art und Weise. Alleine schon die Verwendung von solchen Sätzen wie „Frauen fühlen sich seltener ermächtigt, öffentlich zu sprechen“ führt bei zu Gänsehaut in puncto Verständnis von Männern gegenüber Frauen.
19.08.2010 um 17:54 Uhr
Man könnte auch ganz einfach sagen, dass Frauen lieber und länger über sich selbst reden als Männer. ;)
19.08.2010 um 23:32 Uhr
Das ist in der Tat der Fall. Es ist kein Wunder, dass Frauen in der Politik nicht so häufig vertreten sind wie Männer. Deshalb gibt es u.a. das Instrument der „quotierten Redeliste“ für Versammlungen.
20.08.2010 um 09:32 Uhr
Das ist dieselbe Hemmung, die einen davor scheuen läßt, vor einer größeren Gruppe frei zu sprechen. Aus meiner Erfahrung: Übungssache. Ehrlich.
20.08.2010 um 09:41 Uhr
@LexX Noel schön, so etwas von einem Mann zu hören – die Gänsehaut habe ich ehrlich gesagt schon nicht mehr bekommen, eher ein verärgertes Grummeln im Bauch, da wir immer noch „so weit am Anfang sind“.
Ich glaube nicht, dass das an der „kulturellen Prägung“ liegt, sondern eher am Naturell von „Männchen“ und „Weibchen“ an sich. Ist es nicht schon in der Tierwelt so, dass sich die Männchen eher öffentlich vergleichen und ihr Verhalten zur Schau stellen, die Weibchen daran weniger Interesse haben und unscheinbarer im Hintergrund bleiben?
20.08.2010 um 09:57 Uhr
ich bin die diskussion leid, immer diese verdammten wertungen. warum nicht einfach mal tagebücher lesen? da liegt doch der hund. tagebücher können sehr interessant und komplex sein.
(in der geschichtsschreibung ist auch die erforschung des historischen alltags wesentlich spannender – und möglicherweise auch aufwendiger – als die 100ste neuinterpretation der politischen und kriegerischen abläufe. die haben leben eher nicht erhalten.)
20.08.2010 um 10:39 Uhr
Ich glaube – genderunabhängig – dass es nur sehr wenige Blogs gibt (und ich beziehe mich an dieser Stelle nicht auf thematische Blogs, sondern auf die so genannten Tagebuchblogs), die interessant genug geschrieben sind, um lesenswert zu sein. Das ist in jeder Hinsicht Geschmacksache und abhängig von den persönlichen Vorlieben, keine Frage. Nach meinem Erleben glauben jedoch eine Vielzahl an Bloggerinnen und Bloggern, dass ihr Schreibstil gut genug ist, um andere (Fremde) zu interessieren, und das scheint mir sehr häufig eine exorbitante Fehleinschätzung. Ich attestiere mir an dieser Stelle durchaus Arroganz, aber ich frage mich seit Jahren, was Menschen dazu bewegt, sich mit ihrem Alltag (Trennung, Hund gestorben, Regal aufgebaut, in Urlaub gefahren) derart öffentlich zu produzieren. Ich finde es großartig derlei Alltägliches zu lesen, wenn jemand brilliant schreibt. Die, die diese Fähigkeit haben, publizieren aber ohnehin recht regelmäßig und leben davon. Die anderen träumen vermutlich davon und geben sich der Illusion hin, das Internet sei ein adäquates Äquivalent.
20.08.2010 um 10:40 Uhr
Und nun die Nachrichten aus der Realität, liebes Engl:
Weil man Menschen nicht dazu zwingen kann, etwas zu lesen das sie nicht lesen wollen. Weil Menschen prinzipiell nur das tun, wozu sie auch Lust haben.
Es war schon immer so, dass es wohlmeinende Vorschläge gab, doch lieber den Goethe zu lesen, statt Comics und besser klassische Musik zu hören als die Beatles. Im Endeffekt setzt sich aber doch durch was den Massengeschmack trifft und leicht zu konsumieren ist.
Darüber kann man wettern. Bringt aber nichts.
Niemand wird gezwungen über Themen zu schreiben die populär sind. Dank des Internet muß man auch nicht mehr populär schreiben um seine Plattform und seine Leser zu finden. Nur das Jammern nicht in den Top Ten aufzutauchen, sollte man dann einfach unterlassen.
20.08.2010 um 11:44 Uhr
Über welche Themen reden wir hier denn? Wenn Frauen über Mode bloggen, ist das dann nicht öffentlich? Oder ist es eine geringere Leistung über ein so genanntes weiches Thema zu schreiben und dazu Stellung zu beziehen, als über etwas, dass sich auf die durch Medien und Politik gesetzte Agenda bezieht?
20.08.2010 um 11:44 Uhr
Natürlich ist „Selbstermächtigung“ ein interessantes Gebiet. Und in der Tat haben Frauen, die die Schnauze zu relevanteren Themen als „Mode“ und „Katzen“ aufreißen, immer noch ein unbequemeres Leben. Aber da ist doch auch der ganze Spass zu holen, oder?
check: http://catinnovations.wordpress.com
20.08.2010 um 12:29 Uhr
Frauen, die ich kenne, brauchen keine Ermächtigung von außerhalb, um sprechen zu können – allerdings auch keine Vorschriften dafür, was interessant oder Thema zu sein hat. Das konnte man spätestens mit Pippi Langstrumpf lernen.
Schönbergers Satz ist eine Ohrfeige ins Gesicht jeder selbstständig denkenden Frau.
Ich kann diese extreme Kluft auch im Internet nicht so ganz erkennen, aber das liegt vielleicht daran, dass ich als Mensch für Menschen schreibe. Und da stelle ich eher ein Gefälle im Leseranspruch allgemein fest als zwischen den Geschlechtern: Hypes, Skandale und kontroverse Reizthemen bringen die meisten Klicks. Aufwändig recherchierte Artikel zu Spezialthemen am wenigsten.
Sollen wir Zeitungen nur noch mit dem Wetterbericht und Todesanzeigen füllen, weil die am meisten gelesen werden?
Die Frage beim Bloggen ist doch nicht, bin ich Frau oder Mann, sondern: will ich Qualität oder Quantität? Vor allem aber: Habe ich tatsächlich etwas zu sagen? Von 39 Blogs, die ich empfehle, werden 13 von oder mit Frauen gemacht. Sicher könnte die Quote besser sein, aber vielleicht liegt das auch nur an meinen ganz persönlichen Lesegewohnheiten.
Übrigens wird der Katzen-Content, den ich bewusst zwischen schwierige Fachthemen einstreue, am liebsten von Männern gelesen…
20.08.2010 um 12:37 Uhr
@LexX Noel:
Wieso frauenfeindlich? Es steht doch da
„Frauen fühlen sich seltener ermächtigt, öffentlich zu sprechen“.
Das heißt doch im Umkehrschluss:
„Männer fühlen sich öfter ermächtigt, öffentlich zu sprechen“.
Damit ist der Kommentar doch eigentlich männerfeindlich, oder?
20.08.2010 um 15:52 Uhr
@Petra
Jau. So isses.
20.08.2010 um 16:41 Uhr
„weibliche Blogger: Wenn man glaubt, nix zu sagen zu haben“ –
Ich persönlich denke eher, dass was ich gerne sagen würde, könnte einfach nicht gut genug sein und lass es dann, ohne es überhaupt ausprobiert zu haben. Daher habe ich die Online Welt auch ausschließlich – in den letzten 16 Jahren – observiert, anstatt mich z.B. mit einem Blog aktiv dem Netz anzuschließen. Schade wirklich schade. Aber ich werde das ändern! Kann ja echt nicht angehen :P
21.08.2010 um 11:14 Uhr
Ich hatte mal eine Kollegin, die meinte, sie würde kein Blog schreiben, weil Ihr Prof immer zu sagen pflegte: „Wenn man nix zu sagen habe, solle man ruhig sein.“
23.08.2010 um 17:35 Uhr
Die Frage ist ja, ob es die Gesellschaft ist.
Männer mögen Sachthemen, Frauen Gefühlsthemen.
Deswegen lesen Frauen mehr Bellistrik und Männer mehr Zeitungen. Deswegen handeln Frauenblogs eher von sich und ihrem Umfeld und Männerblog eher von Sachthemen.
Männergehirne und Frauengehirne sind eben an anderen Sachen interessiert.
25.08.2010 um 11:42 Uhr
Ich werde als Diskutantin nicht selten ganz offen, mit Ankündigung und ohne jeden Zweifel auf Grund irrationaler Motive ausgegrenzt. Entweder werden meine Beiträge nicht erst freigeschaltet oder als „Feminismus“ angemahnt und mir Sanktionen angekündigt, wenn ich damit weitermache oder aber ich darf von anderen Diskutanten direkt beschimpft werden, nicht selten vom Blogbetreiber selbst. Solchen Unsinn mache ich nicht mit, da ziehe ich mich zurück: Ich akzeptiere keinen Maulkorb. Ich habe etwas zu sagen und tue das auch, aber ich achte peinlich genau darauf, wo ich es tue und gegenüber wem, denn fahrlässige Ausflüge enden in schlimmen Desastern (wie neulich beim Spiegelfechter). Von freier Meinungsäußerung halten jedenfalls die männlichen Blogger nur insofern etwas, wie die geäußerte Meinung der eigenen entspricht und deren Unsinn nicht auch noch entlarvt. Ernten sie dann Kritik, auch noch von Frauen, wird die Feminismuskeule ausgepackt und die Welt geht unter.
Man ist als politisierte, intelligente Frau angehalten, den Herren inhaltlich nachzuplappern, höflich schweigen zu dürfen oder von anderen Kommentatoren beleidigt und ausgelacht zu werden.
Weiblichen Bloggern fehlt meiner Meinung nach aber oft der Schneid, ihrerseits auf eigenen Plattformen Position zu beziehen und sich der Kritik am Gesagten nicht zu enthalten, nur weil sie beim Empfänger gemobbt werden, so wie es auf „Männerblogs“ recht üblich ist, sobald jemand „Sie ist Feministin“ ruft.
27.08.2010 um 15:19 Uhr
@Isi
beim Spiegelfechter wurde ja gerade nicht zensiert und du durftest kommentieren soviel du wolltest. Es wurden alle Kommentare freigeschaltet und dein Beitrag als Gastbeitrag veröffentlicht. Natürlich galt das auch für die Gegenmeinungen, aber das kann man ja wohl auch erwarten.
Auf deinem Blog machst du zudem genau das was du hier kritisierst, nämlich freie Meinungsäußerung nur dann zuzulassen, wenn sie deiner Meinung entspricht.
27.08.2010 um 23:02 Uhr
Die schlimmsten Beiträge wurden gelöscht. Selbst ein paar meiner Beiträge überstanden keine Minute. Und da waren keine Beleidigungen dabei. Allerdings ist das, was den vibrierenden Löschfinger des Spiegelfechters passieren durfte, schon schlimm genug. Und erst recht ist das, was er selbst schrieb ein erschreckendes Outing und keine Kleinigkeit.