nach einer ewig langen Zeit habe ich mir die Deutschen Blogcharts angeschaut und mit Erstaunen festgestellt, dass sich mein Blog darin wiederfindet. Ok, schwächen wir es ab, es ist nicht mehr allzu schwer, in diese ominöse Chart hineinzukommen, da man heute nur noch 86 Links von anderen Blogs im Zeitraum eines halben Jahres benötigt. Das war „früher“ um einiges höher und ist heute lediglich ein Ergebnis der zunehmend verteilten, persönlichen Präsenzwelten von Individuen (die eben nicht mehr nur auf Blogs zurückgreifen müssen, um sich im Netz individuell breitzumachen).
Mit den „Deutschen Blogcharts“ hat es eine kleine Vorgeschichte auf sich. Damals (ich werde wie Opa, immer rede ich von früher :) trieb ich mich als Blog-Autor auf dem MEX-Blog herum und kam auf die Idee, die eingehenden Links deutscher Blogs über Technorati abzufragen und eine Übersicht zu veröffentlichen, welche Blogs in der deutschen Blogosphäre häufiger zitiert/genannt werden. Das muss so im Jahr 2004 gewesen sein. Kann auch 2003 sein. Bin mir da nicht mehr sicher. Ich nannte es einfach nur „Blogparade“. Als ich vom MEX Blog aufs Basic Thinking Blog umsattelte, führte ich die Blogparade fort, hier seht Ihr ein Beispiel aus 11/2005 (es muss sogar meine letztmalige Blogparade gewesen sein).
Anyway, irgendwann sprach mich Jens Schröder an, ob ich was dagegen hätte, dass er diese Chart von nun an unter seiner Regie erstellt. Natürlich hatte ich nix dagegen, war es doch eine Scheißarbeit, diese Charts zu erstellen und ich war happy, dass jemand anders die naheliegende Idee aufgegriffen hatte. Jens hatte laut vorliegenden Chart-Archiven die erste Chart am 04.01.2006 zusammengestellt. Er beschreibt seinerseits, wie es damals aus seiner Sicht dazu kam.
Langsam btw, es geht nicht um „meine Idee, deine Idee, unser Bac“. Ich erzähle Euch einfach nur die Story, wie ich sie in Erinnerung habe und wie es aus verschiedenen Ecken und Enden zu den „Deutschen Bloghcharts“ kam. Denn sie birgt eine interessante Wendung. Hätte ich damals gewusst, welche Bedeutung diese popelige, letztlich einfach nur auf simpelsten Statistiken beruhende Chart erlangen würde, hätte ich die Finger davon gelassen und womöglich wäre es nie zu dieser Chart gekommen (na ja, wie gesagt… simple Idee). Es hatte sich im Laufe der Zeit zu einem Segen und Fluch zugleich entwickelt, für mich.
Ab 2004/2005 nahm die Presse aber auch die Wirtschaft die Blog-Entwicklung in Deutschland immer stärker wahr. Klar, dass die Deutschen Blogcharts hier nur recht und billig waren. Sie boten ein einfaches und verständliches Erklärbär-Modell an, welches „Blog wichtig“ war. An wen man sich zu wenden hatte, um die besten Pferde im Stall den Zeitungslesern vorzuführen, aber auch um der Wirtschaft die neuen Verbreiter ihrer Heilsbotschaften angedeihen zu lassen (und Blogger wurden wahrlich bis in die 2007/08er als die digitale PR-Kraft neben der Presse diskutiert). Für mich boten diese Übersichten eine prima Anlaufstelle für Newbie-Blogger und Leser an, um in die deutsche Blogosphäre einzutauchen. Mehr war es nicht für mich. War. Zunächst.
In der Ausgabe 46/2007 (14.11.07) erklomm ich dann die Chart-Spitze, ein natürlicher Vorgang (hold on… erklären lassen, hat nix mit Arroganz zu tun), da ich seit jeher tierisch viel nach außen auf die Blogs verlinkt hatte, Blog-Themen immer wieder aufgriff und das Blog Basic Thinking damit mehr oder minder automatisch zu einem sogenannten „Hub-Blog“ wurde.
Schon vorher aber auch nachher standen die Blogcharts wie gesagt unter der Beobachtung der Presse, PR und Wirtschaft allgemein, aber auch der Blogger. Die Charts wurden damit zu einer self fulfiling prohecy und mein Blog wurde damit außerhalb der Blogosphäre regelmäßig genannt. Die Deutschen sind wahrlich No.1-geil, hier war es natürlich nicht anders. Der Segen war, dass ich um Werbebanner und Aufträge nicht betteln musste, ich konnte mich bequem zurücklehnen. Der Fluch war, dass man einer „No.1“ wundersame Dinge vorauswünscht, was es alles darstellen und stellvertretend für andere Blogs repräsentieren muss. Eine wunderbare Krux, denn einerseits ließ es mich meine Brötchen bequem verdienen, andererseits war mir dieses Getue ob des angedichteten Stati befremdlich. Kann sein, dass andere nicht so Sensibelchen sind wie ich, aber mir ist es eben unangenehm, wenn ich als No.1 Blogger dargestellt wurde, was gleichzeitig hieß, dass die anderen kein No.1-Blog haben? Das Dümmste an den Charts hing mit den Bloggern selbst zusammen. Ich hatte mit der Zeit den zunehmenden Eindruck, dass sich immer mehr Blogger an einer Platzierung in den Charts aufgeilten. Es wurde zu sowas wie einem „Orden“, einer „neutralen“ Bestätigung, dass man ein tolles Blog hat. Aufgrund des Messmetrik ein irriger Gedanke, der sich verselbständigte und zum geflügelten „Alpha-Blogger“ Begriff führte. Das gegenseitige Vermessen der Schwanzlänge hatte sich irgendwann verselbständigt und wurde mehr als es eigentlich wirklich war. Das ist heute aus meiner Sicht old story, die Blogger achten bei Weitem nicht mehr so sehr auf die Blogcharts und machen ein Palaver drum.
Ok, genug Ego-Palaver. Was lernen andere Blogger daraus? Meine persönliche Story soll ja nicht nur die Geschichte der Deutschen Blogcharts aus erster Hand erzählen. Sie soll verdeutlichen, dass auch heute noch diese Chart Wirkung entfaltet. Immer noch nutzen PR/Werbeagenturen aber auch die Presse diese Chart. Obgleich im Zuge des Aufkommens der Social Networks inkl. Twitter die alleinige, „user generated voice“-Vorherrschaft und damit die Volksnähe nicht mehr alleine durch die Blogger-Hände geht, wenn Unternehmen wirtschaftliche Ziele verfolgen und nach Anlaufstellen in der Digitalen suchen. Presse und wirtschaftlich getriebene Wahrnehmungsinteressen seitens der Unternehmen gehen immer noch einher. Wer in der Presse als Blogger genannt wird, muss irgendwie wichtig sein. Damit rückt das Blog in den werbetreibenden Fokus. Ausgangspunkt ist immer noch „Deutsche Blogcharts“. Natürlich nicht der einzige Ausgangspunkt.
Spielen die Deutschen Blogcharts die gleiche Rolle wie „damals“? Nein, die Bedeutung der Charts ist schwächer, um wie viel, kann ich nicht sagen. Das geht klar mit dem Thema „Blog-Hype“ einher, der abgekühlt ist. Der heutige Fokus der Presse und Unternehmen hat sich stark in Richtung Social Networks verschoben. Was im Umkehrschluss nicht heißt, dass Blogs für die Presse und Wirtschaft egal sind. Im Gegenteil. Als Blogger hast Du es heute viel leichter als – Achtung – „früher“. Um was zu tun? Um mit Pressestellen, Unternehmen, Institutionen jeglicher Art Kontakt aufzunehmen. Das Thema „Blog“ ist kein Fremdwort mehr. Es hat sich etabliert und wird lediglich unaufgeregter gehandhabt. So hat die Autoindustrie ihre Ägide an Autoblogs längst auf gleiche Ebene wie Presseleute gestellt, man lädt ein, man informiert, man nutzt Autoblogs. Klar wäre es für ein Blog leichter, wenn es in den deutschen Blogcharts steht, um Kontakte aufzunehmen, Werbetreibende anzulocken, aber es macht nicht mehr so viel aus, ganz da oben zu stehen.
Ach ja, Mitte Juli bin ich in Berlin und halte einen Vortrag zum Thema „wie man Blogger kontaktiert“. Wie Ihr seht, das Thema ist bis heute Wirtschaft noch nicht durchdekliniert :) Dazu wird es auch gehören, auf die Blogcharts zu verweisen, als eines der Suchinstrumente, um Blogs überhaupt zu entdecken. Thilo verweist zurecht auf weitere Möglichkeiten in der heutigen Zeit, so zB Rivva. Und wirft wie oben bereits angedeutet das Licht auf Nischenblogs, die neuen „Main-Blogs“. Die Zeiten der alten Leuchttürme sind vorbei, die Blogwelt ist dezentraler, verteilter, feiner. Und abschließend Thilos/Caschys Hinweis gerne aufgreifen, dass es heute mehr als nur bloße Bloglinks-Messungen bedarf, somit man eigentlich zum Urteil kommen muss, dass die Deutschen Blogcharts herrlich veraltet sind. Rivva stellt die moderne Messmethodik zur Verfügung. Aber wie es halt so mit etablierten Dingen ist, sie leben länger als man denkt. Rivva erscheint undurchsichtig, die Deutschen Blogcharts basieren auf simplen und (!) nachvollziehbaren Messungen. Rivva versteht nicht jeder, die Blogcharts schon.
06.07.2010 um 14:07 Uhr
Schöne Zusammenfassung. Die Blogcharts – mittlerweile mit Icerocket gemessen, soweit ich weiß – messen den Mainstream. Der bekommt immer weniger Trackbacks/Links/whatever.
Das ist aber kein Grund, traurig zu sein. Wie Du schon bemerkt hast, bloggen heute Hinz und Kunz (ok, das sind immer noch wesentlich weniger als die Gesamtheit derer, die nicht bloggen, aber signifikant mehr als „damals“).
Heute gibt es wohl mehr Nischenblogger (Das ist natürlich gefühlte Temperatur und Statistik habe ich dafür keine parat). Bei Sachar Kriwoj gab es dazu vor gar nicht allzu langer Zeit eine interessante Diskussion.
Die Zukunft liegt sicher in der Nische. Und auf Twitter. Dort verlinken nämlich auch die, die kein eigenes Blog haben.
Damit relativiert sich auch schon die Aussagekraft der Blogcharts. Blogs, die Blogs zitieren, sind a) toll und b) wichtig für das Blog-Ökosystem, aber nicht mehr der alleinige Relevanzmesser.
Achtung, Ego-Palaver: Ich persönlich freue mich mehr über einen Scoop auf Rivva als über eine Platzierung in den Blogcharts. Glaube ich. Zumindest hatte ich den schon. War schön. Ego-Palaver aus.
Was ich sagen will: Die Rivva-Charts sind aussagekräftiger, weil sie eben auch noch Kommentare und Tweets in die Berechnung mit aufnehmen, sowie diverse Oberthemen segmentieren.
Damit sind sie auch für Nischenthemen interessanter.
Blogcharts, das ist die Online-Version der ZDF-Hitparade oder vielleicht The Dome. Rivva ist mehr so arte Tracks, weissewieichmein? :-)
06.07.2010 um 14:12 Uhr
Sagen die Blogcharts eigentlich keine Charts im eigentlichen Sinne aus, sondern eben nur, wie besagte Blogs von anderen Blogs verlinkt werden. Aber das Universum soll ja größer sein…
06.07.2010 um 14:26 Uhr
Blogcharts, lesercharts.de, rivva und was weiß ich in einen Topf, gut umrühren – da könnte was bei rum kommen.
Gab’s da nicht mal sowas?
06.07.2010 um 14:27 Uhr
*schulterzuck, keine Ahnung*
06.07.2010 um 15:07 Uhr
Interessant, kannte ich noch nicht die Geschichte. Aber in der Tat sind das ja keine richtigen Charts. „Charts“ könnte man vielleicht ganz gut über Twitter ermitteln.
06.07.2010 um 15:18 Uhr
In die Blogcharts zu kommen war vor einiger Zeit mal mein großes Ziel.
Leider konnte ich das bisher nicht realisieren und glaube auch nicht mehr daran. Ich habe gar nicht erst damit angefangen, in die Richtung zu denken welche Posts vielleicht mehr Trackbacks bekommen könnten. In erster Linie hat mich immer nur interessiert was meine Leser sehen wollen und woran ich Spaß habe.
Das hindert zwar an einer Platzierung in den Blogcharts und einer RIVVA Erwähnung, lässt mich aber entspannter bloggen.
06.07.2010 um 23:48 Uhr
Ich kenne die Charts nicht. Ich kenne Twitter nicht. Ich kenne die Riveriera nicht. Ich kenne Dein Problem nicht. Ich lese ab und an Deinen Blog. Das ist mir wichtig. Mehr nicht. Wenn ich nicht mehr lese, hier. Mach Dir Sorgen ;-)