Ausgangslage
lese just auf W&V über die Entwicklung des Werbemarktes in Deutschland (einen etwas kompletteren Artikel findet Ihr beim Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft), dort heißt es u.a.:

Der gesamte deutsche Werbemarkt schrumpfte im vergangenen Jahr um sechs Prozent auf ein Volumen von nur noch 28,8 Milliarden Euro.
und
Die einzige Werbeträgergattung, die 2009 Werbeeinnahmen hinzu gewinnen konnte, waren Online-Medien. Ihre Erlöse wuchsen aber nur um gut ein Prozent. Nach den oft zweistelligen Zuwachsraten in der Vergangenheit zeigt sich laut ZAW, dass auch die Anbieter in dieser Mediengruppe den Werbeabschwung spürten

Und danach, wenn sich die Wirtschaft von den Krisen erholt hat, wird alles so weitergehen wie bisher? Nope, gar nix wird so weitergehen. Die Werbeindustrie inklusive der Unternehmen sehen sich einer in meinen Augen sehr positiven Entwicklung ausgesetzt. Werbung wird bei Weitem nicht mehr so teuer sein. Das ist für die werbetreibenden Unternehmen glattweg positiv. Und es wird sie zwingen, auf einen guten Service und Produkte zu setzen. Das ist gut für den Kunden. Ich rate jetzt einfach mal dahin. Na ja, nicht wirklich. Meine Gedanken dazu äußere ich im weiteren Verlauf. Die Skills aber, die von der Werbeindustrie abgefordert werden, ändern sich dramatisch. Viele Agenturen suchen händeringend nach digitaler Expertise, einem neuem Verständnis der Zusammenhänge und neuen Strategien. Das Dumme: Die Werbemärkte verändern sich sich auf eine Art und Weise, die ein kalkuliertes Anpassen schwer einschätzbar macht.

Gründe
Es dürfte klar sein, dass der Sinkflug durch die ökonomischen Turbulenzen der letzten beiden Jahre bedingt ist. Aber es sind nicht nur Wirtschaftskrisen die maßgeblichen Treiber. Der Zentralverband nennt folgende, strukturellen Gründe, man lese sehr aufmerksam:
Neben dem Aufbau erneuter Werbekonjunktur müssen strukturelle Veränderungen durch die Weiterentwicklung der technischen Kommunikationsmittel und ihrer Rückwirkung auf die traditionellen Medien ebenso bewältigt werden wie politische Eingriffe in die Markt-Kommunikation insbesondere der EU. Zunehmend bemerkbar macht sich gleichfalls der demografische Wandel mit wachsender Anzahl älterer Konsumenten und schrumpfender Einwohnerzahl durch Präferenzverschiebungen in der Lebensführung und Mediennutzung.

Das Web schlägt die anderen Kanäle um Längen
Es dürfte keine allzu neue Aussage sein, wenn man sich das Internet auch als ein sehr geeignetes Medium vorstellt, das Informationen rund um Produkte in beliebiger Tiefe und Ausführlichkeit liefert. Werbung, die über Broadcasting-Kanäle und -Methodiken unter meist sehr hohen Streuverlusten gesendet wird, ist nichts anderes als eine Information (wenn auch gezielt beeinflussende). Wo sonst als im Netz kann man Informationen gezielter verbreiten und Streuverluste minimieren? Selbstverständlich stehen wir vor einem langfristigen Paradigmenwechsel, diese Produktinformationen zunehmend zu Lasten anderer Kanäle über das Netz zu vermitteln. Getrieben durch die Kunden und die kostenbewussten Unternehmen ebenso. Bisherige Kanäle wie TV, Radio und Print werden hierbei das Nachsehen haben. Was ich noch kaum abschätzen kann, ist das Thema Image- und Branding-Werbung, wie sich die einzelnen Kommunikationskanäle zueinander verhalten werden. Diese Art von Werbung lasse ich bei der Betrachtung außen vor!

Welche Faktoren tragen dazu bei, dass Produktinformationen via Netz zunehmend wichtiger werden?
1. Die Netznutzung nimmt in Intensität und Häufigkeit zu. Das führt auf Dauer dazu, dass der Konsument (ob Business- oder Endkunde) immer besser lernt, sich gezielt zu informieren. Dieses kulturelle Wissen wird einen nachhaltigen Druck auf die Unternehmen erzeugen, sich im Netz weitaus besser aufzustellen als es noch heute in vielen Branchen der Fall ist.

2. Die sozialen Netze werden immer dichter. Und sie werden das heutige System der Broadcasting-Werbung als dominierenden Informationstypus ersetzen. Schon heute nutzen meines Wissen laut den letzten Studien nahezu 3/4 aller Internet-User mindestens ein Social Network. Diese Netze werden zunehmend den Informationsfluss der User untereinander verbessern und sie werden erlernen, diese Art von Kommunikation in ihren täglichen Habitus einzubetten. Und zwar so, dass man Informationen geliefert bekommt, nicht nur danach bei Bedarf suchen muss. Bereits heute sind wir einigermaßen in der Lage, uns die geeigneten „Informationslieferanten“ auf Seiten wie Twitter und Facebook zusammenzusuchen.

Beide Punkte zusammengenommen regulieren den Fluss von Informationen zum User hin („er wird informiert“) und vom User ausgehend (er „sucht“) und ergänzen sich damit ideal. Dies wird zu einer extrem hohen Marktransparenz führen, weitaus besser als es die bisherigen Broadcasting-Kanäle befördern konnten. Daraus folgt:

3. Unternehmen werden zwingend an geeigneten Netzknotenpunkten präsent sein müssen, ebenso wie sie für die Durchlässigkeit von Informationsweitergabe Sorge zu tragen haben („twitter this shit“ auf alle erdenklichen Weisen, ausgehend von ihrer Homepage bis hin zu sozialen Netzwerken und anderen Sites). Auch wird die Darbietung von Produktinformationen zunehmend kriegsentscheidend werden. Wer nicht vernünftig und packend Produkte vermitteln kann, wird dem Nutzer weniger Anlass bieten, diese Information an Dritte weiter zu tragen. Das hat aber auch zur Folge, dass Unternehmen über Jahre hinaus langfristig ihre Kommunikationsstrategie im Netz vorausdenken und vorausplanen müssen. Warum? Siehe nächsten Punkt:

4. Exakt an der Stelle zwischen Suchen und Beliefern werden Mittler immer wichtiger. Heutige Archetypen dieser Mittler sind die Sascha Pallenbergs (der über Netbooks informiert) dieses Netzes. Sie sind die Brandbeschleuniger aber auch zugleich idealen Vermittler von Informationen rund um neue Angebote. Sie werden gezielt von Interessenten wahrgenommen, die ihnen vertrauen und sich für ein bestimmtes Angebot interessieren (um im Beispiel zu bleiben: technische Ware namens „Netbooks“). Die Unternehmen werden weitaus stärker diese neuen Gatekeeper angehen und mit ihnen dauerhaft partnerschaftliche Beziehungen eingehen müssen. Das tun bereits heute Unternehmen, wie etwa Autohersteller, die gezielt ein Set von Bloggern mit Infos versorgen und mindestens gleichwertig zur Presse behandeln. Diese Blogger versorgen wiederum in der Summe Millionen von Interessenten weltweit. Ohne Streuverlust!

5. Die heutigen Unternehmens-Websites werden aussterben und durch mit dem Netz offen verbundenen Strukturen ersetzt. Die Unternehmen werden ihre bestehenden, zufriedenen Kunden weitaus besser mit neuen Informationen beliefern, sie darüber hinaus wenn möglich zu Botschaftern machen, eben zu weiteren Informationsvermittlern. Um das zu tun, sind Maßnahmen notwendig, die über „simple“ Homepages – deren Aufbau und Pflege nicht selten Millionenbudgets verschlingen – weit hinausgehen. Es ist mir immer noch ein Rätsel, warum Unternehmen einseitig kommunizierende Websites auf die Beine stellen, statt weitaus mehr in ein Gefüge zu investieren, das den Austausch zwischen der Unternehmung mit den Kunden aber auch zwischen den Kunden untereinander befördert. Das, was heute GetSatisfaction in der Frühform darstellt, gehört auf jede Unternehmens-Webseite. Ob insourced oder nicht, völlig egal zunächst. Und dabei wird es nicht stehen bleiben: Es ist völlig absurd, dass Dank heutiger Datenschnittstellen und massiv präsenter Beispiele Unternehmens-Webseiten keine offenen Schnittstellen anbieten, Daten direkt und unmittelbar auszulesen und damit weiter zu agieren. Ob es um das Embedding eines Produkts auf einer externen Webseite geht (probiert das mal im Otto-Shop), um das maschinelle Auslesen von Produktdaten (schon mal Leistungsbeschreibungen von Handy-Seiten abgetippt? Bullshit!) oder um ein simples Merkmal „bin zufriedender Kunde dieses Unternehmens und kann es empfehlen“. So müssen bis heute in mühseliger Arbeit Mashup-Developer beispielsweise Immobilien-Datenbanken und Google Maps miteinander zu etwas Neuem verbinden. Die Unternehmen sollten an dieser Stelle nicht nur finanzielle Unterstützung anbieten, sondern darüber nachdenken, wie sie sich dahingehend standardisiert öffnen!

6. Unternehmen mit besseren Angeboten werden größere Hebel haben als ihre Konkurrenten
Heute kannst Du mit schlechten Produkten/Services dennoch erfolgreich agieren. Sei es über gut ausgebaute Vertriebs- oder Marketingkanäle. Das Blöde ist, es wird immer teurer, sich am Markt zu platzieren und gute Renditen herauszuholen. Es wird nicht reichen, beschissen viel Zucker in der Kinderpackung zu versenken und die Mütter mit einer netten Verpackung und Werbung auf den Arm zu nehmen. Warum? Wie oben geschildert, die zunehmende Informationstransparenz- und verbreitung der Kunden untereinander wird diese Art von Unternehmen brandmarken. Schneller als ihnen lieb sein kann und der Marketingchef Geld nachdrucken kann. Was wiederum heißt das für die „Guten“? Sie haben leichteres Spiel. Da, wo der Konkurrent ewig viel Geld in Vertrieb/Werbung versenken muss, um den Produktnachteil auszugleichen, kann sich das Unternehmen mit dem besseren Produkt dieses teure Geld einsparen und gezielter reinvestieren.

7. Die Unternehmen müssen den Weg lediglich gehen
Eine zentrale Rolle wird die Beförderung des Informationsflusses im Netz darstellen und alles, was diesen Fluss verbessert, damit die Kunden gezielt informiert werden, gehört in den Fokus des Unternehmens. In einigen Jahrzehnten wird es unvorstellbar sein, dass Unternehmen aus dem frühen 21. Jahrhundert weder mit den Kunden via Netz einen Austausch gepflegt haben noch verstanden haben, den Zugang zu Informationen so offen wie nur möglich zu gestalten. Stattdessen auf immens teure Maßnahmen zurückgreifen mussten, Werbung mehr oder minder ungezielt zu verbreiten.

Das TV wie wir es kennen wird sterben! Und damit den Werbemarkt durcheinander wirbeln
Gewagte These? Mitnichten. Wir können die Frühanfänge der neuen Form von Fernsehen schon heute sehen. Die ersten Fernseher mit Internetzugang sind auf dem Markt. Anbieter wie die Telekom und Google beackern den Markt zunehmend. Wo wir heute gezwungen sind, synchron Fernsehprogramme zu betrachten, werden wir bald asynchrones Fernsehen genießen. Wenn die Konvergenz aus TV und Internet abgeschlossen ist, wie wird sich das auf den Werbemarkt auswirken? Auch hier können wir eine logische Vermutung anstellen: Wenn ich aufgrund der Internet-Systematik den Nutzer besser identifizieren kann, wird die Werbung ökonomischer einsetzbar sein, Streuverluste gemindert, damit erneut das Werbevolumen sinken. Es ist wie eine Art Zangenbewegung: Auf der einen Seite eliminiert das Web die Nachteile der Broadcasting-Werbung, auf der anderen Seite zwingt die Veränderung der TV-Technik die Unternehmen auch hier umzudenken, wie Produktinformationen an den Kunden zu bringen sind. Alles Unsinn? Die TV-Macher zerbrechen sich über diese Entwicklungen – nicht nur wegen der zunehmenden Internetnutzung – den Kopf ob dieser Tendenzen, die technologisch getrieben sind und zugleich von einer Veränderung des Mediennutzungsverhaltens herrühren. Es ist kein Geheimnis, dass insbesondere die privaten TV-Sender einen ähnlichen Umbruch wie die Musikindustrie befürchten. Nur momentan keine echte Antwort parat haben, solange sich die Bude einigermaßen gut über Wasser hält und der Leidensdruck nicht groß genug ist.

Was ist nun mit Markenwerbung?
Werbung, die die Marke vermittelt, macht einen hohen Anteil aus. Im Gegensatz zu Produktinformationen geht es um weitaus weichere Werte, die es zu vermitteln gilt. Demnach sind die Mechanismen nicht rein über eine Verbesserung des Informationsflusses zu lösen, was die voranschreitende Internetnutzung angeht. Aber auch hier sprechen wir dennoch von einer kommunikativen Vermittlung von Unternehmenswerten, Leitbildern, Führungs- und Mitarbeiterkulturen. Nach innen und außen. Ihr ahnt es schon: Welches Medium dient besser denn je dazu, miteinander zu kommunizeren? Meine Annahme ist, dass auch an dieser Stelle ein Großteil der markengetriebenen Werbung ins Netz verlagert wird. Da es aber eine weitaus engere Verzahnung in das gesamte Unternehmen hinein nach sich zieht, werden die dahinterstehenden und notwendingen Organisationsprozesse weitaus mehr Zeit bedürfen. Als was? Das finale Verschwinden von Broadcasting-Werbung, die der Verbreitung von Produktinformationen dient.

Irren ist menschlich
Ja, ich weiß, eines zeichnet uns Menschen immer aus: Die Beharrlichkeit von Verhaltensweisen. Vielleicht stellen wir ja fest, dass Broadcasting gar nicht mal so doof ist, da man sich bequem zurücklehnen kann und auf diese ganzen Informationkuscheleien in allen möglichen Richtungen liebend gerne verzichtet. Vor allen Dingen nach Feierabend, wenn wir die Füße hochlegen wollen :)

Ach ja, jetzt habe ich doch glatt weder Social Media noch iPad gesagt. Done :=]