anlässlich des Artikels „Digitales ist der Tod der PR- und Marketingbranche ?“ ein Beispiel, was Neudenken und Verstehen bedeutet, wenn man eine Sache wirklich durchdrungen hat. Wir wissen – behaupte ich frech – dass der Änderungsbedarf in der PR- und Marketingbranche groß ist. Wir wissen aber auch, dass auf individueller Ebene agierende Personen Schwierigkeiten haben, marktfähige Lösungen durchzusetzen, die zwar durchaus tragfähig wären und den Änderungsbedürfnissen gerecht werden, andererseits Entscheidungsträger beharrlich sind, kurzfristig denken, jetziges Geschäft über zukünftiges Geschäft stellen. Daher ist dieses Beispiel in meinen Augen reine Makulatur, ich erwarte nicht, dass sie überhaupt jemand in der PR/Marketingbranche angehen würde.
Ausgangsgedanke:
Wie haben Unternehmen ihr Problem gelöst, Neuigkeiten in die Welt zu tragen? Und zwar so, dass man viele Kunden erreicht? Sie haben erkannt, dass Presseinstitutionen ideale Verteiler ihrer Nachrichten sind. News-Organisationen sind arbeitsteilig aufgestellt. Es haben sich Institutionen gebildet, die unter dem Namen „Reuters“ oder „dpa“ weitläufig bekannt sind. Diese Institutionen produzieren und bündeln Informationen. Wikipedia dazu:
Der „dpa-Basisdienst“ als wichtigstes Produkt umfasst täglich rund 800 Meldungen aus aller Welt in den Ressorts Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport und Vermischtes. Hinzu kommen in Deutschland zwölf Regionaldienste (dpa-Landesdienst), die ebenfalls alle klassischen Ressorts abdecken. Über den Bildfunk werden den Kunden täglich rund 350 neue Fotos angeboten. Die dpa-Kunden bekommen diese Dienste für eine pauschale Monatsgebühr (gestaffelt nach Größe des Mediums) angeboten, zusätzliche Kosten für die Verwendung der Inhalte fallen nicht an.
Weiterführung der Logik übertragen auf das Netz:
Erstens: Eigentlich müsste jede logisch denkende PR/Marketingagetur erkennen, dass das Netz ein ideales Medium ist, um Informationen von A nach B zu transportieren. Dabei ist heute klar, dass Informationsträger im Netz schon lange nicht mehr nur die klassischen Newsproduzenten sind. Es wird zunehmend ergänzt durch das Individuum. Die zentrale Herausforderung ist, wie man den Informationsfluss von Unternehmen zu den Usern im Netz verbessern kann.
Zweitens: Vor ihren Augen sehen sie die Lösung dpa und Reuters. Und müssen lediglich das Eine mit dem Anderen verbinden. Was muss ich also tun, um die vielen, neuen Publizisten im digitialen Raum zu bedienen? Ich muss eine Informationsstelle schaffen, die exakt das gleiche wie Reuters und dpa an Mehrwert schafft. Und die neuen Publizisten bedient. Auf angepasste Art und Weise liefert, was die Informationspakete angeht (= sharing, embedding, liking, mixing). Und dabei berücksichtigt, an welcher Stelle die Konversionsrate so zu gewährleisten ist, um die Bereitschaft des Weitertragens einer Information zu ermöglichen. Eine klassisch gehaltene PR-Meldung wird es sicherlich nicht sein. Sie muss zwingend so gestaltet sein, dass sie maximal alle Kanäle bedient. Youtube „will“ anders bedient werden als eine textlastige Plattform wie Twitter.
Drittens: Würden die PR/Marketingagenturen gemeinsam (lol…) an einem Strang ziehen, hätten sie schon längst eine dpa 2.0 etabliert, von der alle profitieren können. Unternehmenskunden, digitale Publizisten (selbst der kleinste Facebook-Eintrag ist eine publizistische Tätigkeit im digitalen Raum) und User.
Viertens: So sehen wir heute ein Bild, das die Vorteile der Arbeitsteilung nicht mal ansatzweise nutzt. Blogger wie auch andere, neue Publizisten müssen sich selbst ihre Quellen zusammensuchen. Eine völlig unnötige Erschwerung ihrer Arbeit und eine quasi Blockade durch die PR/Marketingagenturen, den Informationsfluss von Unternehmen zu Endabnehmer derart zu stören, weil man nichts anbietet, das einer dpa 2.0 gleichkommt.
Fünftens: Wir beobachten eine typische Beharrlichkeit eines Systems, das aus sich heraus nicht mehr innovieren kann. Ausweg: Der Markt verändert das System von außen. Schade?
Sechstens: Darf man von Kommunikationsprofis gesamtheitliches, ökonomisches Denken erwarten? Zum Wohle ihrer Kunden? Die Antwort erübrigt sich. Darf man von Unternehmenskunden dieses Denken erwarten, um auf neue, zeitgerechte Lösungen im Digitalen zu kommen? Eigentlich ja, aber auch diese sind viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt und sie schaffen es gerade mal mit Ach und Krach so etwas wie einen „Social Media Newsroom“ auf die Beine zu stellen. Und beklagen den damit einhergehenden Aufwand über den hohen Ressourceneinsatz, statt ebenso arbeitsteilig zu denken. Bedarf ist da, Bedarfsdeckung ist momentan nicht in Sicht. Die einzelnen Social Media Newsroom Anbieter decken den Bedarf nur auf Ebene der Einzelunternehmen, nicht gesamtheitlich. Über kurz oder lang wird sich einer dieser Anbieter zu einer dpa 2.0 aufschwingen, die PR/Marketingbranche dahingegen weiterhin passiv zuschauen.
16.09.2010 um 14:45 Uhr
Reply: Konkret, Alter: Warum ein LOL zur dpa 2.0?
Okay, fangen wir beim Namen an – deutsche publizisten agentur.
Das Kind hat so einen Namen (naja, etwas anfechtbar…), aber das ist nur der Arbeitstitel.
Arbeitstitel? Welche Arbeit?
Ja, nun kommst Du…
#schrittfürschritt oder #wettlauf -?
16.09.2010 um 17:20 Uhr
Äh, naja, gibt es. ots und presseportal.de sind genau das, was du beschreibst, weshalb sie auch (wirtschaftlich, publizistisch) so erfolgreich sind :) (disclosure: Ich habe da lange gearbeitet und den Sprung von Presseservice zu neuen Multiplikatoren wesentlich mit vorbereitet)
Dein Denkfehler ist imho, dass du Social Media Newsrooms für sinnvoll und einen Ansatz hältst, aber das ist noch mal eine ganz andere Geschichte.
Außerdem sind eigentlich fast alle Unternehmen, die ich kenne, weiter, als du ihnen unterstellst – vor allem aber betreiben nur noch einige wenige Rückständige PR isoliert vom Marketing und ohne zu fragen, welchen Wertschöpfungsbeitrag PR zu den Unternehmenszielen leistet. Und darum hast du Recht, dass es – in einer idealen Welt – gar keine reinen PR-Agenturen mehr geben dürfte. Sondern nur noch solche, die bezogen auf das Unternehmensziel ihres Kunden das jeweils sinnvolle Kommunikationsinstrument spielen. Oder so.
Jedenfalls kann ich aus der Innensicht derer, die du irgendwie zu kritisieren scheinst, nicht nachvollziehen, was du meinen könntest ;)
17.09.2010 um 07:17 Uhr
Das tönt nachvollziehbar und bis kurz vor Schluss fast wie das perfekte Plädoyer für den Social Media Newsroom. Was mir fehlt, ist die Innensicht. Kommunikation wird nicht nur von Agenturen gesteuert, zum Glück. Aber all jene integrierten Berufsleute haben wahrscheinlich so schon alle Hände voll zu tun als dass sie noch Kapazität hätten, sich in einer überdachenden, unabhängigen (PR)-Newsagentur zu engagieren. Und wer genau würde die Nachrichten dort abholen? Wenn sie verstanden haben, dass sie mit dem, was sie über die klassischen und neuen Kanäle verbreiten Mehrwert und Nutzen stiften sollten, ist schon ein riesiger Schritt getan. Der Social Media Newsroom ist der perfekte Ort, um solche Beiträge zu bündeln.
17.09.2010 um 14:12 Uhr
Ich sehe es wie Wolfgang – der Social Media Newsroom ist nichts als Kosmetik für ein ausgedientes Modell der Informationsvermittlung. Was macht ein SMNR konkret anders als ein „normaler“ Newsroom?
1.) Werden die Inhalte relevanter, weil sie nun aus den Meldungen in Facebook, auf Twitter und aus den Blog-Postings aggregiert werden? Nein. Entweder habe ich etwas zu sagen oder ich tue nur so. Auf letzteres fallen Journalisten seit ewigen Zeiten nicht mehr herein. Es passiert einfach viel zu viel Interessantes in der Welt, 24/7.
2.) Wird der Social Media Newsroom häufiger besucht als der „normale“ Newsroom, weil er all diese Social Media Inhalte aggregiert? Unwahrscheinlich. Denn das Engagement in den Social Media erfolgt gerade aus der Motivation, dort zu sein und mitzumischen, wo die relevanten Stakeholder sich tatsächlich aufhalten. Um auf dieses Angebot aufmerksam zu machen, braucht es keinen SMNR, sondern ein paar hübsche Icons.
3.) Eine dpa 2.0, organisiert von Unternehmen, steht am Ende vor den gleichen Problemen wie der Social Media Newsroom. Die dezentrale Informationsvermittlung durch Individuen und individualisierbare Technologien hat nichts gemein mit einem zentralistischen Moloch aus belanglosem PR-Geblubber und irrelevanten Zeitfressermeldungen.
Die dpa bietet Nachrichten an, produziert und gesammelt von Korrespondenten aus aller Welt. Sie hat Zugang zu den Pressekonferenzen der Mächtigen und Schönen. Das allein ist heute noch der USP – denn für die Nachrichtenrecherche braucht man die dpa heute bestimmt nicht mehr. Der Zugang zu Informationen ist leichter geworden, der Zugang zu Top-Quellen indessen noch nicht – NOCH nicht.
Denn sobald diese Quellen – wie etwa http://www.whitehouse.gov – selbst zu Medienproduzenten werden, ist auch dieser USP dahin.
Moment mal – Unternehmen kommunizieren doch schon längst fleißig und trotzdem gibt es noch die dpa? Genau. Unternehmen produzieren Nachrichten, die keine Nachrichten sind. Sie sind sehr oft nicht relevant – etwa Übersetzungen von Meldungen aus UK, die per Anweisung „von oben“ in ganz Europa verbreitet werden müssen (auch, wenn es dort gar keinen Markt für das Produkt/die Lösung/den Service gibt). Das kann auch eine dpa 2.0 nicht verhindern.
>>> Was sich wirklich verändert, ist nicht die Art der Informationsvermittlung – sondern vielmehr die Rolle der Kommunikation selbst. <<<
Unternehmen, die 24/7 über ihr zwangsläufig begrenztes Portfolio twittern, facebooken und xingen, sind unausstehlich. Also müssen sie sich für die Themen aus ihrem Umfeld öffnen, an Gesprächen teilhaben, die nicht direkt den Abverkauf unterstützen oder zu Leads führen. Branchenereignisse, Standortthemen, Forschung und Entwicklung, etc. pp.
Indirekt entfaltet diese Art der Kommunikation durchaus eine Wirkung: Sie erzeugt Präsenz in den Timelines und Feeds der Stakeholder, die sich eben für mehr interessieren als die Marke. Das zu lernen, ist unglaublich schwer. Jahrelang brütete man über Newsletterentwürfen, versuchte, noch ein paar Zeilen aus den Fingern zu saugen, irgendwas halbwegs interessantes über das Unternehmen.
Dabei ist das, was da draußen, außerhalb des Unternehmens passiert, tausendmal spannender, lustiger, wichtiger. Dokumentiert von Bloggern, Twitterern und all den Menschen da draußen, die unglaublich tolle Fotos schießen, spannende Reportagen schreiben, oder lustige Geschichten, oder Mashups programmieren oder Videos im Dialekt nachsynchronisieren, oder oder….
Die dringendste Aufgabe der PR:
Zu erkennen, dass man (meistens/oft/immerwiedermal) mit dem, was man hat, gemessen an dem, was es da draußen gibt, doch ziemlich unwichtig ist. Schick, aber unwichtig.
Zu erkennen, dass die eigenen Produkte, Lösungen, Services nur winzig kleine Timeslots in der Aufmerksamkeit der Menschen haben. Und die nur zu besetzen sind, wenn sie Relevanz für die Menschen haben. Relevanz liegt im Auge des Betrachters, d.h., sie geht von der konkreten Bedarfssituation aus, nicht vom Angebot selbst.
22.09.2010 um 17:54 Uhr
Eine dpa 2.0 wäre für mich etwas anderes als neuer Lack
über die schon präsente Soziale Mediensphäre, die über Plattformen wie Twitter oder Facebook gelebt wird (mit all ihren Höhen und Tiefen) und auch in diesem Spannungsfeld von Unternehmen längst eingesetzt wird (mehr mit Tiefen, doch das ist Ansichtssache),
eine dpa 2.0 wäre für mich eine Umgewichtung
auf Unternehmensseite sich und die Produkte zurücknehmend hin zu den Inhalten, die auf anderen Plattformen das Lebensgefühl und das Tempo bestimmen – dazu die Verknüpfungspunkte im Unternehmen suchend,
und auf der global-gesättigten Rezipientenseite nach dem großen Aufbruch wieder hin zur Region, zur mikrostrukturellen Vernetzung, zum Sinn und Nutzen vor Ort, zum boulevardfernen Gefühl von Heimat, zum Privaten – das Pendel schwingt längst zurück.
Fokus: Buzzriders?
Auf jeden Fall: Hyperlocals!
@Thilo: ein sehr interessanter Beitrag, danke.