Die korrekte Antwort lautet: Wählen lassen!

Es geht um den aktuellen Merkel-Buzz, wie undemokratisch unsere Bundeskanzlerin doch sei, Juncker nicht stante pede zum Kommissionspräsidenten der EU zu bestimmen. Mit ein Auslöser war ein Kommentator in der Tagesschau, der Merkel ein gerüttelt Maß an Dummheit bescheinigte. Sie würde die EU Demokratie kaputtzögern. Jetzt kommen auch noch die Briten hinzu, die sich ob Juncker super bockig stellen.

Wie dem auch sei, auf die Pauke hauen kann jeder, am Stammtisch bei einem oder drei Weizen, oder aber im Netz. Politiker können das am besten. Jetzt ist die Rede von den doofen Briten, die doch gar kein Vetorecht besitzen, sie hätten nichts zu melden. Und so weiter. Nervig das.

Juckt mich also jetzt nicht, das Stammtischparlieren. Ich mag auch hin und wieder Fakten zur Abwechslung, damit es nicht immer ganz so aufregend ist. Was soll also der Salat eigentlich? Was hat der zu melden, dieser Kommissar? Fakten? Ich war und bin sicher der Einzige, der sich beim Mitaufregen fragte, was eigentlich überhaupt so ein Kommissionspräsident bei der EU macht und wie der gewählt wird.

EU Gesetzesgebungsprozess

Ich notiere daher, was ich gefunden habe, damit Ihr mich korrigieren könnt, denn Ihr wisst das eh schon alles super.

1. Aufbau der politischen Entscheidungsstrukturen der EU ist dreigeteilt:

1.1 Die EU Kommission stellt quasi eine Art Regierung dar, die über das ausschließliche Gesetzgebungsinitiativrecht verfügt. Das EU Parlament darf jedoch die EU Kommission bitten, dem EU Rat Legislativvorschläge zu unterbreiten. Wir kommen gleich näher auf die Kommission zu sprechen.

1.2 Der EU Rat besteht aus allen EU Mitgliederstaaten:
Im politischen System der EU übt er zusammen mit dem Europäischen Parlament die Rechtsetzung der Europäischen Union aus. Da er die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten repräsentiert, kann er als die Staatenkammer der EU bezeichnet werden (neben dem Europäischen Parlament als Bürgerkammer)… (Wikipedia, siehe auch EU Vertrag §16 und AEU-Vertrag §237 ff.)“

1.3 Das EU-Parlament? Das wählen wir EU-Bürger:
Seit 1979 wird es alle fünf Jahre in allgemeinen, unmittelbaren, freien, geheimen Europawahlen von den Bürgern der EU gewählt. Damit ist das Europäische Parlament nicht nur das einzige direkt gewählte Organ der Europäischen Union, sondern die einzige direkt gewählte supranationale Institution weltweit. Da es unmittelbar die europäische Bevölkerung repräsentiert, kann es als die Bürgerkammer der EU bezeichnet werden“ (Wikipedia)
Das EU-Parlament kann man sich wie unser Bundesparlament vorstellen, das sich in Fraktionen politischer Lager gebündelt hat. Im Moment sind sieben Fraktionen bekannt, wovon die EVP (sowas wie CDU) mit 214 Stimmen (28%) und die S&D (sowas wie die SPD) mit 191 Stimmen (25%) die größten Fraktionsblöcke darstellen.

Interessant erscheint mir dieser Passus, der vor der EU-Wahl verfasst wurde und die vertrackte Problematik mit dem EU Kommissionspräsidenten erklärt:

Zu den Europawahlen in den 28 Mitgliedsstaaten treten jeweils nationale Parteien an. Diese haben sich jedoch teilweise zu politischen Parteien auf europäischer Ebene oder Europaparteien zusammengeschlossen. Der am 1. Dezember 2009 in Kraft getretene Vertrag von Lissabon schreibt vor, dass das Europaparlament den (vom europäischen Rat) vorgeschlagenen Präsidenten der Europäischen Kommission wählt. Der europäische Rat muss bei dem Vorschlag das Ergebnis der Europawahl berücksichtigen (vgl. Art. 17 Abs. 7 EUV). Die großen Europaparteien haben daher angekündigt, vor der Wahl Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten aufzustellen. Realistische Chancen werden nur Jean-Claude Juncker und Martin Schulz eingeräumt.

2. Die EU Kommission im Detail
Wir finden dazu das Wesentliche im EU Vertrag „EU-Vertrag Titel III – Bestimmungen über die Organe (Art. 13 – 19), Artikel 17

(1)Die Kommission fördert die allgemeinen Interessen der Union und ergreift geeignete Initiativen zu diesem Zweck. Sie sorgt für die Anwendung der Verträge sowie der von den Organen kraft der Verträge erlassenen Maßnahmen. Sie überwacht die Anwendung des Unionsrechts unter der Kontrolle des Gerichtshofs der Europäischen Union. Sie führt den Haushaltsplan aus und verwaltet die Programme. Sie übt nach Maßgabe der Verträge Koordinierungs-, Exekutiv- und Verwaltungsfunktionen aus. Außer in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und den übrigen in den Verträgen vorgesehenen Fällen nimmt sie die Vertretung der Union nach außen wahr. Sie leitet die jährliche und die mehrjährige Programmplanung der Union mit dem Ziel ein, interinstitutionelle Vereinbarungen zu erreichen.

(2) Soweit in den Verträgen nichts anderes festgelegt ist, darf ein Gesetzgebungsakt der Union nur auf Vorschlag der Kommission erlassen werden. Andere Rechtsakte werden auf der Grundlage eines Kommissionsvorschlags erlassen, wenn dies in den Verträgen vorgesehen ist.

(3) Die Amtszeit der Kommission beträgt fünf Jahre.

Aha… und der Kommissionspräsident? Was macht der? Wie wird der also gewählt? Und wer wählt die Kommissionsmitglieder?
Das wiederum finden wir ab $17.4 ff.

Umfang der Kommission

(4) Die Kommission, die zwischen dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon und dem 31. Oktober 2014 ernannt wird, besteht einschließlich ihres Präsidenten und des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, der einer der Vizepräsidenten der Kommission ist, aus je einem Staatsangehörigen jedes Mitgliedstaats.

(5) Ab dem 1. November 2014 besteht die Kommission, einschließlich ihres Präsidenten und des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, aus einer Anzahl von Mitgliedern, die zwei Dritteln der Zahl der Mitgliedstaaten entspricht,

Zur Wahl der Kommission und des Kommissionspräsidenten, da haben wir es doch endlich:

(7) Der Europäische Rat schlägt dem Europäischen Parlament nach entsprechenden Konsultationen mit qualifizierter Mehrheit einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Kommission vor; dabei berücksichtigt er das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament. Das Europäische Parlament wählt diesen Kandidaten mit der Mehrheit seiner Mitglieder. Erhält dieser Kandidat nicht die Mehrheit, so schlägt der Europäische Rat dem Europäischen Parlament innerhalb eines Monats mit qualifizierter Mehrheit einen neuen Kandidaten vor, für dessen Wahl das Europäische Parlament dasselbe Verfahren anwendet.

Der Rat nimmt, im Einvernehmen mit dem gewählten Präsidenten, die Liste der anderen Persönlichkeiten an, die er als Mitglieder der Kommission vorschlägt. Diese werden auf der Grundlage der Vorschläge der Mitgliedstaaten entsprechend den Kriterien nach Absatz 3 Unterabsatz 2 und Absatz 5 Unterabsatz 2 ausgewählt.

Der Präsident, der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und die übrigen Mitglieder der Kommission stellen sich als Kollegium einem Zustimmungsvotum des Europäischen Parlaments. Auf der Grundlage dieser Zustimmung wird die Kommission vom Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit ernannt.

Heißt also?
Erst spricht sich der EU-Rat ab und stimmt mittels einer sog. qualifizierten Mehrheit – laut dem hierzu noch bis November 2014 gültigen Vertrag von Nizza – für einen Kommissionspräsidenten. Unter Berücksichtigung der EU-Wahlen. Übrigens, Deutschland hat 29 Stimmen, ebenso wie Frankreich und England. Was heißt qualifizierte Mehrheit?

EU-Glossar dazu

Seit dem 1. Januar 2007 und nach der Erweiterung der Union wird die qualifizierte Mehrheit mit 255 von 345 Stimmen und der Zustimmung der Mehrheit der Mitgliedstaaten erreicht. Außerdem kann ein Mitgliedstaat überprüfen lassen, ob die qualifizierte Mehrheit mindestens 62 % der Gesamtbevölkerung der Union repräsentiert. Ansonsten kommt der Beschluss nicht zustande.

Mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wird ein neues System, das der „doppelten Mehrheit“ eingeführt. Es tritt erst am 1. November 2014 in Kraft und das System von Nizza gilt weiterhin für eine Übergangszeit bis 31. Oktober 2014. Gemäß dem Vertrag von Lissabon entspricht die neue qualifizierte Mehrheit mindestens 55 % der Mitglieder des Rates, gebildet aus mindestens 15 Mitgliedern, sofern die von diesen vertretenen Mitgliedstaaten mindestens 65 % der EU-Bevölkerung ausmachen. Für eine Sperrminorität sind mindestens vier Mitglieder des Rates erforderlich.

Nachdem sich der EU-Rat auf einen Kandidaten geeinigt hat – mittels Wahl – wird der Kommissionspräsident dem EU Parlament vorgestellt und per Wahl abgenickt. Fertig? Nö! Der EU Rat benennt nun zusammen mit dem vorläufigen Kommissionspräsidenten die einzelnen Kommissionsmitglieder, die dann én bloc dem EU Parlament zur abnickenden Wahl vorgeschlagen werden. Wenn das EU Parlament jetzt dem gesamten Kommissionsteam nicht zustimmt, ist der Kommissionpräsident ebenso fällig wie auch die Mitglieder der Kommission. Also etwas anders zur Kanzlerin, die Minister alleine zusammen mit dem Bundespräsidenten quasi bestimmt und faktisch entläßt? Exakt.

Was hat eigentlich der Kommissionspräsident zu melden und warum also das heckmeck, wo doch alle irgendwie etwas mitzubestimmen haben? Na, das ist einfach und damit extrem wichtig, steht im EU-Vertrag §17.6:

(6) Der Präsident der Kommission
a) legt die Leitlinien fest, nach denen die Kommission ihre Aufgaben ausübt,
b) beschließt über die interne Organisation der Kommission, um die Kohärenz, die Effizienz und das Kollegialitätsprinzip im Rahmen ihrer Tätigkeit sicherzustellen,
c) ernennt, mit Ausnahme des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, die Vizepräsidenten aus dem Kreis der Mitglieder der Kommission.

Erinnern wir uns an oben? Die Kommission hat die alleinige Gesetzesinitiative, nebst dem Vorschlagsrecht des EU-Parlaments, dass die EU-Kommission doch mal bitte einen Gesetzestext ausarbeiten und dem EU-Rat vorlegen möge. Wer sich generell für den komplexen Hergang der Gesetzgebung interessiert: Ihr findet eine super tolle Übersicht auf „Die Legislativbefugnis / Das Ordentliche Gesetzgebungsverfahren“ mit schönen Schaubildchen. Danke Insa, für den tollen Linktipp!