Ist es nicht unvernünftig, einen Wagen zu fahren, der über 400 PS unter der Haube hat? Ist es nicht unvernünftig, einen Wagen zu fahren, der nur Platz für zwei Personen bietet, so gut wie keine Koffer schluckt, dafür aber wertvolles Benzin én masse? Ja. Ist es. Und gerade weil diese Welt Vernunft immer höher hält, ist dieser Wagen ein Gegenteil davon. Ein Sieg der Unvernunft. Und ein Sieg über die übliche, rationale Langeweile da draußen im heutigen Automobilsektor. Der neue Mercedes SL macht alles unvernünftiger. Er bietet ein unvernünftiges Übermaß an Luxus, Fahrspaß- und Kultur, aber auch ein Übermaß an Wohlgefühl und Sicherheit.
Manch einer würde den Wagen als zu teuer beschimpfen. Als Ökonom ist das natürlich blanker Unsinn. Er bietet pro Gramm und pro Meter mehr für sein Geld als die allermeisten Autos, die da draußen herumfahren. Es gibt wohl kaum ein Auto, in das man sich hineinsetzt – man muss nicht einmal die Finger über die Materialien streichen lassen -, tief einatmet und schon zu Grinsen anfängt. Es mag sein, dass es auf Dauer etwas debil aussieht. Mag sein, es ist sogar unvernünftig, aber man kann nicht anders. Natürlich könnte ich jetzt die Details aufzählen, die der Wagen dem Fahrer und Beifahrer bietet. Wozu? Ich könnte etwas von der hervorragenden Soundanlage erzählen, die auch und wegen dem in der Karosserie integrierten 15 Liter Hohlraum einen derartigen Bass erzeugt, dass einem die Hosenbeine schlackern. Ungelogen, die Soundanlage ist so rattenscharf, dass man sich wie im Konzertsaal vorkommt. Und will schon alleine aus diesem Grunde nicht mehr aussteigen.
Sobald man den Motor zündet (natürlich per Knopfdruck, wer braucht schon einen Schlüssel, den man irgendwo archaisch anmutend reinstecken soll?), wird das Grinsen noch breiter. Das oberste Prinzip der Unvernunft lautet hier: Alles kann, nix muss. Die V8-Maschine brabbelt herrlich genüsslich vor sich dahin, ohne proletig zu werden. Man könnte, wenn man wollte, aber wozu? Dafür sind Sportwagen da. Doch das tut man einem Luxusroadster nicht an. Wir nennen es „Reseven haben“. Das soll genügen. Und wenn man schon mal Gas geben will, verliert der Motor nie die Contenance. Er brabbelt dann eben etwas lauter, aber immer noch herrlich gediegen vor sich dahin. Kein Brüllen und kein Kreischen wie diese Sportwagen, die es unbedingt allen zeigen wollen, wie viel Power sie haben und wie laut sie sein können. Wozu so stillos eigentlich? Selbst der Tritt in den Zuckersüßen gestaltet sich mit Niveau und nicht mit dem Baseball-Schläger. Man genießt und grinst still. Oh, man fährt ja schon weit über … und hört nur dezente Schwebegeräusche. Mein Auto, mein Auto!
Das eigentliche Vergnügen, das sogenannte „gesamtheitliche Fahren“ gestaltet sich ebenso gediegen. Man fährt nicht, man schwebt. Ob nun mit offenen oder geschlossenen Verdeck. Und es ist in der Tat ein Übermaß an Unvernunft vorhanden. Es wäre vernünftig, alle zwei Stunden eine Pause einzulegen. In diesem Wagen vergeht die Zeit ohne Anstrengung wie im Fluge. Entspannung ist im Auto, nicht außerhalb des Autos angesagt. Auch wenn der ADAC und andere Experten vernünftigerweise etwas anderes raten. Klar, Kurvenfahrten sind anstrengend, doch nicht so in diesem PKW. Ob man nun geradeaus oder in die Kurve hineinfährt, irgendwie merkt man den Unterschied nicht. Ich sagte es bereits: Man schwebt, man fährt nicht.
Wo bleiben eigentlich die technischen Details zu diesem Meisterwerk? Sorry, aber das ist mir zu profan für so ein Fahrzeug. Schaut das doch bitte bei den Wagen nach, die 20.000 Euro kosten, vier Räder haben und ausreichend Platz für Ratio und Familie. Diesem Fahrzeug wird das nicht gerecht.
Ich habe schon viele Fahrzeuge in meinen über 25 Fahrerjahren gefahren, von Kleinwagen bis Monsterautos. Aber ich habe bis dato noch in keinem Kunstwerk gesessen, das mich mehr überzeugt hätte. Es scheint für mich gebaut worden zu sein. Ein Luxusauto, das nicht zu sehr protzt, stets die Contenance wahrt, sich exzellent und extrem entspannt fährt, auf kurzen und auf langen Strecken, genügend Reserven bietet und ein Meisterwerk der Autobauer ist.
Wo bleibt demnach die Kritik vor lauter voreingenommener Subektivität? Es gibt in der Tat einen großen Kritikpunkt: Das Aussteigen. Es ist das Aussteigen. Es fällt extrem schwer. Aber ich hoffe, dass Mercedes diese Problemzone der Vernunft auf keinen Fall angeht, wir wollen schön unvernünftig bleiben.
Disclosure
Daimler hat Journalisten und Blogger zu den Fahrtesttagen nach Marbella eingeladen, um den Mercedes SL 500 zu testen. Die Flugkosten und Übernachtungskosten im Hotel wurden von Daimler übernommen. Dies hat selbstverständlich Einfluss auf meine Meinung genommen. Daimler hat uns nämlich den SL 500 einfach so hingestellt. Um damit zu fahren. Ich sollte Euch eigentlich als Medienvertreter bloß informieren, doch habe ich das nicht über mein Herz gebracht und dabei allen Ethos über Bord geworfen, Distanz zu einer bloßen Fortbewegungsmaschine mit fossilen Verbrennungsmotor zu wahren. Vor dieser unverschämten Beeinflussung konnte ich mich nicht schützen, ich gebe es vollumfänglich zu. Der SL ist oberste Sahne, Vanillesauce mit Erdbeeren, Sachertorte, best steak of the world und Kunstwerk zugleich.
Übrigens, unvernünftiges Dauergrinsen?
Schaut Euch mal das an, meine Bloggerkollegen Jens (Blog: Rad-Ab.com) und Jan (Blog: Auto Geil, von dem auch die obigen Bilder stammen!):
Weitere Blog-Beiträge
- Rad-Ab.com: Probefahrt: Mercedes-Benz SL 500 R231 – 2012 – Fotos SL 500 R231
- Auto-Geil.de: Probefahrt: Der neue Mercedes-Benz SL 500 BlueEFFICIENCY Edition 1 (R231)
- Mercedes Passion: Ikone, Athlet, Ästhet: Der SL 500 “Edition 1″ in designo magno kristallsilber in Marbella
- Mercedes Passion: Mercedes-Benz SL “Edition 1″ im Detail
Randgeschichten
Im Hafen von Marbella parkte direkt neben unserem SL 500 das Vorgängermodell. Allerdings, leicht verändert, wie man sieht. Ein AMG CL 65 mit zu unvernünftigen 700 PS, 12 Zylindern. Er stieg aus und beschaute neugierig unser Modell. So kamen wir ins Gespräch. Er – der wohlhabend aber trotz dieser Monstermaschine überraschend stilvoll aussehende Halter – lebe seit über 25 Jahren in Marbella und komme aus dem hohen Norden (am Rande, kurz zurück zu seinem AMG SL: Er hatte in seinem Wagen das Leder einsetzen lassen, das normalerweise Bentley-Fahrer umschmiegt). Nach etwas Small Talk luden wir ihn kurzum zu einer Probefahrt ein, was soll man schon lange herumreden? Und? Natürlich würde es die Haut mit dem neuen SL einreiben, jedoch erneut in der AMG Version mit mehr Schmackes und vor allen Dingen „weniger Knöpfen“ (O-Ton). Das versteht man nur, wenn man wüsste, dass er für Bang & Olufsen arbeitet. Modernste Power vom Feinsten mit weit zurückgenommenen Design. Das geht tatsächlich in meine Richtung. Wenn ich am Wagen etwas verbessern würde, dann wäre es der Innenraum und zwar die vielen Anzeigen und Knöpfe. Je weniger davon zu sehen ist umso besser. Aber ich bin mir sicher, dass Mercedes eines Tages auch das hinbekommt, was ich nicht nur bei der SL, sondern schon beim SLK und der C-Klasse angemeckert habe. Zuviel Ingenieur, zu wenig Zurückhaltung beim Zeigen der Funktionen. Aber nun gut, irgendwo muss ja doch noch etwas Vernunft herrschen.
21.03.2012 um 09:46 Uhr
Um es mit den Worten von Deichkind zu sagen: „Auto’s machen Dreck, Umwelt geht kaputt doch ’ne fette neue Karre is‘ – leider geil.“
21.03.2012 um 09:46 Uhr
Auf twitter gut geteasert; dachte wirklich für einen Moment, Du hättest Dir jetzt einen SL gekauft.
21.03.2012 um 09:53 Uhr
Hi,
schickes Auto…das sich kaum einer leisten kann…ich frage mich, wie du das hier meinst:
„wohlhabend aber trotz dieser Monstermaschine überraschend stilvoll aussehende Halter“
wie sehen ‚die‘ denn sonst aus?
liebe grüße…
21.03.2012 um 09:59 Uhr
sonst aussehen? Ich komme aus Frankfurt, da schauen die meistens anders aus und mögen auch viel Schmuck.
21.03.2012 um 10:03 Uhr
„Man fährt nicht, man schwebt.“
Danach habe ich gesucht. Der perfekte Kontrapunkt zu einer hochbeschleunigten, aber genauso oberflächlichen Welt. (Ohne zum RR greifen zu müssen.)
21.03.2012 um 10:04 Uhr
Lieben deinen „Disclosure“, sehr schön formuliert XD
21.03.2012 um 10:05 Uhr
Wow, das ist ja mal ein Post. Der nimmt einen im wahrsten Sinne des Wortes mit … auf die Reise. Scheint als hat Mercedes da einiges richtig gemacht :o)
21.03.2012 um 10:25 Uhr
Der Artikel zeigt sehr schön, was dabei herauskommt, wenn man nicht regelmäßig solche Fahrzeuge fährt und der kritische Blick des Vergleichs fehlt. Da ist übrigens auch keine Handbreit Luft mehr nach oben zu anderen schicken und besser motorisierten Boliden, und vom Fahren und Fahrerfahrungen im Grenzbereich wollen wir hier gar nicht reden. Solche Artikel kann man btw. nur ein einziges Mal schreiben …
21.03.2012 um 11:31 Uhr
vernünftig oder unvernünftig ist eigentlich nebensache. wichtig ist, die finanziellen mittel zu haben, sich so ein auto leisten zu können. dann hat man auch die unabhängigkeit im leben. das wäre einfach klasse.
21.03.2012 um 10:51 Uhr
Du wirst noch zum Auto-Blogger und die kritische Bemerkung vom Kollegen Spehr kann eigentlich nur darauf abzielen, das da jemand seine Felle davon schwimmen sieht…
Das ein Blogger wie Robert in brutalst subjektiver Form über so eine Wuchtbrumme schreibt ist doch klar…
21.03.2012 um 11:01 Uhr
Bjoern, danke. Aber Michael hat doch recht, ich fahre nicht regelmäßig Wagen aus dieser Liga, ein Vergleich wäre daher interessant aber absolut gesehen unnötig, da ich den Wagen einfach nur perfekt finde für meinen individuellen Geschmack.
24.03.2012 um 18:58 Uhr
Ist zwar schön das auf die Umwelt beim Autobau geachtet wird, nur schade dass sich die wenigsten ein soclhen Auto leisten können und somit der gute Wille auch nichts nützt.
24.03.2012 um 21:46 Uhr
Geschickte Strategie von Mercedes. Gut dass die Beeinflussung auch zu Wort kommt. Objektiv gesehen sind solche Fahrzeuge von gestern. Bei 7 Milliarden Menschen sowas zu produzieren und entsprechende Wünsche zu wecken, ist schon fragwürdig. Aber wenn man mal die Gelegenheit hat so ein Auto zu fahren, warum nicht?
26.03.2012 um 15:25 Uhr
Wow bei diesem Blogeintrag bin sogar ich neidisch auf dich geworden.
Und das obwohl ich keine Ahnung von Autos hab und noch nichtmal ein eigenes hab, ich mir in Zukunft auch keins kaufen kann (schon gar nicht so eins!) und nur über meinen Freund ein wenig von der Autowelt mitbekomme.
Respekt und Hut ab!
30.03.2012 um 20:00 Uhr
Hmmm … ich hätte gerne das Geld, dass ich mir DAS Auto leisten könnte. Dann würde ich mir sicherlich kein Auto kaufen, sondern ganz was anderes. Oder um mit Aristoteles zu sprechen „Was es alles gibt, das ich nicht brauche!“
Obwohl … einmal Probefahren … schön wär’s dann doch. Wenn die Sonne scheint … und …ups … erwischt.
01.04.2012 um 12:21 Uhr
Raffiniert geschrieben – fast würde ich jetzt auch einen wollen… Mercedes scheint in allen Medien vom Senioren-Image wegzuwollen. Seltsam eigentlich, wo doch die Leute immer älter werden!
05.04.2012 um 14:27 Uhr
Sicherlich ein klasse Auto, trotzdem finde ich den Artikel zu übertrieben. Zeigt jedoch auch wo Mercedes hinmöchte und das ist ganz klar weg vom Image des Rentnerfahrzeugs.
14.04.2012 um 20:39 Uhr
Mit Sicherheit ein nicht ganz schlechtes Fahrzeug, aber optisch will es in meinen Augen einfach nicht im Jahr 2012 ankommen. Über Geschmack läßt sich bekanntlich streiten.
08.04.2014 um 02:22 Uhr
Oh ja, auch mein Traumwagen. Es wird Zeit meine Frau davon zu überzeugen auch einmal unvernünftig im Leben zu sein. ;-)