Matthias Schwenk befasst sich in „Blogs in der Defensive? Über den Kommunikationswandel in sozialen Medien“ mit dem Thema Blog als Kommunikationstechnik. Im Verhältnis zu anderen Alternativen. Torsten Larbig greift den Artikel in „Perspektiven für Blog-Debatten: Aktuelle Entwicklungen im Netz“ auf. Auch Heiko Schneider nimmt das zum Anlass, um sich in „Ein Plädoyer für das Blog“ zum Thema von Matthias zu äußern.

Ich selbst interessiere mich seit jeher für das digitale Kommunikationswerkzeug Blog. Es ist mir von Zeit zu Zeit ein Vergnügen, Blogs im Kontext der digitalen Entwicklung zu betrachten. Wo stehen Blogs, was bringen sie, warum nutzt man Blogs, wie geht es weiter? Und nehme Matthias Artikel als willkommenen Anlass, mich erneut damit zu befassen. Dieses Mal aus der Perspektive „Blogs als Alternativenproblem“.

Blogs kann man als ein recht einfach anzuwendendes, technisches Werkzeug des Menschen verstehen, um sich im digitalen Raum Gehör zu verschaffen. Diese Kommunikationstechnik ist allerdings nur eine von vielen Möglichkeiten, die zur Befriedigung unterschiedlichster Bedürfnisse zur Verfügung stehen. Obgleich die bloße Bedienung der Kommunikationstechnik Blog einfach erscheinen mag, ist die Wahl und Anwendung dieser Kommunikationstechnik mit Sicherheit nicht als einfach zu bezeichnen. Sie kann im Sinne einer Alternativenauswahl als komplexes Problem verstanden werden.

Alternativenauswahl als Problem? Die Bedienung sei einfach, die Wahl und Anwendung sind hingegen als Gegenteil davon zu bezeichnen? Präzisieren wir das zunächst.

Wir Menschen sind mit hoher Wahrscheinlichkeit darin begabt, Werkzeuge zu entdecken, umzuformen und natürlich auch zu nutzen. Jedoch, unsere Innovations- und Modifizierungsfähigkeiten bringen es mit sich, einem Arsenal von Alternativen gegenüberzustehen.

Wir haben irgendwann entdeckt, dass man mit Steinen schneiden kann. Über die Jahrhunderte hinweg haben sich zahlreiche Schneidwerkzeuge entwickelt. Heute kennt der Anfänger eben „das Messer“, der Fachmann kennt Schneidwerkzeuge angefangen beim simpelsten Kuchenmesser bis hin zum Laser- und Wasserschneider. Der Anfänger kennt ansatzweise das Material und die groben Anwendungsgebiete, der Fachmann weiß um die Vorteile verschiedenster Materialien und welche exakten Anwendungsgebiete geeignet sind.

Alternativenauswahl ist in der Tat ein Problem, je größer die Menge an Alternativen ist und je ausdifferenzierter die Anwendungsgebiete sind.

Blogs als Instrument der Kommunikation zu betrachten fällt einfach, die bloße Wahl dieses Instruments und die anschließende geeignete Anwendung hingegen nicht. Es hängt wie oben beschrieben zum einen vom Nutzer selbst ab, wie hoch sein Wissen um das Werkzeug selbst ist.
1. Die meisten Nutzer haben vom Werkzeug Blog schon etwas gehört. Angewendet haben sie es nicht. Sie verstehen kaum etwas davon. Sie brauchen das Werkzeug nicht.
2. Dann gibt es Nutzer, die mit Blogs bereits gearbeitet haben, jedoch – im übertragenen Sinne – nur grob das Kuchen- vom Fischmesser unterscheiden können. Das Wissen um mögliche Anwendungsgebiete und notwendigen Techniken ist begrenzt.
3. Und es gibt Nutzer, die sämtliche Einsatzgebiete und „Materialien“ kennen, das Werkzeug „Blog“ weitaus differenzierter verstehen und anwenden können.

Wer von uns weiß schon exakt, welche Blogtypen es gibt? Wer kennt sich mit allen Medientypen wie Voice, Text, Bild und Video aus? Wer weiß exakt um Zusammenhänge zwischen Gefunden und Gelesen werden? Wer weiß, welches Design eines Blogs den Zweck fördert? Wer weiß exakt, wie man sich „vernetzt“? Wer weiß, wie man Recherche und Inhalteaufbereitung effizient gestaltet? Wer ein Blog als Kommunikationsinstrument nutzt und anwendet, hat je nach Spezialisierungsgrad und Wissen weit über 1.000 Techniken im Auge, andere wiederum nur sehr wenige Techniken und dennoch reicht es demjenigen aus. Jeder kann kochen, doch je ausgefeilter man kochen will, desto mehr muss man über das Kochen jahrelang erlernen.

Und auf der anderen Seite? Es hängt nicht nur vom Nutzer selbst ab, ob und wie er das Werkzeug Blog nutzt, sondern auch von alternativen Werkzeugen. Die Alternative Blog ist eben das, eine Alternative in der Auswahl unterschiedlichster Kommunikationstechniken.

So fördern Foren seit jeher den Diskurs wie auch lösungsorientierten Wissensaustausch in der Gruppe. Soziale Netze sind eher das Ausdrucksmittel der ersten Wahl, wenn es um die Förderung expliziter, sozialer Kontakte geht. Über das Werkzeug Mail und Chat können wir unmittelbar mit Dritten kommunizieren. Über Videoseiten sogar im Bewegtbild. Statische Webseiten nicht zu vergessen, von denen es hunderte von Typen gibt.

Die Gretchenfrage ist? Wenn der Nutzer bereits bei der Anwendung der Kommunikationstechnik Blog vor einem Problem steht, wird er das erst recht, wenn er entscheiden muss, wann er wozu welche alternativen Werkzeuge anwendet. Die Unterschiede sind rational kaum ausformulierbar. Es erscheint diffus. Im Gegensatz zum Griff eines Hammers oder Messers. So kann ich ohne Weiteres ein Blog als Vernetzungstool nutzen, meinem sozialen Gruppenantrieb nachgehen, lösungsorientiert in der Gruppe arbeiten, auch unmittelbar kommunizieren. Das könnte ich ebenso über soziale Netze und Foren, ohne dass ich bloggen müsste.

Wir wissen aber eines relativ genau. Wenn schon die Auswahl eines Werkzeugs diffus erscheint, müssen wir auf andere Beobachtungen zurückgreifen. Das simple Prinzip lautet: Menschen nutzen Werkzeuge, um etwas zu lösen. Je länger es dauert, das Werkzeug anzuwenden und je länger es dauert, befriedigt zu werden (wer vergeblich versucht hat, einen Nagel in die Wand zu schlagen, weiß was ich meine), wird er eher auf andere Werkzeuge ausweichen. Oder neue Werkzeuge erfinden bzw. bestehende Werkzeuge verändern. Es ist kein Zufall, dass „wir“ MySpace, Facebook, Twitter, YouTube, neuerdings auch G+ erfunden haben. Blogs reichten als Werkzeug nicht aus, um die unterschiedlichsten Anforderungen an Kommunikationsmöglichkeiten und -bedürfnisse zu erfüllen.

Anders gesagt: Alle kochen, weil sie essen müssen. Wenige kochen ausgefeilter, weil sie am eigenen, guten Essen Befriedigung finden. Und viele gehen gerne (gut) essen oder weil sie keine Zeit zum Kochen aufbringen können noch wollen. Diese Analogie kann man in meinen Augen recht gut auf Blogs anwenden, die lediglich eine Alternative im Set von zahlreichen Kommunikationswerkzeugen darstellt. Wer gerne selbst „kocht“ und vielleicht sogar gerne sehr gut „kocht“, wird ein Blog nutzen. Wer nicht, wird sich eben bekochen lassen oder nur sehr wenig Zeit fürs Kochen aufwenden (Foren, Soziale Netze).

So verwundert es kaum, dass wir Menschen eher Kommunikationsinstrumente bevorzugen, die einerseits die Anwendung einfach gestalten und andererseits kommunikativ recht zügig zu Ergebnissen führen. Ich habe das bereits in einem anderen Artikel „Einfache Erklärungen: Warum facebooken und twittern“ als „Instant Gratification„-Effekt zu erklären versucht.

Ein soziales Netz wie Facebook bietet einen Platz, von dem man weiß, dass sich dort bereits viele Menschen tummeln und von dem man weiß, dass es wohl einfach anzuwenden ist, wenn es viele nutzen. Die Alternativenauswahl „soziales Netz“ erscheint über die Gruppe gelöst zu sein, das unmittelbare Feedback aus der Anwendung heraus gegeben. Den Kommunikationsraum Blog muss man als Tummelplatz von miteinander kommunizierenden Menschen erst schaffen, die Anwendung des Werkzeugs beschränkt sich nicht auf vorformulierte, recht einfach – eher komplex – zu begreifende Kommunikationsmöglichkeiten (im Gegensatz zum expliziten Befreunden, Liken, Sharen und Kommentieren).

Blogs sind und bleiben Kommunikationswerkzeuge, die im Gegensatz zu anderen Werkzeugalternativen komplexer zu bedienen sind. Sie bleiben denen als Alternative erster Wahl vorbehalten, die gerne selbst zu Hause kochen. Alle anderen, die einfachere und schnellere Lösungsbefriedigungen bevorzugen, werden gerne auf Alternativen zurückgreifen.