Ich hatte über die Frage sinniert, ob der zunehmende Einsatz von Social Media (i.w.S. zu verstehen) nicht zu einer Instabilität des Systems führt. So dass am Ende des Prozesses der Einsatz von Social Media ineffektiv wird, da die Empfänger quasi eine Art von Immunität aufgebaut haben. Verkürzt? Zuviel Social Media stumpft den Kunden ab, macht ihn misstrauisch gegenüber den Kunden, die Firmen/Produkte/Services empfehlen. Hier der Link zum Artikel: Social Media und wie eine Hoffnung untergeht: Soziale Verschmutzung. Dort formuliere ich einige Vorschläge, wie man diese mögliche Entwicklung gegensteuern kann.

Nun hat sich jüngst Jörg Wittkewitz dazu auf Netzpiloten geäußert: Wie PR Social Media zerstört. Im Kern seiner These steht die Behauptung, dass mangelnde Expertise und mangelndes Verständnis seitens der PRler Social Media als Instrumentarium unbrauchbar machen wird. Es steht im Gegensatz zu meiner These, dass gerade die zunehmende Expertise das Instrument abstumpfen wird, nicht etwa mangelnde Expertise. Die zunehmend exzellent anmutende Ökonomisierung sozialer Interaktionen wird eine Gegenreaktion der Konsumenten/Kunden hervorrufen. Sowohl von der Planung wie auch Umsetzung.

Kerstin Hoffmann hat sich als PRlerin auf ihrem Blog zu den Thesen von Wittkewitz geäußert: Warum PR Social Media nicht zerstören kann. Was ist der Kern ihrer These? Mangelnde Expertise wird vom Markt entsprechend aussortiert, gute Expertise wird sich durchsetzen und Social Media zum Erfolg verhelfen.

Woran mich das erinnert? Es existieren gängige Theorien in der Volkswirtschaft, die bestimmte Marktmechanismen beschreiben. So können wir u.a. die Neoklassik und den Keynesianismus in einem entscheidenden Punkt grob (hier ausreichend) unterscheiden: Neoklassik postuliert, dass sich Märkte ohne Eingriffe von außen (aka Staat) von selbst regulieren. Im positiven Sinne. Berühmte Wissenschaftler haben dazu Unmengen von Büchern verfasst. Umgekehrt behauptet der Keynesianismus, dass der Staat in Märkte regulierend eingreifen muss, damit Märkte nicht versagen. Dahinter steht die viel diskutierte Vorstellung der „Invisible Hand„, die Adam Smith in seinem berühmten Werk „Wohlstand der Nationen“ sozusagen erfand.

Das Konzept der Unsichtbaren Hand wurde unter anderem durch Paul A. Samuelsons millionenfach gedrucktes Standardwerk „Economics“ bekannt. Dort wird dargestellt, wie der Mechanismus der unsichtbaren Hand zu einer effizienten Allokation von Ressourcen führt, sowie die einschränkenden Bedingungen, die dazu erfüllt sein müssen.

Denkschulen, Akademiker, Wissenschaftler? Wen interessiert der Quatsch? Der „Quatsch“ hat entscheidenden Einfluss auf Nationen, Politiker und Unternehmenslenker. Denkschulen beeinflussen ganz entscheidend deren Handlungen. Ob es nun um Deregulierung von Märkten geht (die FDP ist ein großer Freund dieser Idee), der Regulierung von Finanzmärkten, der Geldpolitik der EU-/Bundesbank, der Investitionsquote des Staates, der Steuerlast, der Subventionspolitik, der Förderung bestimmter Marktstrukturen (Monopol, Oligopol, Polypol). An allen Ecken und Enden finden sich Grundlagen der verschiedenen Denkschulen wieder. Zurück zu Social Media.

Wenn man so will, habe beide Denkschulen ohne Weiteres recht: Wenn Social Media unnütz wird, war es eben die Entscheidung des Marktes. Wenn nicht, war es ebenso eine Entscheidung des Marktes. Die Logik gebietet jedoch, sich darüber Gedanken zu machen, wann Social Media als Instrument gesamtheitlich für alle Marktteilnehmer versagen kann und warum? Das gelingt nicht dadurch, dass sich einzelne Marktteilnehmer Gedanken machen, sondern gemeinschaftlich Überlegungen anstellen. Exakt das habe ich in meinem Posting vorschlagshalber schon formuliert.

Hier again:
1. Absolute Transparenz beim Vorgehen: Dem User mitteilen, warum man als Unternehmen wie agiert. Warum man Kontakt aufnimmt, was man sich erhofft.

2. Absolute Rollentrennung: Mitarbeiter agieren kristallklar nicht als Privatperson auf Twitter, Facebook und in Blogs, sondern stets in der Rolle als Vertreter des Unternehmens. Ein Blick auf Facebook zeigt jedoch auf, dass zahlreiche User diese Rollentrennung nicht strikt ausüben. Eine private Vermengung der eigenen Kommunikation mit der wechselweisen, beruflichen Kommunikation stellt ein großes Problem dar. Nicht nur für Freiberufler.

3. Das unaufgeforderte Kontaktieren von Privatpersonen im Netz unterlassen. PR-Agenturen sind hier schon sehr weit vorangeschritten, so dass man Vergleiche mit Telefonmarketing anstellen kann (was gesetzlich unterbunden wurde, im Bereich B2C).

4. Eine öffentliche Selbstverpflichtung der Unternehmen, inländisch und ausländisch (unter Umgehung nationaler Gesetze) auf das Sammeln von personenbezogenen Profildaten zu verzichten (Kommunikationswege, Influencer-Größen, Konsumvorlieben, Haltungen, Charaktereigenschaften).

5. Das Gründen eines Social Media Ethik-Rates, der den Unternehmen einen Kodex auferlegt, die sich dem Rat anschließen. Das beinhaltet auch die Werte, Ethiken und Moralvorstellungen, die gemeinsam auszuarbeiten sind.

Im Kern dieser Postulate steht die Vorstellung dahinter, das Bewusstsein aller Markteilnehmer zu schärfen, um sich über die individuellen Konsequenzen seines Tuns klar zu werden. Angefangen beim Endkunden im Kontakt mit einer Firma, die SM einsetzt bis hin zum Unternehmen selbst.

Gesetzeslage in der USA
Ein Hinweis auf die praktische Handhabung dieser Vorstellung, dass in Märkte eingegriffen wird, wenn sich Turbulenzen abzeichnen. So theoretisch, was ich von mir lasse, ist das nicht. Der US Staat hat alle US-Blogger dazu verdonnert, sich an die Endorsment Guides zu halten. Das Gesetz (.pdf) wurde 2009 eigens angepasst, im Rahmen der Social Media (!) Aktivitäten von US-Unternehmen im Zusammenspiel mit US-Blogs. Siehe dazu auch eine erklärende Slideshow. Im Zentrum steht die Offenlegung von Maßnahmen, die zu einer Kundenempfehlung führen. So müssen Blogs gesetzlich Sponsoring-Maßnahmen offenlegen. Das betrifft ürbigens nicht nur Blogger, sondern alle Teilnehmer von Social Media Plattformen! So sind Kunden verpflichtet, ihre Teilnahme an Viralmarketing-Kampagnen offenzulegen. Goodies und Freebies mitzuteilen. Mitgliedschaften bei einer Viralmarketingagentur anzugeben. Ach, schau an…in Deutschland? Weit und breit ist dergestalt nichts zu sehen. Freie Märkte sind schön, aber der Krug geht solange zum Brunnen bis er zerbricht. Was war aber der Anlass zu dieser Novellierung des Gesetzes? Anbei ein älterer NY Times Artikel (.zip -> .pdf), der die frühen Missbrauchsformen von Social Media in den USA exzellent aufzeigt.