die Frage war, ob es neue Arten von Blog-Techniken bzw. -Ansätzen gibt, die man als Blog der zweiten Generation bezeichnen könnte. Ich denke, wir stimmen darin überein (siehe Kommentare), dass man Blogs als ziemlich ausgereiftes Paket begreifen kann und sich nicht wundern muss, wenn man keine großen Änderungen am Blog-Ansatz seit Jahren sehen kann.
Machen wir den Gegentest und denken Blogs etwas anders denn wie gehabt. Denn, es ist klar, dass Technik das Denken als Blogger quasi vorgibt, wie man publiziert. Man muss sich aber nicht von der bisherigen Blog-Publikationstechnik einengen lassen. Brechen wir also aus dem Denkmuster aus. Wie?
Ausgangsgedanke: Was mich schon immer am Bloggen gestört hat, ist das Fire-and-Forget Publizieren. Wenn man Bloggen als eine Aneinanderreihung von Gedanken betrachtet, ergeben sich tausende von Artikeln als Ergebnis dieser publizierten Gedanken. Lose zusammenhängend, ein Permalink nach dem anderen, die vielen Artikel verschwinden regelrecht in den Archiven. Nur die neuesten Artikel bekommen eine hohe Präsenz in der Regel (ausgenommen die seitens Google beliebten Artikel).
Grundfrage: Sind Gedanken in der Tat so lose zusammenhängend, dass das Resultat sagen wir 1.000 fast – wenn man die Darstellung und Archivierung der Beiträge betrachtet – unabhängige Werke sind? Sie müssen nicht lose zusammenhängend sein. Sie können sogar sehr eng miteinander verbunden sein. Als Resultat neuer Zusammenhänge, Erkenntnisse und Neuigkeiten rund um ein Thema. Ein Thema, viele Gedanken, eine lange Timeline.
Deckt das bisherige Blog-System den Ansatz ab, dass thematisch zusammengehörige Gedanken in vielen Artikeln aufgeteilt werden müssen? Der neueste Gedanke im neuesten Artikel? Unklar, was ich meine?
Beispiel & Ergebnis dieser Überlegung:
Nehmen wir an, ich blogge über Blogs. Seit Jahren. Weiter angenommen: Seit Jahren habe ich 1.000 Artikel dazu publiziert. Ein Besucher schlägt auf dem Blog auf, weil er einem Link gefolgt ist. Er findet einen Artikel über – Beispiel – die Kommentierungsquote von Blogs. Er wird mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder das Blog verlassen, ohne weiteren Seiten aufzurufen. Fakt ist übrigens, dass Blog-Besucher im Durchschnitt um die 1,5 Seiten pro Besuch aufsuchen (weltweit ähnlich, nicht nur in Deutschland so). Das ist kein Wunder, sondern Ergebnis des Fire-and-Forget Prinzips des Blog-Systems. So helfen übrigens auch Plugins wenig, die am Ende eines Artikel weitere Artikel anzeigen. Was ist aber mit den anderen 50 Artikeln rund um das Kommentierungsverhalten von Lesern? Technische Tipps, Erkenntnisse, Community Management, Kommentierungsanreize und und und? Alles fire and forget.
Was wäre aber, wenn alle meine Gedanken zum Kommentier-System nicht in vielen Artikeln verteilt wären, sondern zunächst sehr einfach gedacht in einem einzigen Artikel mit Sprungmarken versehen? Man kann die neuesten Gedanken entweder chronologisch ablegen (+Sprungmarke) oder aber passend mitten im bisherigen Gesamttext ergänzend platzieren (erneut +Sprungmarke). Von außen wird grundsätzlich immer der eine Artikel angesprochen, jedoch mit unterschiedlichen Anlaufstellen.
Für den Leser hat es den Vorteil, sich mitten in einem „großen Text“ zu befinden, weitaus deutlicher zu einer weiteren Informationsaufnahme animiert zu werden. Der Autor hat den großen Vorteil, auf seine bisherigen Gedanken besser zurückgreifen zu können (pickt Euch doch mal im jetzigen Blog-System drei alte Artikel zu einem Thema heraus, viel Spaß… beschissen schwer das ist). Nicht nur das, er kann seine Gedanken und Erkenntnisse im Zeitverlauf weitaus besser strukturieren. Sowohl der Autor aber auch Leser könnten bei einem chronologischen Update des Artikels das Werden seiner Gedanken besser nachvollziehen. Das werdende Gesamtwerk macht weitaus klarer, dass die Gedanken des Autors zusammenhängen und eben nicht aus 1.000 losen Versatzstücken bestehen. Dies ist in der Tat ein markanter Unterschied zum bisherigen Blog-Gedanken bzw. der sich daraus ergebenden Publikationstechnik.
Ja, es gibt Wenn und Aber. Einerseits unterstützt kein Blog-System dieses „rolling blogging“ aus technischer Hinsicht (z.B. das automatische Updaten einer Sprungmarken-Übersicht ähnlich dem Kapitelaufbau eines Word-Dokumentes), man muss es händisch lösen. Auch RSS-Reader hätten mit Updates mitten in einem Artikel Probleme. Und das klassische Blog-Kommentarsystem versagt an dieser Stelle, da man eher ein inline-commenting System benötigt, um die Kommentare der Leser zum Bezugspunkt besser zuordnen zu können. Andererseits ergibt sich diese Lösung nicht für jedermann, der eben nicht thematisch eine Art von zusammengehörigen Gedanken bilden kann.
Was aber interessant ist? Denkt man das Blog nur anhand dieses Beispiels, ergeben sich gänzlich andere Publikations- und Strukturierungsanforderungen. Die in der technischen Umsetzung anders aussehen würden denn ein WordPress-Publikationssystem. Nur weil man es – das Bloggen – etwas anders denkt. Nicht fire and forget, sondern fire and roll on. Und es hätte in meinen Augen einen entscheidenden Effekt hinsichtlich der Strahlkraft von Blogs: Sie würden mittels der rollierenden Artikel – die mit der Zeit zu echten Fundgruben von Wissen und Erkenntnissen werden – weitaus qualitativer wirken denn die 1.000 lose verbundenen Versatzstücke eines Blogs.
06.01.2011 um 16:22 Uhr
Ich verlinke oft in meinen Beitragseinleitungen oder am Ende gezielt weitere Beiträge zu dem jeweiligen Thema. Ungewöhnlich? Vielleicht.
06.01.2011 um 16:26 Uhr
das ist unser einziges Hilfsmittel, das jedoch aufgrund der Darstellung als neue, eigenständige Einheit transportiert wird. Es hilft auch kaum, dass man damit vom Ergebnis her den Leser auf die weitere Reise mitnimmt, denn erfahrungsgemäß bleibt es auch damit bei 1,5 Seiten pro Besuch.
06.01.2011 um 16:46 Uhr
Die Alternative zu Related Posts ist, einen Roman zu schreiben. Dann bleibt der Leser länger ;)
06.01.2011 um 16:55 Uhr
wenn sequentieller Roman das richtig beschreibt, klar, warum nicht :) Der typische Blog-Leser sucht heute ganz sicher nicht im „Roman“ aus 1.000 Blog-Artikeln.
06.01.2011 um 17:15 Uhr
Hallo Robert,
Interessante Überlegungen. Lass uns mal laut denken. Kategorien, Tags und Links zu ähnlichen Beiträgen genügen Dir nicht für die Bündelung thematisch passender Inhalte, weil der User dann ja selbst weiterklicken muß? Und das tut er nicht. Also müsste daraus dann ein chronologisch geordneter Super-Beitrag entstehen, der ständig fortgeschrieben und bei Bedarf als Ganzes abgerufen werden kann. Die einzelnen Beiträge bleiben im Blog, nur, wers gebündelt mag, bekommt ALLES zu diesem Thema.
lg, ina.
06.01.2011 um 17:27 Uhr
Ina, Du drückst es schön zusammenfassend aus, ja, so kann man es darstellen/verstehen
06.01.2011 um 17:37 Uhr
die gesuchte Funktion müsste dann ein kleines Themen-Wiki auswerfen, dass aber auch wieder an andere Projekte „andocken“ können sollte. Hätt ich gern sowas. :)
06.01.2011 um 20:02 Uhr
So würde das Blog von der Struktur her quasi eine ‚Bibel‘, eine Sammlung kürzerer Bücher. Ich finde den Gedanken reizvoll. Als ich noch gebloggt habe, hat es mich oft gestört, Dinge zu Zwecken der Verständlichkeit in vielen Artikeln wiederholen zu müssen, die ich schon etliche Male geschrieben hatte. Besonders für Nischenblogs wäre der Ansatz, den Du skizzierst, sinnvoll. Wenn ein solches Publikationssystem existiert, fange ich vielleicht auch wieder an zu bloggen… ;)
06.01.2011 um 22:36 Uhr
Für mich klingt das immer noch sehr nach Tagübersicht. Ein Thema als großes Ganzes darstellen, genau das ist es ja, was eine Tagübersicht machen soll. Gut, in der Praxis bewahren die immer die Form der einzelnen Artikel, weil man ja auch davon ausgehen muss, dass jeder Artikel für sich eine Einheit ist.
Was es aber auch jetzt schon gibt sind die Artikelserien, bei denen man sich durch die Artikel immer vor- und zurückklicken kann. Die bilden dann schon eine neue Einheit. Müsste man nicht nur die Präsentation der Serienübersicht anpassen, um dem hier beschriebenen sehr nahe zu kommen?
Und zusätzlich natürlich zwischendrin Artikel einfügen können statt sie hinten anzuhängen. Das Inhaltsverzeichnis müsste gut und automatisch erstellt sein…
06.01.2011 um 23:25 Uhr
Rob, mit dem Gedanken hast Du vermutlich Deine Frage nach der nächsten technischen Evolution der Blog-Technik beantwortet.
Ein semantisches Blog, dass den Leser nach seinem Interesse und dem Gedankenfluss des Autors, gespickt mit Kommentaren und Links nach draußen durch ein Thema führt.
Ich habe Dich so verstanden, dass der Leser gar nicht mehr zwingend klicken muss, sondern einfach weiter scrollt und so immer weiter in die Thematik und Gedankenwelt des Bloggers eintaucht.
Müssten wir damit in der Form, wie wir bloggen auch um- und viel mehr voraus denken? Oder kann uns das die Technik wiederum abnehmen, in dem wir nicht einfach nur ein Editor-Feld beim Bloggen haben, sondern ganz bestimmte Semantik-Tags ausfüllen wie
Stimmung beim Schreiben
Motivation für Artikel
Adressat des Artikels
…
Also dem System und Leser die Antworten auf all die Fragen mitgeben, die ich mir als Blogger stelle während ich schreibe
07.01.2011 um 11:09 Uhr
Mir fiel grade noch was ein, da ich nach einem Posting einen Kommentar auf Facebook bekam, der mich wieder zu einem neuen Artikel anregte:
Rolling Blogging würde sich uU bei rein chronologischer Sortierung immer vom Detail und hoch spezialisierten Postings auf das allgemeinere Ausgangsthema bewegen.
Wäre für einen Einstieg ins Thema also für manche ungeeignet, weil zu sehr ans Eingemachte, ohne den vorherigen Verlauf zu lesen. Für andere wäre es zu langweilig weil sie sich vom neuesten und ausgefeiltesten Gedanken zum Common Sense durchlesen.
Wie wäre es damit, in einem Themenkomplex die Postings zu bewerten nach: Detailgrad und Spezialisierung.
Vgl mit Kochrezepten, die in Rezeptdatenbanken mit Schwierigkeit und Zubereitungsdauer qualitativ eine Orientierungshilfe bieten
07.01.2011 um 18:07 Uhr
Nur kurz, ich hab beide Artikel nur überflogen:
Wenn ich einen längeren Artikel um neue Aspekte ergänze, dann fahre ich mit dem System „Wiki“ eigentlich ganz gut. Dort kann man dann die „Recent Changes“ per RSS abonnieren (also sind Veränderungen innerhalb eines Textes auch kein Problem für RSS-Reader).
IMO sollten Blog & Wiki eh‘ zusammenwachsen. Irgendwo bei mir im Blog sind da schon erste Gedanken dazu vorhanden. Ein weiterer Artikel kommt wohl bald.
08.01.2011 um 12:56 Uhr
Bei Autobild nennen wir solche Artikel „Mutterartikel“. Die werden zu einem Thema angelegt und dann regelmäßig mit News und Links zu neuen Artikel ergänzt. Zum Beispiel – Neuheiten 2011-2014. Immer wenn ein neues Auto geplant ist, wird der Artikel erweitert, das Auto wird auf Platz 1 der Galerie gesetzt.