Im Moment überschlagen sich die Meldungen rund um Wikileaks. Während wir hier im deutschen Netz das Thema JMStV beackern, tobt im internationalen Netzumfeld ein Kampf um die Whistleblower-Seite.

1. Nachdem Wikileaks die diplomatischen US-Nachrichten veröffentlicht hatte, wuchs der Druck in den USA, etwas gegen Wikileaks und ihren Gründer bzw. Kopf namens Julian Assange (einem Australier) zu unternehmen. Prominente Politiker wie Sarah Palin sind für eine harte Haltung und schlagen vor, Wikileaks als terroristische Organisation einzustufen und damit im mittelalterlichen Sinne für „Vogelfrei“ zu erklären. Auch möchten sie gerne erreichen, dass andere Länder weder Wikileaks noch Assange Unterschlupf gewähren. Das ist allerdings noch keine offizielle Sprachregelung. Offiziell ist lediglich, dass man Assange habhaft werden möchte und dazu einen passenden, juristischen Hebel suche.

2. Offiziell ist auch, dass die US Behörden den Zugang zum diplomatischen Informationsnetz, aus dem die 250.000 veröffentlichten Dokumente stammen, stark eingeschränkt haben und Obamas Auftrag, ein sichereres System bereitzustellen, Folge zu leisten haben. Dies entspricht auch dessen, was Assange in einem – sagen wir mal – Strategiepapier vorhergesagt hat. Es geht um die Idee, wie man die kommunikativen Fähigkeiten einer Organisation zu „konspirativen und intransparenten“ Handlungen so einschränken kann, bis sie idealerweise ihre Fähigkeit zu konspirativen Handlungen komplett verliert. Das Papier wird demnächst in deutscher Sprache vorliegen und auch verlinkt. Es erklärt sozusagen die Strategie von Wikileaks.

3. Währenddessen hat Wikileaks einen empfindlichen Dämpfer hinnehmen müssen, da Amazon die Seiten von ihren Hostingservern abgeklemmt hat. Amazon hat das wie folgt begründet: Es handelt sich um gestohlene Dokumente und das widerspricht Amazons AGBs. Zudem sei nicht ausgeschlossen, dass damit Personen zu Schaden kämen. Das könne Amazon so nicht mit tragen. Zufall oder nicht, kurz zuvor hatte ein US Senator namens „Joe Liebermann“ Amazon aufgerufen, die Seite zu boykottieren (US Senatoren sind so etwas wie kleine Götter in den USA). Amazon dementiert einen politischen Zusammenhang. Wir dürfen zumindest schmunzeln.

3. Für Wikileaks heißt es seitdem, ihre Inhalte über andere Hostinganbieter bereit zu stellen, was kein Leichtes ist, da einerseits die Zugriffszahlen enorm seien und zudem seit Veröffentlichung der diplomatischen Depeschen die Seite unter sogenannten DDOS-Attacken steht (Distributed-Denial-of-Service-Angriffe = Hierbei handelt es sich um ein gesteuertes, automatisisertes Verfahren, den Webserver zu überlasten). Es liegen zur Zeit keine genauen Informationen vor, wie groß der Umfang der Attacken ist und woher sie stammen. Man muss aber nicht lange darüber nachdenken, wer wohl die Verursacher sind. Mit Sicherheit nicht irgendwelche Skript-Kiddies und unorganisierten Amateur-Hacker. Dittes meint, es sei in der Tat ein Hacker, nicht eine staatliche Organisation. Da Amazon abgesprungen ist, muss Wikileaks zuverlässige Alternativanbieter finden, die sowohl den Traffic wie auch die Attacken handhaben können. Kein Leichtes Spiel, wie man sich denken kann.

4. Heute trudelte die nächste Nachricht ein (siehe zB Spon, BBC)), dass der Provider der Adresse wikileaks.org das Routing zu dieser Domain abgeklemmt hat. Es handelt sich erneut um ein US-Unternehmen namens „EveryDNS“. Argument: Die Attacken wären so bedrohlich, dass weitere 500.000 Adressen in Gefahr gerieten, die EveryDNS neben Wikileaks verwaltet und das Routing nicht mehr gewährleistet werden könne. Die kritischen Stimmen ob diesem Vorgehen inkl. der Denic: General-Anzeiger.

Über welche Seiten nun die Inhalte erreichbar sein könnten, informiert im Moment zB Heise und Wikileaks.info.

5. Besonders bizarr wird es um Assange selbst, der auf der internationalen Fahndungsliste von Interpol ganz oben steht. In der Presse wurde veröffentlicht, dass Assange wegen Vergewaltigung gesucht sei. Schaut man sich jedoch näher an, warum die schwedischen Behörden Assange suchen, runzelt man statt zu schmunzeln. Telepolis:

…dass einvernehmlicher Sex mit einem Kondom angefangen habe und ohne Kondom endete, woraus der Schluss gezogen werde, dass der Sex nicht einvernehmlich war. Dies sei der Stand nach drei Monaten Ermittlung und nachdem sich drei Staatsanwälte in dem Fall abgewechselt hätten… Dagegen sei von der Staatsanwaltschaft bestätigt worden, dass beide Frauen dem Sex mit Assange zugestimmt hätten. Catlin [Ex-Anwalt von Assange] spekuliert, dass die Staatsanwaltschaft schärfere Gesetze zur Anwendung bringen könnte, die im Rahmen einer Reform der schwedischen Gesetze zur Vergewaltigung vorgeschlagen werden. In deren Zusammenhang könnten „ungleichgewichtige Beziehungen“ zwischen den beiden Sexpartnern schwerer wiegen als das Einverständnis. Das könnte u.U. darauf hinauslaufen, dass der Wille der Frau durch die Berühmheit Assanges in diesem Fall „subordiniert“ gewesen sei. Das Gesetz würde im Fall Assanges aber erst nachträglich angewandt:…

6. Soeben habe ich erfahren, dass Julian Assange den Guardian-Lesern um 13 Uhr für Fragen und Antworten zur Verfügung steht.

7. [03.12.2010, 23:50] Die französische Regierung sucht nach Mitteln und Wegen, Wikileaks nicht von französischen Boden aus zu hosten.

8. [03.12.2010, 23:50] Das Interview im Guardian zwischen Lesern und Assange

Man kann nur an der Seitenlinie stehen und dem Treiben staunend zusehen. Sowas habe ich in meiner bisherigen Internetlaufbahn noch nicht erlebt. Gut, kein Wunder, es hat sich ja auch noch kein Netzjunkie derart mit den USA angelegt. Die über ausreichend Mittel und Wege verfügen. Entweder ist Assange komplett irre oder aber einfach nur ein genial verschrobener Typ, der in 100 Jahren zum Helden ausgerufen wird. So oder so, spannend ist es allemal.