was passiert eigentlich, wenn man etwas jugend- bzw. entwicklungsgefährdendes auf seinem Blog veröffentlicht hat? Blog steht übertragen für Telemedien-Angebot! Wir sprechen im Folgenden nur von Telemedien im Sinne eines Inhalts im Internet. Eines der Ziele ist aufzuzeigen, dass „Abmahnanwälte“ mit dem JMSTV nicht wirklich glücklich werden, aufgrund der gegebenen Zuständigkeiten und Behörden.

Wer ist für die Überprüfung und Einleitung von Maßnahmen bei einer Verletzung des JMSTV 1 (seit 2003 gültig) / 2 (evtl. ab 2011 gültig) zuständig? Gestern habe ich dazu auf dem Webmontag Hannover den Weg vorgestellt. Wir starten mit einer Beschwerde eines Blog-Lesers, der meint, hier läge was kinderverderbliches vor.

idealtypische Kurzübersicht bei einem mögl. Verstoß gegen JMSTV
1. Landesmedienanstalten sind oberste JMSTV-Behörden ihres Landes, melden Beschwerden an:

2. die „KJM“ („Kommision für Jugendmedienschutz“), reicht Verdacht gegen Verstoß zur Überprüfung an

3. Jugendschutz.net; prüft Beschwerde auf JMSTV-Verstoß und versucht Einigung mit Anbieter zu erreichen

4. KJM wird informiert, wenn Jugendschutz.net keinen Einigungserfolg hat und JMSTV-Verstoß vorliegt

5. KJM beschließt Sanktionsmaßnahmen und informiert Landesmedienanstalten

6. Zuständige Landesmedienanstalt des Landes setzt Sanktionen durch

Der Behördenkram im Detail…

1. Anlaufstelle: Landesmedienanstalt
Die jeweilige Landesmedienanstalt des Bundeslandes, wo Du als Blogger gemeldet bist. Landesmedienanstalt?

Die Landesmedienanstalten sind in Deutschland die Aufsichtsbehörden für private Radio- und Fernsehprogramme und Telemedien. Entsprechend der grundgesetzlich verankerten Rundfunkzuständigkeit der Länder ist jedem Bundesland in Deutschland eine Landesmedienanstalt zugeordnet. Die Länder Berlin und Brandenburg (Medienanstalt Berlin-Brandenburg, mabb) sowie Hamburg und Schleswig-Holstein (Medienanstalt Hamburg / Schleswig-Holstein, MA HSH) haben per Staatsvertrag gemeinsame Landesmedienanstalten vereinbart. Zu den Aufgaben der Landesmedienanstalten gehört vor allem die Überwachung der privaten Rundfunkanbieter, Fernsehanstalten und Mediendienste sowie die Vergabe von Sendelizenzen an private Rundfunk- und Fernsehveranstalter

Die Landesmedienanstalt wird bei einer Beschwerde – nehmen wir in dem Fall die Beschwerde durch einen Leser Deines Blog an – die Angelegenheit zur Überprüfung an die KJM weiterleiten.

2. Anlaufstelle: KJM
KJM? „Kommission für Jugendmedienschutz“. Was macht die KJM und was ist die KJM?

Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) ist ein Organ der Landesmedienanstalten in Deutschland, welches zuständig ist für die inhaltliche Kontrolle im Bereich des privaten Rundfunks und im Internet (Telemedien). Die KJM beurteilt, ob Angebote gegen die Menschenwürde oder gegen den Jugendschutz verstoßen und kann gegen sie vorgehen. Rechtsgrundlage ist der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag.

Aha! Aber Halt! Die KJM überprüft nicht wirklich, ob ein Verstoß gegen den JMSTV vorliegt. Sie reicht das zur eigentlichen Überprüfung an Jugendschutz.net weiter, das KJM grundsätzlich (!) bei allen Telemedienfällen unterstützt!

3. Anlaufstelle: Jugendschutz.net
Jugendschutz.net? Was machen die denn für den KJM? Sie stellt fest (!!!), ob ein Verstoß vorliegt und versucht den Verstoß zunächst gütlich zu beseitigen:

Gegründet wurde jugendschutz.net 1997 von den Jugendministerien der Länder als gemeinsame Zentralstelle; organisatorisch ist es seit dem In-Kraft-Treten des JMStV am 1. April 2003 an die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) angebunden und unterstützt diese und die obersten Landesjugendbehörden bei ihrer Arbeit. War jugendschutz.net ursprünglich nur für die Kontrolle von Mediendiensten (also Angeboten, die sich an die Öffentlichkeit richten) zuständig, wurde das Tätigkeitsfeld durch den JMStV zusätzlich auch auf interaktive und kommunikative Angebote wie Chats und Filesharing erweitert. Verstoßen Internetangebote nach Meinung von jugendschutz.net gegen den JMStV, so weist das Unternehmen den Anbieter darauf hin, und informiert die KJM über das Angebot.

Jugendschutz.net beschreibt seine Tätigkeit wie folgt:

Handelt es sich um ein unzulässiges deutsches Angebot, wird der Inhalte-Anbieter oder Host-Provider über den Verstoß informiert und gebeten, die Inhalte so zu verändern, dass sie den Bestimmungen des Jugendschutzes genügen. In vielen Fällen führt dieser Weg schnell zum Erfolg. Sofern keine ausreichenden Änderungen vorgenommen werden, leitet jugendschutz.net den Fall an die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) als die zuständige Medienaufsicht weiter.

Sprich, wenn Jugenschutz.net nicht weiter kommt, sollte ein Verstoß vorliegen, wird das KJM informiert. Was macht das KJM dann?

4. Anlaufstelle: Zurück zum KJM
Das KJM wird entsprechend Sanktionen einleiten. Welche sind das?

Für Verstöße gegen Jugendschutzbestimmungen in Telemedien sind folgende Sanktionen möglich:
– Beanstandung gegen Content-Provider
– Untersagung gegen Content-Provider
– Aufforderung zur Sperrung gegen Host-Provider oder Access-Provider
– Sperrung gegen Host-Provider oder Access-Provider
– Ordnungswidrigkeitenverfahren: Einleitung eines Bußgeldverfahrens
– Straftatbestand: Abgabe an die Staatsanwaltschaft
– Für die Durchsetzung dieser Maßnahmen sorgt im letzten Schritt wieder die zuständige Landesmedienanstalt.

5. Anlaufstelle: Landesmedienanstalt
Die Landesmedienanstalt wird entsprechend dem bindenden Beschluss der KJM für die Durchsetzung der Maßnahmen sorgen! Ein Einspruch gegen den Beschluss wirkt laut JMSTV übrigens nicht aufschiebend.

Fassen wir zusammen:
Oberste Behörde ist die Landesmedienanstalt. Die in allen Telemedien-Beschwerden die Überprüfung und auch Sanktionierungsbestimmung an die KJM weiterleitet. Die KJM arbeitet hierzu eng mit dem Jugendschutz.net zusammen. Jugendschutz.net überprüft im Grunde genommen den eigentlichen Verdacht bzw. ob ein Verstoß vorliegt und versucht zunächst eine gütliche Einigung mit dem Inhalteanbieter zu erreichen. Weigert sich der Anbieter zu kooperieren, wird das KJM darüber informiert und beschließt entsprechende Sanktionen. Die die Landesmedienstalt zur Durchführung einleitet und verantwortet.

Abmahnanwälte? Unwichtigster Aspekt!
Haben hier an dieser Stelle nix verloren. Der Abmahanwalt kann mit einer Abmahnung solange winken wie er will, es nutzt ihm nix. Überprüfungen, „Abmahnungen“ und sanktionierende wie auch beschließende Entscheidungen nimmt die Landesmedienanstalt in organisatorischer Verzahnung zusammen mit dem KJM und Jugenschutz.net vor. Wenn man so will, ist Jugendschutz.net eine Art Mischung aus Polizei und „Staatsanwaltschaft“, das KJM eine Art von Rechtssprechungs-Organ („Richter“) und die Landesmedienanstalt die letztendlich verantwortliche Behörde. Ob man hier noch von einer Art Drei-Gewaltenteilung sprechen kann, ist im höchsten Maße äußerst fragwürdig.

Denn immerhin könnte man postulieren, dass sich KJM/Jugendschutz.net als Sittenwächter nach Gutdünken im freien Interpretationsspielraum des Gesetzes (JMSTV) aufspielen können, ohne aber tatsächlich ausreichend Gesetzes-interpretierende wie auch Gesetzes-sprechende Kompetenzen zu besitzen. Klar, das JMSTV befugt die genannten Behörden zu dieser Machtausübung. Woran zeigt sich das? Nicht etwa Richter interpretieren das Gesetz, sondern sowohl die KJM als auch Jugendschutz.net haben ihre Spielregeln erklärt, was wohl im Sinne des Gesetzes „Entwicklungsbeeinträchtigend“ ist, einer höchst schwammigen JMSTV-Gesetzesregelung. Dumm ist dabei nämlich, dass deren Beschlüsse keine aufschiebende Wirkung haben, sollte man sich als Betroffener vor Gericht wehren wollen.

Interessant ist, das ich weder auf der Seite der KJM noch bei Jugendschutz.net etwas zum beschäftigten Personal & zu den Einstellungskriterien gefunden habe, das hinreichende Vermutungen zulässt, dass hier kompetentes und politisch neutrales Personal arbeitet. Schade!

Welche Arten von Jugendgefährdung/Entwicklungsbeinträchtigung im Sinne des JMSTV kennen wir?
Besucht hierzu Lehrer-Online.de, dort wird das recht hübsch aufgeschlüsselt. Man unterscheidet vier Arten von Gefährdung: Absolute unzulässige Inhalte, Schwer jugendgefährdende Inhalte, Indizierte Inhalte und Entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte. Die ersten drei Arten sind recht klar definiert, das Letztere ist mehr als schwammig.

Kommen wir zur Frage, was eigentlich „entwicklungsbeeinträchtigend“ bedeutet.
Siehe hierzu „Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten => Kriterien für die Aufsicht im Rundfunk und in den Telemedien“ (.pdf) (siehe auch „Beurteilungsmaßstäbe„)

Der Begriff der Entwicklungsbeeinträchtigung nach § 5 Abs. 1 JMStV umfasst sowohl Hemmungen als auch Störungen der Entwicklung sowie Schädigungen der Kinder und Jugendlichen. Auf der individuellen Dimension sind insbesondere Beeinträchtigungen durch Ängstigungen und andere psychische Destabilisierungen und die Übernahme von Verhaltensmustern, die zu körperlichen oder seelischen Verletzungen führen können, zu beachten. Auf der sozialen Dimension ist es erforderlich, sich in die Gesellschaft mit ihrer Werteordnung insgesamt einfügen zu können; deshalb ist zu beachten, ob bei den medialen Angeboten die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Grundrechte einschließlich ihrer Schranken für Kinder oder Jugendliche als zentraler Maßstab der gesellschaftlichen Werteordnung erkennbar bleiben. Wenn Kinder oder Jugendliche aufgrund ihres Alters abweichende Darstellungen z.B. im Bereich von Menschenwürde, Toleranzgebot, Schutz von Ehe und Familie und Demokratieprinzip nicht mit ausreichender Differenziertheit und Distanz verarbeiten können, ist von einer Entwicklungsbeeinträchtigung auszugehen. Im Hinblick auf die Rechte des Kindes sind Erziehungsziele auch stets die Erziehung im Geist des Friedens, der Würde, der Toleranz, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität; auch eine Einwirkung auf diese Erziehungsziele ist somit bedeutsam.

Aus der Gesetzessystematik ist ersichtlich, dass an das Vorliegen einer Entwicklungsgefährdung im Vergleich zur Beeinträchtigung strengere Maßstäbe geknüpft sind. Sie setzt einen stärkeren Einfluss auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen im Vergleich zur Entwicklungsbeeinträchtigung voraus. Es muss die naheliegende Gefahr einer ernsthaften Entwicklungsschädigung Minderjähriger bestehen. Bei der Feststellung der Entwicklungsgefährdung, ebenso der Beeinträchtigung, ist dabei auch auf den besonders anfälligen („gefährdungsgeneigten“) Minderjährigen abzustellen.