Ich habe gestern einen interessanten Einwurf auf G+ gelesen:
„Denkt man dann mal einen Moment an die Ressourcen- und Energie-Verschleuderung, die mit alledem verbunden ist, könnte man fortwährend kotzen! Nur dass das leider nicht hilft..“
Dieser Einwurf war auf die Nutzung sozialer Dienste (G+, Facebook, …) gemünzt.
Nun kann man sich durchaus die Frage stellen, was dran ist? Was steht dem gegenüber, wo ist der globale Nutzwert für die Menschheit? Gerechtfertigt das den unglaublichen (aber uns unbekannten) Ressourcen- und Energieverbrauch, inklusive der menschlichen User-Gesamtzeit, die für die Nutzung dieser Systeme draufgeht? Das kann man etwas leichter beurteilen, wenn man extreme Gedankenspiele anstellt.
Reine Gedankenspielerei
Ziehen wir zunächst ein großes Bild und lassen ein übermächtiges Alien aus Spaß eine Internetbombe über der Erde abwerfen. Die über Nacht sämtliche Kommunikationssysteme, die über das Internet laufen, ausschaltet (sämtliche Protokolle wie TCPIP, Telnet, FTP, SMTP, DNS, IMAP, HTTP werden zerstört, aber auch zusätzlich Ethernet und SNA Netzwerkprotokolle). Was gedanklich bleiben möge, sei Radio, TV, Telefon und Print, außer den digitalen Broadcastings natürlich, die auch zum Erliegen kämen (wovon ein guter Teil heute komplett digitalisiert ist). Was bedeutet das?
1. Ernährung: Über Nacht wird mehr oder minder die gesamte Menschheit vom Hungertod bedroht. Keine Warenbestellung mehr, keine Transportschiffe auf See, kein Flugzeug würde abheben, da die gesamte Logistik zu wesentlichen Teilen am Kommunikationssystem hängt. Von Order bis Auslieferung kommt das Versorgungssystem zum Erliegen.
2. Wirtschaft: eCommerce und damit o.g. Abwicklungssysteme kommen ebenfalls zum Erliegen. Kommunikation via Mail ist tot. Projektabwicklung ist tot. Autofirmen (stellvertretend für eine Branche) bekommen keine Materialien mehr, Bestellungen gehen eh nicht mehr ein, Werkstätten können nicht mehr kommunizieren. Über Nacht werden die meisten Arbeiter und Angestellten weltweit beschäftigungslos. Globale Wirtschaft heißt eben auch vernetzte Wirtschaft.
3. Militär: Militärische Systeme wie das der USA beruhen auf dem TCPIP Protokoll, um miteinander zu kommunizieren. Da mit der Alien-Bombe auch dieses Protokoll, aber auch das Ethernet-Protokoll ausgeknippst wurden, wird jedes Militär blind. Damit steigt die Bedrohung militärischer Konflikte unmittelbar an.
4. Gesundheit: Nicht nur die Versorgung mit Medikamenten (da haben wir schon wieder Logistik:), sondern auch die Übermittlung von wichtigen Krankheitsdaten fällt aus. Das betrifft Krankenhäuser, Krankenkassen und Pharmabetriebe. Der sichere Tod von Millionen von Menschen.
5. Kultur: Selbst dieser Kernbereich wird abrupt gestoppt. Kaum ein TV Sender liefe noch, kein Film könnte mehr produziert und verteilt werden, Kino ist ebenso Ebbe (solange die keine analogen Filmrollen im Lager haben), die Nachrichtenflut ebbt nahezu komplett ab, der Austausch der Menschen um Lokales und Überregionales wird stark gehemmt.
6. Wissenschaft: Der gesamte Wissenschaftsbetrieb wird mehr oder minder dazu verdammt, wie im Mittelalter auf Wanderung zu gehen, um sich überhaupt noch austauschen zu können. Dies bedeutet angesichts des heutigen Standes an Fortschrittstempo und Erkenntnisgewinnen im Grunde genommen einen völligen Stop.
7. Finanzwirtschaft: Ohne Kapitalallokation und Informationssaustausch wird kein müder Penny mehr irgendwo hin fließen, keine Firma bekommt Geld, kein Angestellter Gehalt, kein Staat seine Steuern. Die Allokation von Kapital wird gestoppt, damit kommt das globale Geldwirtschaftssystem zum Erliegen.
8. Energieversorgung: Auch dieser Bereich wird über Nacht dunkel. Ganz dunkel. Energie kann weder produziert noch verteilt werden. Ohne Energie ist es absolut zu Ende.
Sprich, summa summarum kann man sich vorstellen, dass das Alien mit einem ausgefeilten Internetbömbchen die Zivilisation über Nacht mindestens in das industrielle Zeitalter zurückbombt, eher sind weitaus schlimmere und dramatischere Effekte zu erwarten. Was das heißt?
Die Abhängigkeit von der Technik ist eine Überlebensfrage geworden. Das sollte das Alien-Beispiel lediglich aufzeigen. Es geht nicht um Raubkopieren, Zeit verplempern, über Kaffee Trinken twittern. Das ist Fakt. Knippst jemand das Netz wie auch immer fatalerweise aus, wird es dunkel auf der Erde. Und wir beginnen irgendwie von vorne, was von uns an Restposten über bleibt.
Knippsen wir die Social Networks aus
Da unsere Einleitung in der Frage bestand, ob wir nicht unnötig Ressourcen und Energie verbrauchen und wir gesehen haben, dass das Internet i.a.S. nicht die Antwort auf das Ausknippsen sein kann, bleibt die Frage, ob man Social Networks ausknippsen kann, ohne Folgen?
Sichern Social Networks unsere Überlebensfähigkeit, das ist die größte aller Nutzwertfragen, die den Ressourcen- und Energieverbrauch absolut rechtfertigen würden. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass SNs keine kritischen Systeme sind. Nun kann man sich aber die Frage stellen, ob eine Weltbevölkerung mit 7 Mrd Menschen überhaupt ohne SNs in Zukunft auskommen kann?
Steigende Problem vernetzter Systeme
Wir wissen, dass das Tempo von Entscheidungen, aber auch die zunehmende Vernetzung der Menschheit auf militärischer, politischer, wirtschaftlicher, energietechnischer, wissenschaftlicher, gesundheitlicher, versorgunsgtechnischer und kultureller Ebene faktisch besteht. Als ob wir keine andere Antworten mehr finden würden, wie wir diese Masse an Menschen miteinander organisieren sollen. Auf lokalster über nationaler bis hin zu globaler Ebene. Dieses Ausmaß an Vernetzung auf allen Ebenen wäre bei einer Menschheitsgröße von 50 Individuen mit Sicherheit nicht notwendig. Allokationssteuerung ist eine Frage des Überlebens bei 7 Mrd. Menschen. Was heißt das aber zugleich? Die zunehmende Vernetzung in allen Belangen erzeugt eine metaphysisch gedachte Maschinerie aus unzählig miteinander verbundenen Schräubchen und Schrauben. Politiker, Wissenschaftler, Manager und Militärs stehen vor einer wachsenden Problematik einer unglaublich komplex erscheinenden Welt. Was ist die Lösung? Bis dato dominieren nach wie Stellvertreter-Systeme, historisch bedingt. Ist das die einzig denkbare Lösung? Bröseln wir das ansatzweise auf.
Stellvertreter Systeme
Welche Rolle spielen Social Networks dabei? Social Networks sind Vorläufer dezentraler Systeme. Im Gegensatz zu was? Wir können vermuten, dass heutige Stellvertreter-Systeme unabdingbar sind. Im Gegensatz zu komplett dezentralen Systemen, namens Social Networks. Stellvertreter-Systeme sind politische Systeme, militärische Systeme, wirtschaftliche Systeme, überall finden wir Systeme vor, wo wenige Entscheider für viele entscheiden, auch und gerade wegen der Technik besser als vor 500 Jahren. Wir wissen aber auch, dass Stellvertreter-Systeme naturgemäß niemals auf den Einzelnen abheben können. Sie fassen zusammen, kumulieren und entscheiden repräsentativ für Viele. Die bessere Antwort wäre im Grunde genommen ein dezentrales System, wo jeder seine Informationen finden und Entscheidungen treffen kann, das System als solches dadurch ohne Stellvertreter auskommt. Wie auch immer man sich dieses System vorstellen mag, wenn man von Zusammenleben spricht.
Unklar? Ein Beispiel: Wir lösen das nachrichtliche Problem auf, das lokal vor Ort Menschen über lokale Presse informiert werden. Wie? Menschen können das untereinander wesentlich besser auflösen, wenn sie dazu ein System vorfinden, das ihnen dabei hilft, selbst zu produzieren, zu verteilen, zu aggregieren, zu filtern und zu bewerten. In einem gewissen Ausmaß leisten das heutige Social Networks. Eine lokale Presse kann niemals auf dieser vielschichtigen Ebene einzelner Interessen derart viele, unterschiedliche Nachrichten sammeln, produzieren und verteilen. Sie dienen lediglich als historisch gewachsene Antwort, also eben als Stellvertreter für ein Informationsproblem vieler Mitglieder. Ihr bisheriger Spezialisierungsvorteil hebt sich langsam gegenüber dezentralen Informationssystemen auf. Es ist eine Frage der Zukunft: Je mehr Daten wir sammeln können und auch werden, dank der Technik und Menschen, umso mehr Daten stehen dem Gesamtsystem zur Verfügung. Das System liefert die Rohdaten, Mensch und System übernehmen auf granularer Ebene das gewichten, filtern, analysieren und verteilen.
Vernetzte Komplexität: Stellvertreter-System versus Individual-System als Lösungsalternative
Dieses Prinzip der verteilten Systeme kann womöglich eine bessere Antwort auf künftige Herausforderungen sein, wie man eine wachsende Menschheit überhaupt noch organisieren soll und kann. Stellvertreter stehen heute mehr denn je vor dem Problem, wie sie Herr der Lage werden sollen, da die vernetzte Komplexität drastisch angewachsen ist (Beispiel: globales Finanzsystem). Wir haben keine echte Antwort darauf, wie dezentrale Systeme auf Individualebene aussehen sollen. Wir können aber durchaus vermuten, dass Social Networks eine Vorbedingung dafür sind, dass sich Menschen mit Menschen digital verknüpfen, aber auch mit Dingen, Orten und Daten allgemein.
Fazit
Ich habe keinen Schimmer, ob mein Artikel in sich schlüssig ist. Ob er Sinn ergibt. Immerhin ist es mutig, Social Networks als Vorläufer möglicher Lösungswege zu interpretieren, wie die Menschheit sich in Zukunft organisieren möchte, wer wo wann warum Entscheidungen für wen trifft. Wer sich mit wem austauscht und informiert, zu welchen Zwecken und zu welchen Nutzwerten auf gesamtheitlicher Ebene. Aber eine vorstellbare Zukunft ist das durchaus, wenn man die Logik der wachsenden Komplexität und der Schwäche von Stellvertrteter-Lösungen wenigstens ansatzweise betrachtet.
Sorry für die vielen Worte, wenn sie Unsinn ergeben. Ich werde es gleich selbst lesen, was ich da verzapft habe. Alles nur wegen Strom und Zeitverbrauch über Kaffee trinken in Social Networks :)
23.09.2011 um 17:41 Uhr
Nun, diese ganzen Systeme funktionieren auch mit Strom und das ganze Ausmaß wird uns wahrscheinlich erst bewusst, wenn wir ultimo vernetzt sind und dann über einen längeren Zeitraum, flächendeckend der Strom ausfällt. Es bedarf also nicht einmal einer Alien-Bombe….
Schon jetzt, ohne die sozialen Netzwerke, würde wir ohne Strom nicht länger wie 3 Monate aushalten. Zusammenbrechen würde alles noch viel früher. Ratz Fatz würden wir uns in der realen Steinzeit wiederfinden, weil es kaum noch etwas gibt was nicht mit Strom oder Computern funzt…
23.09.2011 um 18:59 Uhr
Hab erst kürzlich einen interessanten Podcast gehört: http://www.alternativlos.org/18/
Wichtig ist, dass man es schafft, sein soziales Netzwerk nicht nur online zu betreiben, sondern auch offline zu pflegen. Das es möglichst divers ist. Nicht jeder muss ja alles selbst können. Aber in Summe sollte es schon zum Überleben reichen ;)
Hört da mal rein… auch interessante Überlegungen zur Gestaltung von Technologie in Zeiten, in denen Ressourcen knapper werden.
23.09.2011 um 23:43 Uhr
ach wer filtert und aggregiert denn wirklich selbst,
seh ich in meine timeline, seh ich zu 90% Redundanzen,
wenn Du was schreibst, wer filtert denn da wirklich Robert.
Robert hats geschrieben, also wirds diskutiert und weiterverbreitet,
nee, ich glaub, dass Du ein zu weites Bild von vielen Menschen hast.
„wo viele sind kommen viele dazu“, das galt bereits bei den ersten Märkten im Mittelalter und gilt online heut genauso , egal wo online, ob bei fb, bei G+
sonst gäb es doch nicht ständig diese Listen: schauts in wievielen Kreisen der ist, => der is wichtig, also kreise ihn auch ein…
diese unendliche Freiheit ist eine Illusion, weil sie an und für sich „unmenschlich“ ist,
die Fülle an INFO kannste gar nicht mehr verarbeiten,
infolgedessen sind diese Vernetzungsgedanken und totale Freiheitsgedanken zu groß gedacht,
magst Du selbst 4000 Leute in Deinen Kreisen „folgend lesen, mitdenken, filtern?“
da tust doch ncihts anders mehr als lesen und zwar nicht was dich interessiert, sondern was andere denken, dass dich interessieren könnt….
24.09.2011 um 10:56 Uhr
Echt? Wenn wir dem Kommunikationszeitalter die Kommunikation nehmen, landen wir in dem Zeitalter davor? Brilliant.
24.09.2011 um 12:59 Uhr
Ich mache mal ganz frech C&P meines Kommentars auf Google+ zu dem Posting:
Ich würde mich ja ohne rot zu werden als technologie-hörig im positiven Sinn) bezeichnen. Nachdem wir mit Technologie die Probleme gelöst haben, die wir ohne sie gar nicht erst hätten, kommen die wirklich wichtigen Probleme dran.
Bei Kommentaren wie “Denkt man dann mal einen Moment an die Ressourcen- und Energie-Verschleuderung, die mit alledem verbunden ist, könnte man fortwährend kotzen! Nur dass das leider nicht hilft..“ stellen sich mir die Nackenhaare auf. Da hat einfach jemand nicht zu Ende gedacht. Oder möchte einfach gerne wieder in der Lehmhütte sitzen. Denn wer so argumentiert, muss auch generell auf Strom, Autos, Industrie und alles andere verzichten, was uns das Leben erleichtert. Viel Spaß in der Höhle kann ich solchen Menschn nur wünschen.
Interessant in Deinen Gedanken Rob fand ich die Ablösung der Stellvertretersysteme. Genau das ist eine der Zukunftsvisionen, die ich mir gut vorstellen kann und wünsche. Und vor das Entscheiden der Stellvertreter ist noch – viel wichtiger – die Herleitung der Entscheidung gesetzt.
Wieviel besser hätten weltbewegende Entscheidungen ausfallen können, wenn nicht bezahlte Experten, die den Entscheidern das sagten, was sie hören wollten gefragt worden wären, sondern die Experten, die emotionslos und objektiv werten?
Bush I Irakkrieg I
Bush II Afghanistan und Irakkrieg
von der Leyen und die Netzsperren (auch wenn hier grad das weltbewegende fehlt :-) )
um nur einige wenige zu nennen.
Die http://de.wikipedia.org/wiki/Dunbar-Zahl sagt, zu 150 Menschen können wir eine soziale Beziehung aufbauen. Früher in Stämmen. Dann in Dörfern. Dann in Städten, Firmen, Vereinen, Freundeskreisen und Familien sowieso.
Heute können wir mit sozialen Netzwerken eine viel VIEL höhere Zahl an sozialen Kontakten pflegen. Über die ganze Erde hinweg. Ideen austauschen. Witze erzählen. Anregungen holen und Wissen bewerten. Sehen, wie andere Menschen Probleme lösen und anderen Menschen helfen Probleme zu lösen, die man selber in den Griff bekommen hat.
*Wenn solche Problemlösungen über das Netz irgendwann nicht mehr die Frage beantworten „Soll ich mir das weiße oder das schwarze iPhone kaufen?“ – sondern „Wie baue ich einen Brunnen, bekomme mein Haus Erdbebensicher und baue Weizen an“ halten hoffentlich auch irgendwann mal die Kommentatoren die Finger still, die Dich zu Deinem Posting inspiriert haben Rob.*
Hoffe, Du kommst dann immer noch auf feine Ideen zum drüber schreiben :)
24.09.2011 um 13:00 Uhr
Und einen muss ich noch nachlegen, damit ich die E-mail Notifies bekomme. Habe eben vergessen das Häkchen zu setzen, sorry ;)
29.09.2011 um 10:22 Uhr
Die überwältigende Mehrzahl der Menschen ist zu sehr mit Geldverdienen und Problemen der Organisation des Lebens vor Ort beschäftigt, als dass sie auch nur die Hälfte der Massenmediennachrichten, die sie verfolgen, bewerten, filtern etc. könnten.
Ich habe demgegenüber verhältnismäßig viel Zeit, kann aber auch 99,9% dessen, was mir ohne Aufwand an Informationen zur Verfügung steht, nur nach dem Zufallsprinzip auswählen. Aus diesen 0,1% wähle ich aus und versuche etwas zu verstärken. Wie sollte das funktionieren, wenn es keine Spezialisierung mehr gäbe?
10.10.2011 um 12:53 Uhr
Find den Artikel klasse und sehr unterhaltsam :-D Schon krass wie wir in den letzten 10-15 Jahren von dieser Technik abhängig geworden sind. Was ich aber am unterhaltsamsten finde ist dass das Anfangs aufgeführte Zitat “Denkt man […] könnte man fortwährend kotzen!“ G+, Facebook etc. indirekt kritisieren soll aber die Aussage eben auf G+ gepostet wurde :-D