Die drei größten Pro-Guttenberg Facebook-Seiten umfassen mittlerweile 1,2 Mio User, die mindestens auf einer dieser drei Pages auf „Like“ gedrückt haben, um Mitglied zu werden. Wir wissen nicht, wie groß die Zahl der Doppeluser ist, die auf mindestens zwei Pages Mitglied sind. Ebenso wenig wissen wir, wie groß die Zahl der Guttenberg-Befürworter ist, da auch Anti-Guttenberger auf Like drücken müssen, um die Pinnwand befüllen zu können. Geht man allerdings von den Umfragen zum Peak der Guttenberg-Affäre aus, sind es sicher an die 80%-90% Befürworter pro Page.
Diese drei größten Pages sind wo zu finden?
1. Wir wollen Guttenberg zurück: 585.000 Liker
2. Gegen die Jagd auf KT Guttenberg: 412.000 Liker
3. KT Guttenberg: 223.000 Liker
Im Netz findet man mittlerweile Stimmen, die an der großen Zahl der Liker zweifeln, dies müsse auf künstliche Maßnahmen zurückzuführen sein. Facebook Deutschland umfasst rund 16 Mio User, davon sind mindestens 585.000 in einer Facebook Guttenberg-Page Mitglied. Das entspricht rund 4%, bestenfalls 8%, also kein allzu hoher Anteil ausgehend von den zahlreichen Umfragewerten aus Zeitungen und TV. Und dennoch ein ziemlich guter, realistischer Wert angesichts des medialen Bombardements.
Ob Fake oder wie viel Fake, das möchte ich in diesem Artikel jedoch nicht beleuchten, hierzu könnt Ihr Euch diese zwei Artikel anschauen und dort auf Wunsch weiter spinnen:
– Rhein-Zeitung Blog: Guttenberg-Seite bei Facebook ein Fake? Ein exklusiver Blick in die Statistik
– Netzpolitik: Sascha Lobos Guttenfake-Crowdsourcing .
Real Life Demos: Enttäuschung oder Überraschung?
Kommen wir nach Betrachtung der Zahlenwerke zum eigentlichen Thema. Auf den Facebook Pages wurde nach dem Entlassungswunsch des Verteidigungsministers a.D. zu Demonstrationen am vergangenen Samstag aufgerufen. Guttenberg hatte zum Wochenbeginn aufgegeben, es waren also gerade einmal wenige Tage Zeit, um eine Demo auf die Beine zu stellen.
Wer auch immer die Demo-Idee hatte, es gab kein zentrales Organisationskomitee. Einzelne Mitglieder hatten zu dieser Maßnahme aufgerufen, um in einzelnen Städten auf die Straße zu gehen und eine Rückkehr von Guttenberg zu fordern.
Das Handelsblatt fasst recht gut den Demo-Verlauf in den einzelnen Städten zusammen. Es gingen in einigen Städten rund 100 Demonstranten auf die Straße, mal mehr, mal weniger. Insgesamt kann man sagen, dass die Präsenz sehr gering war. Ist das nun eine Diskrepanz gegenüber der großen Zahl an Likern und auch angesichts der doch sehr emotional geführten Diskussionen?
Ich habe mir hierzu nicht nur die Beiträge angeschaut, die zu den Demos vor Ort geführt haben, sondern auch eigens gefragt, wie man sich die geringe Beteiligung auf der Straße erklärt.
Was lässt sich soweit dazu sagen?
1. Die Demoansetzung war äußerst kurz. Zumal man die Demos am frühen Nachmittag angesetzt hatte, am Einkaufssamstag, was natürlich sehr ungeschickt war, in doppelter Hinsicht.
2. Es gab kein offizielles Demo-Komitee, das es den Interessenten ermöglicht hätte, den Ort und Termin zuverlässig auszumachen. So war es auch Gegenspielern möglich, immer wieder mit gefakten Ansagen für Unsicherheit zu sorgen.
3. Die Admins der drei Pages waren anscheinend nicht smart genug, die Organisation der Demos virtuell zu unterstützen. Es blieb im weitesten Sinne eine eher zufällig User-getriebene, damit sehr unorganisierte Geschichte, die über die Wallpostings abgefackelt wurden. Dies ist ein zentraler Aspekt, möchte man mehr Menschen erreichen, um auf einen Demo-Termin aufmerksam zu machen. Innerhalb der zahlreichen Wallpostings sind diese Aussagen nahezu komplett untergegangen. Offensichtlich haben die Facebook-User mit einer Pro-Guttenberg Ausrichtung ein nicht ausreichendes Verständnis für Online-Marketing entwickelt. Zumal die wenigsten wissen dürften, wie man Gruppen organisiert, welche Funktionen Facebook anbietet. Und, die drei zentralen Pages bieten per se nicht genügend Organisationsfunktionen, um Subgruppen zu organisieren und Aufmerksamkeit ortsgebunden zu bündeln. Prinzipiell geht es schon, jedoch nicht mit dem herkömmlichen Aufsetzen einer Standard-Page. Wie gesagt, die Admins dieser Pages waren recht faul, was das Aktivieren und Supporten verteilter Aktivitäten angeht.
Eine denkbar schlechte Grundlage für örtlich verteilte Demos, um sich abzustimmen. Beim Analysieren der Aktionen beschlich mich das Gefühl, dass man zwar von den Aufständen in Ägypten und Tunesien inspiriert war (die in Teilen auch Facebook getrieben waren), doch man verwechselte wohl die bindende Ausstrahlkraft eines Tahrir-Platzes in Kairo mit nicht manifestierten Demonstrationsplätzen in deutschen Großstädten.
4. Auch konnte man rauslesen, dass viele noch nie auf einer Demonstration waren. So spricht das oft sinngemäß zu lesende „die Linken / Ökos / Alternativen haben ja Erfahrung, wir nicht“ für ein schlechtes Image, was das Demonstrieren per se angeht.
5. Zentrale Ideen-Impulse und damit auch Slogans mit Identifikationskraft fehlten komplett. Ich konnte nur mit größter Mühe auch nur annähernd gemeinsame Slogans vorfinden („yes we can“-Effekt). Auch hier muss man feststellen, dass es keine User gab, die andere mit nach außen hin vertretbaren Botschaften begeistern konnten. Was naturgemäß schwer fällt, wenn man statt für sich und seine eigenen Anliegen für eine andere Person demonstrieren möchte. Die jedoch letztendlich nur einen Stellvertreter für die politischen Wünsche der Bürger darstellte. So gesehen hat man eine große Chance verpasst, die Pro-Guttenberger unter einem Banner contra Politiker zu scharen. Anders gesagt: Es fehlten zentrale „Dafür“-Botschaften, die über die Person Guttenberg hinausgehen.
Summa summarum muss es nicht verwundern, dass derart wenige Menschen im Verhältnis zur Zahl der Facebook-Liker auf die Straße gingen. Es war eine stümperhafte Organisation, zu spontan angesetzt, jegliche Motive mit Außenwirkung fehlten, um aus dem Facebook-Aktivismus einen realen Straßenaktivismus zu machen.
Was wir aber dennoch festhalten können? Facebook zeigt erneut seine Kraft, Menschen mit annähernd ähnlichen Motiven in rasender Schnelle zusammenzufassen. Dieses Mal hat es nicht für weitere, reale Taten – hier eben „Demos“ – gereicht. Ob das immer so bleiben wird? Das hängt vom Geschick der Aktiven ab, dem Thema selbst und es hängt nicht zuletzt davon ab, wie User Facebook mit der Zeit als Ausdrucksplattform ihres politischen Willens erfahren und wie sie das funktional gesehen manifestieren können. Ich könnte mir gut vorstellen, dass S21, Guttenberg und weitere Themen in Zukunft dazu führen, dass Facebook eine zunehmend politische Wirkkraft im Sinne von Demos entfaltet. Die Lernkurveneffekte dürften zu interessanten Beobachtungen führen.
Malcolm Gladwell, ein bekannter NY Times Kolumnist und Marketing-Autor (der sowas wie die „Bibel“ mit „Tipping Point“ verfasst hat), ist übrigens kein Anhänger des Gedankens, dass das Netz zu realpolitischen Umbrüchen führt: Small Change – Why the revolution will not be tweeted. Ich denke, wir können seine These teilweise ad acta legen. Die unmittelbar auslösenden Vorgänge waren mit den Aktivitäten im Netz eng verbunden (leider auch Todesfällen der Aktiven).
Update: Siehe auch Meedia.der und „Falsche Freunde: das überschätzte Netzwerk„
07.03.2011 um 13:56 Uhr
Bei Stuttgart 21 waren die Demo-Termine irgendwie nicht zu kurz angesetzt. Und da waren es auch nicht die „demo-erfahrenen“ Linken. Die Schuh-Demo gegen Guttenberg vor dem BMVg – 400 Teinehmer, an einem Samstag – wurde nur wenige Tage vorher angekündigt. Da schien es auch zu funktionieren. Mangelnde Kreativität? Kein Grund.
Guter Text, aber bitte betrachte alle Standpunkte auch objektiv und komme dann zu einem konkludenten Schluss
Mein Schluss ist: Es ist leichter auf LIKE zu klicken, als seinen Protest auch auf die Straße zu führen. Ich würde eher von 600.000 Sympathisanten reden und nicht von Verfechtern oder Fans. Das ganze dann als die „mediale“ Sensation zu präsentieren ist schlichtweg realitätsfern.
07.03.2011 um 13:59 Uhr
das wissen wir hinlänglich, dass ein bloßer Like zunächst einmal nichts weiter als das Like bedeutet. Alles Weitere ergibt sich aus Aktiven, die Ideen und Menschen zusammenführen. So bei S21 eindeutig geschehen. Bei Guttenberg gab es keine bekannten Organisationsköpfe für die Demos. S21 hat zudem eine sehr lange Vorlaufzeit gehabt, über zahlreiche Köpfe und Treffen in kleinsten Kreisen hinweg.
07.03.2011 um 14:17 Uhr
An der Macht Facebooks habe ich große Zweifel. Liken hat keinen politischen Tiefgang. Man kllickt den Like Button aus Solidarität zun Anderen, aus Langeweile, zumindest ohne groß nachzudenken. Entsprechend gestalten sich die Fanseiten:
* 15 Minuten in den Kommentaren gestöbert und kein einziges Argument gefunden
* Keine direkte Erwiderung auf Kritiker
* Ein nicht unerhelicher Teil der Fans sind Gegener, die liken müssen bevor sie kommentieren dürfen.
Facebook ist unpolitisch und oberflächlich.
07.03.2011 um 14:20 Uhr
beim Liken blieb es nicht, bitte hierzu die Statistik-Daten vom Blog Rhein-Zeitung entnehmen, siehe oben
07.03.2011 um 14:29 Uhr
> beim Liken blieb es nicht
anscheinend schon. habe nichts substanzielles gefunden. Kein Wunder, dass niemand auf die Straße geht.
Die Einlassungen beschränken sich auf plumpe Linkenschelte und abstruße Vergleiche „Wer hat noch nie bei einer Mathearbeit abgeschrieben“ LOL
Und wer wurde schon mal dabei erwischt sich einen Titel (Dr., Ing., Meister …) erschwindelt zu haben und durfte seinen Job behalten ?
07.03.2011 um 15:41 Uhr
‚demwz‘ bringt es sehr gut auf den Punkt: Facebook ist oberflächlich. Dieser Fakt nivelliert das politische Potential von 600.000 so genannten „Fans“. Ebenso wie Facebook den Begriff „Freunde“ seiner originären Bedeutung beraubte, geschah es auch mit dem Begriff „Fan“.
Im Schluss bedeutet das Ganze eigentlich nur: Die Diskussion über die Authentizität derartiger Gruppen ist zu mühselig, als dass sie weitergeführt werden müsste. Auch wenn sich meinethalben herausstellt, dass die 600.000 Fans wirklich und wahrhaftig „real“ sind, die schiere Zahl ist kein Beleg für irgendwas. Demonstrationen sind Signale, weil diese eine greifbare Masse an Menschen auf den Straßen bedeuten. Jeder, der sich ernsthaft mit dem Internet und seinen sozialen Strukturen (nicht nur Netzwerken) beschäftigt, weiss, wie kurzlebig und bedeutungslos virtuelle Identitäten im Vergleich zum „RL“ – dem RealLife – sind. Solchen Weitblick hätte ich eigentlich auch von „Internetspezialisten“ wie Sascha Lobo erwartet. Diese scheinen sich aber mittlerweile mehr auf Publikum und Ruhm zu konzentrieren.
07.03.2011 um 14:42 Uhr
kann nicht zustimmen, habe genug Diskussionen mit highs and lows gesehen :) Ich filtere aber nicht das Schlimme raus, davon gab es bis hin zur Volksverhetzung genügend.
07.03.2011 um 19:18 Uhr
Es ist halt einfach ein Unterschied ein kleinen Button zu drücken (kostet eine Sekunde) oder auch richtig hinter einer Meinung zu stehen und auch dafür zu kämpfen (was die paar Demonstranten machen). Wäre das Thema in den Medien nicht so riesig behandelt worden, wären die Klicks wohl wesentlich geringer gewesen.
08.03.2011 um 19:47 Uhr
Dass so viele Menschen KT z Guttenberg jetzt sogar noch mehr lieben und unterstützen als vorher, liegt am psychologischen Phänomen des sog. Prattfall-Effekts („Rheinfall-Effekt“).
Dieser besagt, dass unnahbare und eigentlich perfekte Menschen durch nachvollziebares Fehlverhalten (… „wer von uns hat nicht auch schon mal geschummelt?“) uns danach sehr viel sympatischer sind als vorher (… „und er ist doch einer von uns!“).
Wir sind eben doch nur unser limbisches Reptilien-Hirn! :-)