nehmen wir an, Euroweb zieht das Ding durch und lässt wirklich Nerdcore auf eBay versteigern. Danach sieht es dem Vernehmen nach aus. Dem Vernehmen nach? So wie sich der Euroweb Chef beleidigt und trotzig in Zeitungsinterviews äußert, kann man dieses Szenario als wahrscheinlich erachten.
Nun habe ich ja die Wissenschaft des Blog-Versteigerns ausführlich studieren können. Was könnte passieren?
1. Vornweg: Angekündigt ist, dass der Betrag gespendet werden soll. An Wikipedia und an Freischreiber eV. Doch beide Seiten zieren sich, das Geld gesetzt dem Fall anzunehmen. Verständlich. Allerdings irrelevant. Allerdings? Soweit es bekannt ist, betrug die Gesamtforderung um die 2.000 Euro gegen den Nerdcore Blogger. Wie hoch auch immer der Restbetrag ist, jede Differenz über diesen Restbetrag hinaus ist rein rechtlich gesehen an den Gläubiger = Nerdcore Blogger auszuzahlen. Sprich, Euroweb kann so oder so nichts spenden. Höchstens die Nettoeinnahme nach Abzug der Überschussdifferenz. Das wäre ein Betrag unter 2.000 Euro.
Update: Hierbei ist zu bedenken, dass tatsächlich rechtlich gesehen dieser Schluss unzulässig wäre. Es gibt nämlich auch eine andere Position: Internet-Law.
2. Unternehmen springen aus Marketinggesichtspunkten auf den Zug. Sie erkennen die Chance, eine beliebte Anlaufstelle zu erwerben und als Marketingbonus nach Kauf der Domain diese an den ursprünglichen Inhaber großzügig abzugeben. Da die Domain natürlich vergiftet ist, bietet sich kein anderes Szenario für eine Firma an, die in positiver PR denkt. Zudem ist das ein Schlag ins Gesicht von Euroweb. Die Domain wieder in alten Händen zu sehen und konterkariert die hämische Pressemeldung von Euroweb „Neue Erfahrung für Blogger: Blogbetreiber verliert seine Domain nerdcore.de“. An dieser Stelle bietet sich natürlich ein unmittelbarer Konkurrent von Euroweb an, der ebenfalls Internetdienstleistungen anbietet. So sind einige Internetagenturen für positiv ausgedrückt verrückte Chefs bekannt, um ihnen zuzutrauen, die Logik der Situation zu erkennen.
3. Ein anderer Typ von Unternehmen kommt zu einem ähnlichen Schluss, nur kennen sie eine andere Wirkweise von mit der Auktion einhergehenden Presseberichterstattung. Ihr Name wird genannt, auf die Presse ist soweit Verlass, dass sie den neuen Inhaber nicht in Grund und Boden schreiben werden. Die PR stimmt auch ohne Domain-Schenkung an den ehemaligen Inhaber. Die Domain will die Firma demnach nicht abgeben. Immerhin hat man schönes Geld investiert, wozu etwas verschenken? Eine gute Domain mit hohen Google-Wert und dazu noch die PR für lau. Es ist anzunehmen, dass dieser Typus etwas weniger bereit ist auszugeben denn Typus „positive PR+Schenkung“. So schätze ich die Chancen höher für den Schenkungs-Typus ein, die Domain zu ersteigern.
4. Unterstützer von Nerdcore tun sich zusammen und versuchen gemeinsam, die Domain zu erstehen und gemeinsam zu bezahlen. Das verlangt ein hohes Maß an Koordination und Verlässlichkeit. Man muss im Vorfeld wissen, wie hoch man bei der Auktion mitgehen möchte. Das Szenario halte ich für unwahrscheinlich.
Variante aus den Kommentaren: René findet einen finanzstarken Sponsor, der für ihn oder René selbst mitbietet. Das wäre eine zugleich eine Variante aus 2. und 4.
5. Euroweb findet befreundete Unterstützer, die bei der Auktion mitmachen, um die Domain nicht an einen Konkurrenten zu übergeben und die Versteigerung vermeintlich zu kontrollieren. Das Dumme an dieser Strategie ist, dass man nur den Preis hochtreibt, indem man quasi künstlich mitbietet. Wie wir aus Punkt 1. wissen, geht jeglicher Überschuss nach Abzug des Forderungsbetrags an den eigentlichen Inhaber der gepfändeten Domain. So würde Euroweb wissentlich in den Geldbeutel von René Walter spielen.
6. Insgesamt ist es eine sehr witzige Situation: Eine Versteigerung verspricht bei dem momentanen Buzz einen recht guten Auktionswert. Der René Walter so oder so zu Gute kommt. Prozessgegner von Euroweb.
7. Natürlich könnte Euroweb nun auf die Idee kommen, die Domain nicht zu versteigern. Man will weder dem Gerichtsgegner finanziell in die Hände spielen noch einem Konkurrenten die Domain überlassen, der sie womöglich auch noch verschenkt. Versteigert man also, hat man ein Problem. Versteigert man nicht, hat man auch ein Problem, weil man zugeben muss, nicht vorher nachgedacht zu haben. Und steht in beiden Fällen mit heruntergelassenen Hosen in der Öffentlichkeit da.
Update: Aufgrund der Kommentarhinweise, dass Euroweb eben nicht den Überschussbetrag an den Gerichtsgegner auszahlen muss, ergibt sich nur leicht eine andere Position. Die aus den obigen Szenarien abgeleitet lautet? Die Ersteigerung der Domain an ein Unternehmen mit Schenkungsabsichten ist am wahrscheinlichsten. Statt dass Geld von Euroweb an René Walter fließt, wird ein gut bewerteter Vermögensgegenstand an René Walter übereignet. Sollte Szenario 3. realisiert werden, sieht das Resumee natürlich anders aus.
Einerseits eine echt doofe Situation für Euroweb. Andererseits eine ziemlich gut Winner-Position für René. Im Schach würde man nun dem Gegner die Hand reichen, aber nicht ohne den König zuvor umfallen zu lassen.
19.01.2011 um 12:33 Uhr
Robert: wenn Punkt 4 eintreffen SOLLTE, dann können dabei ja nur Kosten von max. 2K entstehen, wie du in Punkt 1 anmerktest. Rene könnte anhand der Spenderliste Spenden zurück zahlen, die sich aus Übererwirtschaftung ergeben. Oder spenden.
Oder mache ich einen Denkfehler? ;)
19.01.2011 um 12:36 Uhr
wie gesagt, dies erfordert ein hohes Maß aller Beteiligten, das Geld an den einen, der bei der Auktion stellvertretend mitbietet, nach Ersteigerung den gesamten Betrag aufgeteilt unter den Beteiligten zukommen zu lassen. Das Vertrauen in eigentlich anonyme Mitglieder bei sagen wir mal 10.000+ Euro muss doch recht hoch sein.
19.01.2011 um 12:37 Uhr
Wieso sollte er? Dieses Szenario ist ein ziemlich effektiver Weg zu fragen „Was bin ich euch wert?“ und gleichzeitig den entsprechenden Betrag abzukassieren.
19.01.2011 um 12:37 Uhr
„Und steht in beiden Fällen mit heruntergelassenen Hosen in der Öffentlichkeit da.“
Wirklich schönes Fazit, Robert. Einer der wenigen, der die ganze Sache hinreichend analysiert hat.
19.01.2011 um 12:38 Uhr
Spende an Rene direkt. Er bietet mit. So oder so hätte er genug Unterstützer und die Zuordnung Summe/Spender.
19.01.2011 um 12:38 Uhr
@Nico ich verstehe die Frage nicht im Bezug auf wer etwas abkassieren will und warum welchen Wert rausbekommen?
19.01.2011 um 12:38 Uhr
@Robert
Gut studiert. :)
@Caschy
Die Rechnung würde so aufgehen. Schuldbetrag steht Euroweb zu, alles weitere Rene Walter.
19.01.2011 um 12:39 Uhr
8. René findet einen Gönner/Nimmt einen Kredit auf/Erbt/Überfällt eine Bank und ersteigert seine eigene Domain zurück.
Unwahrscheinlich, aber wäre eine Überraschung :)
19.01.2011 um 12:39 Uhr
@Robert: Das bezog sich auf caschys Kommentar.
19.01.2011 um 12:40 Uhr
@Caschy ich glaube kaum, dass rein rechtlich gesehen, der Gläubiger mitbieten kann. Auf weitere Gedanken dahingehend möchte ich nicht eingehen.
19.01.2011 um 12:42 Uhr
@Kittyluka das würde bedeuten, dass sich René auf das bloße Wort eines Menschen verlassen muss, womöglich 10.000-xx.xxx Euro einfach so zu bekommen? Ich habe so meine leichten Zweifel
19.01.2011 um 12:43 Uhr
@Robert
Gläubiger und Schuldner dürfen mitbieten laut BGB. http://dejure.org/gesetze/BGB/1239.html
19.01.2011 um 12:44 Uhr
Was aber, wenn RA Stadler recht haben soll und Rene gar nicht die Mehreinnahmen bekommen müsste?
http://www.internet-law.de/2011/01/nerdcore-euroweb-und-der-shitstorm.html
19.01.2011 um 12:45 Uhr
Zwei Juristen, drei Meinungen:
Es gibt Anwâlte die vermuten, dass die Domain – ungeachtet irgendwelcher Erlöse – an Euroweb gegangen ist und somit sehr wohl jede Summe gespendet werden kann und dass Rene nichts davon bekommt.
19.01.2011 um 12:45 Uhr
@Kalliey, ja, aber ich meinte etwas anderes, lassen es wir darauf einfach beruhen. Es kommt darauf an… zudem siehe Kommentar oben drüber zu Kittyluka
19.01.2011 um 12:48 Uhr
@Jens / Chris, auch das ist ein Szenario, das denkbar ist, nur würde das nicht allzuviel an der Schachposition ändern. Ich habe die Äußerungen der Euroweb Kanzlei gelesen, auch den Kommentar des Experten dazu. Erklärender: Der Punkt der Überpfändung böte sich an, was die Position von Euroweb eklatant schwächt. Fall für Juristen, klar.
19.01.2011 um 12:49 Uhr
Ich habe irgend wo vernommen, das René eigentlich keine Schulden mehr bei Euroweb hat weil er (zwar zu spät) seine Letzte Rate bezahlt hat. Entspricht das der Wahrheit? Wenn ja! hat er keine Möglichkeit seine Domain wieder zu bekommen?
19.01.2011 um 12:49 Uhr
@Robert
Also wenn er die Variante mit dem Banküberfall nimmt hat er das Geld sofort. ;)
Hat sich eigentlich René schonmal irgendwo hören, lesen, blicken lassen?
19.01.2011 um 12:50 Uhr
@Dominik, laut Eigenaussage habe er das getan, nur Euroweb meinte süffisant „die Messe ist gelesen“, weil eine gesetzte Frist abgelaufen war.
@Kittyluka, ja, in Zeitungen und Blogs
19.01.2011 um 12:50 Uhr
Ich hab so meine Zweifel ob das juristisch überhaupt durchsetzbar ist, da Rene ja so wie ich das mitbekommen habe u.a. durch Nerdcore seine Brötchen verdient. Der Wert der Domain liegt ja wie mehrfach erwähnt weit über der geschuldeten Summe. Ich würde rechtlich erstmal gegen das Vorhaben von Euroweb gehen. Eine Pfändung kann man doch durch Zahlung der geforderten Summe rückgängig machen, oder nicht?
19.01.2011 um 12:51 Uhr
angeblich war die Frist dazu abgelaufen und es wurde durchgegriffen
19.01.2011 um 12:52 Uhr
Ähm… Rene könnte doch die Domain selbst für 1.000.000 kaufen. 2000 bleiben bei Euroweb, den Rest bekommt er wieder. Rein theoretisch. D.h. es sind nicht viele Leute nötig. Nur einer. Evtl muss man das Geld vorschießen bis man es wieder bekommt, aber für die Aktion wird sich schon ein Sponsor finden :D
19.01.2011 um 12:55 Uhr
@Robert wenn er die Rate bezahlt hat wie er sagt gibt es auf jeden Fall die Möglichkeit seine Domain zurück zu bekommen. Auch wenn er Sie nicht bezahlt hat sollte die Möglichkeit bestehen. Ist ja sonst auch so bei Pfändungen!!! Oder sehe ich das Falsch?
19.01.2011 um 12:55 Uhr
Zu 4.) Lässt sich sowas nicht einfach über http://www.kickstarter.com/ organisieren? Als Person dahinter müsste ein bekannter Blogger (vielleicht du Robert, als alter Blogversteigerer) stehen, dann klappt das schon. Die Chance für dich etwas PR zu machen ist auch gegeben ;)
Schönen Tag wünsch ich!
19.01.2011 um 16:47 Uhr
..man könnte auch ne Spendeaktion via betterplace.org organisieren für Nerdcore… mit dem derzeitigen SocialMedia-Buzz solte so ein Aktion doch locker „mitschwimmen“ können… wenn jeder nur 10 Euro spendet, der auf Renés Seite steht, müssten locker einige 10tausend zusammen kommen… und über betterplace hätte das auch noch so einen in meinen Augen „angenehmen“ Unterton…
19.01.2011 um 21:54 Uhr
@Robert:
Wie kommst du auf das schmale Brett? Ein potentieller Käufer – wenn wir mal ausschließen, – dass via Betterplace und Co. eine erfolgreiche Spendenaktion organisiert wird – wird sich bei der Abgabe eines Gebotes daran orientieren, wie er die Domain vermarkten kann.
Da sie für seriöse Projekte verbrannt ist (wer möchte schon einen Shitstorm/seinen Ruf riskieren?), bleibt eigentlich nur die schnelle SEO-Nummer. Ist eine Halbwertszeit von 4 Wochen realistisch? Und damit eine Erlös knapp über der ursprünglichen Gesamtforderung? Wir werden sehen.
Wohl nicht, siehe die Darstellung bei Berger Anwälte (Euroweb) bzw. RA Thomas Stadler (s.u.). Nachträgliche Anfechtung hilft da wohl auch nicht (mehr).
@Dominik:
RA Udo Vetter sieht das auch so, es spricht aber einiges gegen diese Variante. Siehe z.B. den Kommentar von RA Thomas Stadler:
Quelle: http://www.internet-law.de/2011/01/nerdcore-euroweb-und-der-shitstorm.html