André Marty berichtet„, so lautet sein Blog. Das André lange Zeit dazu genutzt hat, um im Rahmen seiner journalistischen Tätigkeiten über den Nahost-Konflikt zu berichten.

Kurz zu André als Journalist: Er arbeitet schon lange für das Schweizer Fernsehen, seit 2004 als Nahost-Korrespondent und ist Preisträger von „Reporter des Jahres 2006 des Branchenmagazins Schweizer Journalist“ sowie „Katholischer Medienpreis 2009 der Schweizer Bischofskonferenz“.

Zurück zu seinem Blog. Nein, es war kein beruflich beauftragtes Blog, es war ihm ein persönliches Anliegen, seine Erlebnisse festzuhalten. Um Brücken zu bauen, aber auch Verständnis zu wecken (siehe Blog-About). Für Außenstehende und Involvierte. Ich stieß Anfang 2009 auf sein Blog und war über seine Art zu schreiben regelrecht fasziniert.

Ebenso gefiel mir nicht nur sein Stil, sondern auch die Vermittlung der Lage vor Ort, die wir in Deutschland letztlich nur gefiltert über das mitbekommen, was uns die Medien vorsetzen. Die Mischung aus persönlicher Motivation, die Schreibe und der Inhalt war für mich als Blogger etwas, das mir ausgesprochen gut gefiel. So gut, dass ich damals auf Basic Thinking meinte, mein Blog des Jahres 2009 entdeckt zu haben.

Seitdem sind zwei Jahre vergangen und am Wochenende schrieb mich André via Facebook an. Er sei wieder zurück. Seine Blog-Aktivität zu dem Thema ruht. Warum? Wie es ihm als Blogger ergangen ist, was er erlebt hat, das möchte ich versuchen, Euch zu vermitteln. Ich freue mich, Euch das Interview mit André präsentieren zu können.

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1. André, stell Dich kurz unseren Lesern:
Na, wie stellen Sie sich einen Nahost- Korrespondenten vor? Richtig, waehrend der letzten zehn Jahre ein (1) Mal mein Handy abgestellt, und zwar waehrend der Geburt unserer Tochter. Richtig aber auch: Einer der Engagement nicht mit Ideologie verwechselt, einer der bewusst keine Position bezieht, sondern den Finger drauf haelt. Richtig, das gefaellt nicht ueberall. Und richtig ist auch, dass das „Nicht ueberall gefallen“ integraler Bestandteil des Berufs Nahost- Brueckenbauer ist.

2. Ich könnte mir vorstellen, dass Du prägende Erfahrungen im Nahen Osten gemacht hast. Was nimmst Du für Dich mit, wenn dem so ist?
Eine grosse Ernuechterung. Waehrend wir Westler mehr oder minder ernsthaft der „Religion Frieden“ huldigen, ist im Konfliktsgebiet der Zug laengst abgefahren: Es waere weise – oder zumindest ehrlicher – uns mit Blick auf den eigentlichen Nahost-Konflikt vom Wort Frieden zu verabschieden; wir sind dann zumindest nicht bei jeder Polit- Inszenierung dermassen enttaeuscht, wenn die Politscharade uns erneut vorgaukeln will, wahlweise „ernsthafte Fortschritte“, „schmerzhafte Kompromisse“ oder etwa „noetige Schritte“ zu machen.

Manchmal irritiert mich unsere – ob bewusste oder unbewusste -journalistisch- bloggerische Naivitaet in Sachen Nahost – Konflikt. Was an ungefilterter, plumper Propaganda von Journalisten und Bloggern publiziert wird, ist schlicht katastrophal. Fuer diesen Konflikt gelten ganz offensichtlich andere Standards denn fuer andere Berichtsgebiete.

Was ich damit meine: Wuerde aus Berlin oder Wien dermassen einseitig ueber Bundespolitik berichtet wie das aus Israel immer wieder der Fall ist – nun, die lieben Kollegen Hauptstadt-Redakteure wuerden schon langst bei McSchnellimbiss arbeiten.

3. Wie erging es Dir am Anfang mit der Bloggerei und wie ging es weiter?
Es dauerte mindestens zwei Jahre, bis ich schrittchenweise beginnen konnte, mich der Propaganda- Lawine zu entsziehen und mir eine selbstaendige, weitestgehend breite Informations- Beurteilung erschaffen konnte. Was nicht heisst, dass ich wirklich abschliessend verstehen wuerde, was tatsaechlich aus welchen Gruenden wo wann geschieht. Aber zumindest half das Bloggen, Wissensluecken zu ueberbruecken.

Wir Journalisten der traditionellen Medien haben unsere Staerken defintiv nicht in der Selbstreflexion; ueber unsere Arbeit aus dem Konfliktsgebiet wird viel zuwenig nachgedacht und nachgefragt.

Das Bloggen war letztendlich aber auch erschuetternd. Nun bin ich mir ja einiges an persoenlichen Angriffen gewoehnt; wer ueber und aus Israel berichtet, scheint fuer sehr viele Freunde und Sympathisanten welcher Konflitktpartei auch immer, a priori als Freiwild zum schreiberischen Abschuss freigegeben. Aber was sich der eine oder andere emotional ausser Kontrolle Geratene in leider meist anonymen Blog-Kommentaren erlaubte, war denn doch recht bitter: Bei zu vielen Kommentatoren und Freunden der Konfliktparteien scheint die Gehirn-Funktion „stop-nachdenken-stop-schreiben“ im Standby-Modus leer zu drehen.

Nuechtern betrachtet ist es mir in meinem kleinen Blog- Kreischen nicht gelungen, Bruecken zu schlagen, den einen oder anderen Blog- Leser kurz zum Innehalten zu bringen; das ist offensichtlich bei der Thematik Nahost durch social media kaum machbar.

4. Du hast geschrieben, dass das Blog keine Brücken geschlagen habe. Ich vermute, schon alleine der deutschen Sprache Deiner Artikel wegen, dass Du deutschsprachigen Lesern Informationen vermitteln wolltest. In den eigentlichen Konflikländern selbst jedoch nicht, oder? Warum nicht dort ansetzen, wo die Quelle ist?
Natürlich ging’s mir primär um den deutschsprachigen Raum; sei’s mit Informationen, sei’s mit Alltagsgeschichten. Anhand der Reaktionen muss ich aber leider akzeptieren, dass sehr viele Menschen den Konflikt primär auf einer emotionalen Ebene erleben.

Der Nahe Osten ist geradezu ein Blogger – Mekka, wenn dieser Begriff in diesem Zusammenhang erlaubt ist. Blogs und andere social medias gehören längst zu den wichtigsten Informations-Plattformen; meine tägliche Lektüre im Nahen Osten switchte recht zügig vom Konsum traditioneller Medien stärker hin zu social media.

5. Kennst Du Blog-Beispiele aus dem Nahen Osten, wo Du diese Vermittlerfunktion siehst, die tatsächlich erfolgreich spürbar ist?
In Israel haben sich beispielsweise englischsprachige Blogger auf +972 Blogs zusammengetan, im arabischen Raum gibt es unzählige Blogger, die schon fast Kult-Status erreicht haben; und zwar mit Klickraten, die unsereins erbleichen lassen – und in ihren Blogs wahrlich hervorragende Inforamtions- und Hintergrundsvermittlung betreiben.

6. Eine generellere Frage in diesem Zusammenhang: Weithin nimmt man an,dass das Internet per se die Welt schrumpfen lässt. Damit doch auch das gegenseitige Verständnis. Ist diese These für Dich stimmig oder – gehe ich von Deinen Aussagen aus – gibt es keine Kausalität zwischen zunehmender Vernetzung der Menschen und einem besseren Verständnis?
Wir müssten wohl spezifische soziale Realitäten ansehen: Dass die tunesische Bevölkerung den Machthaber innert einiger Wochen aus dem Land jagte, gleichzeitig aber in Aegypten der Pharao seit 29 Jahren mit Ausnahmerecht regiert, lässt schon aufhorchen. „Tunesien“ wäre ohne social media undenkbar, gleichzeitig erlebt Aegypten eine der lebendigsten Blogger-Szenen des Nahen Ostens.

Und, wir wollen ja mit dem Finger nicht bloss auf die „Anderen“ zeigen, in der Schweiz gibt es zwar reichlich Blogger – aber deren Impact ist doch recht bescheiden.

Ob Blogs Verständnis schaffen? Ich meinte ja, ich sage mittlerweile naja…

7. Hat das Blog Deine Art als Journalist zu arbeiten in irgendeiner Form beeinflusst?
Oh ja. als Vertreter der traditionellen, öffentlich-rechtlichen Medienwelt, habe ich zwar etwas spät, aber umso eindrücklicher erlebt, wie wichtig das Zusammenspiel der verschiedenen Vektoren ist. Im Klartext: Thematisches Bloggen ist eine spannende Ergänzung zum klassichen Journalismus, ein Mehrwert – und macht einen Heidenspass. Und ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich nie Ideen und Input aus den social medias in meine Fernseh-Berichterstattung hätte einfliessen lassen.

8. Wirst Du im Rahmen Deiner Tätigkeit als Journalist und Auslands-Korrespondent Deinen Chefs und auch anderen Journalisten ein Blog als unterstützendes Arbeitsmedium empfehlen? Wirst Du Dein Blog auch weiterhin für Deine Arbeit verwenden?
Seit einem guten Jahr verfügt auch mein Arbeitgeber über einen Korrespondenten- Blog; die Anregung dazu kam aus dem Ausland… Bloggen über ein Themengebiet, das ich mittlerweile lediglich noch vom Schreibtisch aus erlebe, dürfte beschränkten Sinn machen.

9. Abschließende Frage: Kannst Du die Diskussionen in Deutschland rund um den Islam als Außenstehender nachvollziehen?
Die Diskussionen sind wichtig, wenngleich teilweise hahnebüchen. Schamlose Propaganda, vermischt mit schierem Unwissen — das kommt selten in die Nähe einer interessanten Qualitätsdebatte.

Gleichzeitig aber wurde wohl überdeutlich, dass wir ein Identitätsproblem, einen Abgrenzungswunsch haben; offenbar reicht die bisherige Strategie des „aus dem Auge, aus dem Sinn“ nicht mehr. Und die Tatsache, dass die Politiker keine Antworten parat halten auf die heutigen Realitäten – Migrations-Gesetzgebung lässt grüssen – spricht ebenso wenig die Volksvertreter wie für uns Journalisten, die wir ja eigentlich dazu da sind Fragen zu stellen – auch unbequeme.

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Lieber André, ein wahrhaft wechselvolle und reichhaltige Erfahrung als Blogger und Journalist. Ich wünsche Dir von Blogger zu Blogger weiterhin viel Kraft und Ausdauer. Und möchte mich für Deine Antworten herzlich bedanken. Das wichtigste: Bleibe heil und ganz!!