wie bereits weitläufig bekannt, hat Euroweb angekündigt, die gepfändete Domain Nerdcore.de auf eBay versteigern zu wollen. Nächste Woche.

Nun gibt es hinsichtlich der Mittelverwendung aus dem Erlös einen rechtlichen Disput.

1. Das eine Lager behauptet, Euroweb (Klägerin) sei verpflichtet, den Differenzbetrag aus dem Erlös an René Walter (Beklagter) auszuzahlen. Hier geht es um den Auktionserlös abzüglich dem Betrag, den René laut Gerichtsbeschluss an Euroweb zu zahlen habe. Dieser Betrag sei 2.000 und womöglich reduziert um bereits erfolgte Tilgungszahlungen des Beklagten. Angenommen, die Domain geht auf eBay für 50.000 Euro über die Theke, müsste Euroweb daraus rund 48.000 Euro an René überweisen.

2. Das andere Lage behauptet das Gegenteil wie folgt, RA Stadler:

In dem Beitrag von Udo Vetter wird die Ansicht vertreten, der Gläubiger (Euroweb) müsste im Falle einer Versteigerung den Erlös herausgeben, der über die Schulden des Bloggers hinausgeht. Das wäre aber nur dann richtig, wenn es sich um eine Zwangsversteigerung bzw. Verwertung der Domain im Rahmen einer Zwangsvollstreckung handelt. Das scheint aber vorliegend nicht der Fall zu sein. Euroweb hat sich die Domain vielmehr anstelle der Zahlung – juristisch: an Erfüllungs Statt – übertragen lassen. Das bedeutet, dass der Blogger seine Schulden durch Übertragung der Domain bezahlt hat. In diesem Fall muss Walter den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss beim Vollstreckungsgericht angreifen und versuchen diesen rückgängig zu machen. Vom Erlös eines Verkaufs der Domain durch Euroweb bekommt er aber grundsätzlich nichts.

Zunächst einmal haben beide vermutlich recht. Warum? RA Stadlers Szenario würde eintreten, wenn René Walter nicht dagegen rechtlich vorgeht. Sollte René dagegen vorgehen, spielen vermutlich folgende Aspekte eine Rolle. Ich habe hierzu eigens mit der Kanzlei Schwenke & Dramburg telefoniert, eine immer populärer werdende Kanzlei auch in Internet-Rechtsfragen. Wir sind einige Aspekte durchgegangen. Thomas Schwenke – einer der beiden Partner der Kanzlei – wird demnächst etwas eigenes dazu veröffentlichen (Link folgt). Anbei meine Meinung:

1. Eine angreifbare Stelle ist die unzulässige Bereicherung zugunsten der Klägerin. Die über das übliche Maß weit hinaus geht was bei Pfändungen der Fall normal wäre. So könne man nicht wegen 100 Euro Schulden den wertvollen Sammlerferrari im Sinne von RA Stadler einheimsen und dann für 1 Mio Euro an Liebhaber versteigern. Kann man, nur ist ein Einbehalt des Erlöses unzulässig. Hier wäre Tür und Tor für einfachste Bereicherungen offen. Ob das irgendein Gericht so durchgehen ließe, ist doch sehr fraglich.

2. Ist denn der Wert der Domain überhaupt schätzbar? Selbstverständlich ist es das. So ist Domainhandel heute ein weitläufig bekanntes Geschäft. Hätte Euroweb wissen können, was die Domain wirklich wert ist, verglichen mit dem Forderungsbetrag bis zu 2.000 Euro? Mutmaßlich ja, denn Euroweb stellt sich als erfolgreiche Internetagentur mit rund 20.000 Kunden dar. Zudem, was ebenfalls ins Gewicht fiele? Der Geschäftsführer der Euroweb hat in Zeitungsinterviews darauf hingewiesen, dass ihm der Trubel um die Pfändung bereits im Vorfeld klar war.
Intro.de News

Sie haben also mit dieser enormen Resonanz gerechnet?
Defintiv. Uns war klar, dass wir damit polarisieren und ein Großteil der Blogosphäre sich gegen uns richten wird. Die Reaktionen sind sehr emotional, wohlmöglich auch durch Herrn Walter gesteuert. Aber das was man „Shitstorm“ nennt haben wir erwartet.

Sprich, die Werbeeffekte für die Versteigerung sind erheblich. Auch das müsste Euroweb bewusst sein, dass sich viele Augen auf die Auktion richten werden. Man könnte sogar vor Gericht die Behauptung aufstellen, dass Euroweb gezielt im Sinne einer Pfändung vorgegangen ist, um sich zu bereichern? Behaupten kann man vieles, doch aufgrund des bewussten Verhaltens von Euroweb könnte die Gegenseite diese Position aufstellen.

3. Ein weiterer Aspekt, der eine gewichtige Rolle spielt und die gesamte Sache der Pfändung in Zweifel stellt: Es stellt sich mutmaßlich so dar, dass der Betreiber von Nerdcore.de einen gewichtigen Anteil seines Lebensunterhalts aus dem Blog bestritten hat. Ein Entzug dieser Grundlage wäre vor Gericht ebenso angreifbar. Auch könnte man Euroweb entgegenhalten, dass man im Vorfeld gewusst haben müsste, dass der Beklagte von seinem Blog abhängig ist. Eine derart bewusste Schädigung des Beklagten könnte vor Gericht als unzumutbar gedeutet werden. So hat die Kanzlei von Euroweb offen dargestellt:

Besteht über das Vermögen des Schuldners Unklarheit, kann man Nachforschungen über die Vermögensverhältnisse des Schuldners anstellen. Allerdings ist dies kosten- und zeitintensiv, so dass sich unsere Mandantin dazu entschlossen hatte, in das bekannte Vermögen zu vollstrecken. Zu diesem bekannten Vermögen des Schuldners zählte seine deutschsprachige Top-Level-Domainadresse.

Eine wie ich finde recht angreifbare Position. Man gibt offen zu, dass bekannte Vermögen gekannt zu haben, nämlich die Domain, zudem hat man wohl unter Vermeidung von Kosten und Zeit den Domainwert so eingeschätzt, dass er mindestens 2.000 abzgl. geleisteten Zahlungen übersteigt. Wie unter 2. erläutert kann man Euroweb als Internetagentur mit 20.000 Kunden durchaus zutrauen, den echten Wert zu erkennen. Ebenso war es leicht zu erkennen, wie sich Nerdcore finanziert, angesichts der Banner und auch offen liegenden Trafficzahlen. Für eine Internetagentur ist es ein Leichtes, den potentiellen Umsatz zu schätzen. Damit auch Ableitungen aus den Lebensgrundlagen des Inhabers zu ziehen. Beides zusammen, Wert der Domain und Lebensgrundlage sind zumutbar ohne große Aufwendungen erkennbar.

4. Aus der Presseerklärung der Euroweb kann man zudem einen weiteren Punkt herausstellen. Der GF von Euroweb äußerte sich wiederholt in Zeitungen, dass er kein Interesse außer dem Eintreiben des offenen Betrages habe („die Messe ist irgendwann gelesen“) und seinem eigentlichen Recht, öffentlich beleidigt worden zu sein (dazu eben das Gerichtsurteil). Halten wir die Pressemeldung dagegen:
Euroweb Group: Neue Erfahrung für Blogger: Blogbetreiber verliert seine Domain nerdcore.de. Schön, dass Sie vorbei schauen!
Euroweb, so könne man mutmaßen, habe neben der Bereicherung auch eine demonstrative Absicht zum Ziel, Kritikern eine deutliche Warnung zur Schau zu stellen. Auch das kann man vor Gericht hinzuziehen, was die eigentlichen Motivationsziele mutmaßlich angeht.

Was zählt nun vor Gericht? Kann man Euroweb im besten Falle ein ordentliches Vorgehen zu Gute halten oder deuten Hinweise darauf hin, dass Euroweb Absichten zu Ungunsten des Beklagten verfolgt hat, die weit über das übliche Maß hinausgehen? Sprich, hat Euroweb überreagiert?

So oder so, die Versteigerung ist äußerst fragwürdig. Ob und wie die Gegenseite vorgeht, wissen wir nicht. Auch wissen wir nicht, wie Euroweb weiter vorgeht. Ebenso wenig, was Euroweb wissen konnte und was nicht. Weiteres Material dazu wird Thomas Schwenke bald veröffentlichen. Ich verlinke das, klar, weil es eine rechtliche Bewertung darstellt. Ich kann nur mutmaßen, was sich wie darstellen ließe.

Warum ich das mache? Die Pfändung einer Domain könnte die Runde machen, so ist es nicht dumm, wenn man sich als Domaininhaber schlau macht.

Update: Thomas Schwenke und seine Einschätzung
Nerdcore.de – Fragen zur Pfändung einer Domain (Recht und Ungerecht)