gestern erst habe ich darüber spekuliert, wie Euroweb alternativ hätte vorgehen können im Fall Euroweb vs. Nerdcore. Ungerechte und übermäßige Attacken gegen die Firma nach vorne stellend, großzügig im gerichtlichen Auftreten (als realer Beweis der Haltung), die Presse für sich nutzend.
Heute sehe ich, dass Euroweb auf ihrem eigenen Blog ein Posting mit der Überschrift „Das Internet – eine rechtsfreie Zone?“ veröffentlicht hat. Man macht sich zum Sprachrohr derer, die das Internet kritisch betrachten, auch gerne auf Auswüchse und beleidigende Äußerungen abheben.
Zitat:
Die Euroweb Internet GmbH hatte sich in einer bundesweit beispiellosen Aktion gegen den scheinbar rechtsfreien Raum Internet gewehrt und die Domain nerdcore.de rechtskräftig gepfändet. Die Intention der Euroweb Internet GmbH war keinesfalls die Unterdrückung der Meinungsfreiheit. Vielmehr wollte das Unternehmen auf die zum Teil dreisten Ansichten einiger Markteilnehmer im Internet öffentlichkeitswirksam aufmerksam machen. Denn die Gleichgültigkeit einiger kennt kaum Grenzen.
Diese Polarisierung ist klar als PR Vorstoß zu verstehen, um eine -vermeintliche- Lagerbildung im öffentlichen Bild des Internets in Erinnerung zu rufen, natürlich auch um zu Gunsten von Eurowebs Bild in Teilöffentlichkeiten beizutragen. Auf der einen Seiten die Guten, die für Recht und Ordnung einstehen, auf der anderen Seite die Bösen, die irgendwo im Netz lauernd Recht und Ordnung unterminieren.
Was die angekündigte Auktion der Domain Nerdcore.de angeht (die sich nun im Transit der Denic befindet und damit außerhalb der Reichweite von Euroweb wie auch René Walter, dem ehemaligen Inhaber), argumentiert Euroweb mit einer rechtlich nicht statthaften Maßnahme seitens der Denic. Die Denic habe gegen eine richterliche Anordnung (Pfändung der Domain an Euroweb) gehandelt.
Zitat:
Offensichtlich hat die Denic eG in der Vergangenheit schon mehrfach Recht und Gesetz ignoriert und scheint eine eigene Legislative etablieren zu wollen
Da haben wir es wieder: Recht und Ordnung seien im Netz noch nicht hergestellt, nicht nur, dass sich einige Netzteilnehmer wie Anarchisten benehmen, auch die Denic handle nicht buchstabengetreu.
Wie wird die Presse als Multiplkator der öffentlichen Meinung darauf reagieren?
Was bringt nun Euroweb dieser Vorstoß? Ein Blog allein im Netz entfaltet kaum Wirkung, man braucht Multiplikatoren. Allen voran die Presse. Immerhin ist die Presse für Pauschalisierungen und einfache Botschaften gerne zu haben. Für differenzierte Artikel ist kaum Raum, um den Leser im Kampf gegen die Konkurrenz zu erreichen. Euroweb drückt dahingehend im Artikel auf einige Buttons, die vereinfachte Botschaften der Presse leicht verdaulich vorsetzen. Wird es funktionieren?
Wir haben bereits in den Tagen zuvor einige Pressestimmen vernommen, die im Sinne von Euroweb auf diese konstruierte Situation der rechtlichen Unruhestifter in Teilen ihrer Artikel verwiesen haben. Beispiele:
– Spiegel Online: Weblog-Pfändung erbost Blogosphäre
– FAZ: David gegen Goliath, nächste Runde
– Hamburger Abendblatt: Wer partout nicht zahlen will, muss umziehen
Wird auch dieses Mal die Presse darauf anspringen? Die ganz große Welle ist erst einmal durch, fraglich ob anlässlich der neuen Situation Updates bzw. Nachfolgeartikel in der gleichen Menge erscheinen. Zumal die Situation ziemlich vertrackt ist. Wie will man dem Leser den komplexen Sachverhalt des Transits vermitteln, wo ist der echte Aufreger (nur eine Seite allein, nämlich Euroweb, reicht nicht), rechtliches Hin und Her ist relativ langweilig, solange keine VIPs und Konzerne verwickelt sind? Höchstens könnte man auf die Idee kommen, dem Leser zur Story „Domain wird auf eBay versteigert, großes Jammern im Netz“ eine kleine Randnotiz zu schenken, dass die Geschichte anders ausgehen wird. Sollte jedoch die Domain erneut an Euroweb gehen, dann wird der Aufregerlevel groß genug sein, die Presse wird aufspringen.
Insgesamt gesehen dürfte die Pressewirkung diesmal recht gering ausfallen. Der neuerliche Ansatz von Euroweb, Rechthabene für sich zu gewinnen, wird kaum Wirkung entfalten. Im Netz selbst wird im Moment mehr die Tatsache diskutiert, dass die Domain Nerdcore vor Gericht auf einen Wert von 100 Euro geschätzt wurde. Und, der aktuelle Artikel von Euroweb wird aufgrund seiner simplen Pauschalisierung „Die Guten/Die Bösen“ eher hämische Kommentare denn eine echte Auseinandersetzung nach sich ziehen.
Die Gelegenheit, ohne Vorwürfe und Pauschalisierungen zu diskutieren, hat Euroweb erneut verstreichen lassen. Die Presse wird kaum darauf anspringen, die an der Sache aktiv teilnehmenden Netz-User selbst werden sich von dieser Vereinfachung und Vereinnahmung nicht überzeugen lassen.
Für Unternehmen ist die Sache durchaus interessant, um daraus zu lernen, wie man an welche Stellen wo ansetzen kann. Für Blogger ist das ebenso interessant, wie man Ziele in Teilen erreichen kann und wie nicht.
23.01.2011 um 13:22 Uhr
Wenn die DENIC tatsächlich einen geltenden Gerichtsbeschluss ignoriert oder eigenmächtig für nicht bindend erklärt hat, sollte das in der Tat zu Denken geben.
Auch wenn hier die Netzmeute auf Seiten von Nerdcore steht, kann das in einem anderen Fall schnell mal anders herum sein. Das Entziehen ist einer Domain ist eine ernste Sache. Und die Entscheidungshoheit darüber sollte ausschließlich bei den Gerichten liegen.
23.01.2011 um 13:28 Uhr
@Sebastian, Denic argumentiert mit Formalien, die nicht richtig gewesen sein sollen. Eine Grauzone, Richterspruch hin Richterspruch her. Nimmt man diese Position ein, durchaus verständlich. Zumal man liest, dass Denic auch in vergangenen Fällen Pfändungsbeschlüssen gegenüber sehr kritisch eingestellt war.
23.01.2011 um 13:40 Uhr
@robert
Ja, man muss halt erstmal abwarten, was sich letztendlich als wahr herausstellt. Darum habe ich das ja bewusst so formuliert. (wenn …)
Wichtig ist, dass solche Vorgänge auf klaren, reproduzierbaren Prinzipien beruhen. Ich fände es gleichermaßen schlimm, wenn jemandem – ohne vernünftige juristische Basis – eine Domain entzogen werden kann, wie es mich gruselt, wenn man seinem Geld hinterherlaufen muss.
Gerade als „kleiner“ Selbständiger ist man oft genug der Dumme, wenn man offenen Beträgen hinterherrennt. Ich kenne nicht wenige Fälle, wo erhebliche Beträge geschuldet werden, im Netz dann aber seitens des angeblich mittellosen Schuldners neu gekaufte Handys, Computer etc. präsentiert werden. Da ist dann die Pfändung einer Domain, die ja recht eindeutig als Eigentum zuzuordnen ist, noch ein gangbarer Weg.
Betrifft mich zwar nicht, da ich keine Dienstleistungen erbringe. Aber ich kann da echt mitfühlen.
23.01.2011 um 13:55 Uhr
Was auch immer man bei denic gesehen hat um sich zu der Rücknahme zu entscheiden, derjenige hat „big balls“ gezeigt.
Egal wie die rechtliche Wertung am Ende ausgeht, wird das zu erst einmal als „Wertung“ verstanden. Ich denke, ich bin nicht alleine mit meinem Gefühl, daß hier die denic nicht Teil einer absurden und auf verschobenen Fakten basierenden politischen Spielerei der Anwalts-Beschäftigungs-GmbH EUROWEB werden wollte.
23.01.2011 um 13:58 Uhr
Den Rechtsanwalt von Rene Walter kenne ich ganz gut und wenn er mit Recht damit hat, dass da einiges nicht so gelaufen ist wie es hätte laufen müssen, ist der Schritt der DENIC nur richtig, zumal die Rechtsabteilung da auch nicht ohne ist. Einerseits hat keine der beiden Parteien momentan Zugriff auf die Domain, andererseits kann die Domain bis zur Klärung des Sachverhaltes nicht mehr als „PR-Plattform“ von Euroweb „missbraucht“ werden. Auch die Versteigerung auf eBay sollte damit erst einmal verhindert worden sein.
Viel interessanter finde ich derzeit die Frage, warum Euroweb den Wert von nerdcore.de vor Gericht mit 100 Euro beziffiert hat und sie dann später für einen deutlichen Mehrwert „zu einem guten Zweck“ versteigern lassen will? Wenn Euroweb von dem Domainwert wusste, dürfte das Ganze (hoffentlich) vielleicht sogar noch ein Nachspiel haben.