Die klassischste Definition eines Blogs ist bis heute „sowas wie ein Tagebuch„. Das deckt sich erstaunlicherweise gut mit der technischen Sortierung der Artikel auf der Startseite von Blogs: Absteigend nach Datum. Der jüngste Artikel zuerst, der älteste Artikel irgendwo im Archivnirvana. These: Diese Lösung ist in den meisten Fällen völlig uninteressant und unnötig, im Gegenteil, sie vergrault Leser schneller als welche zu gewinnen. Und, die Startseite ist so mit das unwichtigste Element eines Blogs überhaupt. Schlüsseln wir das auf:
Wie unwichtig ist die klassische Startseite eines Blogs?
Was heißt das nun für einen Leser, der auf die Seite aufschlägt? Die meisten Leser schlagen auf einem Einzelartikel auf. Ob sie nun über Google kommen, über den RSS-Reader oder einen Verweis in den sozialen Informationsnetzen (Twitter, FB, G+). Eine kleine, aber nicht repräsentative Umfrage ergab, dass die Startseite selbst lediglich um die 10% – 20% am Besucheraufkommen ausmacht. 80% – 90% der Besucher schlagen auf Einzelartikeln auf. Was macht der Leser übrigens, nachdem er auf dem Blog aufschlägt? Wir nehmen an, dass die meisten Blogs auf 1,5 Seiten pro Besucher kommen. Sprich, von 100 Besuchern werden lediglich 50 eine zweite Seite aufschlagen. Die Absprungrate beträgt damit 50%.
Rechnen wir das kurz in absoluten Zahlen um
– ihr habt 1.000 Besucher
– von 1.000 schlagen 800 auf Einzelartikeln auf
– von 1.000 schlagen 200 auf der Startseite auf
– von 800 verlassen 400 das Blog gleich wieder
– von 800 Einzelseitlern schauen 400 eine zweite Seite an und gehen dann
– von 200 Startseitlern schauen 100 einen zweite Seite an und gehen dann
Wir sind es gewohnt, das zu optimieren, wo die Schwerpunkte liegen. Ausgehend von den Besucherströmen ist klar, wo diese liegen sollten, oder?
Mögliche Feststellungen
– Wenn Ihr an einer Optimierung arbeiten wollt, dann konzentriert Euch auf die Einzelseiten, wo die meisten Besucher aufschlagen. Ganz im Gegensatz zu Eurer „großartig designten“ Startseite, die aber kaum eine Socke interessiert. Der Leser kauft auch keine Farbe und kein Webdesign. Er will amüsiert werden und kauft „bespaße mich“. Wenn Ihr die Absprungrate unter 50% bringen wollt, denkt darüber nach. Wie fesselt ihr die 400 Besucher, die bisher gleich wieder abspringen? Unterteilt das in 2 Gruppen: Die Leser, die null Bock auf den Artikel haben und nicht bis zum Ende scrollen. Wo muss ein Köder sein, damit sie es sehen? „Oben“.. richtig. „Mehr Porn gibts da, wenn dir dieser Artikelfisch nicht gefallen sollte“. Der Verweis kann dann die Startseite sein. Siehe gleich. Und die zweite Gruppe? Die sich bis zum Ende des Artikel scrollt (nicht unbedingt lesen muss)? Da muss der Köder natürlich dann „unten“ auftauchen.
Köder? Köder? Köder? Was für ein Köder? read on, wir schlagen gleich zwei Fliegen mit einer Klappe.
– Was die Startseite selbst angeht, verwerft unter Umständen die chronologische Sortierung. Diese erhellt einen neuen Besucher nicht. Wie das? Ihr könnt nicht davon ausgehen, dass sich ein Besucher die Zeit nehmen wird, um 1.000 Artikel in den Archiven zu sichten. Um zu begreifen, dass Euer Blog in der Gesamtheit tolle Inhalte anbietet. Er scrollt nur kurz über die Startseitenartikel (idR 10-20) und haut wieder ab. Es sei denn? Ihr zeigt Euch auf der Startseite von der besten Blog-Seite. Was sind Eure besten Artikel? Wo sind die heiß Diskutierten? Die meistbesuchten Artikel? Die geilsten Themenkategorien? Warum lohnt sich Euer Blog noch? Weil Ihr vielleicht prämiert worden seid? Weil Euer Blog oft von „trusted media“ zitiert wird? Gebt alles, auf dieser kurzen Sprintstrecke, um Eure Muckis zu präsentieren. Was muss der Leser in 10 Sekunden erblicken, um heiß zu werden?
Denkt dran, dass ihr sehr wenig Zeit habt, dem Besucher das zu vermitteln. Kurze Texte, schnelle eyecandy Grafiken. Aber stellt mir bloß die scrollende Sortierung der Blogartikel ein. Das ist die mieseste Show, die Ihr abliefern könnt. Stellt Euch am besten ein Zeitschriften-Cover vor. Das ist der Köder. Eure Startseite ist Euer Köder! Und im Einzelartikel? Ein Mini-Cover davon. Ein Ausschnitt. Mit Verweis auf das Hauptcover.
– Warum man überhaupt die Absprungrate auf unter 50% bringen sollte? Das ist einfach: Je weniger abspringen, umso mehr Seiten werden aufgerufen. Das wiederum könnt ihr nutzen in Richtung Vermarktungsoptimierung, Gesprächsvertiefung, Stammleser-Überzeugungsarbeit. Und, Mama Google mag Seiten viel lieber, die geringe Absprungraten aufweisen. Und wird Euch zur Belohnung mehr Leser vorbeischicken, weil Ihr unter Umständen höher in den Suchergebnissen platziert werdet.
– Muss ich die geliebte Blogstartseite damit begraben? Diese schönen, absteigend sortierten Artrikel? Ach wo… es besteht ohne Weiteres die Möglichkeit, die neuesten Artikel auf einer eigenen Seite anzuzeigen, anstelle der Startseite. Und, bestimmte Blogs mit hohem Neuigkeitenwert werden von dieser Fokussierung ganz sicher nicht abweichen. Alle anderen Blogs brauchen die klassiche Startseite meiner Meinung nach überhaupt nicht.
Kurzresümee
Sie – die langweilige und dahingeschusselte Startseite von Blogs – war mal eine nette Idee von Techniker-Menschen, die Blog-Systeme zusammengefrickelt haben. Wir nennen sie „Entwickler“. Andere „EDV-Hausmeister“. Ein Techniker kürzt gerne Wege ab und baut eben das ein, was ihm spontan einfällt „ach, komm, sort by time, descending„… weil es die Datenbank so schön hergibt. Das ist technisch gedacht, aber nicht sehr menschlich. Diese Standardlösung führt lediglich dazu, dass Blogs bis heute ein extrem niedriges Aufrufverhältnis [Besucher zu Seitenaufrufen] haben und extrem hohe „Aufnimmerwiedersehen-Leserquoten“. Wie gesagt, die Startseite zeigt so gut wie nicht, was sich für tolle Sachen in den Untiefen verbergen. 99% aller Blogs sind eben unbekannt und keine Marke (denkt einfach an Spiegel Online.. da weiß der Leser, was ihn grob erwartet).
Beispiele
Natürlich ist das nur ein Gedankenanriss. Kein Buch mit tausend Ausnahmen. Ihr müsst schon selbst nachdenken und die Sache auf Euer eigenes Blog angepasst umsetzen. Als kleine Hilfestellung einige Seiten, die das bereits so einsetzen und ihre Absprungsraten markant verbessert haben:
1. Reiseseite Venga Vamos / achtet auf die Startseite
2. Paul Steeles BaldHiker / achtet dort besonders auf die Einzelartikel und Kategoriedarstellungen (Obacht: Paul ist extrem bekannt im Netz, dennoch setzt er auf seiner Seite dennoch Mechaniken ein, um Leser zum Weiterlesen zu bringen..sprich Markenblogs sind ebensowenig auf dem Trip, dass die Startseite „egal sortiert“ ist)
3. Das Schminkblog Makeup Beauty, erst kürzlich umgesetzt und drastische Änderungen in positiver Richtung
4. Das ganz frische Autoblog vom Altblogmeister Thomas Gigold Autokarma / navigiert auch die beiden Topkategorien an ;)
5. Mashable.com nutzt als uber-verlinkte Seite in Social Media dennoch eine neue Form der Startseite, die hochdynamisch 2/3 der Startseite für „hot & upcoming“ Topics verwendet (das sind nicht die allerneuesten Artikel!!!) und nur 1/3 geht für die neuesten Artikel drauf. Der Clou ist hierbei, dem Leser Sicherheit zu verschaffen, dass er fast nur populäres Zeugs zu lesen bekommt (Mashable fährt mit hohen Artikeltaktzahlen auf, immer schwer hierbei, die richtigen Inhalte dem richtigen Leser zu vermitteln).
6. Eine sehr hübsche, frische Startseite auf Frisch Gebloggt (mit Erklärung)
10.02.2013 um 15:04 Uhr
Gute Anregungen, Robert, mal sehen, was ich davon mitnehmen und umsetzen will. Aber noch viel spannender ist für mich ja die Frage, wie Du Deine Startseite nun aufbauen wirst? Los, komm, ich will Muckis sehen. In 10 Sekunden! :D
10.02.2013 um 15:05 Uhr
Hallo Robert,
toller Artikel und Recht hast Du! Vor allem der Vergleich mit einem Magazin und Muckis zeigen, macht es deutlich. Aber wie bekomme ich das am Besten hin mit WordPress? Hast Du vor deine Blog-Startseite dementsprechend auch anzupassen? Hast Du eventuell Links zu Blogs, die das bereits umgesetzt haben? Fragen über fragen… Überzeugt hast Du mich auf jeden Fall und wenn ich möglichst ohne viel Aufwand umsetzen kann, würde ich das auf meinem Blog auch so machen.
10.02.2013 um 15:10 Uhr
– von 1.000 schlagen 800 auf Einzelartikeln auf
Woher solche Zahlen? Gerade in Blogs ist das denke ich nicht richtig. Hast du handfeste Quellen?
10.02.2013 um 15:18 Uhr
frage bitte im eigenen Umfeld nach. Bei mir mache ich das seit 10 Jahren
10.02.2013 um 15:18 Uhr
Ich denke die Zahlen kommen dem schon recht nahe. Habe gerade mal in Analytics geschaut und es kommt hin bzw. ist fast noch geringer bezüglich der Startseitenaufrufe. Es gibt sicherlich auch andere Blogs/Beispiele, aber ich glaube diese sind dann auch schon eher eine Marke, wo ich direkt die Startseite ansurfe und von dort weiter gehe.
10.02.2013 um 15:19 Uhr
@Regine & @Christopher
habe eigens drei Beispiele aufgenommen oben, siehe Artikelende
10.02.2013 um 17:22 Uhr
Meine erste Raktion war: ich will doch ein Blog betreiben und kein Magazin!
Ich habe jetzt trotzdem mal ein paar Sachen umgesetzt, da ich glaube, dass sie sich sehr gut mit dem Dasein eines „Blogs“ vereinbaren lassen:
(1) Featured-Posts auf der Startseite
(2) Bei den Kategorien oben eine Bilderleiste mit Bildern aus der Kategorie
(3) Bei jedem Beitrag eine Verlinkung zum vorherigen und nächsten Artikel
Der dritte Punkt sollte eigentlich selbstverständlich sein, gehörte aber bei meinem Theme nicht zum Auslieferungszustand.
Die Kategorien haben noch nicht alle genügen Fotos. Das muss ich noch nacharbeiten.
In den letzten Tagen hatte ich ausserdem rechts in der Sidebar schon eine Bilderleiste angebracht um Leute dazu zu animieren, sich „interessante“ Bilder anzuschauen und dabei auf den einen oder anderen Beitrag zu stossen.
Ein möglicher Erfolg wird sich sicherlich nicht kurzfristig einstellen, aber insgesamt finde ich mein Blog somit schon mal wesentich ansprechender.
Danke für den Tritt in den Hintern :)
10.02.2013 um 17:48 Uhr
Wo er recht hat, hat er recht: 20% sind die klassische Zahl für den Traffic auf die Startseite. 80% auf alle anderen Seiten. Das gilt nicht nur für Blogs, sondern Webseiten allgemein. Genau wie 40% Stammleser, 60% Neuankommer.
Das ist für eine einzelne Seite recht viel – was die Seite wichtig macht, aber eben nur 1/5 des Gesamttraffic.
Nur bei einer Sache hat er nicht recht: die Sortierung nach Datum absteigend war eine Idee von Menschen, nicht von Technikern ;-) Dahinter steht wie bei Twitter später ff. die Idee der permanenten Diskussion. Allerdings werden viele Blogs wie Magazine betrieben – dann können Sie auch auf der Startseite von den Magazinen lernen…
11.02.2013 um 06:26 Uhr
Recht hat der gute Robert. Das Problem liegt bei Blogs aber auch in der inneren Wahrnehmung. Oft werden Blogs emotional betrieben. Wenn einem etwas unter den Fingernägeln brennt, dann schreibt man. Für Strukturierung bleibt oft keine Zeit. Wenn das Blog ernähren soll, ist das fatal. Wenn es der Reputation dient im Grunde auch, aber dort ist der Hebel mehr indirekter Art. 2013 könnte ein Jahr der Strukturierung der Blogs werden und somit auch in Search wieder zu mehr Sichtbarkeit führen. Gerade SEOs haben die Möglichkeiten für Rankingoptimierungen in ihren Blogs schwer vernachlässigt. Ich nehme mich da selber in keinem Fall aus. Aber ich kann sagen…. wir sind dran.
11.02.2013 um 08:50 Uhr
Danke Robert. Genau diesen Weg habe ich schon seit langem eingeschlagen. Ich hatte dabei zwar nicht genau deine Gedanken im Hinterkopf, sondern rein praktische Gesichtspunkte spielten dabei eine Rolle. Sowie Beobachtung des eigenen Leseverhaltens.
viele Grüße vom Bodensee
Jörg
11.02.2013 um 09:03 Uhr
Danke, für diese wertvollen Anregungen, die mich dank Facebook erreicht haben :-)
Ich habe schon oft überlegt wie ich den Besuchern eine bessere Struktur anbieten kann und hier nun direkt einige Umsetzungspunkte erhalten! Ich habe soeben auch mal meine Besucherzahlen angesehen und komme ganz grob gerechnet ebensow auf ca. 20% Startseite und 80% die restlichen Seiten. .
11.02.2013 um 12:05 Uhr
Das ist mal echt ein lesenswerter Artikel. Auch bei Blogbetreiber gibt es die Betriebsblindheit und einfach mangelnde Zeit um Ihre ganzen Blogs etwas mehr für Converstion zu optimieren. Ich nehme mir es immer vor an meinen Blogs etwas zu ändern aber dann schiebe ich es immer wieder nach hinten. Wobei man gerade bei bestehenden Blogs, die bereits echt gute Besucherzahlen aufweisen, noch viel rausholen kann. Danke! Ich muss meinen Blog optimieren :-)
12.02.2013 um 10:07 Uhr
Spannende Gedanken und Anregungen.Es lohnt sich Etabliertes immer wieder mal zu überdenken… Für mein balidges Redesign werde ich bestimmt ein paar Ideen mitnehmen!
18.02.2013 um 14:05 Uhr
Eine tolle Anregung, die auch einleuchtet. Bestimmt auch nützlich für Blogs, die nicht immer auf dem aktuellen Stand sind, weil das Datum des letzten Artikels nicht gleich ins Auge springt.
Werde ich bei meinem Redesign demnächst im Hinterkopf behalten.
18.02.2013 um 15:10 Uhr
Spitzen Artikel! Danke für die guten Anregungen. Ich denke über das Thema schon gut drei Wochen nach und ich glaube das war noch mal der Hinweis den ich gebraucht habe um das Projekt „Startseite“ mal in Angriff zu nehmen!
Grüße
Micha
18.02.2013 um 18:42 Uhr
Thank you Robert for your kind words and thoughts. Always great to keep looking for ways to improve. I see you are kind to help others see ways to improve. Wonderful. Danke
18.02.2013 um 22:34 Uhr
dear Paul, thank you for your kind words :)
19.02.2013 um 14:22 Uhr
Danke. Nicht nur für die schlüssige Argumentation, sondern auch für die zahlreichen Inspirationen durch die vorgestellten Blogs. Ich werde das bei der Umstellung auf WordPress auf jeden Fall berücksichtigen.
20.02.2013 um 09:05 Uhr
Archivnirvana? Der Großteil aller Leser, ob Einpostflieger oder Dauerleser kam/kommt über eine Archivseite via google. Archivnirvana … tststs
06.03.2013 um 18:38 Uhr
Über den Artikel zum Leistungsschutzrecht bin ich nun hier gelandet. Und da ich gerade mit dem Gedanken spiele, die Startseite von einer meiner Webseiten neu zu gestalten, bin ich hängengeblieben. Der Artikel bringt vieles in eine gewisse Ordnung, worüber ich mir schon oft Gedanken gemacht habe, ohne es recht greifen zu können.
Besonders die sechs Beispiele werde ich mir bei Gelegenheit näher und intensiver anschauen.