Im Gesetzesentwurf zum LSR steht wortwörtlich:
Mit der Einführung eines Leistungsschutzrechts für Presseverlage soll dem neu entstandenen Schutzbedürfnis der Presseverleger Rechnung getragen werden. Die Forderung nach dem Schutz der verlegerischen Leistung wurde schon im 19. Jahrhundert erhoben. Schon damals beklagten Zeitungsverleger, dass konkurrierende Blätter Artikel ohne eigene Recherche veröffentlichten und damit die verlegerische Leistung anderer ausbeuteten. Vor der digitalen Revolution war dem Schutzbedürfnis der Verleger durch den gesetzlichen Schutz für die veröffentlichten Texte und Fotos hinreichend Rechnung getragen. Heute sehen sich jedoch Presseverlage zunehmend damit konfrontiert, dass andere Nutzer für die eigene Wertschöpfung systematisch auf die verlegerische Leistung zugreifen und diese in einer Weise nutzen, die über das bloße Verlinken weit hinausgeht.
Kurzum übersetzt: Die Verlage mögen die Schmarotzer nicht mehr hinnehmen, die sich der verlegerischen Leistungen bedienen und dafür mit keinem Cent aufkommen! Das liegt doch auf der Hand, dass Schmarotzertum nicht in Ordnung ist!
Schnitt, andere Welt, von unten betrachtet. Aus meiner Welt als Blogger. Der hin und wieder auf Wirtschafts-Events mit dabei ist. Natürlich treffe ich dort auch Journalisten an. So kommt man ins Gespräch.
Ein waschechter Journalist sitzt mir in der Hotel-Bar gegenüber, ein von zu vielen Zigaretten, Leben und Alkohol gegerbten Gesicht. Das muss einer dieser Dinos sein, denke ich mir, die noch Schreibmaschinen und späte Stunden aus Jahrzehnten ihrer Tätigkeit kennen.
Mein Respektlevel steigt und ich spreche den Journalisten höflichst an: „Hallo. Basic. Freut mich sehr. Für wen schreiben sie?“
Ein tiefer Bariton tönt mir entgegen, Ray Charles ist nix dagegen, eine echte Reibeisenstimmme: „Mein Jung, ich schreibe für [dicker, fetter, bekannter Verlag]. Ich bin aber schon längst im Ruhestand.“
Ich so: „Ah. So. Sie bessern sich damit ihre Rente auf?“
Er lacht aus tiefster Seele zynisch: „Mein Jung, nicht wirklich. Ich bekomme nichts dafür.“
Ich so: „Moment. Wieso sind sie dann…“
Er so: „Es hieß, ich könne zwar schreiben, aber ich solle froh sein, dass ich eine Referenz für andere Verlage bekomme. Die würden mir dann was geben.“
Ich war baff und schockiert. Ein derart bekannter Verlag, der laut Geschäftsbericht in Gewinnen schwimmt? Nimmt derart einen gestandenen, alten Hasen aus?
Kam das denn nur einmal vor? Nein, ich habe es mittlerweile mehrfach mitbekommen. Auch die anderen Blogger, ob aus dem Reisebereich, Lifestyle, Mode, IT, Automotive, und und und. Wir kennen alle diese Fälle. Keiner spricht darüber. Schon gar nicht die Journalisten. In der Angst, gar keine Chance mehr zu bekommen. Und aus Scham. Die Verlage sprechen auch nicht darüber. Welch Wunder. Müssten sie doch Honorare zahlen.
Das Schlimmste, was ich erlebt hatte? Ein ebenso gestandener Journalist der Kategorie Aussortiert und Alteisen begab sich nach der Landung am Flughafen auf die Suche nach Pfandflaschen! In Mülleimern! Auch dieser da war ein unbezahlter Event-Teilnehmer, im Auftrag eines gestandenen Verlages.
Schmarotzer also. Liebe Verlage. Ich verstehe, dass sich die Zeiten ändern. Ich verstehe, dass ihr euch zurechtfinden müsst. Ich verstehe, dass ein Arbeitsmarkt Angebot und Nachfrage nicht von heute auf morgen anpassen kann. Aber ich kann nicht verstehen, dass es Verlage gibt, die nicht den Anstand bei diesem Änderungsprozess wahren. Die nicht einmal den Anstand haben, wenigsten einige Euros Rentnern und altgedienten Journalisten ehrwürdig und ehrenvoll in die Hand zu drücken. Die nicht den Anstand haben, abzulehnen. Die den Anstand haben, finanzielle Situationen nicht auszunutzen.
Wenn ich dann lese, dass eine der größten und anerkanntesten Verlegerinnen dieses Landes ihrem Manager 70.000.000 Euro in Aktien schenkt, verstehe ich meine Blogger-Welt nicht mehr. Die Verlegerwelt noch weitaus weniger. Ich habe Respekt vor den Journalisten. Ich habe Respekt vor ihrer Rolle. Ich habe Respekt vor ihrer Angst, Job und Lohn zu verlieren.
Aber ich habe keinen Respekt und ich hege Verachtung in mir, für Euch, Verleger. Wo seid Ihr, die noch Anstand haben?
29.08.2012 um 18:24 Uhr
Bezahle mit Bananen, und Du bekommst Affen.
Solche Strategien führen heute unweigerlich ins Aus. Zurecht!
LG vom Wannsee,
Sebastian
29.08.2012 um 19:23 Uhr
Danke für den Artikel.
Auch im Dokumentarfilmbereich gibt es ähnliche Tendenzen – von ARD und ZDF wohlgemerkt (!) – zu beobachten. Hier der offene Brief des ältesten Dokumentarfilm-Verbands Deutschlands (AG DOK) an ARD und ZDF http://www.agdok.de/index.php?page=press&content=hpg_detail&id=169173&language=de_DE
Und hier eine Übersicht der Reaktionen darauf: http://www.agdok.de/index.php?page=news&content=hpg_detail&id=147276&language=de_DE
Generell ist es an der Zeit über neue Strukturen wie z.B. das bedingungslose Grundeinkommen nachzudenken. Dann wäre wenigstens das Flaschensammeln nicht mehr nötig… Und was mich wundert, ist, dass gerade publizistisch arbeitende Leute sich nicht stärker über die Gepflogenheiten in „den Medien“ aufregen. Es gibt ja auch noch die Möglichkeit anonym, so wie ich es hier z.B. tue, aktiv gegen solche Tendenzen zu äussern.
29.08.2012 um 22:53 Uhr
Guter Beitrag ;-)
30.08.2012 um 12:24 Uhr
Da kommt man auf die Idee für einen guten Kurs, nicht 0, journalistische Texte für das Blog oder die Webseite einzukaufen.
Oder ist das verwerflich?
Gibt es eigentlich eine Journalistenbörse?
30.08.2012 um 17:01 Uhr
Dann hier noch eine Anekdote für dich, Robert. Die liegt allerdings schon acht Jahre zurück. Damals hatte ich – als freier Journalist – eine Titelstory für ein Fachmagazin des Axel Springer Verlags recherchiert und geschrieben und rannte ein halbes Jahr lang von Pontius zu Pilatus, um an mein Honorar zu kommen.
In dieser ganzen Leier von Mahnungen schreiben und böse Beschwerden an die obere Etage bezüglich der kläglichen Zahlungsmoral abzusondern, geriet ich irgendwann an den Leiter der Finanzen. Und zwar telefonisch. Dieser Typ hatte die Dreistigkeit mir mit dem Spruch zu kommen: „Unsere Verlagsgruppe muss bis Ende Jahres über 1000 Jobs abbauen, was interessiert mich Ihre Rechnung.“
Wohlgemerkt: Zu dem Zeitpunkt hatte der Verlag längst u.a. mit meiner Titelstory Geld gescheffelt und die Gehälter so manches Nichtsnutzes in den oberen Etage bezahlt!
Ich bekam mein Geld noch, nachdem ich reichlich verbrannte Erde von ganz oben nach unten hinterlassen hatte und genug Leute diese Gebahren intern nach weiter oben zu erklären hatten.
Also keine allzu neue Entwicklung. Und auf solche „Partner“ kann man auch locker verzichten.
Aber festes Grundeinkomme ist auch nix, denn „gemütlich“ gibt es in den Verlagen auch reichlich. Darum sind Verlage ja unrentabel. Zahlen nach Anwesenheit, statt nach Leistung, mag bei Nachtwächtern sinnvoll sein, nicht für Journalisten. Vernünftig zahlen nach erbrachter Leistung wäre dagegen sinnvoll und fair. Wer wenig arbeitet, bekommt eben auch wenig.
30.08.2012 um 21:00 Uhr
Dass häufig in Deutschland immer noch nach Anwesenheit und nicht nach Leistung gezahlt wird, ist ein grundlegendes Problem, kein branchenspezifisches. Wenn hier ein Mentalitätswechsel stattfindet, käme das einer kleinen Revolution gleich – nicht nur in puncto fairer Bezahlung, sondern auch in puncto Gleichstellung, Vereinbarkeit mit Familie etc.
Schlicht und ergreifend gar nichts zu zahlen, ist allerdings in der Tat eine Frechheit. Gibt es da keine arbeitsrechtlichen Maßnahmen, die man ergreifen könnte? Evtl. könnten sich Betroffene ja zusammenschließen und eine Sammelklage vorbereiten o.Ä.?
30.08.2012 um 21:02 Uhr
Naja ich verstehe die ganze Jammerei jetzt mal überhaupt nicht. „Er lacht aus tiefster Seele zynisch: “Mein Jung, nicht wirklich. Ich bekomme nichts dafür.”“ Wir leben in einem freien Land. Es hat ihn keiner mit der Pistole gezwungen dort umsonst zu arbeiten. Mal ehrlich, wo führt das denn hin, wenn wir immer die Schuld auf andere schieben.
01.09.2012 um 04:49 Uhr
Und wo bleibt die Zivilcourage der Journalisten. Publikationsalternativen gibt es ja wohl genügend. Eine Branche die nicht Nein sagen kann, hat in gewisser Weise sich die 0,- Euro Honorar selbst eingebrockt. Wenn Herr Senior in „besseren Zeiten“ sich noch eine Rente erwirtschaften konnte, dann sollte er sich in Grund und Boden schämen für Null Euro für einen Verlag überhaupt zu schreiben. Bessere Zeiten kamen auch nicht von selbst. Auch Journalisten mussten um Honorare mit Streiks kämpfen, Es gibt zwei Schweine in unserer Gesellschaft, die fetten Unternehmersäcke, die sich nur noch Aktionären und Rendite Verantwortlich sehen und der kleine Mann, der nicht bereit ist, für sein Anliegen einzutreten und zwar in einer globalen Welt auch global organisiert. Ein fetter Verlegersack ist nur so mächtig, wie die Schreiberlinge es ihm gestatten.
01.09.2012 um 11:08 Uhr
@ Silke: Full ack!