Ist lange her, dass mir die Frage gestellt wurde, ob ich Guderian kenne würde. Wo und wann? Mitte der 90er Jahre, unmittelbar nach meinem Jobantritt bei der Deutschen Bank, fand ein abteilungsinternes Abendessen in irgendeinem Restaurant in Frankfurt statt. Mir gegenüber saß mein Abteilungsleiter, ein alter Deutsch Bänker. Ich glaube, es war eine Weihnachtsfeier. Es ging kuschelig zu, soweit war alles wunderbar.

Bis mich mein Chef unmittelbar fragte, ob ich einen gewissen Guderian kennen würde. Da ich wusste, wen er meint – den Nazigeneral Guderian – und mir zugleich geläufig war, dass mein Chef einen hohen Rang als Reserveoffizier der Bundeswehr bekleidete, verneinte ich die Frage. Ich ahnte auch, warum er mir die Frage stellt. Ich hatte schlichtweg keine Lust, mit meinem Chef über Guderian und die organisierten Verbrechen der Wehrmacht zu sprechen. Guderian gehörte in meinen Augen zu den größten Verbrechern des 3. Reiches. Ich sollte mit meiner Ahnung recht behalten, dass es meinem Chef um Militärisches ging, mir jedoch eben diametral entgegensetzt nicht.

Mein dummer Blick „mein Name ist Hase“ brachte den Chef in Rage. Sein Gesicht lief rot an, seine Augen funkelten gefährlich und er erhob seine gestrenge Stimme (was bei einer Körpergröße von 1,90 nicht schwer fällt) wutentbrannt: „WAAAAS, SIE KENNEN GUDERIAN NICHT? EINEN DER GRÖSSTEN PANZERGENERÄLE ALLER ZEITEN? WISSEN DENN AKADEMIKER HEUTZUTAGE NICHTS MEHR?“ und fügte weiteres blabla an. Es wurde still, 70 Menschen schwiegen.

Ich erwiderte lediglich, ich sei geschichtlich nicht bewandert und es wäre in der Schule nie besprochen worden. Verschwieg dabei die Tatsache, dass ich mich sehr für Geschichte interessiere, in der Schule Leistungskurs Geschichte belegt hatte und vorher wie auch später zahlreiche Geschichtsbücher von vorne bis hinten gefressen hatte (btw, inkl. Winston Churchills großartiges Werk A History of the English-Speaking Peoples, Biographien von Hellmut Diwald und Golo Mann, Gebhardts Handbücher über die deustche Geschichte, aber auch zahlreiche Bücher zum Dritten Reich inkl. militärhistorischer Abhandlungen). Wie gesagt, im Großen und Ganzen gab es nichts für mich zu diskutieren, da ich das Gefühl hatte, mein Chef ist ein glühender Anhänger dieses Verbrechers, der übrigens auch nach dem zweiten Weltkrieg von seiner Nazischeiße nicht loslassen wollte.

Wie dem auch sei, ein Gruppenleiter nahm mich in den Schutz und beschwichtigte den Guderian-Fan. Wie das Verhältnis nachher war? Ich würde es als neutral bezeichnen, letztlich auch egal, denn der Chef war nicht lange mein Chef. Er wurde aufgrund interner Umstrukturierungen in eine andere Abteilung versetzt.

Würde ich heute meine Klappe halten und mich dumm stellen? Ich weiß es nicht, damals war meine Entscheidung spontan. Warum? Ich weiß es wirklich nicht mehr genau, vermute jedoch, dass ich es mir mit meinem unmittelbaren Brötchengeber nicht verscherzen wollte. Immerhin war ich bei der Deutschen Bank untergekommen, ein vielversprechender Job – der erste nach meinem Studium – mit interessanten Aussichten. War es das wert? Einerseits ja, wenn ich mir die pampige Reaktion des Typen vor Augen halte. Andererseits wiederum nein, denn warum schweigen, wenn man nicht der Meinung ist, dass die militärischen Leistungen die Verbrechen dieses Mannes niemals aufwiegen können, wollte man denn militärischen Leistungen überhaupt etwas Gutes abringen? Es gab auch einen weiteren Grund für meine Reaktion: Die Deutsche Bank war in die Nazigeschäfte tief verstrickt, das gab der Frage meines Chefs einen zusätzlichen Sprengstoff. Hätte ich auch darüber diskutieren sollen, dass gerade Mitarbeiter der Deutschen Bank die Fresse halten sollten, bevor sie Personen des Dritten Reiches loben? So neige ich dazu, meine Reaktion als Feigheit vor dem Feind zu bewerten. Denn, geschichtlich kann man einen Schlussstrich ziehen, aber die Haltung zur Menschlichkeit kennt keinen Schlussstrich. Die Geschichte lehrt uns Menschlichkeit, sie ist Quelle und Fortsetzung unseres Werdens, davon bin ich überzeugt.

Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnet haben
Was ich daraus für mich mitgenommen habe? Ich habe danach besser verstanden und besser nachvollziehen können, warum Menschen wegschauen, die Klappe halten. Es fängt im Kleinen an. Der olle Job ist gefährdet, wenn auch nur leicht. Irgendwas fühlt sich kompliziert an. Man weiß nicht, wohin es führt. Was würde man schon verbessern?Unsicherheit, Risiko, Abwägung. Es geht schneller als man denkt.