habe in meinen Bildarchiven gewühlt und als ich auf dieses Bild gestoßen bin, musste ich lauthals loslachen, war zugleich touched:
Der Kleinste bin ich, wohl ungefähr 1 Jahr alt. Blondes, gewelltes Haar. Meine Mutter hat immer noch eine Haarlocke von mir in einem kleinen Kästchen, was auch gut so ist, weil ich es später nie so recht glauben wollte, dass aus den fast rein wasserstoffblonden Haaren braune geworden sind. Links und rechts von mir sind mein Bruder und meine Schwester zu sehen. Die Erwachsenen sind meine Eltern und Großeltern (leider verstorben).
Wo war das? Na, im damaligen Jugo, heute heißt der Landesteil Kroatien. Ich weiß allerdings nicht, wo genau das Bild aufgenommen wurde. Ich nehme an, dass es auf dem Bauernhof meiner Großeleltern gewesen sein muss, an den ich mich als Kleinkind allerdings kaum noch erinnern kann. Ich habe u.a. nur noch eine vage, wohlige Erinnerungen an unseren Hund. Den Wuschelkopf kann man auf diesem Bild mehr erahnen denn erkennen:
Meine Mutter meinte, wir beide wären ein Herz und eine Seele gewesen. Leider war der Hund ein kleiner Hühnerdieb und musste daher eines Tages sein Leben lassen, da ihm das ein Bauer übel nahm.
Aus den Erzählungen meiner Eltern weiß ich, dass das Leben hart gewesen sein muss, manchmal auch bitter hart. Nix da mit Krankenkasse und ärztlicher Versorgung. Wer ernsthaft erkrankt war, durfte beten, dass er es überlebt. So verlor meine Großmutter vier ihrer Kinder, die nach heutigen Verhältnissen ohne Weiteres überlebt hätten, wenn man die Medikamente gehabt und sich auch hätte leisten können. Am meisten hatte sie mich mit der Story erschreckt, wie ihr die Zähne gezogen wurden. In der Tat war das Sache des Dorfschmieds und vier kräftiger Männer, die sie dabei festhalten mussten.
So erklärt sich wohl auch mein persönlicher Umstand, dass ich mich extrem glücklich schätze, in Deutschland zu leben. Zu einer Zeit, die vor lauter Wohlstand (den viele sicherlich als relativ empfinden mögen) nur so strotzt. Da hierzulande die existentiellen Dinge wie Ernährung und Gesundheit gesichert sind, empfinde ich eine große Freiheit in meinem Tun. Nein, ich fühle es nicht als Luxus, auch nicht als eine eine Art von Selbstverständlichkeit.
Es ist mit vielmehr die Freiheit, relativ sorglos sein Leben nach Fähigkeiten und entsprechend der Situation gestalten zu können, es frei bestimmen zu dürfen. Großartig! Es gibt nicht allzu viele Menschen, die auf dieser Erdkugel einfach so über ihr Leben bestimmen können, schon alleine aus puren Existenzwängen nicht, geschweige denn aus politischen und sozialen Umständen heraus. Zugleich habe ich mein aus der Kindheit herrührendes Gerechtigkeitsempfinden nie verloren, das auf der Kenntnis von Armut und Zwang basiert.
Zwang? Das damalige Jugo war mit Sicherheit nicht zu 100% mit dem Kontrollstaat DDR vergleichbar, doch die politische Klappe Andersdenkender musste zu bleiben oder man befand sich eines Tages auf einer Insel ähnlich Alcatraz (kein Joke). Wer zu sehr agierte, war sich seines Lebens auch nicht im Exil sicher. Derartige Idioten, anderen Menschen ihre Vorstellungen von Leben und Gesellschaft bis zum bitteren Exzess aufdrängen zu wollen, gibt es zu Genüge an allen Ecken und Enden der Welt. Lebensvorstellungen sind so eine Sache, die es in sich hat.
Die jüngste Zeit ärgere ich mich besonders über die Diskussionen – zu der die BILD fleißig beiträgt und Sarazzin als Deppenfigur missbraucht – zur gefühlten Entfremdung der Fremden, der „Angst der Deutschen ihr Deutsch-Sein“ zu verlieren. Was mir grundlegend in vielen Debatten fehlt, ist die Bereitschaft, sich auf die Umstände von Menschen einzulassen, wie sie leben, an was sie glauben, warum sie – oh Gott – auch manchmal Kopftücher tragen. Wer nur oberflächlich die Auswirkungen betrachtet aber nicht die Ursachen, wird gar nichts verstehen. Wie kann ich mir ein Urteil erlauben und richten über Menschen, wenn ich nicht einmal ansatzweise ihre Kultur verstehe? Ja doch, ich bin ein Ausländer und habe mich einigermaßen angepasst, im Herzen werde ich jedoch niemals ein echter Deutscher sein, was das überhaupt sein soll, weiß ich nicht mal wirklich. Es ist mir im Grunde scheißegal, welchen Pass jemand bei sich trägt. Scheißegal ist mir aber nicht dessen Leben noch dessen Verständnis von Leben und den gegebenen Umständen. Aufregen werde ich mich aber sicher nicht, wenn er Kopftücher trägt, an Buddha glaubt noch andere Essgewohnheiten als ich hat oder „komisch“ spricht. Es gibt keine Vorschrift, was eine Kultur zu sein hat und nicht. Wir Menschen bestimmen das gemeinsam, manche wollen eben mehr bestimmen, manche sind bereiter, dass sich Kultur verändert. Manche sind bereiter, auf die andere Kultur zuzugehen, manche weniger. Klar knallt es dann. Erinnerungen sind mächtig. Sie machen uns aus. Und einige werden unflexibel, sich nicht nur von ihren Erinnerungen bestimmen zu lassen.
All das zusammen und daraus Abgeleitete gehört letztlich zu und basiert auf meinen Erinnerungen. Und macht mich als das aus was ich bin. Zugleich, ist es nicht erstaunlich, wie sehr uns unsere Erinnerungen prägen? Manchmal denke ich daran und sage mir, dass man dabei nicht die gedankliche Flexibilität verlieren darf, sich lediglich von den Erinnerungen grundlegend bestimmen zu lassen. Vielleicht erklärt dieser Drang nach Flexibilität und Freiheit, aber auch das erfahrene Leben in zwei Systemen (als Kind im kommunistischen Jugo, als Kind bis zum Erwachsen Werden in D), warum ich mich so sehr für das Internet interessiere, das für mich eine verändernde Kraft in sich birgt, Gesellschaften grundlegend zu verändern. Wirtschaftliche, politische, kulturelle und gar soziale Normen auf Basis der schnelleren und raumlosen Informationsmöglichkeiten stetig aber sicher neu strukturiert. Für mich steht fest, dass Menschen niemals in ewig starren Systemen leben, sie verändern die Systeme stetig. Manchmal sind es nur bloße Ideen mit großen Sprengpotential (Religionen sind derartige Ideensyssteme von Lebensvorstellungen), manchmal aber auch Techniken (mobile Erfindungen, Kommunikationstechniken, Energie…).
Wie beende ich nun den Artikel, wo ich noch so viel sagen könnte und möchte? Einfach so. Fini.
30.10.2010 um 16:41 Uhr
Ich wusste doch, dass es sich immer noch lohnt, deinen Feed abonniert zu haben. Dein schönster* Blogpost seit langem.
* Die Schönheit liegt natürlich wie immer im Auge (bzw. in den Vorlieben) des Betrachters.
30.10.2010 um 17:11 Uhr
Endlich mal wieder ein echt interessanter Post!
Und ja, schon krass wie hart (und wesentlich zerbrechlicher) das Leben früher war …
31.10.2010 um 10:57 Uhr
wow mal was ganz anderes…ich hätte wirklich noch mehr lesen können.
Du sprichst ein paar sehr gute Punkte an. Warum schimpfen viele auf den Staat herum das es viel zu wenig Geld fürs nichts tun gibt, sie möchten mehr mit welcher Begründung? Sie möchten sich auch mal etwas wie einen Urlaub leisten etc. Möchte man nicht meinen teilweise geht es uns zu gut hier in Deutschland?
Toller Artikel Robert :)
01.11.2010 um 00:23 Uhr
Einfach so. Fini
spitze
01.11.2010 um 22:39 Uhr
Ich beobachte diese Deutsch-Sein Mode mit großer Skepsis. Im IT-Arbeitskontext waren vielleicht 5% bis 10% der Projekte rein deutsch besetzt. Z.T. entwickelten sich mit den Ausländern enge und ins private übergehende Arbeits-Beziehungen. Ich hatte mein ganzes Leben neben Deutschen eben auch türkische, slowenische, niederländische, taiwanesische und lateinamerikanische Freunden. Ich verbringe inzwischen wieder erstaunlich viel Zeit in Chile mit nicht-deutschstämmigen Freunden. Multi-kulti ist für mich nicht gescheitert. Dabei respektiere ich für Arbeit/Privates allerdings im Ausland auch die dortige Kultur und versuche meine teutonische Neigung zu zielführenden aber halt auch sehr unverbindlichen Haltungen unter Kontrolle zu halten, insbesondere weil ich die Schattenseiten kenne, wenn zu viele so unterwegs sind (Deutschland). Ich weiss allerdings auch, dass die überwältigende Mehrheit der Menschen aus anderen Kulturkreisen in diesem Land eine ähnlich respektvolle Haltung – sagen wir – in ihrem Herzen tragen.
04.11.2010 um 12:38 Uhr
man kann sagen was man will…trotzdem wird es sicherlich früher auch schön gewesen sein. Meine Oma zeigt mir auch immer mal wieder solche Bilder. Es ist erstaunlich wie sehr sich die ganze Gesellschaft entwickelt hat. Wir kennen es n ciht anders. Aber ältere Menschen haben dieses ganzen Wandel miterlebt. Man schickte damals lediglich Briefe und auf einmal gibts ne SMS. Ich finde es schade, dass sich nur wenige Jugendliche für die Geschichte ihrer Familie intreessieren. So ein Abend mit meinem Opa wenn er Geschichten aus dem Krieg erzählt, sibnd besser als jeder Kinofilm.
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