Beschäftigen wir uns mit der Frage, was im Moment bei den Marketing- und PR-Firmen schief läuft. Oder läuft gar nichts schief? Im Zusammenhang mit dem Vordringen und Voranpreschen des Internets ins gesamtheitliche Leben einer Gesellschaft.

Was können wir beobachten?
1. Die Anzahl der Mitarbeiter aus dieser Branche, die von der Internet-Materie wenig bis gar keine Ahnung haben, ist erschreckend hoch. Mein persönlicher Eindruck. In meinen Augen müsste jeder Mitarbeiter ein profundes Know How über Techniken, Trends, Anwendungsmuster, Softwaredesign und GUIs haben.

2. Unternehmen investieren immer mehr in den digitalen Kanal, zunehmend auch in Eigenregie (siehe aktuellen OVK Report, pdf). Zu Lasten von Print, Radio und demnächst auch TV (die TV Sender sprechen schon länger intern über das Thema, dass ihnen das Internet als visueller Kanal eines Tages den Rang abläuft, say „YouTube Generation“. Außerdem beobachten wir eine Zunahme von TV Technologien, die Internet und TV verbinden). Diese Verschiebung führt dazu, dass die gesamte PR/Marketing-Branche den Switch markant spürt. Wo man sich früher auskannte, etablierte Wertschöpfungsketten aufgebaut hatte, muss man nun mit der Kundenkarawane weiterziehen. Das bedeutet aber Änderungen am Know How, an der Wertschöpfungskette und am Personalbestand (siehe z.B. den Artikel von Tapio Liller „Zukunft der PR“ hinsichtlich neuartiger Personalanforderungen im Bereich PR). Das geht nicht von Heute auf Morgen. Hier zeigt sich die Stärke „Änderungswillen- und Fähigkeit“. Änderungsresistente Unternehmen aus dem Bereich PR/Marketing werden schrumpfen oder vom Markt verschwinden.

3. User informieren sich mittlerweile nicht mehr nur über die klassischen Kanäle, sie beziehen Informationen über Blogs, Foren, Social Networks, Videoportale, Social News-Sites, Wikipedia, Verbraucherportale, etcpp. Das führt zu Thesen „die Nachricht kommt zu mir“. Das spiegelt zugleich den Punkt 1. wider.

4. Unmittelbar damit zusammenhängend wird der vernetzte Mensch immer sichtbarer und spürbarer. Individuen informieren sich untereinander, wir nennen das „personal recommendations“. Und ist mittlerweile bei manchen Kaufentscheidungen in bestimmten Produktkategorien eines der wesentlichen Entscheidungsfaktoren. An welchen Stellen Marketing/PR Unternehmen helfen können, dass personal recommendations gefördert werden, sich User besser untereinander informieren können, wird in meinen Augen viel zu selten beachtet. Nach wie vor stellt man als Agentur den Unternehmenskunden und dessen Broadcasting-Bedürfnisse in den Vordergrund, wenn es um Angebotsphasen geht. Das ist fatal.

5. Mit der entscheidenste Punkt ist, dass mittels der digitalen Revolution die Beziehung zwischen Wirtschaft und Konsumenten direkt verknüpfbar wurde. Mittelsmänner im Sinne einer Organisationsform bzw. einer wirtschaftlich betriebenen Institution verlieren natürlicherweise an Bedeutung. Es wird zunehmend nicht mehr die Frage gestellt, wie man 1:n Beziehungen herstellen kann, sondern wie man 1:1 Beziehungen knüpft. Wenn man überhaupt vom Beziehungsaufbau jemals sprechen konnte.

6. Die Markenbildung – eines der Budget trächtigsten Bereiche mit über 500 Mrd USD Volumen überhaupt – verliert im klassischen Sinne (was die Bespielung bisheriger Broadcasting-Kanäle angeht) zunehmend an Bedeutung. Bis heute haben PR/Marketingagenturen viel zu selten an der Frage wortwörtlich geforscht, wie man im digitalen Raum Präsenz zeigt und Marken aufbaut. Und parallel können wir beobachten, das gesamte Unternehmensbereiche zur Markenbildung beitragen. Bedingt durch die zunehmende Öffnung der Unternehmen im kommunikativen Sinne (Mitarbeiter in Blogs, Social Networks, etc) im direkten Beziehungsaufbau mit der Kundschaft.

Noch viel wesentlicher ist: Wenn Menschen zunehmend im digitalen Raum Zeit verbringen, sich austauschen und selbst Inhalte erstellen, wird die Frage immer dringlicher, wo Kontaktflächen seitens der Unternehmen angeboten werden, um bei den neuen (präziser: erweiterten) Spielregeln des gesellschaftlichen Lebens teilzunehmen. Wer im Netz nicht adäquat zu der digitalen Erfahrungswelt des Kunden greifbar ist, wird an Markenwert verlieren. Es wird nicht mehr ausreichen, im Wesentlichen analoge Erfahrungen zu bieten und „bisschen“ im Netz über eine eigene Homepage erreichbar zu sein.

Ich bin der Meinung, dass exakt an dieser Stelle PR- und Marketingagenturen viel zu wenig über die digitalen Erfahrungswelten des Individuums nachdenken. Wie definiert und erweitert das Netz die persönliche Erfahrungswelt? Was sind neue Verhaltensweisen? Wie sprechen die Menschen miteinander digital? Bilden sich neue Verhaltensnormen? Wie ändert sich die Wahrnehmung? Was erwarten die Menschen von den Unternehmen hinsichtlich Erreichbarkeit, Information und Präsenz per se im Netz? Trägt das Netz zu einer verstärkten Individualisierung bei (und damit verteilterer Meinungsgruppen, Haltungen, Lebensweisen, Geschmäckern), nicht nur in westlichen Kulturen? Die Wirkweisen werden imho viel zu wenig erfroscht. Wer aber die mögliche Änderung der Gesellschaft durch das Digitale nicht versteht und hinterfragt, kann derjenige überhaupt Unternehmenskunden professionell mit gutem Gewissen bedienen?

7. Open Innovation / Wikinomics = Wenn man das Internet auch als ökonomisch günstigen, kollaborativen Kanal betrachtet, wird es zunehmend möglich sein, Produkte bereits in der Frühphase eng an den Kundenbedürfnissen zu entwickeln. Weil man mit den Kunden in dieser Phase zusammenarbeiten kann. In dieser Form war dies vor ca. 20 Jahren undenkbar. Das eröffnet zahlreichen, pfiffigen Unternehmen völlig neue Marktchancen und reduziert die Risiken von teuren Fehlentwicklungen. Auch an dieser Stelle müssen sich die PR/Marketingagenturen Fragen, was sie dazu beitragen können, um kollaborative Prozesse kommunikativ zu unterstützen, aber auch ökonomisch effizient zu gestalten. Sie könnten sich sogar die Frage stellen, ob man nicht zusammen mit den Kunden via Netz PR/Marketingkampagnen mitgestalten lassen kann. Nicht nur das Produkt / die Dienstleistung.

8. Summa summarum beobachen wir eine von den Usern getriebene Umgestaltung des wirtschaftlichen Lebens. Obgleich sich die Unternehmen dagegen stemmen, erkennen sie, dass sie an Änderungen nicht vorbei kommen. In allen Bereichen und Prozessen. PR und Marketingagenturen sehen allerdings ihre Aufgabe nicht darin, den Kunden im gesamtheitlichen Sinne zu beraten. Das ist ein Gebiet, das den Unternehmensberatungen vorbehalten war und ist. Doch, sie kommen nicht umhin, wenn sie nicht am Spielfeldrand stehen bleiben wollen.

9. Ergänzend ein Beispiel, wie Lösungen aussehen könnten, alternativ zur reinen Thesenbildung, die ohne konkrete Ableitung für viele wertlos ist.

Das sind meine Grundüberlegungen dazu, was meint Ihr dazu? Es sind wohlgemerkt skizzenhafte Thesen. Die in meinen Augen nicht unbedingt richtig sein müssen. Gesamtheitlich bin ich aber überzeugt, dass sich diese Branche ganz besonders anpassen muss, wenn sie denn ihre bisherigen Pfründe beibehalten möchte.

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